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ASIEN/603: Baitullah Mehsud - Amerikas neuer Buhmann in Af-Pak (SB)


Baitullah Mehsud - Amerikas neuer Buhmann in Af-Pak

Krieg der NATO am Hindukusch weitet sich unerbittlich aus


In Afghanistan eskaliert der Krieg, der sich längst auf Pakistan ausgeweitet hat - deutlich, wie die Raketenangriffe auf den gigantischen Luftwaffenstützpunkt Bagram nahe Kabul, die am 21. Juni zwei US-Soldaten töteten, und der Überfall zwei Tage später nahe Kundus, bei dem drei Angehörige der Bundeswehr ihr Leben verloren, zeigen. Während US-Präsident Barack Obama die Zahl der in Afghanistan stationierten Soldaten erhöht, hat Mullah Omar nach Angaben des Wall Street Journal, das sich auf Regierungsbeamte in Washington bezog, die Befehlskette bei den Taliban gestrafft und den Handlungsspielraum seiner Regionalkommandeure eingeschränkt, um die diesjährige Sommeroffensive gegen die ausländischen Truppen selbst leiten zu können. Das Ergebnis der Eskalation sind die täglichen Meldungen über zahlreiche Kämpfe, Überfälle und Luftangriffe, bei denen zwar die Zahl der ums Leben gekommenen Kombattanten unklar ist - da NATO und Taliban die Verluste der Gegenseite über- und die eigenen untertreiben -, die jedoch bei der Zivilbevölkerung enorm hoch ist. Bei einem per Drohne durchgeführten Raketenangriff der CIA auf eine Trauergemeinde im pakistanischen Grenzbezirk Südwasiristan wurden am 23. Juni 80 Menschen getötet und Dutzende weitere verstümmelt und verletzt, die meisten von ihnen Zivilisten.

Ein schnelles Ende des Blutvergießens ist nicht in Sicht. Häufig wird dieser Tage die Einschätzung zitiert, die David Kilcullen, der Berater für Aufstandskämpfung von US-General David Petraeus, dem für den Nahen Osten und Zentralasien zuständigen CENTCOM-Oberbefehlshaber, bei einem Auftritt am 5. Februar vor dem außenpolitischen Ausschuß des Senats abgegeben hat, wonach die Stabilisierung bzw. Befriedung Afghanistans "zehn bis 15 Jahre einschließlich mindestens zweier Jahre schwerer Kämpfe" dauern und allein die USA weitere "zwei Milliarden Dollar pro Monat" kosten würde. In einem Artikel, der am 24. Juni in der Tageszeitung Guardian über eine Konferenz des Royal United Services Institute (RUSI) zum Thema Afghanistankrieg erschienen ist, wies der Korrespondent Richard Norton-Taylor auf die zunehmende Unzufriedenheit bei den britischen Militärs hin, weil diese von der politischen Führung im Londoner Regierungsviertel Whitehall keine Antwort auf die "brennende Frage" erhielten, weswegen man überhaupt in Afghanistan sei. Gerade vor wenigen Tagen hat die Zahl der in Afghanistan gefallenen britischen Soldaten die aus dem Irakkrieg überholt.

Vor fast acht Jahren waren die USA und ihre NATO-Partner in Afghanistan einmarschiert, weil sich die Taliban geweigert hatten, Osama Bin Laden ohne die Vorlage von gerichtlich verwertbaren Dokumenten auszulieferen, welche nahelegten, daß er in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 verwickelt war. Was als Bin-Laden-Jagdausflug begann, mutierte schnell zum gewaltsamen Regimewechsel einschließlich der Installierung des ehemaligen CIA-Kontaktmannes Hamid Karsai als afghanischer Präsident in Kabul. Als einige Jahre später der damalige US-Präsident George W. Bush gefragt wurde, warum er sein berühmtes Versprechen, Bin Laden "tot oder lebendig" gefangenzunehmen bzw. "aus seiner Höhle auszuräuchern", nicht erfüllt habe, erklärte das texanische Großmaul einer erstaunten Weltöffentlichkeit, der Verbleib des Al-Kaida-Chefs interessiere ihn nicht sonderlich, bei Afghanistan sei es nie "um eine Person gegangen".

Möglicherweise hat Bush hiermit zum ersten und einzigen Mal während seiner acht Jahre im Weißen Haus die Wahrheit gesprochen, doch gänzlich ohne Personifizierung des Bösen scheint die einzig verbliebene Supermacht nicht auszukommen. Und da niemand zu wissen scheint, wo OBL abgeblieben ist und ob er tot oder noch am Leben ist, übernimmt seine Rolle seit einigen Jahren der Pakistaner Baitullah Mehsud. Der Anführer der pakistanischen Taliban wurde Ende Dezember 2007 weltweit bekannt, als die US-Regierung ihn für die spektakuläre Ermordung der nach mehreren Jahren im Exil heimgekehrten, auf dem Weg zum Sieg bei den pakistanischen Parlamentswahlen befindlichen Benazir Bhutto verantwortlich machte. Mehsud hat damals jede Verwicklung in die Tat abgestritten.

Politischer Hauptleidtragender des Attentats auf Bhutto war Pervez Musharraf. Durch den spektakulären Mord zerstoben dessen Chancen, weiterhin als Präsident in Islamabad mit einer Premierministerin Bhutto als demokratischem Aushängeschild zu bleiben. Nach wenigen Monaten wurde Musharraf aus dem Präsidentenamt gedrängt, das anschließend von Bhuttos Witwer Ali Asif Zardari übernommen wurde. Dies hatte für Washington große Vorteile. Hatte Musharraf den USA, was Luft- und Drohnenangriffe auf "Terror"-Ziele in Pakistan betrifft, sehr enge Grenzen gesetzt und die Nutzung der pakistanischen Grenzregionen durch die Taliban als Rückzugsraum weitestgehend ignoriert, so hat sein Nachfolger, der in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelte und damit hocherpreßbare Zardari, Washington Tür und Tor geöffnet. Auf Drängen des Pentagons fingen im letzten Herbst im Bezirk Bajaur die pakistanischen Streitkräfte eine Militäroffensive an, die sie vor wenigen Wochen auf das Swat-Tal und vor wenigen Tagen auf Nord- und Südwasiristan ausgeweitet haben. Während derzeit Dörfer und Städte von Kampfhubschraubern, Kampflugzeugen und Artillerie der pakistanischen Streitkräfte in Schutt und Asche gelegt werden, sind derzeit mehr als eine Million Menschen vor den Kämpfen auf der Flucht.

Viele Pakistaner glauben, daß die Militäroffensive und die CIA-Raketenangriffe im Grenzgebiet weniger dazu gedacht sind, den Taliban ihren Rückzugsraum streitig zu machen, als vielmehr Pakistan als Land zu destabilisieren, damit es zu einem Bürgerkrieg kommt, der Staat eventuell auseinderbricht und die USA die Aushändigung von Islamabads Atomwaffenarsenal verlangen können. In der pakistanischen Presse sind in den letzten Jahren mehrere Berichte erschienen, in denen Militärs und Geheimdienstler aus Rawalpindhi beklagt haben, daß sie den Kollegen im Pentagon und bei der CIA verläßliche, hochaktuelle Daten über den Aufenthaltsort von Mehsud hätten zukommen lassen, ohne daß die Amerikaner in Aktion getreten wären und den Chef der pakistanischen Taliban ausgeschaltet hätten. Für den Verdacht, daß Mehsud von den USA für weitergehende Zwecke instrumentalisiert wird, sprechen die Angaben, welche zwei andere Milizenanführer aus der pakistanischen Grenzregion vor wenigen Tagen zu seiner Person gemacht haben. Qari Zainuddin behauptete am 19. Juni in einem Interview mit Geo TV, Mehsud sei kein richtiger Moslem, sondern ein Agent Israels und Indiens, während Turkistan Bhittani erklärte, der Chef der pakistanischen Taliban stehe auf der Gehaltsliste der CIA. Es dauerte nicht lange, bis Zainuddin für seine Worte mit dem Leben bezahlen mußte. Am 23. Juni wurde der Stammeschef, der in den Bezirken Dera Ismail Khan und Tank rund 3000 Männer unter Waffen hatte, von einem Leibwächter erschossen. Am nächsten Tag erklärte der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bei einem Auftritt in Astana, der Hauptstadt Kasachstans, daß er, weil die "Terroristen" so flexibel seien, nicht ausschließen könne, daß der Krieg des westlichen Bündnisses gegen Aufständische in Afghanistan und Pakistan nicht auf weitere Staaten Zentralasien übergreifen werde.

25. Juni 2009