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ASIEN/613: Mehrheit der US-Bürger lehnt Afghanistankrieg ab (SB)


Opportunismus schafft keine Antikriegsbewegung


Wer erst dann an einem Angriffskrieg seines Landes etwas auszusetzen hat, wenn der Sieg in weite Ferne rückt oder gar die Niederlage droht, muß wohl als Wackelkandidat im Lager der Kriegsgegner eingeschätzt werden. Das dürfte vermutlich für den Löwenanteil jener Mehrheit gelten, die einer aktuellen Umfrage des Senders CNN zufolge den Krieg in Afghanistan ablehnt. Mit 57 Prozent hat erstmals seit Kriegsbeginn im Oktober 2001 die Absage an den Waffengang am Hindukusch unter den befragten US-Bürgern die Oberhand gewonnen, wozu die verlustreichen Monate Juli und August maßgeblich beigetragen haben dürften, da bei der letzten Umfrage im April noch elf Prozent weniger gegen die Kampagne der Besatzungstruppen waren.

Daß der Blutzoll von 45 getöteten US-Soldaten im Juli und 48 im August einen solchen Stimmungsumschwung herbeigeführt hat, muß man im Kontext der massiven Medienkampagne sehen, die längst zum zweiten Kriegsschauplatz geworden ist. Tote Afghanen spielen in diesem Popanz um "unsere Gefallenen" natürlich keine Rolle, was wiederum ein bezeichnendes Licht auf den breiten opportunistischen Flügel einer vermeintlichen Antikriegsbewegung wirft. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß heimkehrende Leichensäcke weitreichende Denkprozesse anstoßen können, doch hierin einen zwangsläufigen Zusammenhang zu vermuten, führte schnurstracks in die Buchhaltung der Menschenverwertung zurück.

Eben diese scheint die amerikanische Öffentlichkeit am meisten zu beschäftigten, denn wie CNN-Umfragedirektor Keating Holland versicherte, beurteile man Afghanistan nicht als verloren, doch fragten sich immer mehr Amerikaner, ob ein Sieg die Kosten wert ist. So glaubten nämlich immerhin noch knapp 60 Prozent, daß die USA den Krieg gewinnen können, was freilich nur noch 35 Prozent unter den derzeitigen Umständen für möglich halten.

Aus diesem Dilemma kann man prinzipiell zwei unterschiedliche Konsequenzen ziehen, die einander fundamental widersprechen. Die eine lautet Abzug, da Afghanistan einen zu hohen Preis abverlangt. Die andere setzt auf veränderte Umstände, die neue Siegesgewißheit generieren. Letzteres ist die Absicht der Militärs, die offen einräumen, wie geschickt die Taliban inzwischen geworden seien und welch schwere Verluste die westlichen Truppen hinnehmen müßten. Auf diese Weise schlägt man vorteilsgetriebenen Kriegsgegnern deren eigene Argumente um die Ohren, um die Skeptiker einzusacken und ins Lager der Optimisten herüberzuziehen.

"Die Lage in Afghanistan ist ernst, doch ein Erfolg zu schaffen", verkündet General Stanley McChrystal, Oberbefehlshaber der NATO- und US-Truppen in Afghanistan. Man müsse jedoch die Strategie grundlegend ändern, um eine Wende herbeizuführen. Was damit gemeint ist, ließ McChrystal offen, worauf Spekulationen kursierten, die US-Militärführung wolle erst nach der deutschen Bundestagswahl mit der Forderung nach einer deutlichen Truppenaufstockung unter stärkerer Beteiligung der Europäer herausrücken. Mehr Soldaten sollen es jedenfalls sein, darüber sind sich sämtliche Kommentatoren einig, wobei Präsident Obama, der den Krieg als "Notwendigkeit" bezeichnet hat, bekanntlich bis Jahresende 21.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken will. Das reicht natürlich nie und nimmer, um die Besatzer in die Offensive zu bringen.

Ein Bericht der "Los Angeles Times" liefert Hinweise darauf, wie die kämpfende Truppe aufgestockt werden könnte, ohne mit Forderungen nach noch größeren Kontingenten an der Heimatfront Staub aufzuwirbeln. Geplant ist demnach, bis zu 14.000 Mann aus den rückwärtigen Diensten durch Kampftruppen zu ersetzen und Aufgaben wie Nachschub noch stärker privaten Sicherheitsfirmen zu übertragen. Berücksichtigt man, daß schon jetzt mehr private Söldner und Dienstleister als US-Soldaten im Dienst Washingtons Krieg in Afghanistan führen, ist eine weitere Verlagerung auf den privaten Sektor durchaus vorstellbar.

Darüber hinaus wird die US-Regierung ihre Verbündeten drängen, sich verstärkt mit eigenen Truppen am Afghanistankrieg zu beteiligen. Zwar hat Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung der Einschätzung General McChrystals widersprochen, wonach die Taliban in weiten Teilen des Landes die Herrschaft zurückerobert hätten, doch braucht man dieses Dementi sicher nicht ernster zu nehmen als seine von jedem Urteilsvermögen ungetrübte Begeisterung über die hohe Wahlbeteiligung in Afghanistan. Nach der Bundestagswahl wird die Obergrenze von 4.500 deutschen Soldaten wackeln, soviel ist gewiß.

Anmerkungen:

[1] CNN-Umfrage. Amerikaner sagen Nein zum Afghanistan-Krieg (02.09.09)
http://www.20min.ch/news/ausland/story/Amerikaner-sagen-Nein-zum- Afghanistan-Krieg-24290746

2. September 2009