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ASIEN/692: US-Sicherheitsindustrie erobert den indischen Markt (SB)


US-Sicherheitsindustrie erobert den indischen Markt

Homeland Security - für Amerikas Antiterrorkrieger ein Bombengeschäft


In ihrer geopolitischen Bedeutung kann die 2008 nach drei Jahren ausgiebiger Verhandlungen von Präsident George W. Bush und Premierminister Manmohan Singh besiegelte Allianz zwischen den USA und Indien nicht überschätzt werden. Indien ging damit langfristig als strategischer Partner und wichtigster Waffenabnehmer für Rußland verloren und nahm freiwillig neben Südkorea, Japan und Taiwan bei Washingtons Containment-Strategie der Volksrepublik China gegenüber einen Platz in der ersten Reihe ein. Durch das Nuklearabkommen mit Neu-Delhi entpuppten sich die Dauerbekenntnisse Washingtons zum Atomwaffensperrvertrag und zum Ziel der nuklearen Nicht-Verbreitung als leeres Gerede. Die selbstherrliche Entscheidung der USA zum Verkauf von Nukleartechnologie an Indien, das sich seit Jahrzehnten strikt weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, hat die internationalen Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt um Jahrzehnte zurückgeworfen, wenn nicht sogar langfristig zunichte gemacht.

Wie man es nicht anders erwartet hätte, waren die Motive der Amerikaner bei ihrer Umwerbung der politischen Elite Indiens nicht ausschließlich politischer Natur. Die Befürworter eines angeblich naheliegenden Bündnisses zwischen den beiden größten "Demokratien" der Welt wie der damalige US-Botschafter in Indien, Robert Blackwill, hatten auch stets wirtschaftliche Interessen im Hinterkopf. Anfangs hieß es, das bilaterale Atomabkommen würde den Weg für den Export ziviler Kernenergietechnologie und spaltbaren Brennmaterials aus den USA nach Indien freimachen. Die Regierung in Neu-Delhi plant die Menge des in Indien durch Atomenergie erzeugten Stroms bis 2050 von derzeit etwas mehr als 4000 Megawatt auf 470.000 Megawatt zu erhöhen. Da wittern die großen US-Kernkraftbauer und -werksbetreiber wie Westinghouse lukrative Geschäftmöglichkeiten.

Etwas später tauchten die ersten Berichte von milliardenschweren Geschäftsanbahnungen der US-Waffenindustrie in Indien auf. Nicht umsonst hatten 2008 Rüstungsunternehmen wie Boeing und Lockheed-Martin den Empfängern ihrer stets üppigen Wahlkampfspenden im Repräsentantenhaus und Senat die Annahme des von Bush ausgehandelten Atomvertrags mit Neu-Delhi durch den Kongreß nahegelegt. Inzwischen gehört Indien mit Bestellungen in Höhe von einer Milliarde Dollar im Jahr neben Saudi-Arabien, Israel und Ägypten zu den führenden Kunden der US-Rüstungindustrie. Innerhalb der kommenden zehn Jahre rechnet diese mit Bestellungen aus Indien im Wert von 100 Milliarden Dollar unter anderem für Kampfjets der vierten Generation und Raketenabwehrbatterien vom Typ Patriot Advanced Capability-3 (PAC-3).

Dies alles wird jedoch von den Perspektiven völlig in den Schatten gestellt, welche sich die private amerikanische Sicherheitsindustrie in Indien ausmalt. Wie man seit der Veröffentlichung der dreiteiligen Serie "Top Secret America" in der Washington Post im Juli weiß, arbeiten im privaten Sicherheitsdienstbereich in den USA, der seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 einen unglaublichen Boom erlebt, 854.000 Menschen, die über Zugang zu vertraulichem Material der höchsten Geheimhaltungsstufe verfügen, bei rund 2000 Unternehmen, die ihrerseits verschiedenste Aufträge für 46 Regierungsbehörden erledigen. Dank der fleißigen Vorarbeit von George W. Bush schicken sich nun Amerikas Antiterrorkrieger an, den indischen Markt mit seinen 1,2 Milliarden Menschen - potentielle Kunden wie zugleich eventuelle Zielobjekte, je nach dem - zu erobern. Das mögliche Auftragsvolumen aus Indien für Nacktscanner, Ausweise, Taser, Irisscangeräte, biometrische Sensoren, Telekommunikationsüberwachungstechnologie, Leibgarde, gepanzerte Autos, Sicherheitskameras et cetera - beträgt angeblich in den kommenden Jahren 1,7 Billionen Dollar!

Diese schier unglaubliche Summe stammt von Admiral a. D. James Loy, der einst Chef der US-Küstenwache war und unter Bush jun. zum Stellvertretenden Direktor des Heimatschutzministeriums in Washington aufstieg, bevor er 2005 in die Privatwirtschaft wechselte und führender Mitarbeiter der Beraterfirma Cohen Group um den früheren US-Verteidigungsminister William Cohen sowie Vorstandsmitglied von Boeing wurde. Loy führte Anfang des Monats eine Delegation des privaten US-Schnüffeldienstes nach Neu-Delhi, um im Rahmen einer internationalen Messe die Inder in Sachen "Sicherheit" und "Heimatschutz" zu beraten. Offenbar liefen die Gespräche prächtig. Sonst hätte Loy gegenüber Rama Lakshmi, dem Autor des am 18. September bei der Online-Ausgabe der Washington Post erschienenen Artikels "As India overhauls homeland security, U.S. firms vie for its business", kaum von eventuellen Geschäftsabschlüssen in einer Höhe von fast 2000 Milliarden Dollar gesprochen.

Bedenkt man die vielfältigen Betätigungsfelder für die US-Sicherheitsindustrie, ist diese Summe vielleicht doch nicht so unglaublich, wie sie klingt. Die indische Regierung plant bereits für 2011 die Durchführung einer Volkszählung, an deren Ende jeder Inder ab einem Alter von 15 Jahren mit einem biometrischen Ausweis ausgestattet werden soll. Indien ist nach wie vor das Land mit den meisten Armen - rund 700 Millionen. Die restlichen 500 Millionen, die zur Mittel- und Oberschicht gehören, wollen natürlich vor den Habenichtsen geschützt werden - und sei es durch die Inanspruchnahme von privaten Sicherheitsdiensten à la Blackwater. Darüber hinaus wird Indien von mehreren Aufständen erschüttert, von denen die der maoistischen Naxaliten in Westbengalen und der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in Jammu und Kaschmir die bekanntesten sind. Man kann davon ausgehen, daß die Erkenntnisse, welche Amerikas Sicherheitsdienstler bei der "Befriedung" der armen indischen Massen gewinnen werden, im Handumdrehen wieder zu uns in die westlichen Industrienationen reexportiert werden. Mit 1,7 Billionen Dollar könnte man in Indien einiges in Sachen sozialer Ausgleich erreichen. Doch die neoliberale Wirtschaftsideologie, welche die beiden Alliierten Indien und USA vereint, schließt sozialen Ausgleich nicht nur aus, sondern setzt von vornherein auf Teilen ... und Herrschen.

20. September 2010