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ASIEN/714: NATO "auf dem richtigen Weg" in Afghanistan? (SB)


NATO "auf dem richtigen Weg" in Afghanistan?

David Petraeus' jüngste Taktiken zeugen von vollkommener Ratlosigkeit


Der plötzliche Tod Richard Holbrookes, des 69jährigen US-Sonderbeauftragten für die Region Afghanistan-Pakistan (Af-Pak), infolge von Herzversagens am 13. Dezember und damit am Vorabend der Veröffentlichung der großangekündigten Bestandsaufnahme der Lage am Hindukusch am 16. Dezember war mit Sicherheit das Letzte, mit dem die Regierung Barack Obamas gerechnet hatte und das sie gebrauchen konnte. Die Meldung der Washington Post, mit seinem letzten Atemzug hätte der frühere Balkan-Unterhändler Bill Clintons auf die dringende Notwendigkeit einer Beendigung des Krieges in Afghanistan hingewiesen, und die Versuche der Obama-Regierung, die Äußerung als Teil eines lockeren Sprücheaustausches zwischen Ärzten und Patienten als unbedeutend abzutun, warfen einen Schatten über die Pressekonferenz im Weißen Haus, mit der der Präsident, begleitet von Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates, der Öffentlichkeit seinen "Fortschrittsbericht" zum Thema Afghanistan präsentierte.

Doch für die niedergeschlagene Stimmung auf der Pressekonferenz war nicht nur der Verlust eines werten Kollegen verantwortlich. Ebenfalls am Vorabend des "Policy Review" der Obama-Regierung war das Ergebnis der jüngsten National Intelligence Estimates (NIE) aller 16 US-Geheimdienste zur Lage in Afghanistan respektive Pakistan an die Presse durchgesickert. In den NIEs schilderten die zuständigen Geheimdienstanalytiker ein Afghanistan, in dem die Taliban nach wie vor auf dem Vormarsch sind, weite Teile des Landes kontrollieren und ein Sieg gegen sie unmöglich ist, solange man sie nicht aus ihren Rückzugsgebieten in den angrenzenden Provinzen Pakistans vertreibt.

Folglich mußte Obama den "Fortschritt" in Afghanistan in schwammigen Begriffen wie "on track" ("auf dem richtigen Weg") formulieren, während Gates darauf abhob, daß es derzeit im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zu "vielen kinetischen Einsätzen" der US-Streitkräfte käme, und Clinton gebetsmühlenartig beteuerte, Amerika dürfe Afghanistan nicht im Stich lassen. Der Hinweis der ehemaligen First Lady und Senatorin von New York, die USA strebten eine "langfristige Verbindung" zu Afghanistan an, ließ erkennen, daß es sich bei dem für den kommenden Juli angepeilten Beginn des Abzugs der amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan und der "Übergabe" der "Verantwortung" für "Sicherheit" an die örtlichen Sicherheitskräfte bis 2014 um Scheinhandlungen handeln werden. Ähnliches haben die Amerikaner im vergangenen Sommer mit dem Abzug der letzten "Kampftruppen" aus dem Irak, wo sie immer noch 50.000 Soldaten stationiert halten, vorgemacht.

Derjenige "Fortschritt" in Afghanistan, den die Obama-Regierung tatsächlich für sich reklamieren kann, ist bei 100.000 Soldaten vor Ort und Kosten von rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr von bescheidenem Ausmaß und extrem teuer bezahlt worden. Seit Beginn des Herbstes hat man durch die Anwendung brutalster Holzhammermethoden einschließlich der Beseitigung ganzer Siedlungen per Planierraupe die Taliban aus den Bezirken Arghandab und Zhari in der Provinz Kandahar und aus dem Bezirk Nawa in Helmand vertrieben. Dafür mußte jedoch der ISAF-Oberbefehlshaber, US-General David Petraeus, seine eigene Aufstandsbekämpfungsstrategie, welche die Verschonung der Zivilbevölkerung vorschreibt, um deren Sympathie - "hearts and minds" - zu gewinnen, über Bord werfen. Die Zahl der Bombenangriffe der US-Luftwaffe, der Raketenangriffe der CIA - letztere auch auf der anderen Seite der Grenze in Pakistan -, der Kämpfe, der Bombenanschläge der Taliban, der getöteten Soldaten, Zivilisten und Aufständischen schießt in die Höhe. Nach Angaben des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) herrschen in Afghanistan die schlimmsten Zustände seit 30 Jahren. Die gefürchteten Razzien der US-Spezialstreitkräfte, mit denen nachts Petraeus sogenannte wichtige Taliban-Kommandeure festnehmen bzw. liquidieren läßt, sorgen dafür, daß das Ansehen der NATO-Truppen in Afghanistan gegen Null tendiert.

Und wofür das alles? Die Antwort auf diese wichtigste aller Fragen lieferte am 15. Dezember Elizabeth Bumiller in einem Artikel in der New York Times, der die Überschrift "Intelligence Reports Offer Dim Views of Afghan War" trug. Dort schrieb die Washingtoner NYT-Reporterin folgendes:

US-Kommandeure sagen, ihr Plan für die nächsten paar Jahre besteht darin, Aufständische in der Grenzregion in großer Zahl zu töten - das bezeichnet das Militär als "die Taliban abbauen" -, während man gleichzeitig die Afghanische Nationalarmee soweit aufbaut, daß die Afghanen einen Aufstand, der weiterhin von Pakistan unterstützt wird, in Schach halten können.
(US-Regierungsvertreter sagen, daß Pakistan die Aufständischen als Stellvertreterkraft in Afghanistan unterstützt, um für den Tag, an dem die Amerikaner abziehen, vorbereitet zu sein.)

Zu diesem erklärten Ziel des Tötens so vieler Gegner der westlichen Militärpräsenz am Hindukusch wie möglich passen die Nachrichten von einer weiteren Eskalation der Anzahl der per Drohne durchgeführten Raketenangriffe im pakistanischen Grenzgebiet. Allein am 17. Dezember kamen laut pakistanischen Medienberichten 51 Menschen bei drei US-Drohnenangriffen in der Grenzbezirk Khyber um. Auch wenn sich der eine oder andere Taliban-Kämpfer oder Al-Kaida-"Terrorist" unter den Getöteten befand, kann man davon ausgehen, daß die Mehrheit der Opfer Zivilisten waren.

Während Petraeus im Süden und Osten Afghanistans die Menschen mit "shock and awe" von der rüstungstechnologischen Überlegenheit des Westens zu beeindrücken versucht, machen in anderen Teilen des Landes Kriegsgewinnler ganz dicke Geschäfte. Am 11. Dezember haben in der turkmenischen Hauptstadt Ashgabat Regierungsvertreter Turkmenistans, Afghanistans, Pakistans und Indiens ein Abkommen über den Bau des TAPI-Gaspipeline unterzeichnet. Das Projekt, das den Interessen Rußlands, Chinas und des Irans zuwiderläuft, hat für die USA große strategische Bedeutung. Am 13. Dezember haben britische und amerikanische Investoren mit der afghanischen Regierung einen Vertrag über den Betrieb einer Goldmine in der Provinz Baghlan beschlossen. Am selben Tag hat die Administration von Präsident Hamid Karsai ihre erste Lizenz zur Ölförderung - auf dem Feld Angot in der Provinz Sar-e-Pul - vergeben.

Am 16. Dezember meldete Spencer Ackerman auf dem Blog Danger Room der Technologiezeitschrift Wired, die US-Sicherheitsunternehmen Xe Services (früher Blackwater) und Dyncorp kämpften erbittert um einen 1,6 Milliarden Dollar schweren Auftrag zur Ausbildung der afghanischen Polizei. Das Pentagon soll den Gewinner der Preisausschreibung im Neujahr bekanntgeben. Für den Sieger winken eventuell lukrative Nachfolgegeschäfte. Laut Ackermann wird künftig der Unterhalt der afghanischen Armee und Polizei pro Jahr sechs Milliarden Dollar verschlingen, welche internationale Geldgeber wegen der geringen finanziellen Ausstattung des Staats Afghanistans werden aufbringen müssen.

20. Dezember 2010