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ASIEN/768: US-Politiker Rohrabacher macht sich Feinde in Af-Pak (SB)


US-Politiker Rohrabacher macht sich Feinde in Af-Pak

Kalifornischer Republikaner mischt sich in die Politik Südasiens ein



Bei seinem Amtsantritt als US-Präsident im Januar 2009 hat Barack Obama Afghanistan und Pakistan allerhöchste Priorität eingeräumt. Er und Außenministerin Hillary Clinton haben die strategische Bedeutung beider Länder für die USA durch die Ernennung von Richard Holbrooke, der in den neunziger Jahren als wichtigster Verbindungsmann Washingtons zu den zerstrittenen Bürgerkriegsfraktionen im ehemaligen Jugoslawien fungiert hatte, zum Af-Pak-Sondergesandten unterstrichen. Dreieinhalb Jahre später sieht die Lage in besagter Region für die USA alles andere als rosig aus. Obgleich man letztes Jahr Osama Bin Laden, den vermeintlichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, liquidiert haben will, machen die Taliban den NATO-Streitkräften in Afghanistan zu schaffen, während sich die Beziehungen der USA zu Pakistan in einer tiefen Krise befinden, weil sich Weißes Haus, State Department und Pentagon weigern, sich für die "versehentliche" Tötung von 24 pakistanischen Grenzsoldaten durch US-Kampfflugzeuge im vergangenen November zu entschuldigen. Deswegen hält Islamabad bis heute die Grenze zu Afghanistan für den Nachschubtransport für die NATO-Streitkräfte geschlossen. Ein Ende der Eiszeit zwischen Washington und Islamabad ist nicht in Sicht, zumal die Pakistaner die Wiedereröffnung der Grenze mit der Forderung nach Einstellung aller per Drohne durchgeführten Raketenangriffe der CIA auf Ziele im pakistanischen Grenzgebiet verbinden.

Dessen ungeachtet erklärten US-Botschafter Ryan Crocker und Rangin Spanta, der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Hamid Karsai, am 22. April in Kabul vor der Presse, sie hätten sich nach monatelangen Verhandlungen auf den Entwurf eines Vertrages geeinigt, der die "strategische Partnerschaft" der USA und Afghanistans nach dem geplanten Abzug der NATO-Streitkräfte 2014 regeln soll. Über die genauen Einzelheiten des Vertrages, der auf dem NATO-Gipfeltreffen in Chicago von Obama und Karsai feierlich unterzeichnet werden soll, wurde nichts bekannt. Beobachter gehen aber davon aus, daß die Vereinbarung die Dauerstationierung mehrerer Tausend US-Militärangehöriger und den Betrieb einer unbekannten Anzahl größerer Stützpunkte samt Start- und Landebahnen für Kampfflugzeuge, Bomber und Drohnen vorsieht.

Damit wurden mitnichten alle Spannungen zwischen Kabul und Washington aus der Welt geschaffen, wie ein kleiner, aber bemerkenswerter Vorfall zeigt, der sich zwei Tage vor Crockers und Spantas Bekanntgabe des erfolgreichen Abschlusses ihrer Verhandlungen ereignete. Am 20. April mußte der langjährige republikanische Kongreßabgeordnete Dana Rohrabacher, der Mitglied des auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses ist und den Vorsitz des dazugehörigen Unterausschusses für Oversight and Investigation innehat, erfahren, daß er in Afghanistan Persona non grata ist. Die Nachricht traf Rohrabacher zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt, denn er befand sich gerade in Dubai, von wo aus er als Leiter einer Kongreßdelegation nach Afghanistan fliegen wollte. Clinton übermittelte die Botschaft Karsais persönlich an Rohrabacher, daß der ehemalige Redenschreiber von Ronald Reagan die Weiterreise nach Afghanistan gar nicht antreten sollte, weil er dort nicht willkommen sei. Alle anderen Mitglieder der Delegation erhielten ein Visum für die Weiterflug nach Kabul, nur Rohrabacher nicht.

Der Republikaner macht seit Jahren durch seine außenpolitische Umtriebigkeit auf sich aufmerksam. Noch während der Amtszeit von Reagan als Präsident und damit vor seinem erstmaligen Antritt 1989 als Kongreßabgeordneter für einen konservativen Wahlkreis reiste Rohrabacher in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, um die gegen die Sowjetunion kämpfenden Mudschaheddin als "Freiheitshelden" zu feiern. Bei dieser Reise soll er sogar dem späteren Oberschreck Bin Laden persönlich begegnet sein. Nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan, dem Sturz der Regierung Mohammed Nadschibullah und dem Ausbruch des Bürgerkriegs dort wurde Rohrabacher Mitte der neunziger Jahre zum Fürsprecher der Taliban, die er für die einzige Macht hielt, die am Hindukusch für geordnete Verhältnisse sorgen könnte. Später fand er größeres Gefallen an der Nordallianz und steht bis heute mit dem ob seiner Brutalität gefürchteten, afghanisch-usbekischen Warlord Rashid Dostum in Kontakt.

Inzwischen gilt Rohrabacher als eifriger Kritiker Karsais, dem er - ungeachtet aller glaubhaften Berichte über Schmier- und Schutzgeldzahlungen der meisten ausländischen Hilfsorganisationen und privaten Sicherheitsunternehmen an die Aufständischen in Milliardenhöhe - die in Afghanistan grassierende Korruption anlastet. Seinerseits nimmt Karsai, der sich seit der Wiederwahl zum Präsidenten im Jahre 2009 intensiv um eine Aussöhnung mit seinen paschtunischen "Brüdern" bei den Taliban bemüht, dem 1947 geborenen Rohrabacher krumm, daß er sich für eine Stärkung der afghanischen Provinzen zuungunsten der Zentralregierung in Kabul stark macht und sich noch im Januar in Berlin mit führenden Mitgliedern der afghanischen Opposition traf. In Rohrabachers Umwerbung der Nicht-Paschtunen vermutet Karsai offenbar eine unzulässige Initiative, mit der sich die USA auf den erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges in Afghanistan vorbereiten, an dessen Ende sogar die Aufteilung des Landes in seine ethnischen Bestandteile stehen könnte.

Der Verdacht ist nicht unbegründet. Schließlich hat Rohrabacher im Februar im US-Kongreß eine Gesetzesinitiative eingebracht, derzufolge Washington die Unabhängigkeit Belutschistans unterstützen sollte. Der größte Teil des früheren Königreichs Belutschistan gehört unter diesem Namen als Provinz Pakistan an. Ein kleinerer Teil bildet im Iran die Provinz Sistan-Belutschistan. In beiden Teilen kämpfen militante Unabhängigkeitsbefürworter gegen die Zentralregierung in Islamabad bzw. Teheran. Im pakistanischen Belutschistan starben deshalb letztes Jahr 621 Menschen einen gewaltsamen Tod. Die pakistanischen und iranischen Behörden betrachten die Aufständischen in Belutschistan als "Terroristen".

Die Nachricht von Rohrabachers demonstrativen Eintreten für einen eigenständigen Staat Belutschistan hat in Pakistan Empörung ausgelöst. Dort grassiert seit einiger Zeit die Angst, hinter dem "Antiterrorkrieg" der USA stecke die Absicht, Pakistan zu balkanisieren und damit den einzigen muslimischen Atomstaat zu zerschlagen. Als wichtiges Indiz für die Existenz solcher Pläne wird häufig die vom Oberstleutnant a. D. Ralph Peters im Juni 2006 im Armed Forces Journal veröffentlichte Karte eines komplett umgekrempelten "Neuen Nahen Ostens" angeführt, zu dem unter anderen ein "Freies Belutschistan", ein "Freies Kurdistan" und ein um die paschtunischen Gebiete Pakistans erweitertes Afghanistan gehören. Nachdenklich stimmt in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß sowohl Ramzi Jousef, der verurteilte Haupttäter des ersten Anschlags auf das New York World Trade Center 1993, als auch Khalid Sheikh Mohammed (KSM), der mutmaßliche, derzeit in Guantánamo Bay gefangengehaltene Chefplaner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, Belutschen mit Kontakt zu militanten Kreisen in ihrer Heimatregion sind.

26.‍ ‍April 2012