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ASIEN/771: Pakistan öffnet Afghanistangrenze für NATO-Nachschub (SB)


Pakistan öffnet Afghanistangrenze für NATO-Nachschub

Islamabad geht vor Washington in die Knie - und blamiert sich wieder



Nach sieben Monaten heftiger Streitereien und gegenseitiger Bezichtigungen vertragen sich die Regierungen Pakistans und der USA wieder. Für das Ende der Eiszeit zwischen Washington und Islamabad sorgte das am 3. Juli von US-Außenministerin Hillary Clinton gegenüber ihrer pakistanischen Amtskollegin Hina Rabbani Khar geäußerte Wort des Bedauerns - "sorry" - über den Angriff der amerikanischen Luftwaffe, der am 26. November 2011 24 pakistanischen Grenzsoldaten das Leben gekostet hatte. Nach dem entsprechenden Telefongespräch zwischen Clinton und Khar hat die pakistanische Regierung die beiden Grenzübergänge, Chaman in der Provinz Belutschistan und Torkham am Khyber-Paß bei Peschawar, für den Transport von Nachschub für die NATO-Streitkräfte in Afghanistan freigegeben. In Pakistan sind viele Menschen über das Einlenken Islamabads im Streit mit Washington wenn nicht gerade überrascht, so doch zumindest enttäuscht, denn keine der Bedingungen, von denen Regierung und Opposition im April die Öffnung der Grenze abhängig gemacht hatte, ist erfüllt worden.

Ursprünglich verlangte das Parlament in Islamabad eine formelle Entschuldigung für die Tötung der Grenzsoldaten, ein Ende der US-Drohnenangriffe auf Ziele in Pakistan, den Abzug aller CIA-Agenten im Lande und eine Garantie betreffend der Unantastbarkeit des pakistanischen Atomwaffenarsenals. Darüber hinaus wollte Pakistan künftig 5.000 Dollar, statt bisher 250 Dollar für jeden Lastkraftwagen, der mit NATO-Nachschub die Landroute von Karatschi nach Afghanistan nimmt, kassieren. Auf keine einzige der Bedingungen hat sich jedoch die Regierung Barack Obamas eingelassen. Monatelang hat das Pentagon die US-Streitkräfte in Afghanistan über den Luftweg mit Nahrungsmittel und über den nördlichen Landweg über Rußland und die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens mit Munition, Rüstungsgüter und technischem Gerät versorgt. Dabei wurden zusätzliche Militärkosten am Hindukusch von rund 100 Millionen Dollar monatlich in Kauf genommen.

Die US-Regierung hat die pakistanischen Kollegen sozusagen am langen Arm verhungern lassen. Dies wurde besonders deutlich, als Pakistans Präsident Asif Ali Zardari im Mai die Einladung zur Teilnahme am NATO-Gipfeltreffen in Chicago annahm. Trotz des Zugeständnisses - schließlich hatte Pakistan die internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn im vergangenen Dezember aus Protest gegen den blutigen Grenzvorfall boykottiert - wurde dem Witwer Benazir Bhuttos kein Vier-Augen-Gespräch mit Obama gewährt. Für eine private Begegnung mit Zardari hatte der vielbeschäftigte Gipfelgastgeber aus Termingründen keine Zeit, hieß es lapidar aus dem Weißen Haus. Vor der ganzen Welt blamiert, durfte Pakistans Staatsoberhaupt wieder heimreisen.

Zardari und dessen Pakistan People's Party (PPP) befinden sich ohnehin in einer prekären politischen Lage. Seit die PPP im Februar 2008 die Parlamentswahlen gewonnen hat, geht es mit Pakistan kontinuierlich bergab. Die Armut weitet sich aus und die Preise für Grundnahrungsmittel steigen unaufhörlich, während die Wirtschaft aufgrund chronischer Stromknappheit lahmt. Die Drohnenangriffe der CIA im Grenzgebiet töten viele Zivilisten und lassen die politische und militärische Elite Pakistans hilflos erscheinen. Dazu kommt die überbordende Korruption, die im Juni Jusuf Gilani den Posten als Regierungschef gekostet hat. Gilani wurde wegen seiner Weigerung, die Schweiz um die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen seinen Parteifreund Zardari, der bei den helvetischen Banken während der Ära seiner Frau als Premierministerin Gelder in Millionenhöhe aus illegalen Provisionszahlungen in Verbindung mit Staatsaufträgen deponiert haben soll, zu bitten, der Mißachtung des Obersten Gerichtshofs für schuldig erklärt und mußte deshalb zurücktreten. An dessen Stelle hat Zardari den ehemaligen Energieminister Raja Pervaiz Ashraf zum neuen Premierminister ernannt, obwohl auch gegen diesen seit einiger Zeit wegen Bestechung im Amt ermittelt wird.

Vor diesem Hintergrund sieht sich die PPP-Regierung mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe irgendeinen krummen, geheimen Deal mit Washington gemacht und dafür die Grenze für die westlichen Militärtransporte wieder geöffnet. Auch wenn Außenministerin Khar diesen Vorwurf energisch zurückweist, steht fest, daß die Obama-Regierung Islamabad im Gegenzug versprochen hat, die Überweisung der 1,2 Milliarden Dollar, die Pakistan als Aufwandsentschädigung für die laufende Teilnahme seiner Streitkräfte am "Antiterrorkampf" gegen die Taliban zustehen, deren Auszahlung jedoch wegen des Grenzstreits vom Kongreß in Washington blockiert worden war, zu veranlassen.

Man kann davon ausgehen, daß die PPP einen Teil dieses Geldes dafür benutzen wird, um im Vorfeld der nächsten Parlamentswahlen, die bis März 2013 durchgeführt werden müssen, die eigene Popularität bei der Bevölkerung zu steigern. Ob die zu erwartende Geldverteilungsorgie reichen werden, um der PPP erneut eine Mehrheit im Unterhaus zu bescheren, steht jedoch zu bezweifeln. Derzeit gilt in allen Umfragen das frühere Cricket-Idol Imran Khan, Anführer der Tehreek-e-Insaf (Bewegung für Gerechtigkeit), als der beliebteste und vertrauenswürdigste Politiker Pakistans. Die Popularität Khans beruht sowohl auf sein Image als Saubermann als auch auf seine Kritik an den Drohnenangriffen der CIA im Grenzgebiet im besonderen und am Afghanistankrieg der NATO generell. Khan, der 1992 als Mannschaftskapitän Pakistan zu seinem bisher einzigen Cricket-Weltmeistertitel verhalf, hat für den Fall, daß er nach den nächsten Parlamentswahlen mit der Regierungsbildung betraut wird, versprochen, für den Ausstieg seines Landes aus dem "Antiterrorkrieg" Amerikas zu sorgen.

6. Juli 2012