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ASIEN/804: Streit um Sicherheitsabkommen für Afghanistan hält an (SB)


Streit um Sicherheitsabkommen für Afghanistan hält an

Hamid Karsai stellt die Geduld der Amerikaner auf die Probe



Auch nach Ablauf der von der Regierung Barack Obamas gesetzten Frist, dem 31. Dezember 2013, gibt es keine Anzeichen dafür, wann und ob überhaupt das geplante Sicherheitsabkommen der USA mit Afghanistan Realität wird. Trotz der im November erfolgten Zustimmung der von ihm einberufenen Großen Ratsversammlung (Loja Dschirga) weigert sich der afghanische Präsident Hamid Karsai, seine Unterschrift unter das bereits ausgehandelte Bilateral Security Agreement (BSA) zu setzen. Er will dies seinem Nachfolger, der im April gewählt werden soll, überlassen. Über das Verhalten des afghanischen Verbündeten sind die Amerikaner im höchsten Maße verärgert und drohen mit dem Abzug aller US-Streitkräfte bis Ende 2014. Sollte die Drohung in die Tat umgesetzt werden, würden die anderen NATO-Staaten, die in Afghanistan militärisch präsent sind, ihre Soldaten vermutlich ebenfalls abziehen.

Gerade in den letzten Tagen sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Kabul und Washington auf den Tiefpunkt gesunken. Aus vorab veröffentlichten Auszügen der Memoiren von Robert Gates, der sowohl unter George W. Bush als auch unter Obama das Amt des Verteidigungsministers bekleidete, geht hervor, daß Washington in Art eines "ungeschickten und gescheiterten Putsches" versucht hat, den Ausgang der afghanischen Präsidentenwahl 2009 zu manipulieren, um den offenbar unbequem gewordenen Karsai von der Macht zu entfernen. Fast als Reaktion auf die brisante Enthüllung hat Karsai am 9. Januar die Freilassung von 88 Gefangenen, die seit Jahren im Militärgefängnis von Bagram bei Kabul sitzen und zur Jahreswende aus amerikanischer Obhut in die der eigenen Landsleute übergeben wurden, verfügt. Nach Angaben des afghanischen Militärgeheimdienstes ist der Mehrzahl der Männer nichts nachzuweisen; gegen 27 weitere reichen die Verdachtsmomente für eine Anklage nicht aus. Aus Sicht der US-Militärbehörden dagegen sind die Männer allesamt aufständische Taliban, die auf die eine oder andere Weise an Angriffen auf die ausländischen Truppen beteiligt gewesen sind.

Die umstrittene Verfügung Karsais ist auch als Schelte an die Adresse Obamas zu verstehen. Afghanistans Präsident wirft den USA vor, seine Bemühungen um eine Versöhnung mit den Taliban und deren Einbindung in den politischen Prozeß nicht ausreichend unterstützt zu haben. Seit einiger Zeit fleht er Washington um die Freilassung einiger in Guantánamo Bay einsitzender Taliban als Zeichen des guten Willens an, findet mit der Forderung aber kein Gehör. Innenpolitisch kann sich der Demokrat Obama auf den Vorschlag Karsais nicht einlassen, denn täte er es, würden ihn die Republikaner bezichtigen, Milde gegenüber "Terroristen" walten zu lassen bzw. die "nationale Sicherheit" Amerikas leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Ohnehin bringt der Streit um das Sicherheitsabkommen zwischen den USA und Afghanistan Obama in eine politische Zwickmühle. Vor dem Hintergrund des Aufflammens schwerer Kämpfe in der zentralirakischen Provinz Anbar zwischen den schiitisch dominierten Sicherheitskräften und sunnitischen Milizen einschließlich der Einnahme der Stadt Falludscha durch al-kaida-nahe Aufständische steht das Weiße Haus in der Kritik. Die republikanische Opposition wirft Obama vor, mit dem Abzug aller US-Streitkräfte aus dem Irak Ende 2011 die gigantischen Bemühungen der Vorgängerregierung Bush um ein "demokratisches", sprich pro-amerikanisches "Regime" in Bagdad verspielt zu haben. Damals hat Obama die US-Truppen nach Hause geholt, weil sich die Regierung um Premierminister Nuri Al Maliki weigerte, ein Sicherheitsabkommen zu unterzeichnen, das allen amerikanischen Militärangehörigen bei Vergehen im Irak Immunität vor den dortigen Gerichten garantiert hätte.

Auch wenn der US-Botschafter in Kabul, James Cunningham, wie es die Washington Post am 10. Januar kolportierte, jüngst in einer Depesche an Washington eine Unterzeichnung des geplanten Sicherheitsabkommens vor Ende April als aussichtslos bezeichnet hat, kann es sich Obama nicht erlauben, seine Drohung, die amerikanische Militärpräsenz in Afghanistan zu beenden, wahrzumachen. Erstens ginge er damit als außenpolitischer Versager in die Geschichtsbücher ein. Zweitens ist das Interesse der USA an mehreren dauerhaften Militärstützpunkten am Hindukusch nahe den Bodenschätzen Zentralasiens sowie an der Südflanke Rußlands und der Westflanke Chinas zu fundamental. Schließlich waren es geostrategische Überlegungen, die vor mehr als 12 Jahren dem Einmarsch der NATO-Streitkräfte in Afghanistan zugrunde lagen. Die Jagd auf irgendwelche Hintermänner der Anschläge vom 11. September 2001 war nur der Vorwand.

11. Januar 2014