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ASIEN/842: Nordkorea läßt sich von den USA nicht einschüchtern (SB)


Nordkorea läßt sich von den USA nicht einschüchtern

Pjöngjang bietet Washington mit Atom- und Raketentests den Stirn


Mit dem fünften und bislang stärksten unterirdischen Atomtest hat Nordkorea seinen festen Willen bekundet, sich nicht von den USA einschüchtern zu lassen. Der Test erfolgte am frühem Morgen des 9. September, gerade als sich US-Präsident Barack Obama auf dem Heimweg von der Teilnahme am G20-Gipfel im chinesischen Hangzhou und am ASEAN-Gipfel im laotischen Vientiane befand. In den USA lasten nun die Republikaner, allen voran Präsidentschaftskandidat Donald Trump, Obama und den Demokraten, darunter seiner Rivalin um den Einzug ins Weiße Haus, Ex-Außenministerin Hillary Clinton, an, in den letzten acht Jahren dem stetigen Wachsen der nuklearen Bedrohung aus Nordkorea tatenlos zugesehen zu haben. Tatsächlich aber stellt der für Nordkorea mühselige Aufstieg zur Atommacht nahezu globaler Reichweite für die Demokraten und Republikaner in den USA gleichermaßen ein Armutszeugnis sondergleichen dar. Leider ist jede Hoffnung, daß die Verantwortlichen in Washington irgendwann die naheliegenden Schlüsse aus ihrem verfehlten Konfrontationskurs gegenüber Pjöngjang ziehen könnten, vergeblich.

Nachdem die Nordkoreaner im Januar ihren vierten Atomtest, bei dem nach Angaben Pjöngjangs erstmals eine Wasserstoffbombe gezündet wurde, und im April den ersten erfolgreichen Flug einer U-Boot-gestützten ballistischen Rakete durchgeführt hatten, machte der nordkoreanische Außenminister Ri Sun Yong den Amerikanern einen vernünftigen Vorschlag. Nordkorea sei zum Verzicht auf weitere Atomtests bereit, sofern die USA und Südkorea im Gegenzug keine großangelegten Militärmanöver mehr durchführten. Auf der koreanischen Halbinsel herrscht formell Kriegszustand. Seit dem Ende des dreijährigen Koreakriegs 1953 halten die Armeen auf beiden Seiten der Demilitarisierten Zone (DMZ) am 38. Breitengrad lediglich eine Feuerpause ein. Nordkorea muß also jederzeit mit einem Überraschungsangriff Südkoreas und der USA rechnen, solange sich Washington weiterhin weigert, mit Pjöngjang einen Friedensvertrag abzuschließen. Die Befürchtungen der Nordkoreaner sind nicht unbegründet. Die aktuelle Kriegsplanung des Pentagons für eine militärische Auseinandersetzung mit Nordkorea, OPLAN 5014, sieht einen Erstschlag unter eventuellem Einsatz von Atomwaffen vor.

Obama, der es wie seine Vorgänger aufgrund des antikommunistischen Reflexes und der Supermachtallüren der außenpolitischen Elite in Washington ablehnt, den Nordkoreanern auf Augenhöhe zu begegnen, hat die Anregungen Ris, ungeachtet dessen Warnungen vor den möglichen katastrophalen Folgen einer Fortsetzung der bisherigen Konfrontation, als wertlos abgetan. Statt dessen haben Washington und Seoul Anfang Juli an der Eskalationsspirale weitergedreht, indem sie die gemeinsame Entscheidung zur Stationierung mehrerer Batterien des US-Raketenabwehrsystems Terminal High-Altitude Area Defence (THAAD) im südkoreanischen Bezirk Seongju bekanntgaben. Darauf haben wenige Tage später die nordkoreanischen Streitkräfte mit dem Test dreier ballistischer Mittelstreckenraketen reagiert.

Über die geplante THAAD-Stationierung ist vor allem die Führung in Peking erzürnt. Wie sein Name verrät, richtet sich das System gegen Raketen in großer Höhe - also eigentlich gegen chinesische nuklearbestückte Interkontinentalraketen, die im Ernstfall, wenn beispielsweise der Konflikt um das Südchinesische Meer völlig außer Kontrolle geraten sollte, in Richtung des nordamerikanischen Festlands bzw. der US-Stützpunkte auf Japan einschließlich Okinawa, Guam oder Hawaii unterwegs wären. Wegen der vergleichsweise kurzen Entfernung müssen Nordkoreas Raketen gar keine besondere hohe ballistische Kurve fliegen, um praktisch alle relevanten Ziele im benachbarten Südkorea zu treffen. Nach Ansicht namhafter Rüstungsexperten können sie daher von den gegnerischen THAAD-Raketen nicht abgefangen werden. Bestenfalls könnten ihre Flugbahnen von der zum Raketenabwehrsystem gehörenden Radaranlage erfaßt werden.

Vor diesem Hintergrund hat das Säbelrasseln aus Washington und Pjöngjang in Südkorea eine heftige Debatte ausgelöst. Die linke Opposition will im Parlament in Seoul sowie durch eine Massenmobilisierung der Bevölkerung die geplante THAAD-Stationierung verhindern. Aus Kreisen der regierenden konservativen Saenuri-Partei um Präsidentin Park Geun-hye, der Tochter des früheren Diktators General Park Chung-hee, wird der Ruf nach der Schaffung einer eigenen südkoreanischen Nuklearabschreckung laut. Berichten zufolge hat das Verteidigungsministerium in Seoul bereits jetzt einen detaillierten Plan zur Ausradierung Pjöngjangs vorliegen. Am 11. September zitierte die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap einen nicht namentlich genannten Militär mit der beunruhigenden Aussage: "Jeder Bezirk von Pjöngjang, insbesondere dort, wo sich die nordkoreanische Führung versteckt halten könnte, wird mit ballistischen Raketen und hochexplosiven Bomben völlig zerstört werden, sobald von Nordkorea auch nur das geringste Anzeichen für den bevorstehenden Einsatz einer Nuklearwaffe kommt. Mit anderen Worten, die Hauptstadt des Nordens wird zu Asche verwandelt und von der Landkarte getilgt werden."

In den USA ist man sich, ob nun im Weißen Haus oder in der Redaktion der New York Times, völlig einig, daß China die Verantwortung für die provokante Rüstungspolitik seines nordkoreanischen Verbündeten und dessen Staatschef Kim Jong-un trägt. Unter Verweis auf sein Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping beim G20-Gipfel erklärte Obama nach der Rückkehr in die USA: "Ich habe ihm klargemacht, daß sie [die Chinesen], sollten sie sich am THAAD stören, das keine andere Funktion als eine defensive hat und das strategische Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und China nicht verändert, mit uns effektiver zusammenarbeiten sollten, um das Verhalten Pjöngjangs zu verändern."

In Peking ist man nicht so blauäugig, als daß man auf die Forderungen Washingtons einginge. Ließen die Chinesen die kommunistische Führung in Pjöngjang fallen, müßten sie mit der Wiedervereinigung Koreas unter amerikanischer Vormundschaft und der Stationierung von US-Streitkräften unmittelbar an der eigenen Landgrenze rechnen, wie es Rußland seit der Wiedervereinigung Deutschlands und die Osterweiterung der NATO erlebt. Die Führung um Kim Jong-un hält in Pjöngjang die Wehrfähigkeit Nordkoreas auf dem höchsten Stand, damit ihr Land nicht das gleiche Schicksal wie Libyen 2011 erleidet, nachdem sich zuvor Staatschef Muammar Gaddhafi von seinen Massenvernichtungswaffen getrennt hatte.

Kaum hatten sich die Nordkoreaner 2005 im Rahmen der sogenannten Sechsergespräche in Peking mit den Vertretern Chinas, Japans, Rußland, Südkoreas und der USA zum kompletten Verzicht auf ihr Atomwaffenprogramm bereiterklärt, da torpedierte das Finanzministerium in Washington die friedliche Einigung auch schon durch die Verhängung schwerer Sanktionen gegen die Banco Delta Asia in Makau, über die Nordkorea den größten Teil seines Außenhandels abwickelte. Später stellte sich heraus, daß die gegen das Finanzhaus in der chinesischen Sonderzone erhobenen Vorwürfe der Geldwäsche und der Herstellung von Dollarblüten völlig aus der Luft gegriffen waren. Nichtsdestotrotz hat Obama 2009 beim Einzug ins Weiße Haus den Kopf hinter der hochumstrittenen Initiative, Finanzstaatssekretär Stuart Levey, demonstrativ im Amt belassen. Durch die Übernahme Leveys, eines Mitglieds der neokonservativen Klüngel in Washington, gab Obama zu erkennen, daß auch er keine Lösung des Problems Nordkorea in Betracht ziehe, die nicht einer Kapitulation Pjöngjangs gleichkommt.

13. September 2016


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