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ASIEN/845: Geheime Friedensgespräche für Afghanistan angelaufen? (SB)


Geheime Friedensgespräche für Afghanistan angelaufen?

Londoner Guardian berichtet von zwei Treffen in Doha


Im Afghanistankrieg zeichnet sich scheinbar kein Ende dessen ab, was ein am 14. Oktober in der Washington Post zitierter, nicht namentlich genannter "ranghoher Vertreter" der Regierung Barack Obamas einen "erodierenden Stillstand" nannte. Die Taliban, die derzeit rund ein Drittel des Landes kontrollieren, schicken sich an, noch vor dem Wintereinbruch entweder Lashkar Gah, Hauptstadt der Provinz Helmand, oder Farah, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, zu erobern. Um das zu verhindern, hat das US-Militär jeweils eine Gruppe von rund 50 Elitesoldaten und Militärberatern in beide Städte geschickt. Bereits im Juni hatte Präsident Obama nach Beratungen mit dem Pentagon eine Ausweitung der US-Luftangriffe in Afghanistan angeordnet, um den Vormarsch der Taliban zu stoppen und den schleichenden Kollaps der afghanischen Armee und Polizei zu verhindern.

Weil die USA und mit ihnen die NATO eine militärische Niederlage in Afghanistan niemals zulassen bzw. einräumen werden, ist mit einer Aufstockung der westlichen Militärpräsenz am Hindukusch im kommenden Jahr zu rechnen - es sei denn, Washington, London, Paris und Berlin können sich irgendwie mit den Taliban verständigen und nach mehr als 15 Jahren Krieg endlich abziehen. Und siehe da, am 19. Oktober meldete die linksliberale britische Zeitung Guardian, es habe in den letzten Wochen zwei Runden von inoffiziellen Friedensgesprächen im katarischen Doha gegeben, an denen Vertreter der Taliban und der afghanischen Regierung sowie ein Diplomat aus dem US-Außenministerium teilnahmen. Wenngleich Kabul und die Taliban-Führung im pakistanischen Quetta die Angaben des Guardians dementierten, geben die im Artikel enthaltenden Details Anlaß zur Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Afghanistankrieges in nicht allzu ferner Zukunft.

Bereits 2013 hatten die Taliban genau zum Zwecke solcher Begegnungen in Doha mit Einverständnis Katars - und vermutlich auch der USA - ihre erste Vertretung im Ausland seit der Flucht aus Kabul Ende 2001 eingerichtet. Im April 2015 trafen sich in einem Strandhotel am Rande Dohas auf Einladung der Pugwash-Konferenz "Privatpersonen" aus China, Pakistan, der USA und Kabul mit ranghohen Mitgliedern der Taliban und der Gruppe Hisb-i-Islami um den früheren afghanischen Premierminister und heutigen "Topterroristen" Gulbuddin Hektatyar. Aus den Gesprächen wurde nichts, weil nur wenige Wochen später afghanische Geheimdienstkreise enthüllten, daß der legendäre Anführer der Taliban, Mullah Mohammad Omar, bereits seit zwei Jahren tot war, und damit die von ihm gegründete Bewegung in eine Existenzkrise stürzte.

Kaum hatten die Taliban den einjährigen inneren Machtkampf hinter sich gebracht, da wurde ihr neuer Chef, Mullah Aktar Mohammed Mansur, im vergangenen Mai im pakistanischen Belutschistan, als er mit dem Auto von einem Besuch im benachbarten Iran zurückkehrte, per Drohnenangriff liquidiert. Die Taliban machten den pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) für den Anschlag mitverantwortlich und warfen ihm vor, der CIA die entsprechenden Informationen über die Reisepläne Mansurs zukommen gelassen zu haben. Zwischen den Taliban und ihren langjährigen Förderern in Islamabad scheint eine Entfremdung eingetreten zu sein. Mehrere Führungsfiguren der Taliban sind in den letzten Wochen in Quetta, der Hauptstadt Belutschistans, festgenommen worden. Im Guardian-Artikel hieß es, bei den beiden Gesprächsrunden im September und Oktober in Doha sei kein Vertreter Pakistans zugegen gewesen, weil die afghanischen Taliban, die nicht mehr länger von Islamabad für dessen eigenen Zwecke mißbraucht werden wollen, dies abgelehnt hätten.

Dafür sollen die Taliban darauf beharrt haben, nicht nur mit Vertretern des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani, sondern auch der Regierung der USA zu sprechen. Gegenüber dem Guardian erklärte ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Quetta Shura, des im pakistanischen Belutschistan angesiedelten, höchsten Gremiums der Taliban, diese glaubten, "daß sie sich in Afghanistan in einem Disput sowohl mit der US- als auch der afghanischen Regierung befinden. Wenn diese drei Seiten miteinander Vorläufergespräche führen können, könnte dies die Basis für weitere positive Entwicklung legen".

Wie ernst es die Taliban mit dem Annäherungstrialog meinen, läßt sich an der Identität eines ihrer Gesandten in Doha ablesen. Dort wurde die Taliban-Delegation von Mullah Abdul Manan Akhund, dem Bruder von Mullah Omar, höchstpersönlich angeführt, der gleich bei der ersten Gesprächsrunde Anfang September direkt gegenüber dem Chef des afghanischen Geheimdienstes, Mohammed Masum Stanekzai, saß. Trotz allem soll jenes Gespräch sowie das folgende Anfang Oktober in einer "spannungsfreien Atmosphäre" stattgefunden haben. An künftigen Verhandlungen soll Mohammad Yakub, der Sohn Omars, beteiligt sein. Im Guardian-Artikel wurde eine Quelle bei der afghanische Regierung dahingehend zitiert, die Chancen für eine Einigung seien gut, da Kabul und die Taliban inzwischen zu der Ansicht gekommen seien, ohne die Vermittlung bzw. Einmischung Islamabads ihren Streit leichter beilegen zu können. Die kommenden Monate werden zeigen, was es mit dieser Einschätzung auf sich hat.

21. Oktober 2016


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