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ASIEN/913: Afghanistan - Tendenz Verhandlung ... (SB)


Afghanistan - Tendenz Verhandlung ...


In Afghanistan will der neue Oberkommandierende der US-Streitkräfte General Scott Miller in die Offensive gehen und nach eigenen Angaben von den Taliban "die taktische Initiative" zurückerobern. Das ehrgeizige Ziel des einstigen Elitesoldaten dürfte ein Wunschtraum bleiben. Miller verfügt lediglich über 15.000 US-Soldaten. Seine Verbündeten, die afghanische Armee und Polizei, haben den Krieg gegen die Taliban längst verloren. Im August und September hatten sie 1000 Tote und Verletzte zu verzeichnen. Die Taliban haben bis zu 50.000 Mann unter Waffen. Einer neuen Studie der angesehenen US-Militärzeitschrift Long War Journal zufolge befindet sich bereits jetzt mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung in Bezirken, die unter der Kontrolle der Taliban stehen. Die meisten der restlichen Bezirke gelten als "umkämpft".

Bei der afghanischen Regierung um Präsident Ashraf Ghani sind die Anzeichen des Autoritätsverlustes unverkennbar. Die Parlamentswahlen, die eigentlich 2016 stattfinden sollten, jedoch aus Sicherheitsgründen um zwei Jahre verschoben werden mußten, fanden am 20. Oktober unter katastrophalen Bedingungen statt. Bei Anschlägen und Überfällen wurden allein an diesem Tag 170 Menschen entweder getötet oder verletzt. Nur rund drei Millionen der neun Millionen registrierten Wähler nahmen an der Abstimmung teil. Die meisten Erwachsenen folgten entweder dem Boykott-Aufruf der Taliban oder blieben aus Angst vor der Gewalt den Wahllokalen fern.

Zwei Tage vor der Wahl war Miller selbst bei einem Sicherheitstreffen in Kandahar nur knapp mit dem Leben davongekommen, als ein Leibwächter des dortigen Polizeichefs Abdul Razik diesen erschoß und anschließend das Feuer auf die anderen Anwesenden eröffnete, bevor er selbst im Kugelhagel starb. Die Taliban haben das Attentat auf Razik ebenso für sich reklamiert wie den Absturz eines Armeehubschraubers am 31. Oktober im afghanischen Südwesten, bei dem alle 25 Insassen, darunter der Stellvertretende Armeekommandeur der westlichen Region, Nematullah Khalil, sowie der Leiter der Regierungsrats der Provinz Farah, Farid Bakhtawar, das Leben verloren.

Man muß keine hohe Meinung von US-Präsident Donald Trump haben, um zu erkennen, daß er mit seiner schon 2016 im Wahlkampf gegen Hillary Clinton erhobenen Forderung nach einem raschen Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan Recht hatte. Im ersten Amtsjahr im Weißen Haus hat sich der New Yorker Geschäftsmann bekanntlich wider Willen von der Generalität zu einer leichten Truppenaufstockung überreden lassen. Doch seit immer offensichtlicher wird, daß für das Pentagon auf dem Boden in Afghanistan keine Wende zum Besseren mehr zu erzielen ist, hat Trump den führenden Zentralasienexperten der USA, Zalmay Khalilzad, als Sondergesandten mit weitreichenden Vollmachten in die Region entsandt.

Am 12. Oktober ist das ehemalige, selbst aus Afghanistan stammende, einst ranghohe Mitglied der Regierung George W. Bushs in Doha mit Vertretern der Taliban zusammengekommen. Bei der Unterredung in der Hauptstadt Katar, wo die Taliban seit einigen Jahren ein Verbindungsbüro unterhalten, wurde sogar über einen Truppenabzug, das frühere Tabuthema der Amerikaner, diskutiert. Auf Veranlassung Khalilzads haben die pakistanischen Behörden Ende Oktober Mullah Abdul Ghani Baradar, einen Gründer der Taliban und einst enger Vertrauter des 2015 verstorbenen Anführers der Gruppe Mullah Mohammed Omar, freigelassen. Baradar war 2010 von den Pakistanern festgenommen worden, gerade als er Friedensgespräche mit dem damaligen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai in Gang zu bringen versuchte. Die Freilassung Baradars paßt in das politische Konzept des neuen pakistanischen Premierministers Imran Khan, der sich als Oppositionspolitiker jahrelang für Verhandlungen als einzigen Ausweg aus der militärischen Pattsituation am Hindukusch stark machte.

Man kann davon ausgehen, daß Baradar trotz der achtjährigen Abwesenheit wieder in das Führungsgremium der Taliban aufgenommen und von dort aus die Verhandlungen mit den Vertretern Washingtons, Kabuls und Islamabads leiten wird. Hilfe wird Baradar hierbei von fünf einst führenden Taliban-Mitgliedern erhalten, die von 2002 bis 2012 im Sonderinternierungslager auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba gefangengehalten wurden. Es handelt sich hier um den ehemaligen Innenminister des Islamischen Emirats Afghanistan, Mullah Khairullah Khairkhwa, den ehemaligen Armeechef Muhammad Fazil, den ehemaligen Gouverneur der Provinzen Balkh und Laghman Nurullah Nuri, den ehemaligen Stellvertretenden Geheimdienstchef Abdul Hak Wasik und den ehemaligen Kommunikationschef der Taliban Nabi Omari.

Alle fünf Männer waren vor sechs Jahren von der Regierung Barack Obamas im Austausch gegen den von den Taliban gefangengenommenen US-Soldaten Bowe Bergdahl freigelassen worden. Seitdem leben sie unter gewissen Restriktionen in Doha, wo sie inoffiziell im Namen des Verbindungsbüros der Taliban agierten. Offenbar ebenfalls auf Veranlassung von Khalilzad sind die Reisebeschränkungen für diese fünf Personen aufgehoben worden. Sie bekommen neue Pässe, dürfen reisen und sich diplomatisch und politisch betätigen. In einer am 30. Oktober veröffentlichte Stellungnahme gab Abdul Hakim Mudschahid, einst Botschafter des Islamischen Emirats Afghanistan bei den Vereinten Nationen, bekannt, daß die sogenannten "Taliban Fünf" ab sofort für das Verbindungsbüro in Doha arbeiten würden. "Das sind Leute, die bei allen Taliban Respekt genießen. Ihr Wort hat bei der Taliban-Führung sowie bei den Mudschaheddin Gewicht", so Mudschahid, der für die Taliban als Stellvertretender Vorsitzender dem Hohen Friedensrat Afghanistans angehört und in dieser Funktion Kontakte zur Regierung um Präsident Ghani pflegt.

2. November 2018


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