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EUROTREFF/003: Interview mit Grünen-Dissidentin Patricia McKenna (SB)


Interview mit Grünen-Dissidentin Patricia McKenna

Sprecherin der People's Movement rechnet mit Irlands Grünen ab


Patricia McKenna war einst Galionsfigur der irischen Grünen. Sie hat die Partei nicht nur mitbegründet, sondern gewann 1994 für sie den ersten Sitz im EU-Parlament. Inzwischen haben sich die Wege McKennas und der Grünen Partei Irlands getrennt. Seit 2007 sitzen Irlands Grünen nicht mehr auf den Oppositionsbänken, sondern bekleiden als Juniorpartner einer Koalition mit Fianna Fáil Kabinettsposten und üben Regierungsverantwortung aus, während McKenna als Sprecherin des parteiunabhängigen People's Movement die Kampagne gegen den EU-Reformvertrag, auch Lissabon-Abkommen genannt, anführt. Am 27. Juli sprach der Schattenblick mit Patricia McKenna bei ihr zuhause in Dublin, Stadtteil Drumcondra, über die bevorstehende zweite Lissabon-Abstimmung am 2. Oktober und die Chancen eines erneuten Sieges für das Nein-Lager.

Patricia McKenna mit einem SB-Redakteur

Patricia McKenna mit einem SB-Redakteur

SB: Frau McKenna, Sie waren von 1994 bis 2004 als Abgeordnete der Grünen Mitglied des Europaparlaments. Zu welchem Zeitpunkt kamen Ihnen erste Zweifel an der Richtung, die die EU nahm, oder hatten Sie von Anfang an eine kritische Haltung?

PM: Eigentlich hatte ich gleich von Anfang an einen EU-kritischen Standpunkt. Mein politisches Engagement rührte ursprünglich aus meinem Interesse an der Richtung, in die Europa ging. Das geht zurück auf die Auseinandersetzungen über die Einheitliche Europäische Akte, die dazu führten, daß wir 1987 hier in Irland ein Referendum abgehalten haben. Als das Referendum über den Beitritt zum gemeinsamen Europäischen Markt stattfand, 1973, war ich noch nicht alt genug zu wählen. Aber wäre ich es gewesen, bin ich mir ziemlich sicher, hätte ich mit Ja gestimmt. Meine Eltern und die meisten Menschen, die ich kenne, haben mit Ja gestimmt. Zu der Zeit war jeder begeistert von der ganzen europäischen Idee und dem Gemeinsamen Markt, wie er damals genannt wurde. Mein Interesse entstand aus den verschiedensten Gründen, angeregt durch die Debatte über die Einheitliche Europäische Akte und die Kampagne für ein Referendum, wofür der wichtigste Grund der ganze Mangel an Demokratie war. Die damalige Regierung versuchte, den Vertrag durch ein Votum im Dáil, dem Unterhaus des irischen Parlaments, durchzusetzen und ein irischer Bürger, der kürzlich verstorbene Historiker Raymond Crotty, hat vor dem Obersten Gericht dagegen geklagt.

Als ich das so sah, dachte ich nur "Wow". Zu der Zeit wußte ich nicht so recht, was es mit der Einheitlichen Europäischen Akte auf sich hatte. Aber die Tatsache, daß es jemanden gab, der den Mut hatte, sich gegen die Regierung und das gesamte politische Establishment zu stellen und sie wegen ihrer Taten zur Rechenschaft zu ziehen, hat mich beeindruckt. Ihr Versuch, diese Sache durchzupeitschen, ohne die Menschen nach ihrer Meinung zu fragen, war falsch. Im Lichte dessen, was gerade in Verbindung mit dem Lissabon-Vertrag oder der EU-Verfassung oder wie immer man es nennen will, vor sich geht, ist es interessant zu sehen, wie die Regierungen auch in jener Zeit versucht haben, die Bevölkerung daran zu hindern, über die Richtung, die die EU nahm, mitzubestimmen.

Die Regierung zu der Zeit bestand aus einer Koalition zwischen Fine Gael und der Labour-Partei mit Garret Fitzgerald als Taoiseach [Premierminister] und Peter Sutherland als Generalstaatsanwalt - beide sind jetzt Leitfiguren der Ja-zur-Lissabon-Kampagne. Am Ende des Ganzen urteilte der Oberste Gerichtshof Anfang 1987, daß die Regierung mit dem Versuch, Elemente der Souveränität Irlands auf die EU zu übertragen, ohne zuvor die Erlaubnis vom Souverän, also dem irischen Volk, erhalten zu haben, nicht verfassungskonform gehandelt hatte. Dieses Gerichtsurteil hat dafür gesorgt, daß der Bevölkerung seitdem alle wichtigen EU-Verträge zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.

In der Zeit, als das Urteil des Obersten Gerichts fiel, gab es allgemeine Wahlen, die einen Regierungswechsel bewirkten. Fianna Fáil, die der Einheitlichen Europäischen Akte und den Bemühungen der Koalitionsregierung, diese mit einer Abstimmung im Dáil zu ratifizieren, bis dahin sehr kritisch gegenübergestanden hatte, änderte ihre Haltung, sobald sie an der Regierung beteiligt war. Also gab es damals die gleiche Situation wie jetzt, wo sich im Grunde alle etablierten Parteien auf der Ja-Seite befinden. Die Haltung von Labour zur Einheitlichen Europäischen Akte war interessanterweise gespalten.

Zu der Zeit war ich nicht so sehr an Parteipolitik interessiert und hatte mehr mit Kampagnenfragen zu tun wie Frieden, Abrüstung, Menschenrechte und Umwelt. Auch heute noch sind das die Themen, die ich am wichtigsten finde. Mein größtes Problem mit der Einheitlichen Europäischen Akte war die Befürchtung, daß sie den Weg für die Militarisierung Europas ebnen würde. Ich hatte das Gefühl, daß Irland, mehr als alle anderen EWG-Mitgliedsstaaten, diese einzigartige Identität als neutrales Land hatte und aufgrund seiner eigenen Geschichte ein größeres Interesse an den Teilen der Welt aufbrachte, die unter Kolonisation und Imperialismus gelitten hatten. Und ich wollte, daß wir diese Position beibehalten, statt uns den großen Mächten anzuschließen und sie bei der Ausbeutung der Länder der sogenannten Dritten Welt zu unterstützen, die politisch oder wirtschaftlich schwächer sind.

Ich habe mir schon immer ziemliche Gedanken über Militarisierung und den Gebrauch von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele oder zur Sicherung eines vermeintlichen Friedens gemacht. Ganz besonders in Sorge war ich wegen der Atomwaffen und bin es noch immer. Ich bin der Meinung, daß es, wenn man sich ansieht, was zur Zeit passiert, noch mehr Grund gibt, besorgt zu sein. Man muß sich nur die Äußerungen der EU zum Thema Atomenergie und Atomwaffen anhören. In Hinsicht auf Euratom gibt der Lissabon-Vertrag der Atomenergieindustrie praktisch grünes Licht, was Anlaß zu größter Sorge gibt. Nach der Kampagne gegen die Einheitliche Europäische Akte engagierte ich mich mehr und mehr in der sogenannten Grünen Allianz, aus der später die Grüne Partei Irlands wurde. Zu der Zeit hatten die Grünen keinen Repräsentanten im Dáil. Sie stellten lediglich ein Ratsmitglied weit unten im Süden, in der Grafschaft Kerry; das war alles.

Über meine Arbeit in der Grünen Allianz wurde ich schließlich in die damals sogenannte Europäische Grüne Koordination gewählt, die eine Art Lenkungsausschuß für die Europäischen Grünen Parteien darstellte. Ich war dort einige Jahre als eine der sechs oder sieben Repräsentant(inn)en aus ganz Europa dabei. Es war das erste Mal, daß jemand aus Irland dabei war, und ich engagierte mich sehr. Je mehr Kontakt ich mit Menschen vom Kontinent hatte, desto mehr entdeckte ich, daß es da draußen einen Haufen Grüner Aktivisten gab, die genauso die von Europa eingeschlagene Richtung kritisierten.

Von 1984 bis 1989 waren die Grünen des Europäischen Parlaments in der GRAEL-Gruppe [Green Alternative European Link]. Zusammen mit einigen Regionalisten - zum Beispiel der Dänischen Volksbewegung - und anderen Radikalen bildeten die Grünen MdEPs die Regenbogengruppierung. Sie haben erstaunliche Arbeit geleistet und waren wirklich herausragend darin, eine Menge negativer Entwicklungen ans Licht zu bringen, die in Europa stattfanden. Aber schon bevor ich selbst 1994 MdEP wurde, konnte ich erkennen, daß sich die Grünen immer weiter von ihren progressiven, radikalen Wurzeln entfernten. Ich erinnere mich, daß wir einmal dieses riesige Treffen in Bonn hatten, auf dem bestimmte Elemente, die meisten gemäßigte Grüne aus den Benelux-Ländern mit Unterstützung aus Deutschland, versuchten, ein Dokument durchzudrücken, das mehr oder weniger die Art von Richtung gebilligt hätte, die Europa nahm. Ich habe das Treffen besucht und noch ein paar weitere von uns, und ich sowie einige dänische und schwedische Grüne waren in der Lage, eine Art Coup loszutreten und den Plan der Zentristen zunichte zu machen. Der offizielle Vertreter der deutschen Grünen zu der Zeit war ein Typ namens Jürgen Meier, und er hat uns ebenfalls unterstützt. Ich weiß nicht, ob er ein "Fundi" oder ein "Realo" war. Ich glaube, er war keines von beiden. Aber sicher ist, daß er auf dem Treffen sehr streitbar debattiert hat und half, das vorgestellte Papier zu verhindern.

1994 wurde ich ins Europäische Parlament gewählt. Zu der Zeit hatten sich die Grünen, gemessen an ihren ursprünglichen Standpunkten zu Europa, bereits recht dramatisch verändert. Mein erster Eindruck vom Europäischen Parlament war - insbesondere außerhalb der Grünen - daß niemand es wagte, die EU zu kritisieren. Es gab die allgemeine Auffassung, die MdEPs seien alle Teil eines großen Clubs in Straßburg, und wenn man versorgt werden wollte und gemocht werden wollte, hielt man besser den Mund und ließ die kritische Meinung, die man möglicherweise hatte, fallen. Und man konnte sehen, daß eine Menge Leute einlenkten. Ich erinnere mich an viele MdEPs, Menschen, die der EU und der Richtung, die sie nahm, sehr kritisch gegenüberstanden und die mehr Demokratie und mehr Verantwortlichkeit und weniger Aufbau eines militarisierten Superstaates wollten, die sich abschrecken ließen, weil das keine beliebte Position im Europäischen Parlament war.

Patricia McKenna

Einen ähnlichen Prozeß konnte man sogar bei den Grünen MdEPs beobachten. Irische Grüne waren zwei vertreten, ich und eine andere Frau mit Namen Nuala Ahern, die soweit ich es erkennen konnte, diesen Wunsch hegte, zum Establishment zu gehören. Andererseits gab es Leute wie den schwedischen Grünen MdEP Per Gahrton, der seine Position wirklich hervorragend zu vertreten wußte und nicht nachgab. Er war einer der Menschen, bei denen Daniel Cohn-Bendit nie siegreich aus der Debatte hervorging. Cohn-Bendit schätzte das nicht. Er zog es vor, gegen Leute anzutreten, die ihm rhetorisch nicht gewachsen waren, weil er gewöhnlich eine Menge heiße Luft produzierte, die einfach keinen Sinn machte. Manchmal glaube ich, daß viele Mitglieder des Grünen Establishments mit all ihrem Geschwätz eher zur globalen Erwärmung beitragen, als irgend etwas dagegen zu tun.

SB: Die Frage der Militarisierung: Zu der Zeit, als Sie 1994 ins Europäische Parlament eintraten, war der angebliche Mangel an militärischer Effektivität und Fähigkeit, den kriegführenden Parteien in Jugoslawien einen Frieden aufzuzwingen, ein großes Thema. Wenn Sie sich an diese Zeit im Europäischen Parlament erinnern, zu welchem Grad haben die damaligen Diskussionen an den Punkt geführt, an dem wir heute stehen? Man gewinnt den Eindruck, daß ständig auf diese Situation als eine zurückverwiesen wird, in der Europa sich angesichts der militärischen Aggression als hilflos erwiesen hat, woraus dann das Argument folgt, daß die EU einheitlichere, rationellere Strukturen braucht, um sich in die Lage zu versetzen, ähnliche Herausforderungen in Zukunft zu meistern.

PM: Das Argument, das die Grünen zu jener Zeit - insbesondere die belgischen, dänischen und deutschen Grünen - in Straßburg gebraucht haben, war im Grundsatz, daß jedem, der die europäische "humanitäre Intervention" und deren Rechtfertigung kritisierte, die bosnischen Vergewaltigungsopfer gleichgültig waren oder welche Menschen auch immer, die auf dem Balkan Opfer brutaler Gewalt wurden. Das war die einzige Möglichkeit für die Grünen, die ursprünglich eine weniger militarisierte Welt propagiert hatten, ihre Kehrtwende zu rechtfertigen. Wie sonst hätten sie die Tatsache rechtfertigen können, daß sie jetzt alle militärischen Entwicklungen, die in Europa stattfanden, unterstützten? Sie ließen ihren Widerstand gegen die Militarisierung zum Teil deswegen fallen, weil sie nicht als "Euroskeptiker" abgestempelt und mit den britischen Tory-MdEPs und Jean Marie le Pens Front National in einen Topf geworfen werden wollten. Die gleiche Taktik, alle EU-Kritiker in einen Topf zu werfen, wird heute noch verfolgt. Ich erinnere mich an viele Male, die ich mich dagegengestellt habe, auch schon bevor ich Mitglied des Europäischen Parlaments war. In Irland reagierten viele Anhänger der EU auf jede Kritik an Brüssel mit der Anschuldigung: "Oh, Sie sind also der Meinung von Margaret Thatcher!" - die war zu der Zeit in unserem Land extrem unbeliebt. Es war eine Einschüchterungstaktik, weil natürlich kein irischer Aktivist oder Politiker als jemand angesehen werden wollte, der auf derselben Seite stand wie die "eiserne Lady".

In Hinsicht auf die schmerzlichen Nachwehen des Kalten Krieges insbesondere in Jugoslawien, war Irlands Versäumnis, eine unabhängige Außenpolitik beizubehalten, Bestandteil des ganzen Problems. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes zum Beispiel erklärten sich die baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen für unabhängig und suchten nach internationaler Anerkennung. Irland, das von Anfang an nie ihre Eingliederung in die Sowjetunion anerkannt hatte, rührte sich nicht, bis die EU, und insbesondere Deutschland, in Aktion trat. Die Iren warteten ab. Sie haben keinen unabhängigen Standpunkt bezogen. Wenn sie aber nie die Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion anerkannt hatten, was hielt Dublin davon ab, eigeninitiativ ihre Unabhängigkeit anzuerkennen und Botschafter auszutauschen? Aber natürlich ist nichts dergleichen passiert.

Das in Kontrast zu dem, was in Jugoslawien geschehen ist. In diesem Fall hat Deutschland Kroatien und Slowenien anerkannt, fast ohne überhaupt seine EU-Partner zu konsultieren. Es war im wesentlichen Deutschland, das die Außenpolitik der EU bestimmt hat, und die anderen Mitgliedstaaten folgten, ohne wirklich die möglichen weiteren Konsequenzen zu bedenken. Ich meine, die Leute hätten voraussehen können, was passieren würde, aber sie haben einfach zugestimmt. Und wenn man auf diesen Zeitraum zurückblickt, war es ein schwerer Fehler, für den die Menschen in Jugoslawien einen hohen Preis gezahlt haben, Deutschland zu erlauben, die EU-Außenpolitik für den Balkan zu diktieren. Aber natürlich hält das das EU-Establishment nicht davon ab, dieses schreckliche Geschehen zur Rechtfertigung der weiteren Militarisierung Europas zu benutzen und die angebliche Notwendigkeit zu vertreten, man müsse in ähnlichen Situationen entschlossen handeln können. Auch die UNO wird ständig wegen ihres angeblichen Versagens in dieser Zeit gerügt und dabei ihre Stellung als das zentrale internationale Gremium zur Konfliktlösung untergraben.

SB: Es gibt auch Andeutungen in Verbindung mit dem ganzen, es habe Initiativen von Seiten der EU und der UNO gegeben, den Krieg in Bosnien-Herzegowina zu verhindern, daß sich jedoch die Amerikaner eingemischt hätten, weil sie eine Konfliktlösung ohne ihren wesentlichen Anteil daran nicht zulassen wollten. Carrington-Cutileiro-Initiative nannte man sie, glaube ich. Sie beinhaltete die Teilung Bosnien-Herzegowinas in ein System von Kantonen; ihre Umsetzung wurde aber im letzten Moment von den bosnischen Muslimen verhindert. Auf der anderen Seite spielten die deutschen Grünen eine wichtige Rolle bei der Rechtfertigung des von der NATO geführten Kosovo-Krieges gegen Jugoslawien mit Joschka Fischer - dem damaligen Außenminister in der Regierung von Kanzler Gerhard Schröder - und seinem berühmtem Ausspruch: "Nie wieder Auschwitz".

PM: Ja, ich erinnere mich an die Debatte unter den deutschen Grünen zu der Zeit. Es gab eine Frau, die 1999 die Partei verließ, nachdem sie Fischer beschuldigt hatte, er habe Blut an den Händen. Sie hat sich mit dieser Aussage nicht sehr beliebt gemacht. Aber ein Großteil der EU-Militarisierung hatte da bereits stattgefunden. Als ich 1994 ins EU-Parlament gewählt wurde, hatte ich Zugang zu Dokumenten und Unterlagen, die Laien normalerweise nicht zu Gesicht bekommen. Ich konnte die Dinge, die ich über das las, was vor sich ging, einfach nicht glauben. Im Europäischen Parlament zu sein, war wie in einer anderen Welt zu sein oder in einer völlig anderen Dimension. Ich las Dokumente und dachte: "Mein Gott, wenn man das zuhause richtig erklärt, werden sich die Menschen wundern, was da vor sich geht." Aber dazu kam es nie, und es ist auch sehr schwierig, das zu tun, weil die Menschen die EU als so weit weg erleben. Es ist schwer, diese Art von Material zu erklären und in einen Zusammenhang zu stellen, besonders, wenn die Medien sich mit der Aufdeckung oder Beleuchtung von Entwicklungen zurückhalten, die vielleicht nicht eben populär sind oder ernsthafte Fragen aufwerfen könnten.

Überraschend für mich war das Ausmaß des Lobbyismus in der Europäischen Kommission, den die europäischen Waffenproduzenten betrieben, was sicher schon lange so am Laufen war, bevor ich 1994 kam. Sie beklagten die Tatsache, daß es seit dem Ende des Kalten Krieges einen massiven Einbruch bei den Waffenverkäufen gegeben hatte und bestanden darauf, daß etwas getan werden müßte. Sie verlangten von der Kommission und den einzelnen Mitgliedstaaten, der europäischen Waffenindustrie unter die Arme zu greifen und sie auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu machen. Und das ist im Grunde auch das, was passiert ist. Die Gründung der Europäischen Verteidigungsagentur ist dafür ein Beispiel. Über die wurde man sich während der griechischen Ratspräsidentschaft 2004 auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki einig.

Patricia McKenna

Ich erinnere mich, wie ich als Journalistin dort hingegangen bin. Als MdEP konnte ich da nicht rein, obwohl man mich demokratisch in das EU-Parlament gewählt hatte. Ich war nicht berechtigt, an dem Gipfel teilzunehmen. Aber als Journalistin konnte ich dorthin und mir ansehen, was vor sich ging. Also tauchte ich schließlich als Reporterin für die Monatszeitung der Sozialistischen Arbeiterpartei, den "Socialist Worker" dort auf. Und wissen Sie, was die irische Medienberichterstattung über den Gipfel dominierte? Das war nicht die Tatsache, daß die Dubliner Regierung ohne jede öffentliche Diskussion oder Debatte, geschweige denn Abstimmung im Dáil im Namen des Lands der Europäischen Verteidigungsagentur beigetreten ist. Nein, darüber gab es gar nichts. Die meisten Berichte befaßten sich mit der Tatsache, daß ich mich "fälschlicherweise" als Journalistin ausgegeben hatte, um auf den EU-Gipfel zu gelangen. Das war's, worum sich die ganze Berichterstattung drehte, statt wirklich mal nachzusehen, welcher Sache die irische Regierung da draußen zugestimmt hatte. Auf dem Gipfel in Thessaloniki wurden wichtige Entscheidungen gefällt, die gründliche journalistische Recherche gerechtfertigt hätten, aber das geschah nicht.

SB: Trug diese Berichterstattung dazu bei, daß Sie Ihr Mandat 2004 nicht wiedererlangt haben?

PM: Nein. Ich glaube nicht, daß die Leute, denen meine journalistische "Nummer" nicht gefallen hat, für mich gestimmt hätten, während die Leute, die sagen, "das hat sie gut gemacht" mich sowieso gewählt haben. Fakt war, daß die Anzahl meiner Stimmen bei der Europawahl 2004 eigentlich gestiegen ist. Das Problem war einfach, daß die Labour-Partei im Wahlkreis Dublin mit Ivana Bacik eine sehr starke Kandidatin hatte, und das hatte seine Auswirkungen für mich, und Sinn Féin war natürlich zu der Zeit mit Mary Lou McDonald im Aufstieg begriffen. Sie hat den letzten Sitz im EU-Wahlkreis Dublin gewonnen. Aber wenn man sich die Zahl meiner Stimmen damals und die Zahl der Stimmen für die Grünen im letzten Juni ansieht, dann gibt es da keinen Vergleich. Der Stimmenanteil der Grünen ist seitdem dramatisch gefallen.

SB: Sie haben auf die Tatsache hingewiesen, daß die irische Regierung in Thessaloniki die Verpflichtung des Landes zur Neutralität verletzt hat, aber schon davor hat es eine richtiggehende Scharade um die Partnerschaft für Frieden mit Bertie Ahern und Fianna Fáil gegeben, die 1996, als sie in der Opposition waren, noch versprochen hatten, ein Referendum über die Mitgliedschaft Irlands abzuhalten, und dann, nachdem sie Fine Gael bei den Wahlen 1997 geschlagen haben, dieses Versprechen gebrochen haben. Fianna Fáil und Fine Gael haben am 9. November 1999 gemeinsam die nötigen Gesetze verabschiedet und Irland ist dann am darauf folgenden 1. Dezember offiziell der PFF beigetreten.

PM: Die irische Regierung hört nicht auf, fromme Versprechungen zu machen, die einfach gar nichts bezüglich der irischen Neutralität bedeuten. Aus dem Grund zögere ich in wachsendem Maße, das Wort Neutralität überhaupt zu benutzen, denn aus meiner Sicht ist Irland nicht mehr neutral. Manche Leute ärgert es, wenn man das öffentlich äußert, aber solange wir nichts dafür tun, Neutralität in der Verfassung zu verankern, ist die ganze Debatte eine Farce. Es ist einfach so, daß Neutralität oder eine Definition dessen, was diese umfaßt, in der Verfassung nicht erwähnt wird.

SB: Aber sie hat Tradition, auch wenn sie in der Verfassung der Irischen Republik an sich nicht auftaucht.

PM: Ja, aber wenn sie in der Verfassung nicht wirklich definiert ist, ist es einfach für die Regierung und für das politische Establishment, zu behaupten, wie sie es ständig tun, daß unsere Neutralität gewahrt wird. Wie kann man etwas schützen, das nicht eindeutig seinem Wesen nach definiert ist? Die Grünen machen da auch mit, seit sie an der Regierung beteiligt sind - in einem solchen Ausmaß, daß sie jetzt schlimmer sind als viele Leute, die sie in der Vergangenheit kritisiert hätten.

Labour hat in einem ihrer Wahlprogramme versprochen, die Neutralität in die Verfassung festzuschreiben, aber seitdem sie 1994 die Regenbogenkoalition mit Fine Gael eingegangen sind, haben auch sie nichts dafür getan. Die Grünen haben über Jahre solche Kehrtwenden und den Bruch von Versprechen kritisiert, und dann kommen sie in die Regierung und stimmen der Nutzung des Flughafens von Shannon durch das US-Militär im Irak und in Afghanistan und anderenorts zu. Sie haben sogar die eine Vereinbarung gebrochen, die sie in den Verhandlungen mit Fianna Fáil über das Regierungsprogramm 2007 erreicht haben.

Aus einer Grünen-Perspektive war das Regierungsprogramm eine Farce, denn es bestand aus Punkten, die sowieso durch die internationale oder die EU-Gesetzgebung zum Klimawandel und Umweltschutz in die Wege geleitet werden. Es gab nichts in dem Programm, das einen Grünen Stempel trug, außer einem winzigen Teil, der sich um die Nutzung von Shannon für Auslieferungs- bzw. Folterflüge der CIA drehte. In dem Regierungsprogramm gibt es die Garantie, daß die Gardaí [irische Polizei] und alle Möglichkeiten des Staates usw. dafür eingesetzt werden, sicherzustellen, daß auf irischem Boden kein internationales Recht gebrochen wird und daß wir nicht unsere internationalen Verpflichtungen bezüglich des Folterverbots verletzen. Aber bis zum heutigen Tage ist nichts geschehen, um dieses Versprechen zu erfüllen, und Tatsache ist, daß einzelne Mitglieder der grünen Partei Irlands auf dem Flughafen Shannon verhafet und unter Strafanzeige vor Gericht gebracht worden sind, weil sie von der Gardaí gefordert hatten, das zu tun, was das Regierungsprogramm verspricht: verdächtige Flugzeuge zu durchsuchen und zu prüfen, daß sich keine gefangenen Personen an Bord befinden. Als irische Bürger die Gardaí gebeten haben, das Recht durchzusetzen und das Versprechen zu erfüllen, das im Regierungsprogramm steht, und dafür verhaftet wurden, haben die Grünen nichts dagegen unternommen, nichts! Das ist einfach ein weiteres typisches Beispiel zum Thema Menschenrechte, die von Politikern dafür benutzt werden, daß man sie wählt; und wenn sie dann gewählt sind, ignorieren sie einfach die ganze Angelegenheit.

Es ist das gleiche beim Thema Rüstung und Militarisierung. John Gormley, der Vorsitzende der irischen Grünen hat vor nicht sehr langer Zeit vorgeschlagen, daß Irland sich aus der Europäischen Verteidigungsagentur zurückzieht und daß das im nächsten Lissabon-Referendum die Zustimmung erleichtern würde. Fianna Fáil hat diese Idee schnellstens abgeschmettert. Es kam von ihnen kein Wort der Unterstützung - absolut nichts. Was taten Gormley und die Grünen? Sie haben diesen Fehlschlag, daß ihr Koalitionspartner ihrer Forderung nicht entgegengekommen ist, als Erfolg dargestellt. Und die Medien halten da mit und spinnen diese ganze Sache über eine Novelle in der Verteidigungsgesetzgebung aus, die dafür sorgen wird, daß das Dáil über bestimmte Aspekte bezüglich Irlands Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsagentur und an militärischen Missionen der EU abstimmen muß. Aber wie die Grünen in der Vergangenheit bereits selbst erklärt haben, ist eine Abstimmung im Dáil die Garantie für rein gar nichts, weil alle wesentlichen Parteien auf der gleichen Seite stehen. Gäbe es morgen eine Abstimmung im Dáil über den Lissabon-Vertrag, würde er passieren. Gäbe es morgen eine Abstimmung über die Beteiligung Irlands an der Europäischen Verteidigungsagentur, die Zustimmung wäre sicher. Daß also die Grünen uns etwas präsentieren, bei dem das Ergebnis vorher bereits feststeht, und behaupten, dies sei irgendwie ein Erfolg in Bezug auf die Europäische Verteidigungsagentur, ist ein Witz.

Patricia McKenna

SB: Seit Sie die Partei der Grünen verlassen haben, waren Sie in Zusammenhang mit einer Gruppe aktiv, die sich "The People's Movement" [Volksbewegung] nennt. Vor ein paar Tagen wurden Sie und das People's Movement von Peter Sutherland öffentlich sehr scharf kritisiert, der alle an der Nein-zur-Lissabon-Kampagne Beteiligten als politische Extremisten bezeichnet hat, die einen unverhältnismäßig großen Einfluß ausüben würden aufgrund einer Klage, die Sie persönlich gegen die Regierung geführt hatte und die 1995 das "McKenna"-Urteil nach sich zog, das die einseitige, pro-Regierungs-, mit Steuergeldern bezahlte Medienberichterstattung während der Kampagnen zum Referendum verbietet. Was würden Sie auf Sutherlands Anwurf entgegnen? Oder genauer gesagt: Wie breit ist die Basis für die Bewegung gegen Lissabon, wenn man auf der einen Seite alle politischen Parteien hat, die von den Menschen bei allgemeinen und regionalen Wahlen gewählt werden, die zur Zustimmung aufrufen, und demgegenüber die Mehrheit der Menschen, die dagegen stimmen?

PM: Eigentlich war ich bereits längere Zeit im People's Movement aktiv, bevor ich die Partei der Grünen verlassen habe. Das People's Movement wurde im Vorlauf des ersten Referendums von Nizza 2001 gegründet. Es ist eine Bewegung, die nicht an Wahlen teilnimmt, partei-ungebunden ist und die sich schwerpunktmäßig mit Fragen der EU und der Demokratie, Militarisierung etc. befaßt. Was Ihre Frage betrifft, nun, man könnte das einfach umdrehen und sich die Sache aus der anderen Perspektive betrachten. Seit Juni 2008 erzählt man uns, daß Irland den Lissabon-Vertrag behindert und daß alle anderen Länder in Europa ihn wollen. Die Regierungen und die politischen Führungen wollen ihn oder sagen, daß sie ihn wollen, aber zur gleichen Zeit haben einige von ihnen öffentlich zugegeben und Umfragen haben gezeigt, daß die Bürger in den anderen Mitgliedsstaaten, würde man sie fragen, was sie davon halten, die gleiche die Antwort wie die im letzten Jahr in Irland geben würden. Also ist es absurd, wenn man behauptet, daß das People's Movement nicht repräsentativ für die Bevölkerung ist.

Peter Sutherland verkörpert den Typus der europäischen Elite, der den Kontakt zu Realität der einfachen Menschen völlig verloren hat und der mit den großen multinationalen Konzernen verbunden ist, die die Entwicklungsländer, die Umweltressourcen und einfach alles ausbeuten. Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, daß Leute seines Schlages überhaupt glaubwürdig sind, wenn sie über Demokratie und Volkswille reden. Vor vielen Jahren, ungefähr zur Zeit der dänischen Abstimmung über den Maastricht-Vertrag, war ich mit Peter Sutherland in einer Talkrunde. Er hatte es sich damals schon in den Kopf gesetzt, daß Maastricht, gleich, wie sich die dänische Bevölkerung entschied, sowieso durchgesetzt werden sollte. Zu der Zeit war er EU-Kommissar. Ich erinnere mich, daß ich ihm ins Gesicht gesagt habe: "Das ist absolut ungeheuerlich. Sie sind EU-Kommissar, werden von den europäischen Steuerzahlern dafür bezahlt, sie zu repräsentieren und die bestehenden EU-Verträge zu schützen und einzuhalten. Und Sie erklären hier öffentlich, daß Sie, wenn Sie ihren Willen den bestehenden Verträgen nach nicht durchsetzen können, trotzdem das tun werden, was Sie wollen."

SB: Aber ist das nicht genau das, was sie jetzt wieder tun? Indem sie die irische Bevölkerung bitten, ein zweites Mal abzustimmen, verstoßen sie doch gegen vertragliche Vereinbarungen, oder?

PM: Genau. Peter Sutherland blickt sowieso auf eine lange Geschichte, die Rechte der europäischen Bürger Europas völlig abzutun und zu ignorieren und rücksichtslos zu übergehen, zurück. Ich glaube also nicht, daß er auch nur einen Funken Glaubwürdigkeit hat, was Demokratie, Gleichberechtigung oder Fairplay in Bezug auf Referenden oder die Willensäußerung der Bürger betrifft. Ich glaube aber auch, daß es im allgemeinen eine Abneigung des politischen Establishments gibt, die Prinzipien, die das McKenna-Urteil festschreibt - sprich das Recht der Menschen auf Mitbestimmung und darauf, ihre Entscheidung frei von Druck oder Propaganda zu fällen, die auch noch von ihnen selbst bezahlt wird -, zu akzeptieren und zu befolgen. Darum dreht sich das McKenna-Urteil. Der irische Oberste Gerichtshof hat entschieden, daß es nicht rechtens ist, dem Volk eine Frage vorzulegen und zu sagen, sie hätten zwei Möglichkeiten, sich zu entscheiden, während zur gleichen Zeit das eigene Geld der Steuerzahler dafür verwendet wird, sie mit der Idee zu bombardieren, daß sie nur die eine Antwort geben können. Das ging vor dem KcKenna-Urteil vor sich, und, um die Wahrheit zu sagen, das politische Establishment hat sich gedreht und gewunden in dem Versuch, dieses Prinzip zu umgehen.

SB: Das gleiche passiert gerade, während wir hier sprechen, indem die Ja-Seite jetzt zu Beginn der Lissabon-II-Kampagne erneut versucht, um diese Einschränkungen herumzukommen.

PM: Ja, sie tun alles, was sie können, während die Europäische Kommission selbst auf höchst undemokratische Weise eingreift, um das Votum zu beeinflussen. Nach dem ersten Nizza-Referendum 2001, als die Menschen in Irland mit Nein gestimmt hatten, haben sie es mit ähnlichen Tricks versucht. Es gab diese von Jacques Delors gegründete Denkfabrik namens Notre Europe. Sie benutzte man zur Finanzierung von Studien, mit denen man herausfinden wollte, warum die Menschen in Irland den Nizza-Vertrag abgelehnt hatten, um beim zweiten Mal eine Zustimmung zu erreichen. Nach dem Referendum im letzten Jahr machte man das gleiche wieder, diesmal finanziert von der irischen Regierung, um festzustellen, warum die Wähler - in der umfassendsten Untersuchung, die je über eine Abstimmung in Irland durchgeführt wurde - sich so entschieden haben. Auch, wenn man akzeptieren würde, daß sie das Recht zu solcher Forschung haben, war ihr Motiv, in die Köpfe der Menschen, in ihr Bewußtsein, vorzudringen, um zu sehen, wie sie das ganze umkehren können. Sie versuchen, die Schwachstellen zu finden, um festzustellen, was zu tun ist, um bestimmte Teile der Wählerschaft dazu zu veranlassen, ihre Meinung beim zweiten Mal zu ändern.

Und wenn man auf die Untersuchungen über die erste Abstimmung zum Vertrag von Nizza in Irland zurückkommt, die sich auf Jacques Delors' Notre Europe stützen, gibt es darin etwas, das ich aufgrund meiner eigenen politischen Vergangenheit bei den Grünen interessant finde, und das beantwortet vielleicht die Frage, die sich eine Menge Leute in den letzten zwei Jahren immer wieder gestellt haben: "Warum zum Teufel sind die Grünen zusammen mit Fianna Fáil gerade zu einer Zeit, als doch jeder die beginnende Wirtschaftskrise am Horizont aufgehen sah, die Regierungskoalition eingegangen?"

Die Grünen waren nur eine winzige Partei ohne Einfluß, und sie verpflichteten sich im Grunde einem lächerlichen Regierungsprogramm, von dem sie selbst nichts hatten außer ein paar Ministerposten und einige Vergünstigungen. Und man fragt sich zwangsläufig: "Warum ließen sich die Grünen darauf ein?" Ich glaube das hatte mehr als alles andere mit dem bevorstehenden Referendum für den Folgevertrag zur gescheiterten EU-Verfassung zu tun. Als ich die Notre-Europe-Forschungsergebnisse durchsah, war das wichtigste für mich daran, daß man herausgefunden hatte, daß einer der Pluspunkte für die Nein-Fraktion sei, daß die Grünen den Nizza-Vertrag ablehnten. Der Bericht besagte, daß die Grünen als ehrliche und vertrauenswürdige Leute eingeschätzt würden, die einen nicht im Stich ließen. Von daher waren sie eine glaubwürdige Unterstützung der Nein-Fraktion. Andererseits wurde Sinn Féins Präsenz auf der Nein-Seite aufgrund ihres historischen Ballasts, was den Norden und die IRA betrifft, als Pluspunkt für die Ja-Fraktion gewertet. Man mußte also nur noch Sinn Féins Nein-Standpunkt betonen und schon würden haufenweise Wähler aus dem Süden in das Ja-Lager wandern. Aber die Grünen waren ein Problem, weil man sie für ehrlich hielt, weil sie Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit besaßen.

SB: Aber sie waren natürlich nie an der Regierung beteiligt.

PM: Richtig. Deshalb denke ich, daß einer der Gründe, warum Fianna Fáil die Grünen nach der letzten Wahl im Mai 2007 in die Regierung holte, wohl der Versuch war, sie in das Ja-Lager zu ziehen. Und wie zu bemerken ist, befanden sich zur Zeit der ersten Abstimmung zum Lissabon-Vertrag die Parteiführung mit ihren Repräsentanten im Dáil und im Seanad [Senat] sowie der Geschäftsleitung geschlossen auf der Ja-Seite.

SB: Obgleich die Partei sich selbst nicht auf eine offizielle Linie einigen konnte.

PM: Das ist richtig. Ich war zu der Zeit noch Mitglied und eine von denen, die darauf drängten, daß die Partei nicht das Ja-Votum unterstützt. Als es zur parteiinternen Abstimmung kam, erhielt die Führung nicht ausreichend Unterstützung für den Ja-Standpunkt, weshalb man man eine neutrale Position einnehmen mußte. Alle Parteimitglieder konnten so wählen, wie sie es für richtig hielten. Aber die Führungspersonen innerhalb der Partei rührten alle die Werbetrommel für eine Zustimmung - als Privatpersonen, wie sie betonten. Ich glaube, daß schon während der Verhandlungen im Mai und Juni 2007, die zur Bildung einer gemeinsamen Regierung von Fianna Fáil und Grünen führten, hinter den Kulissen Pläne für einen Vertrag diskutiert wurden, der die EU-Verfassung, die in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert war, ersetzten sollte. Keine Partei hätte zu der Zeit Koalitionsverhandlungen geführt, ohne diesen Punkt zu diskutieren, zumal schon klar war, daß es einen neuen Ratifizierungsprozeß geben würde, und damit ein Referendum in Irland.

Also hinter den Kulissen gab es meiner Ansicht nach ein stilles Übereinkommen: die Grüne Parteiführung würde die Partei dazu bringen, sich auf die Ja-Seite für den neuen EU-Vertrag zu stellen, um diesen für die Wähler attraktiver zu machen. Und daher kam auch plötzlich der ganze Wirbel, der um den Klimawandel gemacht wurde. Ich meine, es war ganz offensichtlich ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Strategie, ein paar Zusatzbemerkungen zum Klimawandel in den Lissabon-Vertrag einfließen zu lassen. Sie haben natürlich überhaupt keine Bedeutung, aber die Grünen beziehen sich darauf, um die Vorstellung zu wecken, Lissabon würde gegen den Klimawandel und seine Folgen helfen. Der Klimawandel wird tatsächlich von der Grünen Parteiführung als einer der Hauptgründe angeführt, warum sie den Lissabon-Vertrag unterstützen. Allerdings ist die Formulierung, die im Vertrag zum Klimawandel steht, ein Witz. Im Kern heißt es da, daß die Europäische Union weiterhin den Klimawandel auf der internationalen Ebene thematisieren wird. Na und? Wird, falls es dem EU-Establishment nicht gelingt, Lissabon durchzusetzen, Brüssel plötzlich damit aufhören, "den Klimawandel auf der internationalen Ebene zu thematisieren"?

Fairerweise müssen wir anerkennen, daß die EU im Vergleich zu den Vereinigten Staaten in Bezug auf den Klimawandel besser abschneidet, aber sie werden nicht plötzlich damit aufhören, und es gibt auch keine neuen Klauseln in dem Vertrag, die der EU mehr Einfluß in Sachen Umwelt zugestehen. Wenn überhaupt, dann schreibt Lissabon den Grundsatz fest, daß jede Umweltmaßnahme mit den Interessen des Markts übereinstimmen oder diesen untergeordnet werden muß. Also gibt es hier nichts Neues. Was ich allerdings für eine interessante Entwicklung halte, ist, daß die Glaubwürdigkeit der Grünen nach zwei Jahren Regierung an der Seite von Fianna Fáil nicht mehr das ist, was sie einmal war. Sie sind nicht länger ein Pluspunkt für das Ja-Lager, meine ich. Deshalb habe ich, als die Grünen vor zwei Tagen das Ergebnis ihrer Parteiabstimmung zugunsten der Ja-Kampagne bekanntgaben, die Erklärung herausgebracht, dies sei ein Pluspunkt für die Nein-Fraktion.

SB: Interessanterweise erwähnte Ihre Konkurrentin bei den letzten Europawahlen, Deirdre de Búrca, auf dem gleichen Sonderparteitag der Grünen zu ihrer offiziellen Position in Bezug auf den Lissabon-Vertrag, die "Energiesicherheit" als etwas, das ein erneuertes Europa nach einem erfolgreichem irischen Ja-Votum in Angriff nehmen könne. Das ist genaugenommen eine Aufforderung zur Militarisierung. Denn es ist nicht etwa das Corrib-Ölvorkommen vor der Küste von Mayo, wo Shell gerade arbeitet, das man zu "sichern" gedenkt.

PM: Natürlich nicht. Wenn man sich einmal die Diskussionsberichte und Strategiepapiere ansieht, die von der Europäischen Union in den letzten Jahren zum Thema Energie- und Ressourcensicherheit herausgegeben wurden, dann ist die gesamte Thematik eng mit Militarisierung verknüpft.

SB: Worauf ich hinaus will ist, daß wenn jemand wie Deirdre de Búrca offen und in Verbindung mit dem Lissabon-Vertrag von "Energiesicherheit" spricht, gibt sie eigentlich schon zu, daß Militarisierung Bestandteil der Agenda ist.

PM: Ich stimme dem zu. Für mich ist Deirdre de Búrca in EU-Angelegenheiten nicht glaubwürdig, weil sie sich von einer Gegnerin der EU-Verfassung, als sie noch einen kritischen Standpunkt vertrat und noch nicht von Bertie Ahern zur Senatorin ernannt worden war, zu einer Befürworterin des Lissabon-Vertrags gewandelt hat. Kurz vor der internen Abstimmung der Grünen hat sie einen Meinungsbeitrag in der Irish Times veröffentlicht, in dem sie Argumente wie nachhaltige Entwicklung und dergleichen anführte, um ihre Parteikollegen dazu aufzurufen, in der Frage des Lissabon-Vertrags die Ja-Seite zu unterstützen. Aber ich habe direkte Aussagen von ihr zur EU-Verfassung, in denen sie selbst zum Ausdruck bringt, daß all das Gerede über nachhaltige Entwicklung nichts als politische Rhetorik ist, um die Sache durchzudrücken. Jetzt benutzt sie die gleichen Argumente, die sie vorher als nicht überzeugend zurückgewiesen hat. Das stellt sie also auf sehr wacklige Füße. In meinen Augen war ihr verräterischstes Argument, daß sie meinte, ich solle mich auf meine politische Karriere konzentrieren. Das sagt alles.

Patricia McKenna

SB: Nach dem Motto, wenn man sich nicht auf seine politische Karriere konzentriert, ist man ein fanatischer Idealist ohne Realitätssinn.

PM: Genau. Als ob die eigene Karriere alles sein sollte, um das Politik sich dreht. Für mich war das nie der Grund für mein politisches Engagement. Der Karriereaspekt kam mehr zufällig, wenn überhaupt. Ich hatte sehr viel Glück, zweimal in das Europäische Parlament gewählt zu werden. Es war eine große Plattform, von der aus man alle Themen voranbringen konnte, für die man auf der Straße so viele Jahre gekämpft hatte.

SB: Und man kann ein wenig hinter den politischen Vorhang blicken, nehme ich an.

PM: Ja, solange man nicht dem Establishment klein beigibt. Aber die Vorstellung, daß Politik nur eine Frage der eigenen Karriere ist, ist das größte Problem, das wir in diesem Land haben. Politik wird hier von Leuten dominiert, die sie lediglich als Sprungbrett für eine Karriere sehen.

SB: Ich glaube nicht, daß das Problem auf Irland beschränkt ist.

PM: Da haben Sie recht. Das gibt es überall. Deshalb sind die Menschen so enttäuscht vom politischen System und von den Politikern, die sie repräsentieren.

SB: Zu der Frage, wie breit die Basis des People's Movement oder der Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag ist oder nicht: Eines der Argumente der Ja-Seite, mit dem sie erklären, warum Sie das erste Lissabon-Referendum verloren haben, lautet, daß viele Menschen mit Nein gestimmt haben, weil sie meinten, man habe sie gebeten, über etwas abzustimmen, das sie nicht verstehen konnten oder das zu kompliziert zu lesen war. Was meinen Sie angesichts dieser Behauptung? Zu welchem Grad gründete sich das Nein auf Wissen oder auf Unwissenheit, wenn Sie so wollen - mangels einer besseren Beschreibung?

PM: Nun, die Unterstellung, die dieser Erklärung zugrundeliegt, ist recht verräterisch. Im Verlauf der Kampagne habe ich den deutlichen Eindruck gewonnen, daß es viel mehr Menschen auf der Nein-Seite als auf der Ja-Seite gab, die wußten, worüber sie abstimmten und warum sie so abstimmten, wie sie es taten. Das ist der Grund dafür, warum das Establishment das Nationale Forum über Europa und jedes andere Forum für eine ausgewogene Debatte dicht gemacht hat, weil die Nein-Seite in der Lage war zu demonstrieren, daß sie besser als die Ja-Seite wußte, worüber sie sprach. Und der Grund dafür war, daß die Aktivisten auf der Nein-Seite Mitglieder von Freiwilligenorganisationen waren, die den Lissabon-Vertrag und die Verträge, die er ergänzt, auf sich gestellt studieren mußten. Im Verlauf dieses Studiums haben sie das Wissen darüber erworben, was die unterschiedlichen Artikel im Lissabon-Vertrag beinhalten, wie sie die bestehenden Verträge beeinflussen und welche Konsequenzen das hätte.

Die meisten Menschen auf der Ja-Seite schienen es nicht für nötig zu halten, den Vertrag gründlich zu prüfen. Irlands eigener EU-Kommissar Charlie McCreevy hat ein klassisches Eigentor geschossen, als er kurz vor dem Referendum erklärte, daß er sich nicht damit abgeben könne, ihn zu lesen, und daß auch kein "gewöhnlicher Wähler" damit belästigt werden sollte. Ich glaube, sie waren allzu zuversichtlich, weil sie das ganze politische System und die Parteivorsitzenden, die den Wählern erzählten, warum sie mit Ja stimmen müßten, hinter sich wähnten und sind deshalb davon ausgegangen, daß sie nichts weiter zu tun hätten als rauszugehen und das gleiche von sich zu geben. Was bedeutete, daß sie keine Ahnung hatten, wovon sie sprachen, als wir mit ihnen diskutierten - sei es im Fernsehen, im Radio oder wo auch immer. Sie sind mit nichtssagenden Erklärungen hervorgetreten, wie gut Europa zu uns gewesen sei, und wie wir ohne es nicht überleben könnten. Das ist es nicht, worum sich der Lissabon-Vertrag dreht, aber das ist die Art und Weise, wie sie heute wie damals versuchen, ihn darzustellen: Daß jeder auf der Nein-Seite anti-europäisch eingestellt ist; daß sich die Frage darum dreht, in Europa oder draußen zu sein; und daß wir, wenn wir Lissabon ablehnen, nicht mehr "im Zentrum von Europa" sein werden.

Es gibt noch einen anderen interessanten Aspekt in dieser Frage. Wenn man nach einem Referendum eine Untersuchung macht und die Wähler fragt, warum sie mit Ja oder warum sie mit Nein gestimmt haben, wird man immer darauf kommen, daß es Menschen gab, die nicht wußten, worüber sie abstimmen. Wenn man die fragt, die mit Nein gestimmt haben, ob sie das getan haben, weil sie sich Sorgen wegen des Militarismus machten oder weil sie den Vertrag nicht verstehen, werden natürlich einige Leute zugeben, daß es letzterer Grund war. Aber wenn man die fragt, die mit Ja gestimmt haben, ob sie es für größeren wirtschaftlichen Einfluß getan haben oder weil sie ihn nicht verstanden haben, wird niemand je zugeben, für etwas gestimmt zu haben, das er nicht verstanden hat.

SB: Also diese ganze Sache, daß die Menschen gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt haben, weil sie ihn nicht richtig verstanden haben, ist Teil der Wendung, welche die Ja-Seite und das Establishment ihrer Niederlage geben.

PM: Ja, ganz genau. Es ist ein Versuch, die Idee in den Menschen festzuschweißen, daß sie mit Nein gestimmt haben, weil sie den Vertrag nicht richtig verstanden haben, mit der versteckten Andeutung, daß sie ihn das nächste Mal besser verstehen werden und dann mit Ja stimmen.

SB: Man geht wieder mit dem Argument hausieren, auf das Sie gerade verwiesen haben, daß die Iren "ins Zentrum" der EU gelangen oder dort bleiben und sich nicht vom Hauptland Europa abtrennen wollen, verstärkt diesmal durch den Verweis auf die katastrophale wirtschaftliche Lage.

PM: Das überrascht wenig, weil es keine Veränderungen an dem Vertrag gegeben hat. Er ist genauso wie er war. Peter Sutherland hat in einem bemerkenswerten Kommentar im Radio verlauten lassen, die irische Regierung habe Garantien in Form von Protokollen erhalten. Das hat sie nicht.

SB: Was meinen Sie damit, wenn Sie das sagen? Wollen Sie damit sagen, daß die jüngsten Erklärungen der EU-Regierungschefs nicht rechtsgültig sind?

PM: Erklärungen haben nicht den gleichen rechtlichen Status wie der Vertrag. Sie müssen nicht ratifiziert werden, wie es bei dem Vertrag der Fall ist. Das einzige, das den gleichen Rechtsstatus hätte, wie der Vertrag, wäre ein Protokoll.

SB: Erhalten sie denn nicht Protokoll-Status, wenn sie an den nächsten Beitrittsvertrag angehängt werden?

PM: So ist es geplant, aber zu dem Zeitpunkt wird der Lissabon-Vertrag bereits in Kraft sein. Und die Begleiterscheinung eines solchen internationalen Vertrages ist, daß man seine rechtlichen Festlegungen nicht ändern kann, wenn er einmal in Kraft getreten ist. Die juristischen Erklärungen der Staatschefs sind ein Manöver. Sie sind nichts als Verlautbarungen über das, was der Lissabon-Vertrag nach Meinung der Regierungschefs aussagt. Aber niemand, weder die Regierungschefs, noch irgendein anderer Politiker hat die Funktion, den Vertrag zu interpretieren. Die einzige Instanz, die das kann, ist der Europäische Gerichtshof. Seine Interpretation des Vertrags ist letztgültig. Während also die politischen Regierungsführer gegenüber Dublin diese feierlichen Erklärungen abgeben, um eine Zustimmung im zweiten Lissabon-Referendum Irlands zu fördern, kann die Zeit kommen, in der jemand vor dem Europäischen Gerichtshof klagt, ihn bittet, bestimmte Aspekte des Vertrages zu interpretieren und der dann beschließt, daß der eigentliche Text etwas völlig anderes bedeutet.

SB: Aber das könnte auf jeden Abschnitt des Vertrages zutreffen, oder?

PM: Das ist wahr. Aber was ich meine, ist, daß die Erklärungen nur wenige kleine Fragen tangieren. Sie beziehen sich nicht auf all die ganzen wichtigen Fragen bezüglich des Lissabon-Vertrages. Aber ob sie das tun oder nicht, es macht überhaupt keinen Unterschied, weil sie auch nicht den geringsten Teil des Lissabon-Vertrages verändern. Der einzige Weg, das zu tun, wäre, wenn sie als Protokoll an den Vertrag angehängt würden, bevor er in Kraft tritt. Der Vergleich der aktuellen Situation mit dem was geschah, nachdem Dänemark 1992 mit Nein zu Maastricht gestimmt hatte, ist beispielhaft. In der Folge wurde es Dänemark gestattet, aus vier Politikbereichen des Maastricht-Vertrages auszusteigen, was es der dänischen Regierung ermöglichte, 1993 beim zweiten Mal die Zustimmung der Wähler zu erlangen. Genau das hat die irische Regierung, angeführt von Brian Cowen, nicht getan. Irland steigt aus keiner der Bestimmungen des Lissabon-Vertrages aus. Im Gegensatz dazu ist Dänemark im Vertrag von Maastricht bezüglich des Euro und der militärischen Implikationen ausgeschert, weshalb es noch immer seine eigene Währung hat und als einziges EU-Mitglied nicht an der Europäischen Verteidigungsagentur beteiligt ist.

SB: Worüber die dänische Bevölkerung also abgestimmt hat, war ein speziell auf Dänemark zugeschnittener, geänderter Maastricht-Vertrag.

PM: Genau. Sie haben über Maastricht abgestimmt, jedoch über alle seine Aspekte, ohne den Euro und ohne die Verteidigungsaspekte. Sie können in diesen Punkten später beitreten, wenn sie das wollen, vorausgesetzt, die Regierung erhält in einem Referendum die Mehrheit für einen solchen Schritt.

SB: Und der Unterschied zu Irland ist jetzt?

PM: Wenn die Iren beim zweiten Mal mit Ja stimmen, akzeptieren sie den Lissabon-Vertrag als ganzes, ohne aus irgendeinem Punkt auszusteigen. Die Unterstellung von Seiten Dublins und der anderen EU-Regierungen, daß man ein Protokoll aufsetzen kann, das mit dem nächsten Beitrittsvertrag in drei, vier oder wievielen Jahren auch immer in Kraft tritt, und das es Irland erlaubt, sich aus Verpflichtungen durch einen Vertrag zurückzuziehen, der bereits in die irische Verfassung festgeschrieben wurde, ist Unsinn. Es ist rechtlich nicht möglich. Wenn sie etwas wollten, das den gleichen rechtlichen Status hat wie der Vertrag, müßte es jetzt als Protokoll angehängt werden.

Es gibt also keine Veränderungen an dem Vertrag. Das einzige, was anders ist als beim letzten Referendum, ist, daß die Regierungschefs übereingekommen sind, daß weiterhin jedes Land einen Vertreter in der Europäischen Kommission haben wird. Aber das hat nichts mit dem Lissabon-Vertrag an sich zu tun. Der Hauptunterschied zum letzten Jahr ist die wirtschaftliche Lage. Die Ja-Seite benutzt die aktuelle Wirtschaftskrise als Angstmacher. Die Arbeitslosigkeit in Irland steigt zur Zeit sprunghaft, Unternehmen machen dicht, und die Menschen sind natürlich sehr in Sorge. Also versucht die Ja-Seite im Grunde, die Wähler so zu ängstigen, daß sie den Lissabon-Vertrag akzeptieren, indem sie behauptet, daß wir noch schlimmer dran wären, wenn wir "raus aus Europa" wären. Aber Lissabon dreht sich überhaupt nicht darum, "in Europa" oder "raus aus Europa" zu sein. Darüber hinaus versucht sie den Eindruck zu vermitteln, daß die aktuelle Wirtschaftskrise in Irland etwas damit zu tun hat, daß wir Lissabon im letzten Jahr abgelehnt haben. Aber jeder ehrliche Mensch würde eingestehen müssen, daß die wirtschaftlichen Probleme, in denen wir uns jetzt befinden, nichts mit Lissabon zu tun haben. Sie waren unvermeidlich, gleich, ob wir Ja oder Nein zu Lissabon gesagt hätten. Wie glauben Sie, hätte das politische Establishment reagiert, wenn Irland im letzten Jahr mit Ja zu Lissabon gestimmt hätte und wenn die Nein-Seite jetzt behaupten würde, daß das Ergebnis des Referendums die Ursache für das aktuelle wirtschaftliche Desaster ist? Man würde uns auslachen. Das zeigt einfach, welcher Art das Argument ist: völlig unehrlich.

Aber welchen Unterschied macht ein Ja oder ein Nein zu Lissabon im Verhältnis zur Wirtschaftskrise? Nun, ich denke, es macht einen großen Unterschied. Der Lissabon-Vertrag, dem wir beipflichten sollen, legt die Art neoliberaler Wirtschaftspolitik fest, die erst die aktuelle Krise hervorgerufen hat. Und noch etwas anderes, das die Iren meiner Meinung nach mitbedenken müssen, ist, daß die anderen Länder in Europa sich wahrscheinlich wirtschaftlich viel schneller erholen werden. Wo stehen wir dann? Als Mitglied der Eurozone wird uns von der Europäischen Zentralbank diktiert, wie wir mit unserer Wirtschaftskrise umzugehen haben, und wenn die anderen Länder sich vor uns auf dem Weg der Besserung befinden, könnte es sein, daß die Geldpolitik, die in Frankfurt festgelegt wird, nicht unbedingt in unserem Interesse liegt.

SB: Was Sie hier sagen, gleicht der Annahme, daß ein Teil der Inflationsblase des irischen Banken- und Bausektors in den letzten Jahren aus der Tatsache rührt, daß die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank für irische Verhältnisse zu hoch waren und daß, hätte Irland noch seine eigene Währung, der Punt, die Zentralbank in Dublin, in der Lage gewesen wäre, korrigierend einzugreifen - durch die Erhöhung der Zinsen zum Beispiel.

PM: Also, nachdem wir die Kontrolle über die zwei wichtigsten Wirtschaftsinstrumente verloren hatten, die Leitzinsen und den Wechselkurs, verfügten wir über nicht gerade viele Mechanismen, mit der Inflationsblase fertigzuwerden. War es also für Irland eine gute Idee, der Eurozone beizutreten und die wirtschaftliche Kontrolle einer Europäischen Zentralbank zu überlassen, die im wesentlichen die Interessen von großen Ländern wie Deutschland und Frankreich im Sinne hat? Ich weiß es nicht; aber ich bin eben auch keine Wirtschaftswissenschaftlerin.

Patricia McKenna

Lange bevor das alles geschehen ist und bevor die osteuropäischen Staaten der EU beigetreten sind, bin ich in einige dieser Länder gereist, um über meine Erfahrungen im Europäischen Parlament und über meine Kritik an der EU und der von ihr eingeschlagenen Richtung usw. zu berichten. Gleichzeitig erhielten dieselben Länder Besuch von den EU-Regierungschefs, von Kommissionsmitgliedern und Mitgliedern der irischen Regierung, und man erzählte ihnen: "Sehen Sie sich nur den wirtschaftlichen Erfolg Irlands an, das kommt alles von der Mitgliedschaft in der EU", um sie zum Beitritt zu motivieren. Darüber, ob das irische Wirtschaftswunder allein das Ergebnis der EU-Mitgliedschaft war oder nicht, kann man streiten. Aber was man jetzt ganz sicher niemanden sagen hört, ist, daß die EU der Grund für Irlands Wirtschaftskrise ist. (lacht)

SB: Das Verdienst dafür rechnen sie sich nicht zu. (lacht)

PM: Sie rechnen es sich zu, wenn es ihnen paßt, und schauen woanders hin, wenn nicht. Um fair zu sein: Ich glaube nicht, daß die Schuld für die irische Wirtschaftskrise allein bei der EU liegt. Ich denke, daß die größte Verantwortung dafür bei unseren schwachsinnigen Politikern zu suchen ist und bei ihren Freunden im Banken- und Bausektor.

SB: Da habe ich keinen Einwand. Zu einem anderen Thema: Libertas [neoliberale irische Bürgerinitiative] soll im letzten Jahr eine wichtige Rolle in der Nein-Kampagne gespielt haben. Ihr Vorsitzender, Declan Ganley, hat, nach seinem kürzlich mißlungenen Versuch, sich ins EU-Parlament wählen zu lassen, gesagt, daß er an der diesjährigen Kampagne nicht teilnehmen will. Und wir wissen nicht, ob sich Libertas überhaupt beteiligen wird. Betrachten Sie das als einen Schlag für die Nein-Kampagne? Wie wichtig, meinen Sie, war die Rolle von Libertas eigentlich im letzten Jahr oder ist sie von den Medien überbewertet worden?

PM: Es besteht kein Zweifel daran, daß Libertas bei der Entstehung des abschlägigen Votums eine wichtige Rolle gespielt hat. Es war das erste Mal, daß man erfolgreiche Geschäftsleute in Irland zu sehen bekam, die gegenüber der EU eine skeptische Haltung einnahmen. Also hatte das ganz sicher seine Wirkung. Aber ich frage mich des öfteren, warum die Medien ihren Einfluß beim Zustandekommen des Nein so übertrieben haben. Ich meine, hätten wir die Ablehnung ohne sie erreicht? Ich weiß es nicht. Ich glaube, daß ihr Einfluß übertrieben worden ist, denn wenn man sich die Abstimmungsmuster einmal ansieht, hat man in den Gegenden der Arbeiterklasse am deutlichsten für die Nein-Seite gestimmt, wo, ehrlich gesagt, Libertas wohl nicht soviel Einfluß hat. Die Schlüsselthemen waren hier, den Untersuchungen zufolge, die man angestellt hat, Arbeiterrechte und Militarisierung; beide standen nicht im Mittelpunkt der Libertas-Argumente. Ihr großes Thema war die Beibehaltung der niedrigen Unternehmenssteuer in Irland. Bemerkenswert war allerdings das Ausmaß, in dem die Ja-Seite ununterbrochen auf der Finanzierungsquelle von Libertas herumritt und unterstellte, sie sei ein Trojanisches Pferd neokonservativer Elemente in den USA.

SB: Cohn-Bendit hat sich sogar eingemischt und im Europäischen Parlament angedeutet, daß Ganley ein Büttel der CIA sei.

PM: Bemerkenswert an der ganzen Berichterstattung war, daß Leute wie Peter Sutherland, die Ganleys Geschäftskontakte mit dem Pentagon und seine finanzielle Integrität infrage stellten, ein wesentlicher Teil des gleichen Systems sind. Die größten Heuchler waren natürlich Fianna Fáil, als sie vortraten und Ganley kritisierten, weil er nicht offenlegte, woher das Geld für Libertas kam. Nur wenige Jahre zuvor hatte Fianna Fáil noch finanzielle Zuwendungen von Ganley in ihrem berühmt-berüchtigten Zelt bei den Galway Races [alljährliches, wochenlanges Pferderennentournier mit Volksfestcharakter in Galway] entgegengenommen. Und Sie können sicher sein, daß Bertie Ahern und der Rest der Bande Ganley, als er Fianna Fáil finanziell unter die Arme griff, nicht gefragt haben, wo das Geld herkam oder sich gar weigerten, es zu nehmen, weil er ein skrupelloser Geschäftsmann sein könnte.

Eine weitere unfaire Taktik der Ja-Seite im letzten Jahr, auf die sie in diesem wahrscheinlich wieder zurückgreifen werden, bestand in dem Versuch, die Nein-Seite durch Zuordnungen in Verruf zu bringen. Ende 2007 zum Beispiel, bevor die Kampagne auch nur ernstlich angelaufen war, gab es diese riesige Schlagzeile auf der ersten Seite der Irish Times: "Le Pen kommt nach Irland, um für ein Nein zu werben!" Und ich erinnere mich, daß ich dachte: "Mein Gott, das ist verdammt nochmal genau das, was wir nicht brauchen können." Also habe ich den Artikel gelesen, und während ich ihn so von oben nach unten durchging, merkte ich, daß Jean Marie Le Pen nie gesagt hatte, daß er nach Irland kommen würde, um für ein Nein zu werben. Es war eher so, daß ein Journalist der Irish Times den ganzen Weg nach Frankreich auf sich genommen und ein Interview mit ihm geführt hatte, in dessen Verlauf er die Frage stellte: "Herr Le Pen, würden Sie nach Irland kommen, um für ein Nein zu werben?"

So war es im Grunde der Irish Times-Journalist, der ihn einlud. Interessanterweise antwortete er, daß man ihn nicht darum gebeten habe. Dieser Antwort folgte die Frage, ob er es denn in Betracht ziehen würde, wenn er gefragt würde. Woraufhin er antwortete, daß er das würde - oder so etwas ähnliches. Wie auch immer, wir von der Nein-Seite haben sofort eine Erklärung abgegeben, daß wir nicht wollten, daß Le Pen kommt, um für uns zu werben. Trotzdem kam kurz danach, im Januar 2008 die Ankündigung, daß er von der Rechtsgesellschaft des University College Dublin eingeladen worden sei, an einer öffentlichen Diskussion im März oder April über den Lissabon-Vertrag teilzunehmen. Das war ein klassisches Beispiel dafür, wie die Ja-Seite beschlossen hat, wer für sie die Nein-Seite repräsentieren soll. Am Ende ist er nicht nach Irland gekommen. Aber das lag nicht an mangelnden Versuchen der Ja-Seite. Sie hätten es liebend gern gesehen, daß er kommt, um die Nein-Kampagne mit der Aussage, daß das die Art von Mensch sei, die uns unterstützt, völlig niederzumachen.

SB: Aber auch noch nach der Abstimmung haben sie versucht, die Nein-Seite zu diskreditieren, indem sie behaupteten, daß das starke Ergebnis in den Arbeitergebieten gegen den Lissabon-Vertrag durch Fremdenfeindlichkeit und Abneigung gegen Immigranten motiviert war.

PM: Ja, diese Behauptung hat es gegeben. Aber wenn man sich die Studien und die gründlichen Untersuchungen ansieht, die gemacht wurden, taucht Fremdenfeindlichkeit als Thema gar nicht auf. Die Sorgen der Menschen bezogen sich im wesentlichen auf die Rechte der Werktätigen, Militarisierung und Neutralität, gepaart mit der Befürchtung, daß zuviel Macht von Dublin nach Brüssel übertragen würde. Ob nun dieselbe Art Taktik von der Ja-Seite erwartet werden kann - ich habe kürzlich eine sarkastische SMS von einem Mitglied der Grünen bekommen, die der Nein-Seite wünscht, daß Nick Griffin von der einwandererfeindlichen British National Party (BNP) Irland besucht, um gegen den Lissabon-Vertrag ins Feld zu ziehen.

SB: Bei den jüngsten EU-Wahlen in Irland, die am gleichen Tag stattfanden wie zwei Nachwahlen und Regionalwahlen im ganzen Land, hat die Linke sehr gut abgeschnitten, besonders in den Arbeitergebieten. Glauben Sie aus dem Grund, daß Sie im Oktober immer noch ein gutes, starkes Nein in den Arbeitergegenden erreichen werden?

PM: Ich hoffe es ganz sicher. Ich bin immer pessimistisch. Beim letzten Mal habe ich eigentlich nicht wirklich gedacht, daß wir gewinnen würden, und wissen Sie, das gleiche Gefühl habe ich dieses Mal, aber ich werde trotzdem dafür kämpfen. Als wir letztes Jahr gewonnen haben, war ich völlig platt. Ich fand es fantastisch, ganz besonders, weil wir uns gegen das ganze Establishment gestellt haben und die meisten Leute gesagt hätten, daß wir nicht die geringste Chance haben. Auch wenn es diesmal viel härter werden wird, gibt es noch immer Gründe, optimistisch zu sein. Wenn man sich das Ergebnis der Abstimmung auf dem jüngsten Parteitag der Grünen ansieht, war die Spaltung zwischen den Ja- und den Nein-Stimmen unter den Parteimitgliedern nicht soviel anders als vor dem ersten Lissabon-Referendum. Gut, die Führung hat also das bekommen, was sie wollte, eine Zweidrittelmehrheit dafür, zu einem Ja aufzurufen, aber letztes Mal wollten sie geltend machen, daß sie das Ergebnis ganz knapp um ein paar Mitglieder verpaßt haben. Die Stimmung unter den Grünen Mitgliedern hat sich nicht so sehr verändert, und ich frage mich, ob das ein Anzeichen ist für die Stimmung der irischen Öffentlichkeit selbst, entgegen allen Einschüchterungstaktiken und der aktuellen Propaganda, daß der Sieg der Ja-Seite eine bereits feststehende Angelegenheit ist.

Die Kernherausforderung für die Nein-Seite ist, aufzuzeigen wie unglaubwürdig das Argument ist, daß Irland, wenn es Lissabon noch einmal zurückweist, zu einem EU-Mitgliedsstaat zweiter Klasse wird, oder daß sein Status innerhalb der EU sich verschlechtert, was eine abträgliche Wirkung auf unsere Wirtschaft und die Binneninvestitionen hätte. Diese Vorstellungen sind ein Haufen Unsinn. Sehen Sie sich die Briten an, die als die euro-skeptischsten Bürger der EU gelten. Es scheint ihnen keine Probleme zu machen, was die Binneninvestitionen betrifft. Darüber hinaus müssen wir den Menschen in ganz Irland die Botschaft übermitteln, daß sie damit nicht allein sind und daß der Lissabon-Vertrag, gäbe es in anderen EU-Ländern wie Frankreich oder Deutschland ein Referendum, höchstwahrscheinlich auch dort von den Wählern abgelehnt würde. Der Grund liegt darin, daß Europa in eine Richtung gezwungen wird, zu der die gewöhnlichen Menschen keine Verbindung haben, keinen Kontakt, keine Affinität, während man ihnen zur gleichen Zeit jegliches Mitspracherecht in dem Prozeß verweigert.

Ich weise also die Anschuldigung ganz direkt zurück, daß wir, die seit Jahren für ein demokratischeres, offeneres, transparenteres und weniger militarisiertes Europa mit mehr Rechten für die arbeitende Bevölkerung und mehr Umweltschutz kämpfen, anti-europäisch sind. Es sind die Eliten, die sich verschlossen haben und jede Gelegenheit ausschließen, das Demokratiedefizit in Europa zu korrigieren, die anti-europäisch sind, weil sie Europa daran hindern, das zu sein, was es sein könnte: ein wirklich demokratisches Projekt. Das ist es, was wir den Menschen nahebringen müssen. Ich meine, dieser Vorwurf, daß vier Millionen Menschen 500 Millionen daran hindern, in die Richtung zu gehen, in die sie gehen wollen, ist total unaufrichtig. Herrgott nochmal, kein Mensch in der EU, außerhalb von Irland, ist nach seiner Meinung zum Lissabon-Vertrag gefragt worden; und würde man die Menschen fragen, würden die meisten von ihnen auch Nein sagen. Die Daniel Cohn-Bendits und Peter Sutherlands dieser Welt sind sich der Tatsache wohl bewußt, daß das, was sie tun, nicht zu rechtfertigen ist. Deshalb vernebeln sie die Sache. Und sie sind auch keine Demokraten. Sie mögen nicht, daß man das sagt, aber es entspricht der Wahrheit. Sie sind Demokraten, solange man mit ihnen einer Meinung ist, und sie sind liberal, solange man mit ihnen übereinstimmt. Aber sollte man in wichtigen Fragen eine andere Zielsetzung verfolgen, ist man völlig isoliert. Sein Standpunkt wird lächerlich gemacht und dämonisiert, deshalb auch ihr Versuch, die Anführer der Bewegung gegen Lissabon als politische Extremisten darzustellen, indem sie uns ständig mit Leuten wie Le Pen und Nick Griffin von der BNP vergleichen.

SB: Patricia McKenna, vielen Dank für das ausführliche Interview.

Die Ha'penny Bridge, ein Wahrzeichen von Dublin's Fair City

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19. August 2009