Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

EUROTREFF/011: Kunst, Lissabon und Freiheit - Was Robert Ballagh sagt (SB)


Kunst, Lissabon und Freiheit - Was Robert Ballagh sagt

Ein Gespräch mit Irlands Pop-Art-Ikone


Robert Ballagh ist einer der bekanntesten Künstler Irlands und mit Sicherheit der führende Vertreter der Pop-Art auf der grünen Insel. 1972 schockierte er mit der Installation "Bloody Sunday", die aus blutbeschmierten Umrißzeichnungen am Boden des Dubliner Project Arts Centre bestand und an die wenige Monate zuvor erfolgte Erschießung von dreizehn Teilnehmern einer Bürgerrechtsdemonstration im nordirischen Derry erinnerte. Ballagh, der Maler, Zeichner und Fotograf in einem ist, hat in den letzten Jahren für seine Bühnenbilder für Riverdance, Samuel Becketts "Endgame", Oscar Wildes "Salomé", seine mehr als 70 Briefmarken für die irische Post und die letzte Reihe irischer Banknoten vor der Einführung des Euro viel Lob erhalten.

Robert Ballagh ist auch ein Künstler, der stets für ein sozialgerechtes, friedliches Irland einschließlich einer Versöhnung zwischen Nord und Süd, zwischen Katholiken und Protestanten, und gegen Intoleranz, religiöse Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit eingetreten ist. Sein Festhalten an den Idealen der Gründungsväter der Irischen Republik hat ihm während der Jahre des Bürgerkrieges in Nordirland nicht wenige Feinde unter den Geschichtsrevisionisten beschert. Als Schirmherr der unparteiischen, basisdemokratischen People's Movement hat Ballagh letztes Jahr erfolgreich für ein Nein zum Lissabon-Vertrag geworben. Über den erneuten Kampf um Ja oder Nein zum besagten Abkommen und das Leben als politischer Querdenker sprach der Schattenblick mit Robert Ballagh am 28. Juli in seiner Wohnung, die zugleich Studio ist, im Dubliner Arbour Hill unweit des gleichnamigen Heldenfriedhofs.

Robert Ballagh

SB: Herr Ballagh, für einen Künstler haben Sie ein ziemlich bedeutendes politisches Profil. Woher kommt das?

RB: Ich glaube, meine frühesten politischen Regungen sind wahrscheinlich auf meinen Vater zurückzuführen. Mein Hintergrund ist ein wenig ungewöhnlich, denn meine Mutter war Katholikin und mein Vater Presbyterianer. Mir ist erst nach seinem Tod klargeworden, daß Katholiken und Protestanten - Presbyterianer ganz besonders - häufig eine verschiedene Weltsicht haben. Ich spreche jetzt nicht über die Variante des Presbyterianismus von Reverend Ian Paisley. Presbyterianer sind Menschen, die wirklich an die Zivilgesellschaft glauben. Und wenn sie nicht Unionisten sind, dann glauben sie an die Republik und vertreten republikanische Werte. Ich scheine diese Werte von meinem Vater osmotisch aufgesogen zu haben. Ich will Ihnen ein amüsantes, kleines Beispiel geben, das erklärt, was ich meine. Als ich ein kleines Kind war, ging er manchmal, an einem schönen Sonnabendnachmittag oder so, aus der Tür, und ich fragte dann: "Wo gehst du hin?" Und dann sagte er: "Ich gehe und sehe mir meine Bilder an." Und ich fragte dann: "Was? Wohin?". Woraufhin er wiederum antwortete: "Ich gehe in die Nationalgalerie, um mir meine Bilder anzusehen." Er war davon überzeugt, daß die nationale Kunstsammlung dem Volk gehört, genauso wie es mit den Parkanlagen der Fall ist. Sie gehörten niemand anderem. So hätte mein Vater auch nie Vandalismus geduldet oder daß man irgendwo Abfall hinwirft oder etwas derartiges.

SB: Bürgerwerte.

RB: Bürgerwerte, die, fürchte ich, in Irland unüblich sind. Er brachte auch immer seine Sorge über die Notlage der Schwachen, der Armen zum Ausdruck. Zu einem bestimmten Zeitpunkt - ich kann mich nicht genau erinnern, wann - konvertierte er zum Katholizismus, möglicherweise, um meine Mutter glücklich zu machen. Er war die Art Mensch, der in jeder Situation den Weg des geringsten Widerstandes ging. Gleichzeitig glaube ich nicht, daß er sich jemals wirklich auf die institutionalisierte katholische Kirche eingelassen hat. Das einzige am System, an dem er Freude zu haben schien, war die Saint Vincent de Paul-Gesellschaft, der er sich angeschlossen hat. Ich bin in Ballsbridge aufgewachsen, und, man glaube es oder nicht, in den 1950ern gab es dort Ortsteile mit ganz furchtbaren Behausungen und Schuppen. Ich erinnere mich im besonderen an einen Ort in der Pembroke Road, den er regelmäßig besuchte und wohin ich ihn gelegentlich begleitete. Heutzutage leben sehr wenige Menschen in der Pembroke Road; es gibt dort Geschäftsgebäude und alles mögliche. Aber damals waren es kleine, weißgetünchte Hütten mit Halbtüren. Und er ging dann hinein und händigte den Leuten Bezugsscheine für Kohle oder für was auch immer aus. Also, diese Hütten hatten tatsächlich noch einen Lehmfußboden. Das waren Behausungen, die eher ins 19. und 18. Jahrhundert als ins 20. gehörten. Also wissen Sie, einfach nur mit ihm über solche Dinge zu reden und wie unfair sie waren, das hat mir etwas eingegeben, das man eine politische Sicht oder einen Hang zum politischen Aktivismus nennen könnte. Meine Politik hat sich also immer um diese Art Fragen gedreht: zu versuchen zu helfen, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, mich für gleiche Rechte einzusetzen.

Die meisten Menschen in Irland, die politisch aktiv sind, interessieren sich für Politik in Zusammenhang mit Wahlen und Gewähltwerden und dafür, was es ihnen bringt. Ich bin nie auch nur entfernt daran interessiert gewesen. Mein Interesse war es, zu versuchen, etwas zur Verbesserung der Gesellschaft beizutragen. Wie das Schicksal es wollte, fiel ein großer Teil meines Erwachsenenlebens zeitlich mit dem Konflikt im Norden zusammen. Also habe ich mich auf einer sehr praktischen Ebene mit Fehlurteilen befaßt. Ich habe mich für die Freilassung der Birmingham Six und der Guildford Four eingesetzt und war in ähnlichen Fälle aktiv.

Als ich heiratete, mußte ich mir erstmal eine Arbeit beschaffen, die finanziell Sinn machte. Ich habe schließlich eine Stelle als technischer Zeichner bekommen, weil das die einzige Fähigkeit war, die ich vorweisen konnte, da ich eine kurze Zeit lang Architektur studiert hatte. Ich bin also in diese Ingenieursfirma eingetreten und hatte gerade angefangen, als einer der Jungs auf mich zukam und meinte: "Du wirst in die Gewerkschaft eintreten." Worauf ich antwortete: "Meinetwegen." Nach kurzer Zeit hatte man mich in das Gewerkschaftskomitee der Firma gewählt. Im Verlauf von neun Monaten kam es dann dort zu drei erbitterten Streiks. Dadurch habe ich auf einer sehr praktischen Ebene etwas über Arbeiterrechte und solche Dinge gelernt.

SB: Das hat nicht dazu geführt, daß Sie der Labour-Partei oder einer der kleineren linken Gruppierungen beigetreten sind?

RB: Nein. Ich glaube, es könnte meine Künstlermentalität gewesen sein, die mich daran gehindert hat, irgendeiner Partei beizutreten. Auf jeden Fall ist mir immer aufgestoßen, daß alle diese Leute in den Parteien, seien sie nun links, rechts oder mitte, allein damit beschäftigt waren, gewählt zu werden, und das übte auf mich überhaupt keine Anziehung aus. Mein Engagement war immer mit bestimmten Kampagnen zu bestimmten Fragen verbunden.

SB: Ihre Initiative, Feierlichkeiten zum 75jährigen Jubiläum des Aufstandes von 1916 zu organisieren, hat ein wenig Unruhe verursacht, weil Nationalismus und besonders der irische Republikanismus zum fraglichen Zeitpunkt im Süden Irlands tabu waren. Könnten Sie uns die Bedeutung erklären, die Sie dem Osteraufstand beimessen, und warum Sie es damals für wichtig gehalten haben, sich dafür stark zu machen, diese zu feiern?

RB: Ich versuche mal, diese Frage in zwei Teilen zu beantworten. Ich habe mich aufgrund meiner wachsenden Sorge über die Atmosphäre, die zu jener Zeit in der Republik vorherrschte, dafür eingesetzt. Der Konflikt im Norden dauerte an, und das Establishment im Süden schien zu meinen, man könne mit dieser Situation am besten fertig werden, indem man jede Sichtweise oder jeden Gedanken an den Rand drängte, der entweder als nationalistisch oder als republikanisch angesehen werden konnte - in Übereinstimmung mit der Linie von Margaret Thatcher, der Provisional IRA und ihrem politischen Arm Sinn Féin die lebenswichtige Medienöffentlichkeit wie die Luft zum Atmen zu versagen.

Zu der Zeit hatten wir in Irland die drakonischste Form der politischen Zensur in Europa. Der berüchtigte Abschnitt 31 des Rundfunkgesetzes besagte eigentlich nur, daß die Sprecher bestimmter genannter Organisationen, die natürlich Sinn Féin und die Provisional IRA mit umfaßten, im nationalen Radio oder Fernsehen nicht interviewt werden durften. Aber es wurde wesentlich mehr daraus, weil jeder oder alles, das einen nationalistischen oder republikanischen Anklang haben konnte, verboten wurde. Sogar die irische Sprache wurde als verdächtig betrachtet. Menschen, die Interesse an der irischen Sprache hatten, unterstellte man automatisch, sie seien Unterstützer der politischen Gewalt im Norden. Man hat alle möglichen Balladen und Rebellenlieder verboten, was bedeutete, daß große Teile des Repertoires der Clancy Brothers und der Dubliners nicht mehr im Radio gespielt werden konnten, weil man sie für zu republikanisch hielt. Die Sache wurde so ins Extrem getrieben, daß sogar die berühmte Aufnahme des Songs "Kevin Barry" von Paul Robeson aus dem irischen Radio verbannt wurde.

Meiner Meinung nach war das ziemlich wahnsinnig, kontraproduktiv und demoralisierend, weil es den Menschen in Irland ihr Erbe abstritt. Das Faß kam für mich zum Überlaufen, als ein Schauspieler, den ich damals kannte und der aus dem Norden stammte, für eine Rolle in einem Stück von RTÉ [irischer Staatssender] vorsprach und erfolglos blieb. Als er fragte, warum er die Rolle nicht bekommen hat, sagte die Person, die verantwortlich war für das Casting: "Wissen Sie, wir empfinden einen nördlichen Akzent als sehr bedrohlich." Also sagte ich: "Das geht viel weiter als Politik, hier ist ernsthafte kulturelle Zensur im Spiel."

Vier irische Briefmarken anläßlich des 50jährigen Jubiläums des Osteraufstands, die Robert Ballagh zu einem Gesamtbild zusammengelegt hat

Vier irische Briefmarken anläßlich des 50jährigen
Jubiläums des Osteraufstands, die Robert Ballagh
zu einem Gesamtbild zusammengelegt hat

Mir war klar, daß ich nur ein einzelner Mensch war, aber ich hatte das Gefühl, etwas dagegen tun zu müssen. Die erste Gelegenheit dazu bot sich Anfang 1990, als offensichtlich wurde, daß die Regierung nicht daran dachte, im darauffolgenden Jahr den 75. Jahrestag der Ostererhebung zu feiern. In der Liberty Hall wurde ein öffentliches Treffen für alle einberufen, die Interesse daran hatten, im Gedenken an den Aufstand zu feiern, und etwa 500 Leute kamen. Am Ende des Treffens suchte man nach Leuten, die ihre Namen für ein Komitee zur Verfügung stellten, und so habe ich mich gemeldet. Es wurde ein Komitee gewählt mit mir, zu meiner Überraschung, als Vorsitzendem.

Wir beschlossen, unsere eigene 1990er Gedenkfeier zur Erinnerung an den Aufstand zu organisieren, als eine Art Testlauf für das kommende Jahr, einfach nur um zu sehen, ob es ein öffentliches Interesse gab. Wir wußten, daß die Politiker und das Establishment kein Interesse daran hatten. Also haben wir ein paar bescheidene Dinge, zumeist in Dublin veranstaltet, unter anderem eine Ausstellung und eine Diskussionsveranstaltung, und waren sehr erfreut, daß unsere Bemühungen auf große öffentliche Resonanz stießen. Auf dieser Grundlage haben wir dann beschlossen, einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, im darauffolgenden Jahr eine Gedenkfeier für den Aufstand abzuhalten. Das Projekt, das wir "Reclaim the Spirit of Easter" ["Den Geist von Ostern wiederbeleben"] nannten, war ziemlich umfangreich, mit Veranstaltungen im ganzen Land, und endete im April mit einer großen Parade und einem Festspielereignis in Dublin, dessen Höhepunkt ein Open-Air-Schauspiel bildete, geschrieben und unter der Regie von Tomás Mac Anna, dem ehemaligen künstlerischen Direktor des Abbey Theatre, vor dem GPO [General Post Office - Hauptpostamt] in Dublins O'Connell Street.

SB: Tomás Mac Anna hatte die offiziellen Feierlichkeiten im Jahre 1966 geleitet.

RB: Das ist richtig. Unglücklicherweise konnten wir ihn nicht mit den gleichen finanziellen Mitteln ausstatten, wie es die Regierung 25 Jahre zuvor getan hatte. Aber trotzdem war es großartig. Viele Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Musiker haben uns unentgeltlich unterstützt, und ich hatte das Gefühl, daß wir dem Anlaß Ehre erwiesen haben - und das ungeachtet des nicht gerade geringen Widerstandes bestimmter Kreise besonders in den Medien. Ich wurde regelmäßig beschuldigt, ein Sympathisant der Provisional IRA zu sein und daß ich und das Komitee mit unserer Handlungsweise Terroristen Hilfe und Beistand leisteten. Diese ganzen Dinge gingen vor sich.

Trotzdem ist es uns gelungen, die Regierung so in Verlegenheit zu bringen, daß An Post [staatliche irische Post] eine Jubiläumsbriefmarke herausgegeben hat, was eigentlich nicht geplant gewesen war. Und dann beschloß die Regierung praktisch im letzten Moment - weil das, was wir organisierten, ein hohes Ansehen genoß und aufgrund des positiven Feedbacks, das wir von der breiten Öffentlichkeit bekamen -, etwas Offizielles im April am Ostersonntag in der O'Connell Street zu veranstalten. Es war eine sehr kurze Zeremonie. Ich bin hingegangen. Nach zehn Minuten war alles vorbei. Die damalige Präsidentin Mary Robinson und der damalige Taoiseach [Premierminister] Charlie Haughey waren dort zusammen mit den letzten überlebenden Teilnehmern des Aufstandes, die meiner Meinung nach sehr schlecht behandelt wurden.

Das Hauptpostamt GPO - Wahrzeichen Dublins wie auch steingewordenes Symbol des irischen Unabhängigkeitskampfes

Das Hauptpostamt GPO - Wahrzeichen Dublins wie auch steingewordenes
Symbol des irischen Unabhängigkeitskampfes

SB: Wirklich?

RB: Ja, bedauerlicherweise. Weil das Ereignis so hastig organisiert worden war, hatte die Regierung die letzten Überlebenden eingeladen, von denen es nur etwa ein halbes Dutzend gab, aber keine Vorkehrungen getroffen, wie sie dort hingelangen sollten - kein Angebot, einen Wagen zu schicken, um sie abzuholen oder dergleichen. Und bedenken Sie, diese Männer waren in ihren Neunzigern. Einer von ihnen schrieb in der Tat einen Brief an die Zeitung und sagte, er würde nicht daran teilnehmen, weil die geplante offizielle Gedenkfeier so armselig und unwürdig sei.

Wie auch immer, am Tag selbst waren nicht sehr viele Menschen bei der Regierungsveranstaltung - ein paar Tausend, würde ich sagen. Und auf der Verkehrsinsel in der Mitte der O'Connell Street, gegenüber vom GPO, haben sie ein paar Stühle für die Würdenträger und diese alten IRA-Veteranen aufgebaut. Die saßen also da. Ein junger Soldat trat vor die Säulen des GPO und hat die Unabhängigkeitserklärung verlesen, wie Pádraig Pearse das 1916 an genau dem gleichen Platz getan hatte. Dann wurde die Trikolore gehißt. Es wurde ein bißchen salutiert und der ganze Rest. Und das war es im Grunde.

Ganz furchtbar fand ich - da ich unter den Zuschauern war und ziemlich dicht dabeistand -, daß Mary Robinson, als sie aufstand und zurück zu ihrer Staatskarosse ging, ziemlich nahe an diesen IRA-Veteranen vorbeikam. Sie haben sich auf die Füße hochgemüht, als Zeichen des Respekts, zugleich aber auch, um die Hand der Präsidentin des Landes zu schütteln, für dessen Befreiung sie Seite an Seite mit Pearse, Thomas Clarke, James Connolly und den anderen gekämpft hatten. Und sie ist einfach an ihnen vorbeigegangen, ohne ihre Geste auch nur zu erwidern. Ich lege jetzt nicht nahe, daß sie sie absichtlich ignoriert hat. Sie ist möglicherweise nur dem Protokoll gefolgt. Trotzdem habe ich gedacht, daß es ein erschreckendes Spiegelbild des Staates und seiner höchsten Repräsentantin darstellte, wie der Patriotismus und Mut dieser Männer nicht geehrt wurde. Der Grund für diese Unfähigkeit liegt in der Tatsache, daß die irischen Politiker wissen, daß sie es unterlassen haben, den Idealen von 1916 gerecht zu werden oder die Ziele des Aufstandes zu verwirklichen, daß bekannteste natürlich, daß alle Kinder der Nation gleich wertgehalten werden.

Auf jeden Fall fand in der darauffolgenden Woche unsere Veranstaltung statt, an der 15.000 bis 20.000 Menschen in der O'Connell Street teilgenommen haben. Wir fanden, es sollte zugleich Gedenken und Feier sein. So wurde es zu einem Ausflugstag für die ganze Familie. Es gab Musikgruppen und allerlei Festwagen und verschiedene Vorführungen. Es endete mit Tomás Mac Annas satirischem Festspiel in Form eines gestellten Begräbnisses. Eine Gruppe von Leuten trug einen Sarg mit der Aufschrift Éire R.I.P. [Ruhe in Frieden, Irland] auf die Bühne vor dem GPO, wo sie ihn hochkant aufstellten. Dann traten Schauspieler auf, die verschiedene Rollen spielten. Einer war ein Richter mit Perücke und Gewand, der zum Ausdruck brachte, daß diese ziemlich schandbare Sache 1916 absolut illegal gewesen sei. Und dann kam ein weiterer, ein Akademiker, auf die Bühne und erklärte: "Wir müssen die Geschichte revidieren und uns von dieser ganzen romantischen Bindung an die Vergangenheit befreien!"

SB: Es wurde also der Revisionismus verspottet?

RB: Ganz klar. Und dann im richtigen dramatischen Moment, sprang der Sarg auf und "Éire" erhob sich von den Toten, und wurde vom Jubel und vom Gesang der Nationalhymne, die die Länge und Breite der O'Connell Street entlang ertönte, begrüßt.

SB: Stimmt es, daß Sie zu der Zeit von der Polizei observiert wurden?

RB: Ja. Als wir anfingen, hatte uns der irische Studentenbund [Union of Students of Ireland, USI], dessen Führung unserem Vorhaben wohlgesonnen war, erlaubt, unsere Treffen in ihrem Hauptsitz in der North Great George's Street abzuhalten. Nach dem ersten Treffen, als wir dabei waren, das Gebäude zu verlassen, deutete jemand auf einen in der Nähe parkenden Wagen, in dem zwei Männer saßen, und sagte: "Sieh mal, da ist die Special Branch (Sicherheitspolizei]!" Mir waren sie nicht aufgefallen, weil ich nie zuvor in meinem Leben etwas mit der Polizei zu tun gehabt hatte. Ich sagte also: "Was machen die hier?" Worauf die Person in meiner Begleitung, die erfahrener als ich in solchen Dingen war, meinte: "Wir stehen unter Beobachtung." Also bin ich zu dem neutralen Fahrzeug rübergegangen und habe ans Fenster geklopft. Politische Aktivisten tun so etwas offensichtlich nicht, denn sie schienen ganz schön überrascht. Wie auch immer, der eine Beamte hat das Fenster heruntergekurbelt, und ich habe mich erkundigt, was sie da taten. Worauf die Antwort kam: "Fuck off!"

Robert Ballaghs '1916'

Robert Ballaghs "1916"

In der darauffolgenden Woche hatten wir unser Treffen, und diesmal saßen vier Beamte der Special Branch vor dem USI-Büro im Auto. Und die Woche danach waren es acht Beamte der Special Branch in zwei Wagen. Ich fand das absolut lächerlich. Ich bin rausgegangen und habe ans Fenster geklopft. Wieder hat der leitende Beamte das Fenster heruntergekurbelt. Ich meinte: "Sehen Sie, ich weiß, Sie haben die Pflicht, Ihre Befehle zu befolgen, wie auch immer sie lauten mögen, aber wenn Sie an dem interessiert sind, was wir tun, sind Sie durchaus willkommen, einzutreten und am Treffen teilzunehmen. Und sollten Sie irgendetwas dazu beizutragen haben, tun Sie sich keinen Zwang an!" Alles, was ich zurückerhielt, war die gleiche Antwort: "Fuck off!"

Auf diesen Vorfall hin habe ich einen Beschwerdebrief an den Garda Chief Commissioner [irischer Polizeipräsident] geschrieben. Die Special Branch ist nun im legalen Rahmen offensichtlich dazu berechtigt, zu tun, was auch immer ihr beliebt. Also habe ich als Steuerzahler geschrieben und gesagt, ich fände es eine skandalöse Verschwendung von Staatsgeldern, wenn acht Polizisten draußen vor einem Treffen parkend Überstunden machten, obwohl ich der Polizei ganz bereitwillig die Details jedes unserer Treffen übergeben würde, wenn sie es wollte. Das Ergebnis dieses Briefes war, daß sie nie wieder aufgetaucht sind. Sie haben offensichtlich den Befehl von oben bekommen, uns in Ruhe zu lassen. Ich glaube, ihre Anwesenheit diente weniger dem Zweck, staatsgefährdende Aktivitäten zu beobachten, als dem, Überstunden zu schieben.

Aber es gab auch bedenklichere, unangenehmere Vorfälle. Eines Abends, als ich den Parnell Square entlang nach Hause ging, fuhr mir ein Einsatzwagen in den Weg und ein paar Gardaí sprangen heraus. Sie spreizten mir die Beine und drückten mich gegen das Gitter, filzten mich und verlangten, daß ich mich ausweise. Passanten haben zugesehen und sich gefragt, wer wohl dieser Kriminelle sein mochte. Alles, was ich dabei hatte, war mein Führerschein, in dem war damals noch kein Photo. Trotzdem habe ich ihnen den gezeigt, sie haben ihn sich angesehen, mißbilligend geschnaubt und sind abgefahren. Ein anderes Mal haben sie mich in meinem Wagen verfolgt. Ich fuhr gerade nach Hause, und sie folgten mir einige Meilen weit. Als ich vor meinem Haus parkte, haben sie die Sirenen und ihr Blinklicht angeworfen und mich aus dem Auto gezerrt.

Ich fand das alles ein bißchen seltsam. Aber es war deutlich, daß sie versuchten, uns einzuschüchtern. Einigen Leuten mit Einfluß waren unsere Aktivitäten nicht genehm und sie wollten, daß wir sie einstellen. Ich fühlte mich durchaus imstande, damit zurechtzukommen, weil ich mein eigener Herr war; ich mußte keine Angst haben, gefeuert zu werden. Für andere war das anders. Es gab eine Frau im Komitee, deren Chef eines Tages einen Anruf von der Special Branch bekommen hat. Sie haben so etwas ähnliches gesagt wie: "Wissen Sie eigentlich, daß Ihre Angestellte mit der IRA verkehrt?" Sie hatte Glück, denn ihr Arbeitgeber war ehemaliger Polizist und kannte den Unsinn, den die Special Branch betrieb. Er hat ihr erzählt, daß sie angerufen hatten, und zu ihr gesagt: "Schauen Sie, seien Sie einfach in Zukunft vorsichtig!" Aber sie hätte genauso gut ihre Arbeit verlieren können.

Es gab einen jungen Mann im Komitee. Mir war das zu der Zeit nicht klar, aber er war noch Schüler und machte in dem Jahr gerade das Abitur. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kam er plötzlich nicht mehr zu den Treffen. Später habe ich herausgefunden, warum. Die Special Branch hatte seine Schule aufgesucht und dem Direktor erzählt, daß einer seiner Schüler in der IRA sei. Daraufhin wurden die Eltern einbestellt, und der Direktor teilte ihnen mit, ihr Sohn würde von der Schule gewiesen, wenn er nicht diese "subversiven Aktivitäten" aufgebe, was bedeutete, daß er seine Abiturprüfung nicht hätte machen können. Ich fand das alles sehr unschön. Aber was hatten wir schon im Sinn? Nicht mehr, als an ein grundlegendes Ereignis der irischen Geschichte zu erinnern.

SB: Seitdem hat sich die gesamte politische Lage im Norden verändert. In welchem Maße meinen Sie, wurde die nationale Frage durch das Karfreitagsabkommen gelöst?

RB: Die nationale Frage ist durch den "Friedensprozeß" überhaupt nicht gelöst worden. Das Karfreitagsabkommen hat eine friedliche Beilegung des Konfliktes herbeigeführt, über die ich hocherfreut bin und die ich voll und ganz befürworte. In den Jahren der "Troubles" [nordirischer Bürgerkrieg] habe ich den Norden häufig besucht und das war überhaupt keine erfreuliche Situation. Das tägliche Leben hat sich da oben erheblich verbessert. Belfast zum Beispiel ist heutzutage ein liebenswerter Ort, wenn man ihn besucht. Die Menschen neigen heute wahrscheinlich dazu zu vergessen, wie furchtbar es mit den ganzen Sicherheitskontrollen, den Soldaten auf den Straßen und den Bombendrohungen usw. gewesen ist.

Und es hat noch weitere positive Entwicklungen gegeben. Ich habe mich darüber gefreut, daß sich die britische Regierung gestern öffentlich dafür entschuldigt hat, daß ein junger Mann namens Aidan McKennespie getötet wurde. Das geschah vor mehr als 20 Jahren. Das ist einer der Fälle, in denen ich aktiv geworden bin. Für mich war es damals offensichtlich, daß man ihn ermordet hatte. Er war auf dem Weg zu einem GAA-Spiel [Gaelic Athletic Association, u.a. Gaelic Football, Hurling etc.] - er war selbst GAA-Spieler - und wurde erschossen, als er einen Kontrollpunkt passierte. Der fragliche Soldat wurde verhaftet, des Totschlags angeklagt und für nicht schuldig befunden.

Es gab im Verlauf des Konflikts rund 350 umstrittene Tötungen in Verbindung mit den Sicherheitskräften - der britischen Armee und der Royal Ulster Constabulary [damals protestantisch-dominierte nordirische Polizei] -, bei denen es, meine ich, nur in sechs Fällen zu einer Anklage kam. Und von den sechs Mitgliedern der Sicherheitskräfte, die angeklagt wurden, hat man nur drei oder vier wirklich verurteilt. Und von denjenigen, die verurteilt wurden, hat man alle innerhalb von 18 Monaten wieder freigelassen. Ein paar von ihnen, wie der Gefreite Lee Clegg vom Fallschirmjägerregiment, der 1990 an einem Kontrollpunkt in Belfast die 18jährige Karen Reilly auf einer Spritztour erschossen hat, konnten sogar wieder in die Armee zurück und ihre militärische Karriere fortsetzen. Die öffentliche Entschuldigung der britischen Regierung dafür, daß Aidan McKennespie erschossen wurde, kam zu spät für seine Schwester, die letztes Jahr gestorben ist, aber es freut mich trotzdem, daß sie es getan haben.

Robert Ballagh

SB: Sie haben über die Jahre hinweg Kontakte zur Sinn Féin-Führung gehabt. Was halten Sie von der Beschuldigung, daß diese, seitdem sie in Belfast zusammen mit der Democratic Unionist Party die Regierung bilden, sich mit der Teilung Irlands abgefunden haben und/oder sie fördern?

RB: Also, ich würde nicht behaupten, daß sie die Teilung absichtlich fördern. Ich habe politische Gewalt in welcher Form auch immer nie gutgeheißen. Obwohl ich also die Nationalisten im Norden unterstützt habe, weil ich fand, daß sie unter Unterdrückung und Diskriminierung zu leiden hatten, wäre meine Antwort darauf nicht der bewaffnete Kampf gewesen. Und als die Führung von Sinn Féin beschlossen hat, vom bewaffneten Kampf zum politischen Kampf überzugehen, war niemand darüber glücklicher als ich. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit, mit jemandem in führender Rolle bei Sinn Féin zu sprechen, habe ich den Standpunkt vertreten, daß der bewaffnete Kampf kontraproduktiv war. Ich habe sie von ganzem Herzen darin bestärkt, in jene Verhandlungen einzutreten, deren Ergebnis 1998 das Karfreitagsabkommen war. Meine Enttäuschung rührt aus der Art und Weise, wie sie den politischen Kampf verfolgen. Das scheint mir viel zu sehr darauf angelegt zu sein, Leute in die Institutionen im Norden und im Süden wählen zu lassen usw.., ohne genügend Aufmerksamkeit für das aufzubringen, was sie früher sehr gut konnten, nämlich den einfachen Menschen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Problemen zu helfen.

Ich meine, sie kennen meine Meinung dazu, und ich denke, sie müßten langsam begreifen, daß da etwas dran ist, weil sie kürzlich einige Rückschläge erlitten haben, wie die Stagnation ihres Stimmenanteils bei den jüngsten Kommunal- und Europawahlen und der Rücktritt einer Reihe von Kommunalratsmitgliedern im Süden. Das ist wohl alles ziemlich enttäuschend für die Parteiführung. Ich würde trotzdem nicht allzuviel aus der Tatsache schließen, daß Mary Lou McDonald ihren Sitz als MdEP für Dublin verloren hat. Das hatte mehr damit zu tun, daß die Zahl der Parlamentssitze für den Wahlkreis von vier auf drei verringert wurde. Also obwohl sie die Wiederwahl nach Strasbourg nicht erreicht hat, ist die Anzahl ihrer Stimmen eigentlich gestiegen.

Es zeigt einfach nur, was passiert, wenn man alles auf die parlamentarische oder die Wahlkarte setzt: Man kann gewinnen und verlieren und dazwischen gibt es nicht sehr viel. Meiner Ansicht nach sollte Sinn Féin viel mehr Zeit und Mühe auf die Bedürfnisse ihrer Stammwähler verwenden und darauf bauen und weniger versuchen, auf der parlamentarischen Ebene zu konkurrieren. Mit Blick auf die aktuellen Turbulenzen innerhalb der Partei denke ich mir, daß sie im Moment wahrscheinlich dabei sind, ihre Position neu auszuloten.

SB: Sinn Féin hat im vergangenen Jahr eine wichtige Rolle in der Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag gespielt. Damit die Nein-Kampagne auch diesmal wieder erfolgreich wird, wäre es erforderlich, daß die Führung von Sinn Féin die Parteibasis wieder mobilisiert. Würden Sie dem zustimmen?

RB: Ich würde dem absolut zustimmen. Und ich muß sagen, daß Mary Lou McDonald in der Kampagne ganz außerordentlich war. Meiner Meinung nach waren Mary Lou McDonald und Patricia McKenna die effektivsten Sprecher auf der Nein-Seite. Sie haben ihre Argumente sehr deutlich gemacht und ihre Botschaft, besonders in den Fernseh- und Radiodebatten, wirklich gut vermittelt.

SB: Zu einem anderen Thema, dem aktuellen Streit über die Seán Russell-Statue im Fairview Park: Wie würden Sie das Motiv der Leute beschreiben, die darauf hinwirken, die Statue zu entfernen? Worum geht es ihnen? Was haben die für ein Problem?

RB: Nun, die unbekannten Personen, die der steinernen Statue am Neujahrsabend 2004/2005 den Kopf abgeschlagen und die vor kurzem die neue Bronzestatue mit Grafitti - "Nazi-Abschaum" - verschandelt haben, sind Vandalen und Idioten. Die Leute, die Briefe an die Irish Times schreiben, in denen sie Russell geißeln, und damit zu Vandalismus animieren, sind im Kern anti-republikanisch eingestellt, und sie nehmen jede Gelegenheit wahr, da anzugreifen, wo sie einen Schwachpunkt des Republikanismus vermuten.

SB: In Deutschland kann man ein ähnliches Phänomen beobachten. Häufig werden Menschen, die Israel heftig kritisieren, von antifaschistischen und neokonservativen Elementen als Antisemiten gebrandmarkt. Stecken vielleicht ähnliche Kräfte hier in Irland hinter diesem ganzen Streit?

RB: Ich glaube, das ist der Fall. Ich meine, wenn man Russells Geschichte liest, zeigt sich ganz offensichtlich, daß er ein Militär war, jemand, der die Dinge völlig aus militärischer Perspektive betrachtete. Seán Russell hatte kein Interesse an Faschismus, Kommunismus oder irgendetwas anderem. Sein Hauptmotiv war, die Briten mit Waffengewalt aus allen Teilen Irlands zu vertreiben. Die Gegner dieser Statue vergessen, daß er bei seinem Versuch, Waffen und Munition für die IRA zu beschaffen, nicht nur Adolf Hitlers Deutschland besucht hat, sondern auch die Sowjetunion Joseph Stalins. Macht ihn das also zu einem Kommunisten und zu einem Faschisten? Es stimmt, daß er im August 1940 in einem deutschen U-Boot gestorben ist, bevor er in Irland landen konnte, aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß er Sympathie für die Nazis hegte. Sein Geschäft mit den Deutschen war der Erwerb von Waffen, und ich meine, es gibt eine lange Tradition von irischen Rebellen, die zum Kauf von Waffen ins Ausland gingen. Wolfe Tone ist nach Frankreich gereist, um Waffen und militärische Unterstützung für den Aufstand der United Irishmen 1798 zu holen. Roger Casement war 1915 in Deutschland, um Waffen für den Osteraufstand im darauffolgenden Jahr zu erwerben.

SB: Auf gleiche Art haben Nordirlands protestantische Ulster Volunteers im April 1914, auf dem Höhepunkt der Home Rule Crisis [Auseinandersetzung um Autonomierechte für Irland] von kaiserlichen Deutschland große Mengen an Waffen und Munition erhalten.

RB: Genau. Und während der "Troubles" haben die protestantischen Loyalisten im Norden Waffen aus dem Apartheidsstaat Südafrika importiert. In dem Licht besehen glaube ich einfach nicht, daß die Argumente dafür, die Statue zu entfernen, überhaupt von einer irgendwie gearteten intellektuellen Rechtschaffenheit sind. Aber es ist ein Thema, auf das sich antirepublikanische Kräfte fixiert haben und versuchen, ihren Standpunkt durchzutragen.

Besagte Statue im Norddubliner Fairview Park zu Ehren von Seán Russell und den IRA-Freiwilligen, die im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republik im Kampf gegen die Truppen Francos gefallen sind.

Besagte Statue im Norddubliner Fairview
Park zu Ehren von Seán Russell und
den IRA-Freiwilligen, die im spanischen
Bürgerkrieg auf der Seite der Republik im
Kampf gegen die Truppen Francos gefallen
sind. Wenig Tage vor dieser Aufnahme
hatten Vandalen auf beiden Seiten des
Sockels die Hakenkreuz-Fahne gemalt.
Am Tag davor hatten ihrerseits die
zuständigen Stellen die beiden Haken-
kreuze mit weißer Farbe übermalt.

SB: Dieser ganze Streit um die Seán Russell-Statue, der bereits seit einigen Jahren anhält, steht in Zusammenhang mit einer wachsenden Betonung der irischen Toten im Ersten Weltkrieg. Man bekommt den Eindruck, daß die Aufrufe, der Iren zu gedenken, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind, zu einer wohldurchdachten Kampagne gehören, die Unabhängigkeitstradition zu verunglimpfen und dadurch ideologisch den Weg für die Akzeptanz auf Seiten der irischen Bevölkerung für eine Beteiligung Irlands an zukünftigen imperialistischen Abenteuern der EU zu ebnen. Würden Sie dem zustimmen?

RB: Ich hätte nicht den kleinsten Einwand gegen diese Analyse. Persönlich habe ich kein Problem damit, des unglücklichen Todes von 50.000 Iren im Ersten Weltkrieg zu gedenken und auch nicht jener des Zweiten Weltkriegs. Ein Onkel von mir, der in der Royal Air Force diente, wurde im Zweiten Weltkrieg getötet. Der Kampf gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg hatte möglicherweise eine höhere moralische Berechtigung, als die Teilnahme am imperialistischen Debakel des Ersten Weltkriegs, aber abgesehen davon meine ich, daß man Politik nicht in eine Gedenkfeier für Menschen, die gestorben sind, hineinbringen sollte. Es ist eine so finale Angelegenheit.

SB: Es überrascht nicht, daß sich unter den Leuten, die sich für ein Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs einsetzen, einige befinden, die dafür plädieren, daß Irland wieder dem britischen Commonwealth beitritt, und die es gern sähen, daß man hier zusammen mit dem Vereinigten Königreich am 11. November den Volkstrauertag begeht.

RB: Das alles kann ich überhaupt nicht befürworten. Die irische Regierung hat die Forderungen dieser Leute anerkannt und infolge dessen haben wir nun den Nationalen Gedenktag am 11. Juli, dem Jahrestag des Endes des Unabhängigkeitskrieges 1921, für alle Iren, die in diesem Kampf, in beiden Weltkriegen sowie im Rahmen der UN-Friedensmissionen gefallen sind. Das ist gut so. Ich finde es aber seltsam, daß Menschen immer noch darauf bestehen, auch den britischen Volkstrauertag am 11. November hier in Irland durch das traditionelle Tragen der Mohnblüte [Poppy] am Revers zu begehen. In diesem und im letzten Jahr war es also so, daß neben der offiziellen Zeremonie zum Nationalen Gedenktag im Royal Hospital in Kilmainham, die Poppy-Leute, wie ich sie nenne, einen zweiten Poppy-Tag im Memorial Park an der Island Bridge gefeiert haben. Wenn man heute dorthin geht, wird man ein Meer von Mohnblütenkränzen auf dem Gelände um das Denkmal sehen. Ich meine, dahinter muß eine Agenda stecken, denn eigentlich dürfte einmal im Jahr reichen, um seine Toten zu ehren.

Im Grunde versuchen solche Leute die Geschichte umzuschreiben und die Iren dazu zu veranlassen, ihre Sicht auf die Vergangenheit zu ändern. Persönlich sehe ich unsere Geschichte völlig aus der Perspektive einer kolonialen Auseinandersetzung. Der Unabhängigkeitskrieg war ein antiimperialistischer Konflikt, und wenn das irische Volk wegen etwas zu den Waffen hätte greifen sollen, dann deswegen, und nicht gegen Deutschland oder irgendjemand anderen. Ich meine, die Mohnblüte wäre ein einmalig verfehltes Symbol für die Iren. Immerhin wäre es eine Sache, wenn man mit der Mohnblüte nur an die Opfer des Ersten Weltkrieges erinnern und Geld für sie und ihre Verwandten sammeln wollte. Tatsächlich aber ist der britische Volkstrauertag ein Tag zum Gedenken und Spendensammeln für britische Soldaten, die, zum Beispiel, in den letzten 30 Jahren beispielsweise Iren im Norden Irlands getötet haben könnten.

SB: Oder in den letzten fünf Jahren Zivilisten im Irak.

RB: Oder gestern in Afghanistan. Ich habe kürzlich in einer Radiosendung darüber gesprochen und nahegelegt, daß diese Leute, wenn sie es ernst damit meinten, Iren zu ehren, die in unterschiedlichen Konflikten für die britische Armee gekämpft haben, wohlberaten wären, es mit einem anderen Symbol zu versuchen. Die Mohnblüte stiftet in Irland zuviel Unfrieden.

SB: Was den neuen Nationalen Gedenktag betrifft: Gedenkt man auch der irischen Soldaten, die an der Seite der Franzosen in der Irischen Brigade gekämpft haben?

RB: Nun, von ihnen ist keiner gestorben.

SB: Nein, ich meine Leute wie Patrick Sarsfield und die "Wild Geese" [Wildgänse], die Irland in den Jahren nach der Schlacht am Boyne 1690 verlassen haben und bis zur Revolution in Frankreich 1789 als Mitglieder der Irischen Brigade in der französischen Armee gekämpft haben. Erinnert man auch an sie?

RB: Ich weiß es nicht, um die Wahrheit zu sagen. Ich dachte, Sie würden auf die aktuelle französische Unternehmung im Tschad anspielen.

SB: Ah ja, mit der "neuen" Irischen Brigade an ihrer Seite.

RB: Ich meine, das war doch ein reizender Zug der Franzosen, auf die irische Empfindsamkeit einzugehen, indem sie einen irischen Offizier, Generalleutnant Pat Nash, zum ersten kommandierenden Offizier der EUFOR-Mission im Tschad gemacht haben, obwohl die Franzosen 80% der Soldaten beitragen und Irland nur 20%.

SB: In Zusammenhang mit diesen ganzen Auseinandersetzungen unter denen, die es gern sehen würden, daß die Iren ihrer Unabhängigkeitstradition untreu werden und sich mit ihrer historischen Einbindung in das britische Empire aussöhnen usw., was halten Sie von dem Argument, das im Moment in Umlauf gebracht wird, daß Irland, wenn es den Lissabon-Vertrag ein zweites Mal abweist, damit enden könnte, sich von Kontinentaleuropa zu isolieren und unter größeren Einfluß der sogenannten Anglosphäre zu geraten?

RB: Ich akzeptiere dieses Argument überhaupt nicht. Nein zu Lissabon zu sagen, bedeutet, nein zu einem Vertrag zu sagen, es bedeutet nicht nein zu irgendetwas anderem.

SB: Nicht einmal zur deutsch-französischen Hegemonie?

RB: Nun ja, nein zu Lissabon, jetzt, wo Sie danach fragen, bedeutet in der Tat, sich gegen die deutsch-französische Hegemonie zu stellen. Trotzdem fordert, soweit ich weiß, keiner der Menschen, die an der Kampagne gegen Lissabon beteiligt sind, daß Irland die EU verlassen sollte oder dergleichen. Sie treten für ein demokratischeres Europa ein, in dem der Entscheidungsprozeß transparenter verläuft und die Trennung zwischen den Politikern in Brüssel und in den verschiedenen Hauptstädten auf der einen Seite und den Menschen in den einzelnen Mitgliedstaaten auf der anderen Seite geringer ist. Das ist ganz sicher mein Standpunkt. All die Argumente, die von den Ja-zu-Lissabon-Aktivisten vorgebracht werden, finde ich einfach nur idiotisch. "Wir müssen im Herzen Europas sein" - was heißt das? Wenn man jeden einzelnen Vertrag von Rom bis Lissabon prüft, steht da nichts über "das Herz Europas" oder daß man, wenn man mit einem Vorschlag nicht übereinstimmt, an den Rand gedrängt wird und Teil eines Europas zweiter Klasse wird. Es gibt kein Europa zweiten Ranges. Lesen Sie die Verträge. Es ist nichts darin über eine Abteilung eins, eine Abteilung zwei oder dergleichen zu finden. Solche Behauptungen sind also völliger Unsinn und sollen nur bezwecken, daß die Iren aus Furcht so wählen, wie die mächtigen politischen und wirtschaftlichen Interessen in diesem Land es wollen, was hieße ja - zu Lissabon.

Etwas, worüber ich mich ziemlich geärgert habe, waren die Ergebnisse einer kürzlich von der irischen Arbeitgeberorganisation IBEC in Auftrag gegebenen Studie, die angeblich schlüssige Beweise dafür bietet, daß Irland aufgrund des Nein-Votums im letzten Jahr wirtschaftlich gelitten hat. Die Leute, die IBEC repräsentiert, sind genau die gleichen, die durch ihre verantwortungslosen Kreditaufnahmepraktiken und unverschämte Gier Irland wirtschaftlich in die Knie gezwungen haben. Sie sind es, denen man für die derzeitige katastrophale Situation die Schuld geben muß, nicht den Menschen, die gegen Lissabon gestimmt haben. Bemerkenswert ist zugleich, daß man, wenn man den Lissabon-Vertrag gründlich liest, sehen wird, daß er genau dieselbe Wirtschaftsideologie festschreibt, die Europa und den Rest der Welt in den Zustand versetzt hat, in dem sie sich im Moment befinden. Dieselbe neoliberale Ideologie der Marktderegulation ist im Lissabon-Vertrag fest verankert. Sollte man also je einen wirtschaftlichen Grund brauchen, um über Lissabon zu entscheiden, würde ich folgendes anführen: "Stimm' mit nein, weil Lissabon dir mehr vom gleichen verspricht!"

SB: Werden Sie sich diesmal genauso intensiv an der Nein-Kampagne beteiligen, wie Sie es letztes Jahr getan haben?

RB: Ich werde tun, was ich kann. Anders als einige Leute auf der Ja-Seite habe ich auch noch eine Arbeit. Was ich also an Zeit für die Kampagne einsetze, kostet mich Zeit, in der ich malen sollte oder was auch immer. Ich finde es interessant, daß die Regierung oder die EU oder irgendjemand - das liegt alles so im Dunkeln - diese Gruppe "Ireland for Europe" geschaffen hat, die unter dem Vorsitz von Pat Cox für die Zustimmung wirbt.

SB: Angeblich unabhängig!

RB: Irgendjemand bezahlt das.

SB: Ohne Zweifel. Klar, Pat Cox, Irlands einziger Gewinner des Karlspreises ist durch und durch Euroföderalist.

RB: Sowie Lobbyist für multinationale Unternehmen wie Pfizer, Michelin und Microsoft und Berater der Europäischen Kommission. Um die Ireland-for-Europe-Kampagne für ein Ja zu Lissabon zu leiten, hat er drei oder vier Monate Urlaub genommen. Wer bezahlt das? Es stellen sich da ernsthafte Fragen, weil die Ja-Seite unglücklicherweise schon, seit sie im letzten Jahr das Referendum verloren hat, dabei ist, die Karten zu manipulieren.

SB: Und sie werden damit bis zum 2. Oktober fortfahren.

RB: Das werden sie. Haben Sie diesen Konzern-Faschisten Peter Sutherland neulich im Radio gehört, der sich darüber beklagte, daß das McKenna-Urteil von 1995 für eine ausgewogene Medienberichterstattung über die unterschiedlichen Seiten in Referenden dazu geführt habe, daß Extremisten und Randgruppen in der Lage seien, die arme Bevölkerung zu beeinflussen und sie in die falsche Richtung zu lenken? Der interessanteste Teil an dem Interview war die Stelle, als der RTÉ-Journalist - normalerweise sind sie ja nicht eben großartig - zu Sutherland sagte: "Aber nebenbei bemerkt, die Mehrheit der Wähler hat letztes Jahr gegen Lissabon gestimmt, zählt ihre Meinung denn überhaupt nicht?" Das hat ihm einen ziemlichen Schock versetzt.

SB: Wie lautete seine Antwort?

RB: Sie wurden irregeführt usw., usf. Er hat die Chefredakteure und Journalisten der Nation aufgerufen, in ihren Berichten und Kommentaren den Standpunkt der Regierung wiederzuspiegeln.

SB: Er ist auch ein führendes Mitglied der neuen Gruppe um Pat Cox - er und sein Fine-Gael-Kollege, der ehemalige Taoiseach Garret Fitzgerald.

RB: Sie sind abstoßend, der ganze Haufen.

SB: Und The Edge von der Rockgruppe U2 ist mit dabei...

RB: Ich bin sicher, daß The Edge viel Zeit damit verbringt, mit der europäischen Politik Schritt zu halten...

SB: Zusammen mit Robbie Keane [Kapitän der irischen Fußballmannschaft] ...

RB: Während er über seinen nächsten Transfer nachdenkt, kann er den Lissabon-Vertrag lesen. (lacht)

SB: (lacht) Mit dieser Anmerkung, denke ich, schließen wir das Interview ab. Vielen Dank, Robert Ballagh.

Der Heldenfriedhof Arbour Hill

Der Heldenfriedhof Arbour Hill, wo die vierzehn vom britischen Militär
hingerichteten Anführer des Osteraufstandes 1916, darunter alle sieben
Unterzeichner der Irischen Unabhängigkeitserklärung, ruhen.

24. September 2009