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INTERVIEW/001: Reiner Braun (IALANA) zu Fragen der nuklearen Abrüstung (SB)


Im Vorfeld der 8. Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) fand am 30. April und 1. Mai in New York eine internationale Konferenz für eine "atomwaffenfreie, friedliche, gerechte und nachhaltige Welt" statt. Zu den deutschen Teilnehmern gehörten Mitglieder der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA). Diese 1988 von Rechtsanwälten gegründete Organisation setzt sich für die vollständige Beseitigung von Nuklearwaffen, die Stärkung internationalen Rechts und die friedliche Beilegung internationaler Konflikte ein. Der Schattenblick hatte die Gelegenheit, dem Geschäftsführer der deutschen Sektion IALANA, Reiner Braun, einige Fragen vorzulegen.

International besetzte Expertenforen drängen auf wirksame Abrüstungspolitik

International besetzte Expertenforen drängen auf wirksame
Abrüstungspolitik

Schattenblick: Herr Braun, Sie nehmen für die deutsche Sektion der IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms) an einer internationalen Konferenz in New York teil, die im Vorfeld der 8. Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags stattfindet. Wieso ist es erforderlich, dieses Treffen den im Rahmen der Vereinten Nationen stattfindenden Verhandlungen zur atomaren Nichtverbreitung voranzuschicken, und welche Organisationen haben es initiiert?

Reiner Braun: Ohne Zivilgesellschaft und ihre vielfältigen jahrzehntelangen Aktivitäten gegen die atomare Bedrohung hätten wir heute nicht die Situation, dass atomare Abrüstung bis zu Null auf der Tagesordnung der internationalen Politik steht. Trotzdem sind den Worten einer Welt ohne Atomwaffen kaum Taten gefolgt - der Start-Vertrag kann bestenfalls als Rüstungskontrollvertrag und nicht als Abrüstungsvertrag bezeichnet werden. Damit also in die Abrüstungsdebatte eine Dynamik kommt, dass reale Abrüstung erreicht werden kann, dazu bedarf es der Zivilgesellschaft, des Drucks der Friedensbewegung. Diesem Ziel dient die Konferenz. Sie war eine Selbstverständigung über die Situation und die Verabschiedung einer Zielprojektion: hin zu einer Atomwaffen freien Welt. In der Schlusserklärung wird dies deutlich. Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention müssen unverzüglich beginnen, aber Atomwaffenbeseitigung ist nur ein Schritt auf dem langen Weg zu einer Welt ohne Krieg.

SB: Deutschland hat als Staat ohne eigene Atomwaffen den Ruf, sich in besonderer Weise für die atomare Abrüstung einzusetzen. Gleichzeitig ist die Bundesrepublik als Mitglied der NATO und EU mittelbar an militärstrategischen Konzepten beteiligt, die auch über nukleare Komponenten verfügen, zudem ist die Bundeswehr im Rahmen der nuklearen Teilhabe potentieller Akteur der atomaren Kriegführung. Wie weit reicht das politische Interesse der Bundesregierung an der Aufrechterhaltung nuklearer Abschreckungspotentiale oder gar am taktischen Einsatz von Atomwaffen?

RB: Die Koalitionsvereinbarung der konservativ-liberalen Regierung schreibt die Zielsetzung des Abzugs aller Atomwaffen aus Deutschland fest. Dieses ist sicher ein politischer Fortschritt, waren doch die Konservativen immer der Meinung, auf Atomwaffen nicht verzichten zu können und unterstützten sie die nukleare Teilhabe, die völkerrechtswidrig die deutsche atomare Teilhabe vorsieht. Dieser Abzug muss aber auch Realität werden, einseitig und ohne Verknüpfung mit anderen inhaltlichen Abrüstungsfragen. Dazu ist diese Regierung bisher nicht bereit. Vergessen sollten wir auch nicht, dass zu mindestens in Teilen der Regierung immer noch über eine europäische Atomwaffe und eine deutsche Beteiligung daran nachgedacht wird. Steinzeitdenken angesichts der aktuellen Möglichkeit, diese schrecklichen Waffen endgültig vom Planeten Erde zu verbannen

SB: In der IALANA-Stellungnahme zur Überprüfungskonferenz, der Ahrweiler Erklärung [1], wird der Beitritt der EU zum Nichtverbreitungsvertrag als "überfällig" bezeichnet, da auf diese Weise Bestrebungen zur atomaren Rüstung der EU Einhalt geboten würde. Welche sonstigen Auswirkungen könnte diese Aufwertung der EU zum Völkerrechtssubjekt auf die militärische Integration und Handlungfähigkeit der EU haben?

RB: Europa wird mehr und mehr zum internationalen global Player - ob uns dieses nun passt oder nicht. Realitäten soll man akzeptieren, um sie zu verändern. Europäische Politik zu verändern heißt, Europa gegen den Willen seiner politischen Klasse zum Frieden zu zwingen und zu einer aktiven Beteiligung an der Abrüstung zu drängen. Die aktuelle Politik sieht in vielen Feldern leider anders aus: militärische Interventionen und besonders konventionelle Aufrüstung stehen auf der Tagesordnung. Umso wichtiger ist es zu erreichen, dass Europa die nukleare Abrüstung fördert und dieses heißt als ein erster kleiner Schritt, Bestandteil des NPT Regimes wird, um intensiv für den Artikel 6 des NPT Vertrages (Verpflichtung zur Abrüstung) zu werben. Eine große Herausforderung auch für eine noch intensiver zu gestaltende Zusammenarbeit der Friedenskräfte in Europa.

SB: In offiziellen Schriften der NATO, so dem Dokument "NATO Defence College: NATO's Nuclear Deterrent and it's relevance in the 21st Century" vom Februar 2010, wird im Zusammenhang mit der angeblichen Unverzichtbarkeit von Atomwaffen, die zumindest bis zu ihrer völligen weltweiten Abschaffung gelte, stets von "Abschreckung" gesprochen. Da die NATO selbst Kriege führt, kann die Bedrohungswirkung von Atomwaffen auch im Kontext offensiver Operationen bedeutsam sein. Wie beurteilen sie die operative Bedeutung von Atomwaffen im Rahmen der NATO-Nuklearstrategie in Hinsicht auf die sogenannte asymmetrische Kriegführung wie auch zwischenstaatliche Konflikte?

RB: Einen Einsatz von Atomwaffen in asymetrischen Kriegen kann man sicher niemals ausschließen, ist aber heute doch als sehr unrealistisch zu beschreiben. Atomwaffen richten sich - im Sinne der Abschreckungslogik - gegen Staaten, im wesentlichen gegen Staaten, die auch über Atomwaffen verfügen oder diese zu besitzen anstreben oder wo andere meinen, sie streben diese an. So ist es auch in der neuen "nuclear posture review" festgeschrieben. Es bleibt also Aufgabe der Friedensbewegung, deutlich zu machen, dass Abschreckung weder den Frieden in den vergangenen 60 Jahren gesichert hat noch in der Zukunft sichern wird. Abschreckung ist ein Ritt auf der Rasierklinge, dessen Scheitern in den Jahren des Kalten Krieges nur mit Glück und Zufall verhindert wurde. Religiös würde Mann/Frau sagen: Gott sei dank, denn ansonsten gäbe es kein menschliches Leben mehr auf diesem Planeten. Es gibt aber keine Garantie, dass uns Glück und Zufall für die Zukunft weiter hold sein werden. Deshalb muss die atomare Abschreckung überwunden werden.

SB: Laut dem Nordatlantikvertrag ist die NATO ein Defensivbündnis, das seine Mitglieder im Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat zur kollektiven Selbstverteidigung verpflichtet. Gibt es in Anbetracht der das Bündnisgebiet überschreitenden Kriegführung der NATO die Möglichkeit einer parlamentarischen Überprüfung dieser Rechtsgrundlage? Inwiefern legitimiert sie die Aufrechterhaltung eines nuklearen Waffenarsenals nach Ende des Kalten Krieges?

RB: Es gibt keine Legitimation und Begründung für eine nuklearen Komponente der NATO nach Ende des kalten Krieges, es geht aber deutlich weiter, es gibt keine Begründung für das Kalte Kriegsbündnis Nato. Dieses gehört auf den Misthaufen der Geschichte. Die Interventionspolitik der NATO, besonders in Afghanistan, ist mit seiner ursprünglichen formulierten Aufgabenstellung nicht zu vereinbaren, sehr wohl aber mit dem aggressiven Geist der NATO seit ihrer Existenz. Parlamentarische Diskussionen sind immer gut, weil damit gesellschaftliche Auseinandersetzungen angeregt werden, aber ich wüsste zur Zeit kein Parlament in Europa, das mehrheitlich Nato-kritisch eingestellt ist.

SB: Wie läßt sich verhindern, daß das von US-Präsident Barack Obama angestrebte Ziel einer Welt ohne Atomwaffen zur forcierten Aufrüstung mit konventionellen Waffen führt - wie etwa bei der Bestückung ballistischer Raketen mit konventionellen Sprengköpfen im Rahmen des "Conventional Prompt Global Strike" -, so daß eine neue Qualität militärischer Interessendurchsetzung durch technologisch und wirtschaftlich hochentwickelte Staaten entstünde?

RB: Politisch ist es einfach, schreibt doch der Artikel 6 des NPT Vertrages nicht nur die atomare Abrüstung, sondern die generelle Abrüstung vor. Dieses würde also auch eine umfassende konventionelle Abrüstung und als erstes den Verzicht auf jedes neues Aufrüstungsprojekt bedeuten. Diese Bereitschaft ist zur Zeit aber nicht zu erkennen. Deshalb bedarf es einer stärken Aktionsfähigkeit der Friedensbewegung, die immer schon deutlich gemacht hat, dass die atomare Abrüstung auch die konventionelle Abrüstung einbeziehen muss. Rüstungsverzicht steht auf der Tagesordnung. Die Menschheit kann es nicht mehr hinnehmen, das täglich Kinder sterben, Bildung verweigert wird, Krankenhäuser nicht gebaut werden, Jobs nicht entstehen und jährlich 1,5 Billionen Dollar für Rüstung und Krieg verpulvert werden. Diese Koalition der Abrüstungsprofiteure ist die einzige Möglichkeit, den Kriegsgewinnlern in Politik und Industrie in die Arme zu fallen und ein weniger an Waffen und Krieg zu errreichen.

SB: Die Ahrweiler-Erklärung äußert sich unter Verweis auf das Gewaltverbot der UN-Charta kritisch zur Androhung letztlich auch militärischer Sanktionen gegen den Iran. Inwiefern halten Sie es überhaupt für sinnvoll, bei Bruch des Nichtverbreitungsvertrags zu Sanktionen oder anderen Zwangsmitteln zu greifen? Wie ließe sich ausschließen, daß derartige Machtmittel gegen bestimmte Unterzeichnerstaaten angewendet werden, während die Unterzeichnerstaaten, auf die diese Initiative maßgeblich zurückgeht, die atomare Aufrüstung von Nichtunterzeichnerstaaten fördern?

RB: Sanktionen sind immer eine zweischneidige Angelegenheit. Die Friedensbewegung und viele Linke haben sie gegen das Apartheidregime in Südafrika gefordert und unterstützt. Beim Irak haben wir gesehen, dass Sanktionen ein Volk aushungern und totaler Abhängigkeit ausliefern. Beim sogenannten Iran-Konflikt ist es eindeutig. Wofür soll Iran "bestraft werden"? Für das, was andere (ungefähr 45 Länder) immer schon taten und tun, eine verhängnisvolle zivile Nutzung der Kernenergie zu realisieren oder anzustreben, für vermeintliche atomare Bewaffnung zu nutzen, die materielle nicht bewiesen, vom Iran verneint vom CIA für eine längere Periode nicht gesehen wird. Die Unregelmäßigkeiten gegenüber einer vollständigen Vertragstreue rechtfertigen Diskussionen, Gespräche und Verhandlungen, aber nicht mehr. Alles andere ist Kriegsgeschrei besonders von dem Land, das als einzige in der Region über Atomwaffen verfügt (mit der Hilfe der USA und Frankreich). Doppelmoral lässt grüßen.

SB: Die Menschenkette von Atomkraftgegnern zwischen den AKWs Krümmel und Brunsbüttel war mit 120.000 Teilnehmern ein großer Erfolg. In der Ahrweiler Erklärung wird auf die von der zivilen Nutzung der Kernkraft ausgehende Gefahr der militärischen Zweckentfremdung verwiesen und das Festhalten am Atomausstieg gefordert. Wie erklären Sie sich, daß sich trotz dieses Zusammenhangs ungleich weniger Menschen für antimilitaristische Ziele mobilisieren lassen? Was könnte die Friedensbewegung tun, um daran etwas zu ändern?

RB: Mobilisierungsfähigkeit ist keine Karte am Grünen Tisch, die gemischt und verteilt werden kann. Gesellschaftliches Handeln ist ein komplizierter und oft widerspruchsvoller Prozess von Erkenntnissen bei Menschen, der dann auch zum eigenen Handeln führen kann, aber nicht muss. Diesen Prozess zu beeinflussen, ihn als Hefe im Teig zu motivieren, ist die immer wiederkehrende Aufgabe der Friedensbewegung, so auch jetzt im Ringen um eine größere Beteiligung an den Aktionen gegen den Afghanistankrieg oder für die Abschaffung aller Atomwaffen. Dabei sind gute Argument, gute politische Verknüpfungen, ein entsprechendes gesellschaftliches und soziales Klima das eine, das andere ist ein unbestimmter menschlicher Faktor, eine psychologische Komponente, die Handeln, Bewegungen fördert oder hemmen. Den aktuellen Hemmschuh haben wir noch nicht überwunden - auch wenn die Anti AKW Aktionen von Ende April optimistisch stimmen.

SB: Die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag des Jahres 2005 scheiterte an der einseitigen Ausrichtung der USA auf die Terrorismusbekämpfung. Was hat sich Ihrer Ansicht nach seitdem geändert? Sind die damals von der US-Regierung angeführten Beweggründe, die zum Beispiel mit der angeblichen Bekämpfung Al Qaidas in Afghanistan fortgeschrieben werden, irrelevant geworden, so daß es für das Abrüstungsziel des US-Präsidenten praktische Handhabe gibt?

RB: Die USA unter Bush wollten ein scheitern der Konferenz 2005, deshalb haben sie diese mit allen möglichen vorgeschobenen Themen belastet, die ein Ablenken von der entscheidenden Frage, wie kann die atomare Vernichtung abgewendet werden, ermöglichte. Das Wesentliche, das sich verändert hat, ist das internationale Klima und die immer wieder auch von der großen internationalen "Politik" geäußerte Bereitschaft, reale Schritte zur atomaren Abrüstung zu gehen. Geändert hat sich auch das weltweite Kräfteverhältnis, die Länder, die zu mindestens verbal teilweise auch real und nachvollziehbar für eine Welt ohne Atomwaffen eintreten sind stärker geworden, ihre Stimmen sind unüberhörbar. Bessere Voraussetzungen für Schritte in die richtige Richtung, nicht mehr. Die Hindernisse sind groß. Es liegt an der sich entwickelnden einzigartigen Koalition aus über 120 Ländern, aus den Parlamenten überall auf der Erde, aus Kirchen und Gewerkschaften, aus Wissenschaft und Kultur und nicht zuletzt aus der Friedensbewegung, die reale Umkehr zu Null zu erreichen. Die Chance ist da. Die sozialen Kräfte sind da, das Ziel ist eindeutig. Yes we can.

SB: Herr Braun, vielen Dank für die klare Stellungnahme.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/fakten/bfax0002.html

Konferenzteilnehmer auf dem Weg zu den Vereinten Nationen

Konferenzteilnehmer auf dem Weg zu den Vereinten Nationen

4. Mai 2010