Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

JUSTIZ/653: Prozeß gegen 9/11-Angeklagten gerät zur Farce (SB)


Prozeß gegen 9/11-Angeklagten gerät zur Farce

Zensoren schalten Mikrophon der Verteidigung ab


Beim Antritt als neuer US-Präsident hat Barack Obama angekündigt, das umstrittene Gefangenenlager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba zu schließen. Die Umsetzung dieses Vorhabens, das eine demonstrative Abkehr des Demokraten von der weltweit als überzogen empfundenen Anti-Terror-Politik seines republikanischen Vorgängers George W. Bush darstellt, gestaltet sich jedoch sehr schwierig. Nicht wenige der Guantánamo-Häftlinge, denen nichts nachzuweisen ist, können wegen Repressionsgefahr nicht in ihre Heimat abgeschoben werden. Die Bereitschaft befreundeter Nationen, solchen Männern Asyl zu gewähren, ist in den letzten Wochen drastisch gesunken, seit im Kongreß in Washington reaktionäre Volksvertreter die eventuelle Verlegung vereinzelter "Terroristen" aus Guantánamo in Gefängnisse auf dem amerikanischen Festland zur inakzeptablen Bedrohung der nationalen Sicherheit und zur nicht hinnehmbaren Belastung des seit dem Flugzeuganschlägen vom 11. September angeblich immer noch traumatisierten Volks der USA aufbauschen.

Sollte das Gefangenenlager auf Guantánamo Bay tatsächlich wie geplant bis Ende Januar 2010 geschlossen werden, dann werden auf jeden Fall die Behörden in Washington diejenigen fünf Männer in den USA unterbringen müssen, denen vorgeworfen wird, als Führungsmitglieder des Al-Kaida-"Netzwerkes" von Osama Bin Laden eine entscheidende Rolle bei der Planung und Durchführung der 9/11-Operation gespielt zu haben. Die Rede ist von den beiden Pakistanern Khalid Sheikh Mohammed und Ali Abdul Asis Ali, den beiden Jemeniten Ramsi Binalshibh und Walid Bin Attash sowie dem Saudi Mustafa Ahmed Al Hawsawi, die Jahre in irgendwelchen "black sites" der CIA im Ausland verbracht haben, bis Bush 2006 ihre Verlegung nach Guantánamo Bay verfügte. Derzeit versucht man diese Männern vor einem Militärtribunal auf Kuba den Prozeß zu machen. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen die Todesstrafe. Der bisherige Verlauf der Verhandlungen läßt die amerikanische Rechtssprechung in keinem guten Licht erscheinen. Die Angeklagten hinterlassen einen verstörten Eindruck. Das umfassende Geständnis, das Sheikh Mohammed, auch KSM genannt, 2007 ablieferte, mutet nicht besonders plausibel an, da der mutmaßliche 9/11-Chefplaner die Verantwortung nicht nur für den 11. September übernahm, sondern auch Anschläge für sich in Anspruch nehmen wollte, die er nach Meinung von unabhängigen Experten gar nicht hätte durchführen können.

Am 17. Juli sollte beim Prozeß die Frage erörtert werden, ob Binalshibh und Al Hawsawi geistig zurechnungsfähig sind (Vor allem bei Binalshibh ist dies von besonderer Bedeutung, gilt er doch nach der offiziellen Version des Tathergangs als der Verbindungsmann zwischen der Al-Kaida-Führung und den Flugzeugattentätern um seinen früheren Mitbewohner aus der Harburger Marienstraße, Mohammed Atta). Doch das Verfahren konnte erst mit erheblicher Verspätung beginnen, weil sich alle fünf Männer geweigert hatten, ihre Zellen zu verlassen. Erst nach zwei Stunden erschienen lediglich Bin Attash, Al Hawsawi und Asis Ali.

Weil Al Hawsawi keine Gelegenheit erhalten sollte zu sprechen, verlangte er gleich nach seiner Ankunft wieder zu gehen. Al Hattash, der fünf Minuten erhielt, sich an das Gericht zu wenden, warf dem zuständigen Richter Oberst Steven Henley vor, nicht auf Briefe geantwortet zu haben, welche die fünf Angeklagten ihm "vor langer Zeit geschrieben" hatten. "Wenn Sie nicht genügend Geduld für diesen Prozeß haben, dann geben Sie ihn an einen anderen Richter ab. Wir betrachten Richter und Anklagevertretung als eine Person. Es gibt keinen Unterschied."

Anschließend kam es zum Eklat, als Binalshibhs Anwältin, die Marinekommandantin Lachelier beantragen wollte, daß Experten die Bilder der cerebralen Computertomographie (CCT), die man bei ihrem Mandanten durchgeführt hatte, untersuchen. Die Verteidigerin erklärte, Militärärzte hätten diagnostiziert, daß Binalshibh unter "Wahnvorstellungen" leidet, wogegen sie ihn mit Psychopharmaka behandelten. Laut Lachelier sollte man die CCT-Bilder dahingehend untersuchen, ob Binalshibhs Gehirn irgendwelche physischen Schäden aufweist, die seine kognitiven Funktionen beeinträchtigen. Binalshibh wirft den Gefägniswächtern in Guantánamo vor, ihn mit lauten Geräuschen zu foltern und üble Gerüche in seiner Zelle zu verbreiten. Darüber hinaus behauptet er, damals in den "black sites" der CIA immer wieder mittels Schlafentzug gefoltert worden zu einen.

Gerade hatte Lachelier, den Satz "Die Regierung kann die Tatsache nicht verschleiern, daß sie Schlafentzug eingesetzt hat" über die Lippen gebracht hatte, wurde die Weiterleitung ihrer Worte an das Nebenzimmer, in dem sich Korrespondenten und Familienangehörige der 9/11-Opfer befanden, unterbrochen. Bei der Übertragung gibt es eine 40sekündige Verspätung, damit die Zensoren eingreifen können, sollten im Gerichtssaal brisante Inhalte thematisiert werden. Durch die Unterbrechung der Übertragung in diesem Moment griffen die Zensoren eindeutig zugunsten der Anklage ein, die den Standpunkt vertritt, daß die Behauptungen Binalshibhs bezüglich des Schlafentzugs durch die CIA genauso wie des Mobbings in Guantánamo den bereits erwähnten "Wahnvorstellungen" entspringen.

18. Juli 2009