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JUSTIZ/660: MI5 wegen Folter und Vertuschungsversuchs am Pranger (SB)


MI5 wegen Folter und Vertuschungsversuchs am Pranger

Richter sehen im Inlandsgeheimdienst eine Bedrohung des Rechtsstaats


Im Zusammenhang mit der zivilen Schadenersatzklage Binyam Mohameds gegen den britischen Staat wegen dessen Verwicklung in seine jahrelange Gefangenschaft und Mißhandlung durch die Behörden der USA ist es am 10. Februar in London zu einer dramatischen Entwicklung gekommen. In einer spektakulären Entscheidung hat sich das dreiköpfige, zivile Berufungsgericht von England und Wales (Schottland hat sein eigenes Justizwesen) dem Drängen der britischen Regierung widersetzt und verfügt, daß bestimmtes Dokumentenmaterial aus den USA, aus dem klar hervorgeht, daß Mohamed in Pakistan von der CIA gefoltert wurde, als Beweismittel im laufenden Prozeß zulässig ist. Die Veröffentlichung des Materials ist von höchster Brisanz, weil die damalige Regierung Tony Blairs nachweislich von der Mißhandlung Mohameds wußte, bevor mindestens ein Vertreter des britischen Geheimdienstes nach Pakistan reiste, um an der weiteren Vernehmung teilzunehmen. Damit ist die Verwicklung staatlicher britischer Stellen in die illegalen Folterpraktiken der amerikanischen Partnerdienste - etwas, was London seit Jahren aufs vehementeste bestreitet - nachgewiesen.

Mohamed, der ursprünglich aus Äthiopien stammt und ab 1994 als anerkannter Flüchtling in Großbritannien gelebt hatte, wurde bei einem Aufenthalt in Pakistan im April 2002 von den Behörden dort festgenommen und für 5000 Dollar Kopfprämie als "Terrorverdächtiger" den Amerikanern übergeben. Diese mißhandelten ihn drei Monate lang in Pakistan, bevor sie ihn nach Marokko zwecks schwerer Folter - unter anderem durch Schnitte mit einer Klinge am Penis - auslieferten. Nach 18 Monaten in Marokko und einem mehrwöchigen Aufenthalt im gefürchteten Internierungslager auf dem Gelände des US-Fliegerhorstes im afghanischen Bagram nahe Kabul landete Mohamed im September 2004 im Militärgefängnis auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba. Mohamed, dem die Amerikaner nichts "Terroristisches" haben nachweisen können und der deshalb Anfang 2009 freigelassen und nach Großbritannien zurückgeflogen wurde, behauptet, daß die britischen Behörden von seinem Märtyrium wußten, jedoch nichts dagegen unternahmen. Ihm zufolge nahm mindestens ein Agent des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 an den "verschärften Vernehmungen" der CIA in Pakistan persönlich teil. Darüber hinaus soll der MI5 Fragen geliefert haben, welche ihm während der Folter in Marokko durch die Handlanger von König Mohammed VI. gestellt wurden.

Ihre Entscheidung zur Freigabe der sieben Paragraphen langen Zusammenfassung der 42 CIA-Dokumente über die Mißhandlung Mohameds während der ersten Zeit in Pakistan begründeten die drei Richter des Court of Appeals unter anderem mit der Tatsache, daß die darin zu findenden Details bereits Ende letzten Jahres von einem Bundesgericht in der US-Hauptstadt Washington im Rahmen der Klage des Algeriers Farhi Saeed Bin Mohammed gegen seine fortgesetzte Inhaftierung in Guantánamo publik gemacht worden waren. Das Argument des britischen Außenministers David Miliband und dessen Vertreters im Falle Binyam Mohameds, Kronanwalt Jonathan Sumption, daß das dem MI5 und dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 von der CIA zur Verfügung gestellte Material aus Gründen der nationalen Sicherheit geheim bleiben müsse, weil sonst Washington London keine vertrauliche Informationen mehr zukommen ließe und der "special relationship" Großbritanniens zu den USA schwer geschadet würde, ließen die Richter nicht gelten.

In besagten sieben Paragraphen vom Frühjahr 2002 informierte die CIA die britischen Kollegen, daß sie Mohamed in Pakistan mittels Schlafentzug, mindestens einer Scheinhinrichtung, schwerer Mißhandlungen und der Androhung der "Beseitigung" gefügig zu machen versucht hätten. In Großbritannien, das 1972 vor dem Hintergrund einer Klage der Republik Irlands vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Strasbourg wegen der Mißhandlung von mutmaßlichen IRA-Sympathisanten in Nordirland entsprechende Zusicherungen gemacht hatte, steht die unmittelbare Ausführung solcher Praktiken oder bloß die passive Beteiligung daran unter Strafe. Deswegen wird bereits gegen den einen MI5-Agenten, der der Vernehmung Mohameds beiwohnte und im laufenden Verfahren das Pseudonym "Zeuge B" trägt, polizeilich ermittelt. Weitere Ermittlungen können noch folgen.

Mit einem ungewöhnlichen und beispiellosen Eingriff hat Kronanwalt Sumption kurz vor der Veröffentlichung des Teilurteils dafür gesorgt, daß daraus ein Paragraph gestrichen wurde. Der Eingriff war unzulässig, weil die Anwälte der anderen am Fall Beteiligten - Binyam Mohamed, die britische Tageszeitung Guardian, die New York Times, die Washington Post und die britische Menschenrechtsorganisation Liberty -, nicht darüber informiert worden waren und sich nicht mit der Streichung des Paragraphen 168 bereiterklärt hatten. Deshalb könnte die Textstelle dem Urteil nachträglich angehängt werden. In der betreffenden Passage werfen die Richter dem MI5 nicht nur vor, seine Pflicht hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte mit Füßen getreten, sondern sich auch der parlamentarischen Kontrolle durch systematisches Belügen des zuständigen Ausschusses entzogen und damit die Erfordernisse des "globalen Antiterrorkrieges" der USA der Wahrung des Rechtsstaats Großbritannien vorgezogen zu haben.

In ihrem Urteil bezeichnen die Richter die von Außenminister Miliband vorgebrachten Argumente hinsichtlich des eventuellen Vertrauensverlusts, sollten die britischen Geheimdienste von Rechts wegen gezwungen werden, den Inhalt von Verschlußsachen aus dem US- Sicherheitsapparat bekanntzumachen, als "irrational". Irrational oder nicht, wegen der bevorstehenden Veröffentlichung der sieben Paragraphen zum Fall Binyam Mohamed hat Miliband nach Angaben des britischen Guardians in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar extra mit der US-Chefdiplomatin Hillary Clinton telefoniert. Offenbar halten London und Washington das Thema für extrem wichtig. Es stellt sich die Frage, warum.

Es kann natürlich sein, daß die Exekutiven beider Länder nur bedacht sind, ihre Vormachtstellung, welche sie dank des "Antiterrorkrieges" gegenüber Legislative und Judikative haben ausbauen können, mit allen Mitteln zu verteidigen. Doch es gibt vielleicht eine andere mögliche Erklärung des ungeheuren Vertuschungsdrangs in Sachen Binyam Mohamed, welche in der ganzen Berichterstattung um das jüngste Urteil keinerlei Erwähnung findet. Zum Zeitpunkt, als Binyam Mohamed festgenommen wurde, liefen auf beiden Seiten des Atlantiks die ersten propagandistischen Vorbereitungen auf den Einmarsch in den Irak an. Eine der Hauptbegründungen für dieses Unternehmen sollte die These sein, Saddam Hussein müsse gestürzt werden, weil er dem Al-Kaida-"Netzwerk" atomare, biologische oder chemische "Massenvernichtungswaffen" zur Verfügung stellen könnte, mit denen die Anhänger Osama Bin Ladens Großanschläge auf US-Metropolen durchführen könnten. Unter schwerer Folter und aus lauter Verzweiflung sagte Binyam Mohamed seinen Vernehmern, als diese ihn nach ABC-Waffen fragten, sein einziger Bezug zu solchem Teufelszeug bestünde darin, im Internet einmal eine Satire gelesen zu haben, wie man Uran zwecks Bombenbaus anreichern könne, in dem man es in einem Eimer am Ende einer Schnur so schnell wie möglich um den Kopf herumschleudere (Es handelte sich um einen scherzhaften Artikel der linken US-Zeitschrift Seven Days aus dem Jahre 1979 mit dem Titel "How to make your own H- Bomb").

Von dieser nichtigen Aussage Mohameds machte die Regierung George W. Bushs enormen Gebrauch, als sie am 8. Mai 2002 auf dem Flughafen von Chicago den amerikanischen Moslem-Konvertiten José Padilla mit der Behauptung festnehmen ließ, er sei im Auftrag des Al-Kaida-"Netzwerkes" in die USA gereist, um in irgendeiner Großstadt eine mit radioaktivem Material bepackte, "schmutzige Bombe" detonieren zu lassen (Dafür wurde Padilla jahrelang ohne Anklage auf einem Gefängnisschiff der US-Marine vor der Küste North Carolinas festgehalten; 2008 wurde er wegen eines minderen Vergehens verurteilt - die Geschichte von der "schmutzigen Bombe" hatte sich nach näherer Betrachtung als unhaltbar erwiesen). Folglich läßt sich feststellen, daß die Folter Binyam Mohameds unmittelbar mit der Gewinnung falscher Geständnisse zwecks Herbeiführung eines illegalen Angriffskrieges durch die USA und Großbritannien zusammenhängt. Die Einzelheiten seines Falls taugten eventuell als Beweise für eine Klage wegen Kriegsverbrechens gegen die damals politisch Verantwortlichen wie Tony Blair, CIA-Chef George Tenet und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Von daher sind die Sorgen Milibands - besonders in Bezug auf seinen Labour-Parteikollegen Blair, der diese Tage wegen der laufenden Chilcot-Untersuchungskommission zu den Hintergründen des Irakkrieges schwer in der Kritik steht - vielleicht doch nicht so "irrational".

11. Februar 2010