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JUSTIZ/683: Klage gegen großen Lauschangriff in den USA abgewiesen (SB)


Klage gegen großen Lauschangriff in den USA abgewiesen

Konservative Mehrheit im Verfassungsgericht begräbt den Rechtsstaat



In der US-Hauptstadt Washington hat am 25. Februar der Oberste Gerichtshof ein schwerwiegendes Urteil gefällt, das von einigen namhaften juristischen Experten wie Glenn Greenwald [1] bereits als Abschied vom Rechtsstaat kritisiert wird. Mit fünf zu vier Stimmen hat die konservative Mehrheit eine Klage von der American Civil Liberties Union (ACLU), Amnesty International, einer Reihe von Menschenrechtsanwälten, von denen einige Mandanten im Sonderinternierungslager Guantánamo Bay auf Kuba vertreten, sowie mehreren Journalisten, darunter dem Geheimdienstexperten James Bamford und dem ehemaligen Kriegskorrespondenten Chris Hedges, gegen das FISA Amendment Act von 2008 abgewiesen. Das umstrittene Gesetz gestattet dem US-Geheimdienstapparat, allen voran der National Security Agency (NSA) mit Sitz in Fort Meade, Maryland, Telefonate und E-Mail-Verkehr von US-Bürgern mit Personen im Ausland, die unter "Terrorismusverdacht" stehen, im großen Stil abzuhören. Zur Begründung der Mehrheitsentscheidung von ihm und seinen konservativen Kollegen - Anthony Kennedy, Antonin Scalia, Clarence Thomas und John Roberts - erklärte Richter Samuel Alito, die Kläger hätten nicht bewiesen, daß sie von dem Gesetz betroffen seien. Wie sollten sie das auch, denn mit ihrem Urteil hat die Fraktion um Alito die von der Klägergruppe angestrebte öffentliche Überprüfung des Gesetzes hinsichtlich seiner Anwendung und Verfassungsmäßigkeit verhindert.

Der nun bis auf weiteres beerdigte Streit um die Gesetzesmäßigkeit der elektronischen Kommunikationsüberwachung in den USA im Zuge des sogenannten "Antiterrorkrieges" hatte im Dezember 2005 begonnen, als Eric Lichtblau und James Risen in der New York Times enthüllten, daß Präsident George W. Bush nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 eine geheime, großangelegte Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Telefon- und Internetanbietern Amerikas wie AT&T und Verizon und den US-Geheimdiensten in die Wege geleitet hatte. Die weitreichende Bush-Initiative war jedoch illegal. Sie verstieß gegen das Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) von 1978, das Abhöraktionen für Telefonate mit ausländischen Spionen von der Erteilung einer entsprechenden Genehmigung durch ein dreiköpfiges Sondergericht abhängig machte. Die Maßnahme verstieß auch gegen den Vierten Zusatzartikel der US-Verfassung - Verbot willkürlicher staatlicher Durchsuchungen -, die zu schützen Bush bei seiner Amtseinführung feierlich geschworen hatte. Wohl wissend um die Brisanz der Enthüllung haben Inhaber und Chefredakteur der New York Times, Arthur Sulzberger jun. und Bill Keller, sie in Absprache mit dem Weißen Haus über ein Jahr unter Verschluß gehalten. Wäre Bushs großer Lauschangriff bereits im Sommer 2004 bekannt geworden, hätte ihn dies vermutlich die Wiederwahl gekostet.

2006 und 2007 tobte im Kongreß und in den Medien ein heftiger Streit zwischen Konservativen, die Bushs Vorstoß für eine dringende Notwendigkeit im "Antiterrorkampf" hielten, und den Liberalen, die darin eine unverzeihliche Pflichtverletzung sahen. Zu denjenigen, die damals ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush jun. forderten, gehörte John Dean, der ehemalige Rechtsberater von Präsident Richard Nixon und einst Schlüsselfigur im Watergate-Skandal. [2] Die Meinung von Dean, der heute als Buchautor, Fernsehkommentator und Zeitungskolumnist arbeitet, hatte Gewicht. Schließlich war das FISA-Gesetz in Reaktion auf den Watergate-Skandal und das illegale Ausspionieren politischer Gegner durch die Nixon-Administration verabschiedet worden.

Nach langem Hickhack haben sich im Sommer 2008 Republikaner und Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat auf eine Novellierung des FISA-Gesetzes geeinigt, mit der Bushs Überwachungsprogramm nachträglich legitimiert und der Präsident selbst vom Vorwurf des Gesetzesverstoßes und des Verfassungsbruchs befreit wurde. Für die Gesetzesnovelle stimmte auch der demokratische Präsidentschaftskandidat, Senator Barack Obama, wodurch sich sein Versprechen, Gesetz und Verfassung wieder Geltung verschaffen zu wollen, für aufmerksame politische Beobachter bereits damals als Spiegelfechterei entpuppte. Da konnte es wirklich niemanden überraschen, als ab 2009 unter Obama das Justizministerium und das Amt des Director of National Intelligence (NDI) die Klage der ACLU und anderer gegen das FISA Amendment Act mit den gleichen Argumenten anfechteten, wie sie es in den letzten Monaten der zweiten Amtszeit des Republikaners Bush getan hatten.

Mehr als vier Jahre lang ist der juristische Streit um die Recht- und Verfassungsmäßigkeit der FISA-Novelle durch alle Instanzen gegangen. Die Gegner des Gesetzes haben 2011 einen wichtigen Etappensieg erzielt, als ein Bundesberufungsgericht ihre Klage für zulässig erklärte. Gegen dieses Urteil hat der Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes, James Clapper, Berufung eingelegt und nun am Ende Recht bekommen. Alles, was mit diesem Gesetz zusammenhängt, bleibt geheim. Lediglich die Mitglieder der Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat dürfen etwas über Ausmaß und Einzelheiten der Abhöraktionen erfahren, müssen jedoch ihr Wissen darüber für sich behalten.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Obersten Gerichtshof war mit einem anderen Urteil nicht zu rechnen. Wie sehr die konservativen Richter dort die Erfordernisse des "Antiterrorkrieges" für wichtiger erachten als die Rechte des Bürgers, wurde vor 2007 bei einer Juristentagung 2007 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa mehr als deutlich. Bei einer Podiumsdiskussion rechtfertigte der ehrenwerte Gast aus den USA, Oberster Richter Scalia, die Anwendung von Folter bei der Vernehmung islamistischer "Terroristen" mit dem Argument, auf die Weise hätte Special Agent Jack Bauer - gespielt von Kiefer Sutherland - in der zweiten Staffel der Fernsehserie "24" einen nuklearen Anschlag auf Los Angeles verhindert und "Hunderttausende von Leben gerettet".

Fußnoten:

1. http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2013/feb/26/supreme-court-eavesdropping-law-doj-argument?INTCMP=SRCH

2. http://www.schattenblick.de/infopool/sachbuch/busar315.html

27. Februar 2013