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JUSTIZ/692: Zacarias Moussaoui belastet Riad in Sachen 9/11 (SB)


Zacarias Moussaoui belastet Riad in Sachen 9/11

Aufarbeitung des 11. September wird mehr und mehr zur Farce


In den USA ist die Debatte um jene berühmt-berüchtigten 28 Seiten des gemeinsamen Untersuchungsberichtes der Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat zum vermeintlichen "Versagen" der Sicherheitsorgane am 11. September 2001, die sich seit der Veröffentlichung der Expertise im Dezember 2002 die Regierungen George W. Bushs und Barack Obamas freizugeben wiederholt geweigert haben, erneut aufgeflammt. Die in der für die Allgemeinheit bestimmten Version des 9/11-Berichtes des Kongresses geschwärzten Seiten sollen zahlreiche Details zu den logistischen und finanziellen Hilfen enthalten, welche Vertreter des königlichen Hofs in Saudi-Arabien den mutmaßlichen Beteiligten und Hintermännern der Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington geleistet haben. Eine Bekanntmachung jener Details würde die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA schwer belasten und unangenehme, bis heute unbeantwortete Fragen bezüglich des Gründungsmythos des "globalen Antiterrorkrieges", der seit mehr als 13 Jahren weltweit die Innen- und Außenpolitik bestimmt, aufwerfen.

Auslöser der jüngsten Diskussionsrunde zu diesem Dauerthema sind brisante schriftliche Aussagen, die der verurteilte "Terrorist" Zacarias Moussaoui im vergangenen Oktober gemacht hat und die eine Gruppe der 9/11-Opferfamilien am 2. Februar im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen Saudi-Arabien bei einem Bundesgericht in New York eingereicht hat. Das Al-Kaida-Mitglied verbüßt seit seiner Verurteilung 2006 wegen Beteiligung am 9/11-Komplott in einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Bewährung. Moussaoui war Mitte August 2001 wegen sonderbaren Verhaltens an einer Flugschule in Eagan, Minnesota, und Verstoßes gegen die Bestimmungen seines Visums vom FBI festgenommen worden und konnte vielleicht deshalb nicht an der 9/11-Operation teilnehmen. Der Franzose marokkanischer Herkunft gilt daher in den US-Medien als "20. Hijacker".

Seit Anbeginn hat es zahlreiche Indizien gegeben, die für eine Verwicklung Riads in den 11. September sprachen, nicht zuletzt die Tatsache, daß 15 der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer aus Saudi-Arabien stammten. In der Aussage, die Moussaoui im Gefängnis gegenüber den Anwälten der 9/11-Opferfamilien machte, konkretisierte er viele der Verdachtsmomente, die ohnehin seit langem bezüglich Prinz Bandar bin Sultan, dem langjährigen saudischen Botschafter in Washington und engen Freund der Familie Bush, und anderen führenden Mitgliedern der königlichen Familie im Raum stehen. Moussaoui behauptet, eine Datenbank über die finanziellen Zuwendungen der Saudis an Al Kaida und deren Chef Osama Bin Laden geführt zu haben. Als die wichtigsten Förderer des Al-Kaida-"Netzwerkes" benennt Moussaoui Prinz Al Waleed Bin Talal, einen der reichsten Männer der Welt und Anteilseigner unter anderem von der Citigroup und News Corporation, Prinz Turki Al Faisal Al Saud, der am 1. September 2001 als saudischer Geheimdienstchef zurücktrat, und Prinz Mohammed Bin Faisal Al Saud, der Banken in Bahrain, Niger, Ägypten und Pakistan besitzt. Moussaoui bestätigt die vor Jahren bekannt gewordene Angabe, wonach der Aufenthalt von mindestens zwei der 19 Hijacker, nämlich der beiden Saudis Khalid Al Midhar und Nawaf Al Hasmi, aus Geldern vom Konto von Prinzessin Haifa Al Faisal Al Saud, der Gattin von Prinz Bandar, bei der Riggs Bank in Washington finanziert wurde.

Was die Instrumentalisierung militanter sunnitischer Extremisten als freiwillige Söldnerarmee in den achtziger Jahren in Afghanistan und in den neunziger Jahren auf dem Balkan durch die CIA und den saudischen Geheimdienst betrifft, so ist Bandar, der sein Land von 1983 bis 2005 als Botschafter in Washington vertrat, zweifelsohne die Schlüsselfigur. Er ist auch derjenige, der unmittelbar nach 9/11 von Bush jun. persönlich die umstrittene Erlaubnis bekam, 140 Saudis mit Sondermaschinen aus den USA in ihre Heimat zu fliegen, obwohl sich darunter nicht wenige Personen, auch Verwandte von Bin Laden, befanden, die das FBI zum Thema der Flugzeuganschläge vernehmen wollte.

Als Premierminister Tony Blair 2006 unter Verweis auf übergeordnete staatliche Interessen die Ermittlungen der britischen Polizei bezüglich Schmiergeldzahlungen in Verbindung mit dem größten Rüstungsgeschäft in der Geschichte Großbritanniens, dem sogenannten Al-Yamamah-Deal mit Saudi-Arabien, abblies, hieß es in der Presse, die drastische Maßnahme sei deshalb erfolgt, weil Bandar, damals Geheimdienstchef in Riad, London damit gedroht hatte, die Zusammenarbeit im Antiterrorkampf aufzukündigen. Die versteckte Bedeutung einer solchen Botschaft dürfte jedem klar sein. Nach Angaben des Londoner Guardian, der mehr als jede andere Zeitung den Skandal beleuchtet hatte, war Bandar derjenige, der über 20 Jahre die Al-Yamamah-Schmiergeldzahlungen in Höhe von einer Milliarde britischer Pfund eingestrichen und sie unter seine Vetter am saudischen Hof verteilt habe. Wie Seymour Hersh Anfang 2007 in der Zeitschrift New Yorker berichtete, haben Bandar und US-Vizepräsident Dick Cheney Ende 2006 in Reaktion auf die Niederlage Israels im Libanon-Krieg beschlossen, mit Hilfe Zehntausender salafistischer Extremisten den sogenannten "Bogen des Widerstands" zwischen dem Iran, Syrien und der schiitischen Hisb Allah im Libanon zu zerschlagen. Das Ergebnis dieser verbrecherischen Politik ist das Bürgerkriegschaos in Syrien samt dem Aufkommen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS).

Man muß davon ausgehen, daß sich die ganze Aufregung um die für Saudi-Arabien belastenden Aussagen Moussaouis nach wenigen Tagen wieder gelegt haben dürfte. Entgegen der Darstellung der New York Times sind es nicht nur die Republikaner, die derzeit in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit haben, die an einer Freigabe von Teil IV des 9/11-Untersuchungsberichtes kein Interesse haben. Trotz anderslautender Zusagen gegenüber Mitgliedern der 9/11-Opferfamilien hat Präsident Obama seit fünf Jahren nichts in Richtung größerer Transparenz bezüglich der Hintergründe der Flugzeuganschläge unternommen und wird es künftig auch nicht tun. Denn sonst müßte der US-Sicherheitsapparat unter anderem erklären, warum der Vorschlag der FBI-Ermittler in Minnesota, einen gerichtlichen Untersuchungsbefehl für Moussaouis Laptop und Mobiltelefon zu erwirken, vom Hauptquartier in Washington torpediert wurde und warum die beiden "Terrorverdächtigen" Al Hasmi und Al Midhar im Jahr 2000 in San Diego ausgerechnet bei dem führenden Informanten des FBI in der Stadt, Abdusattar Sheikh, wohnten.

Daß die CIA, das FBI, die NSA und andere amerikanische Geheimdienste die mutmaßlichen 9/11-Hijacker vor dem eigentlichen Anschlag längst im Visier hatten, ist unstrittig. Dies haben unter anderem die ehemalige FBI-Anwältin Coleen Rowley, die ehemalige FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds, der ehemalige FBI-Ermittler Robert Wright, der Ex-NSA-Analytiker Thomas Drake und Oberstleutnant Anthony Shaffer von der Defense Intelligence Agency (DIA) bezeugt. Bis heute halten sich in Washington alle an die wenig glaubhafte Legende, bürokratischer Wirrwarr und Inkompetenz seien die Gründe, warum der mächtigste Sicherheitsapparat der Welt am 11. September 2001 "versagt" habe. Damit diese Märchengeschichte für Erwachsene weiterhin Bestand hat, werden die Saudis wegen ihrer Verfehlungen - wenn es überhaupt welche waren - im Umgang mit Bin Laden und Konsorten nicht verfolgt werden.

6. Februar 2015


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