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JUSTIZ/695: Sondergefängnis Guantánamo wird zur Dauerinstitution (SB)


"Guantánamo Bay" wird zur Dauerinstitution

Obamas Schließungspläne stellen eine Bedrohung des Rechtsstaats dar


Bis zum Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit im Januar 2017 als US-Präsident will Barack Obama drei Vorhaben durchgesetzt haben: das Atomabkommen mit dem Iran, verbindliche Klimaziele für die USA und die Schließung des Sonderinternierungslagers auf dem Gelände des US-Marinestützpunkts Guantánamo Bay auf Kuba. Letzteres hat Obama bereits beim Einzug ins Weiße Haus am 22. Januar 2009 vor der internationalen Presse durch die Unterzeichnung einer Präsidialverordnung, die innerhalb von zwölf Monaten umgesetzt werden sollte, angekündigt. Die Schließung läßt jedoch bis heute auf sich warten, weil die Republikaner im Kongreß das Projekt mit dem Argument torpedieren, die Verlegung muslimischer "Topterroristen" auf das amerikanische Festland sei zu gefährlich und daher der US-Bevölkerung nicht zuzumuten.

In Guantánamo gibt es nur noch 116 Gefangene. Bei 64 von ihnen besteht offiziell ein wie auch immer begründeter "Terrorverdacht" (Zu dieser Gruppe gehören der Pakistaner Khalid Sheikh Mohammad (KSM) und vier weitere mutmaßliche Hintermänner des 9/11-Anschlags, denen deshalb vor einem Militärtribunal der Prozeß gemacht wird). 52 Guantánamo-Insassen gelten als ungefährlich, weswegen die USA sie abschieben will. Darüber wird mit den Herkunftsländern verhandelt. Bei Personen - etwa muslimischen Uiguren aus der Volksrepublik China -, denen in ihrer Heimat Repressalien drohen oder ihre Unversehrtheit nicht garantiert werden kann, wird die Möglichkeit der Unterbringung in einem Drittstaat ausgelotet.

Dieser Prozeß ist langwierig, denn die Verantwortlichen der Justiz- und Militärbehörden in den USA scheinen sich schwer von der Ungefährlichkeit der Betroffenen überzeugen zu können. Sonst ist nicht zu erklären, warum das Pentagon - um nur ein Beispiel zu nennen - weiterhin die Ausreise Shaker Aamers nach Großbritannien, worüber sich die Außenministerien in Washington und London bereits im Oktober 2013 geeinigt haben, weiterhin blockiert. Aamer, ein Saudi, der früher in Großbritannien lebte, hat mehr als 13 Jahre in Guantánamo verbracht, ohne daß jemals Anklage gegen ihn erhoben wurde. Die Hinweise auf seine vermeintliche frühere Mitgliedschaft bei Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" sind mehr als dürftig, denn sie stammen einerseits von einem unzuverlässigen Zeugen in Pakistan, andererseits aus unter Folter gemachten Aussagen von Aamer selbst, welche dieser längst widerrufen hat.

Am 10. August berichtete die Washington Post von einem "internen Streit" innerhalb der Obama-Administration über den eventuellen Unterbringungsort für die zu verlegenden Guantánamo-Häftlinge. In diesem Zusammenhang wurden ein Gefängnis in Thomson, Illinois, mit Platz für 1600 Insassen, das das Justizministerium in Washington dem betreffenden Bundesstaat 2012 zwecks Umbau zu einem Hochsicherheitstrakt abgekauft hat und eine Haftanstalt der US-Marine in Charleston, South Carolina, genannt. Thomson fällt aber weg, denn zum Zeitpunkt des Verkaufs hat Obamas damaliger Justizminister Eric Holder bei einer Anhörung vor dem Senat in Washington eine Garantie abgeben, daß die Anlage nicht als "Guantánamo Nord" genutzt wird. Im Post-Artikel wandte sich Lindsey Graham, republikanischer Senator und Kriegsfalke aus South Carolina, gegen eine Verlegung der Guantánamo-Häftlinge in seinen Heimatstaat. Graham zufolge ist der Marinestützpunkt, der im Großraum Charleston, nur 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, liegt, völlig ungeeignet. Nur eine Anlage in einer "entlegenen Region, weit weg von bevölkerungsreichen Gebieten und kritischer Infrastruktur" käme in Frage, so der Antiterrorkriegsapostel.

Am 20. August hat der neue Pentagon-Chef Ashton Carter neben dem Marinegefängnis in Charleston den Armeestützpunkt Fort Leavenworth in Kansas als möglichen Unterbringungssort für die Guantánamo-Häftlinge ins Spiel gebracht. Auf dem Gelände dort befindet der einzige Hochsicherheitstrakt des US-Verteidigungsministeriums. Die Anregung Carters hat Pat Roberts, den republikanischen Senator aus Kansas, zu einem skurrilen Protestbrief veranlaßt. Darin wandte sich der ehemalige Marineinfanterist gegen Fort Leavenworth als Ersatz für Guantánamo Bay, weil das Gelände des Stützpunkts unmittelbar am Fluß Missouri liege, wodurch "Terroristen" zu einer spektakulären Befreiungsaktion per U-Boot veranlaßt werden könnten.

Gegen Obamas Guantánamo-Pläne gibt es gewichtigere Einwände als die Horrorszenarien unverbesserlicher Demagogen wie Graham und Roberts. Die American Civil Liberties Union (ACLU), die älteste Bürgerrechtsvereinigung der USA, kritisiert an der geplanten Verlegung der 64plus Guantánamo-Häftlinge, daß damit die schwersten Rechtsverstöße der Ära George W. Bushs - willkürliche Verhaftung sowie Dauerinternierung ohne Anklage und ohne die Aussicht auf ein Gerichtsverfahren - endgültig als gängige Praxis etabliert werden. In einem Artikel, der am 28. August bei CommonDreams.org unter der Überschrift "Potential for 'Guantánamo North' Could Keep Indefinite Detention Alive" erschien, plädierte Omar Shakir vom Center for Constitutional Rights (CCR) in New York, der mehreren Guantánamo-Häftlinge Anwaltshilfe leistet, dafür, die Inhaftierten entweder freizulassen oder, wenn die Beweismittel es hergeben, Anklage gegen sie zu erheben und ihnen den Prozeß vor regulären Strafgerichten auf dem amerikanischen Festland zu machen.

3. September 2015


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