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LATEINAMERIKA/2163: In Washington hat man Kreide gefressen (SB)


Ungewohnt konziliante Töne selbst gegenüber Venezuela und Bolivien


Für ihre nahen und fernen Nachbarn im Süden haben Barack Obama und seine Administration Kreide gefressen. Nicht nur, daß bislang kaum ein böses Wort über Staatschefs und Regierungen Lateinamerikas über ihre Lippen kommt, sie ringen sich vielmehr sogar zu Äußerungen durch, wie man sie seit acht Jahren nicht mehr gehört hat. Präsident Obama erweckt nach wie vor den Eindruck, es sei ihm im Gegensatz zu seinem Vorgänger George W. Bush allen Ernstes an gutnachbarschaftlichen Beziehungen und einem konfliktarmen Klima in dieser Weltregion gelegen.

Hugo Chávez, Evo Morales und Raúl Castro haben ihre Bereitschaft erklärt, zu Gesprächen mit dem neuen US-Präsidenten zusammenzutreffen und die Feindseligkeiten der Bush-Ära zugunsten einer direkten Diplomatie der Staatschefs zu beenden. Sollte es tatsächlich gelingen, solche Beratungen auf Grundlage gegenseitigen Respekts durchzuführen, könnte dies maßgeblich zur Entspannung in der westlichen Hemisphäre beitragen und womöglich sogar dem Streben nach größerer Unabhängigkeit von der Hegemonialmacht USA Raum geben.

Wenngleich Obama auf diese Gesprächsbereitschaft noch nicht explizit reagiert hat, sendet das US-Außenministerium doch auffällige Signale. Hatte die Bush-Administration jeden Erfolg ihrer Intimfeinde in Venezuela und Bolivien nach Kräften verteufelt oder zumindest heruntergespielt, so lobten Sprecher des Außenamtes ausdrücklich die demokratischen Prozesse in beiden Ländern insbesondere im Zusammenhang mit den erfolgreichen Referenden. Solche Äußerungen muten fast schon wie eine politische Kehrtwende an, da die US-Regierung in der Vergangenheit nichts unversucht gelassen hatte, die Volksabstimmungen als manipuliert, autoritär und populistisch zu diskreditieren und selbst die hanebüchenste Behauptung der Opposition, die Ergebnisse des Urnengangs seien gefälscht oder unter Zwang erzielt worden, fleißig zu kolportieren.

Die Bush-Regierung hatte den deutlichen Erfolg von Evo Morales beim Referendum über seine Amtsführung am 10. August mit eisigem Schweigen quittiert. Während nicht nur aus den befreundeten Ländern zahlreiche Glückwünsche in Bogotá eintrafen, sondern fast ganz Lateinamerika diese klare Bestätigung und zusätzliche demokratische Legitimation des bolivianischen Staatschefs ausdrücklich begrüßte, verlegte sich die damalige US-Administration darauf, das Mehrheitsvotum totzuschweigen. Nachdem bei einem Massaker mindestens 25 Bauern von gedungenen Handlangern der Opposition ermordet worden waren, brachte es die US-Regierung nicht über sich, diese Greueltat in der gebotenen Weise zu verurteilen. Höchst aktiv wurde Bush jedoch, als der US-Botschafter in Bogotá wegen fortgesetzter Geheimtreffen mit führenden Vertretern der Opposition des Landes verwiesen wurde: Er legte die Handelsvergünstigungen für Bolivien auf Eis.

Die jüngsten Stellungnahmen der US-Führung unterscheiden sich deutlich von der bislang üblichen Praxis. Nachdem am 25. Januar die neue Verfassung Boliviens in einem Referendum mit einer Zustimmung von 61 Prozent angenommen worden war, gratulierte der Sprecher des US-Außenministeriums, Robert Wood, dem bolivianischen Volk und erklärte, man freue sich darauf, mit der Regierung in Bogotá so gut wie möglich zusammenzuarbeiten, um die Demokratie zu stärken. Da die USA bislang Repression, Sanktionen oder gar Krieg im Schilde führten, wenn sie von einer Förderung der Demokratie in anderen Ländern sprachen, konnte die Nachfrage kaum ausbleiben, ob der Außenamtssprecher die Volksabstimmung für einen Beitrag zur Festigung der Demokratie halte. Darauf antwortet Wood mit den Worten, ein freier, fairer und demokratischer Ablauf trage selbstverständlich positiv dazu bei.

Noch prekärer war die Situation beim Referendum über die unbeschränkte Wiederwahl der Amtsträger Venezuelas, das im Vorfeld wieder einmal zum Schicksal über die politische Zukunft von Präsident Chávez und des gesamten bolivarischen Gesellschaftsentwurfs hochstilisiert wurde. Obgleich nicht nur die venezolanische Opposition eine wie auch immer geartete Intervention der US-Regierung erhoffte oder in alter Gewohnheit erwartete, blieb diese aus. Vielmehr erklärte Robert Woods im Namen seines Ministeriums, es handle sich bei dem Referendum um eine innere Angelegenheit Venezuelas.

Die von der Regierung initiierte Verfassungsänderung wurde am 15. Februar mit einer Mehrheit von 54 Prozent angenommen, worauf Gordon Duguid als Sprecher des US-Außenministeriums offen bestätigte, daß die Volksabstimmung größtenteils in voller Übereinstimmung mit demokratischen Standards verlaufen sei. Nach seiner persönlichen Meinung über den Ausgang des Referendums gefragt, erklärte auch Duguid, das sei allein Sache des venezolanischen Volkes.

Obgleich die offiziellen Stellungnahmen des US-Außenministeriums zu den Referenden in Bolivien und Venezuela nicht über das hinausgehen, was man für gewöhnlich von Regierungsseite in derartigen Fällen zu äußern pflegt, mutet diese diplomatische Normalität doch vor dem Hintergrund angespannter Beziehungen in der Vergangenheit nachgerade überraschend an. Wenn der Führungswechsel in Washington selbst die Konflikte mit Hugo Chávez und Evo Morales zu befrieden scheint, kann bei der Annäherung doch wohl nicht mehr allzu viel schiefgehen, möchte man meinen.

Erinnern wir uns: Außenministerium Hillary Clinton hatte in ihrer Antrittsrede hervorgehoben, die Politik im Umgang mit anderen Ländern werde künftig von Prinzipien und Pragmatismus, nicht jedoch einer rigiden Ideologie geprägt sein. Sollte das die neue Diplomatie in Lateinamerika umschreiben, die Obama mit der von ihm angekündigten Neugestaltung der Beziehungen gemeint hatte? Vor Euphorie sei gewarnt: Erstens ist das Verhältnis der USA zu den Nachbarn im Süden von Herrschaftsinteressen geprägt, in deren Zusammenhang die Präsidentschaften wie einander ergänzende Pendelschläge ein und desselben strategischen Entwurfs anmuten. Zweitens hat schon George W. Bush zu Beginn seiner ersten Amtszeit den Nachbarn im Süden das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Drittens ist Barack Obama ein Meister der Worte, mit deren Hilfe er enorme Vorschußlorbeeren angesammelt hat. Der Beweis, daß er in der Lateinamerikapolitik tatsächlich eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe und nicht vielmehr die Befriedung rebellischen Geistes zugunsten einer neuerlichen Spaltung anstrebt, muß erst noch erbracht werden.

25. Februar 2009