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LATEINAMERIKA/2171: Mexiko wehrt sich gegen Protektionismus der USA (SB)


Eskalation im Dauerstreit um Fahrverbot für mexikanische Lastwagen


Es hätte der Weltwirtschaftskrise nicht bedurft, um die zunehmende Abhängigkeit Mexikos von den Vereinigten Staaten vor Augen zu führen. Das ewige Verhängnis, in dieser engen Nachbarschaft der Unterlegene zu sein, kulminierte in den frühen 1990er Jahren in den Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA), der den weitaus schwächeren Partner mit Räubern zusammenschmiedete, die mit dieser Kumpanei nicht zuletzt ein Instrument zur Ausbeutung und Zurichtung der Mexikaner schufen. Angesichts des dramatischen ökonomischen Niedergangs sieht man heute in Washington um so weniger Gründe, sich diesbezüglich Hemmungen aufzuerlegen.

Die Hoffnung, sich als NAFTA-Mitglied Konkurrenzvorteile gegenüber Drittländern zu verschaffen und damit die zu erwartenden Risiken der Freihandelszone mit den USA und Kanada zu kompensieren, erfüllte sich nicht. So mußten die Mexikaner nach einer euphorischen Aufbruchstimmung und einer deutlichen Steigerung ihrer Exporte in die USA schließlich erkennen, welche Abhängigkeit vom dortigen Konjunkturverlauf für sie daraus erwuchs. Besonders verheerend wirkte sich jedoch der Abbau der Schutzzölle für die Landwirtschaft aus. Die hochindustrialisierten und hochsubventionierten US-amerikanischen Produzenten überschwemmten das Land mit ihren billigeren Erzeugnissen und ruinierten damit millionenfach die einheimischen Bauern.

Faßt man Freihandel als erzwungenes Schleifen nationaler Schutzwälle auf, das der Brachialgewalt wirtschaftlich weit überlegener Mächte Tür und Tor öffnet, zeichnet sich eine von langer Hand geplante Unterwerfung und Zurichtung unter ein Regime überstaatlicher Administration ab. Was die mexikanische Landwirtschaft betrifft, so wurden seit Realisierung der NAFTA nicht nur zahllose Kleinbauern der Subsistenzwirtschaft um ihre Existenz gebracht, sondern zugleich Strukturen landwirtschaftlicher Produktion auf breiter Front zerschlagen. Die Folge ist ein Land, das seine Bevölkerung weniger denn je ernähren kann und schließlich auf Gedeih und Verderb am Versorgungsstrang der USA hängen wird. Vorenthalten und Zuteilen zum Überleben notwendiger Mittel charakterisieren am Ende einen Zustand beliebiger Vernutzbarkeit.

Zwar schienen die Mexikaner in der Anfangsphase beträchtlich von dem Abkommen zu profitieren, als die Manufakturen vor allem an der Nordgrenze wie Pilze aus dem Boden schossen und die Ausfuhren ins nördliche Nachbarland deutlich zulegten, doch wurden diese vermeintlichen Vorteile später mehr als wettgemacht. Zum einen wurde Mexiko die wachsende Fixierung auf den US-Markt zum Verhängnis, als dort infolge der Rezession die Nachfrage sank und die Einfuhren drastisch zurückgingen. Zum anderen handelte es sich bei der ausgeweiteten Fertigung zumeist um die sogenannte Lohnveredelungsindustrie, bei der Mexiko vor allem in den noch billiger produzierenden Chinesen ein übermächtiger Konkurrent erwuchs.

Mexikos billige Arbeitskraft sollte von vornherein unter Konditionen ausgebeutet werden, die kaum etwas anderes als die Maquila zuließen. Als sich selbst in diesem Sektor Initiative zur Qualifizierung zu regen begann, woraus tendentiell höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen resultierten, wurde dieses Niveau insbesondere von den Chinesen unterboten. Der anfängliche Exportboom in Richtung USA hat somit nicht dazu geführt, die industrielle Struktur Mexikos maßgeblich zu entwickeln und nicht einmal Arbeitsplätze gebracht. Das ganze System war nie darauf angelegt, alle beteiligten Partner zu fördern, sondern ein Verfahren, sich insbesondere Mexiko stärker verfügbar zu machen.

Die Überantwortung machte sich in verschiedenen Bereichen des mexikanischen Wirtschaftslebens schmerzlich bemerkbar. So wurden beispielsweise von einer einzigen Ausnahme abgesehen alle größeren Banken des Landes an ausländische Geldhäuser verkauft, was unter anderem dazu führte, daß Kredite für Kleinbetriebe und Mittelstand kaum noch zu bekommen waren. Auch bauten die USA keineswegs alle Schutzzölle ab, sondern hielten mit deren partieller Aufrechterhaltung gezielt Produkte fern, um die eigene Wirtschaft zu unterstützen.

Überdies erfüllte sich die Erwartung auf mexikanischer Seite nicht, in der Frage der Arbeitsmigration Fortschritte zu erzielen und womöglich gar die angestrebte Legalisierung aller Landsleute im Norden zu erleben. Ganz im Gegenteil zeichnete sich in den USA eine wachsende Feindseligkeit und Repression gegen Mexikaner und andere Hispanics ab, denen zunehmend Rechte und Möglichkeiten aberkannt werden, die man ihnen stillschweigend oder sogar offiziell gewährt hatte. Hatte es zunächst geheißen, die NAFTA werde die Einkommensunterschiede zwischen den USA und Mexiko nivellieren, so war in der Folge auch hier das Gegenteil der Fall: Sie sind erheblich gestiegen.

Aus Sicht der USA fällt die Einschätzung der NAFTA zwar nicht überschwenglich, doch mit Blick auf die negativen Folgen für das südliche Nachbarland gleichgültig bis herablassend aus. Wie es vielfach heißt, könne diese Bilanz niemanden überraschen. Mit seinen strukturellen Schwächen habe Mexiko grundsätzlich keine großen Chancen gehabt, die möglichen Entwicklungsvorteile der NAFTA tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Beim jüngsten Konfliktfall zwischen den beiden Ländern handelt es sich um einen Streit, dessen Anfänge weit in der Vergangenheit liegen. Der NAFTA-Vertrag sah vor, daß mexikanische Lastwagen ab Dezember 1995 in den vier Bundesstaaten Kalifornien, New Mexico, Arizona und Texas und von 2000 an in den gesamten USA uneingeschränkt verkehren dürfen. Wie etliche andere Vereinbarungen im Rahmen des Handelsabkommens wurde auch diese von Washington gebrochen. Auf Druck der einheimischen Spediteure und der Transportarbeitergewerkschaft gestattete die Clinton-Administration mexikanischen Fuhrunternehmen lediglich, eine Zone von 30 Meilen nördlich der Grenze zu befahren. Dann mußten die beförderten Güter auf US-amerikanische Fahrzeuge umgeladen werden, die sie an ihre mehr oder minder weit entfernten Ziele transportierten. Da etwa 70 Prozent des Warenverkehrs zwischen beiden Ländern auf der Straße abgewickelt werden, kann man sich ausmalen, in welchem Ausmaß die Mexikaner über den Tisch gezogen wurden.

Dabei wurden von Seiten der USA die Argumente vorgeschoben, mexikanische Lastwagen stellten ein Sicherheitsrisiko auf nordamerikanischen Straßen dar und verpesteten überdies die Luft. Die Gewerkschaften führten die drohende Konkurrenz der wesentlich schlechter bezahlten mexikanischen Fahrer ins Feld, die den Kollegen in den USA die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Auch Umweltschützer und Verbrauchergruppen liefen gegen die Lastwagen aus dem Süden Sturm und warnten, diese verschmutzten die Umwelt weit stärker als US-Fahrzeuge und seien wegen ihres schlechten technischen Zustands, geringerer Sichheitsauflagen und ungeübter Fahrer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Diese Allianz verschieden gearteter Interessen zu dem Zweck, die mexikanischen Lastwagen fernzuhalten, entfesselte zwischenzeitlich geradezu hysterische Kampagnen in den USA, bei denen man unter anderem die Hetzparole ausgab, mexikanische Lastwagenfahrer würden amerikanische Kinder totfahren. Die Transportgewerkschaft und verschiedene andere Gruppen reichten Klage ein, um mexikanische Lastwagen solange fernzuhalten, bis die von ihnen verursachte Umweltbelastung umfassend untersucht worden ist.

Vor allem die Propaganda, amerikanische Kinder würden von Schrottmühlen aus Mexiko totgefahren, zog in der Bevölkerung, die darin ein willkommenes Ventil fand, ihren Ressentiments gegen Mexikaner freien Lauf zu lassen. Zwar sprach eine Schiedskommission der NAFTA Mexiko im Jahr 2001 das Recht zu, seinerseits Sanktionen zu verhängen, doch hinderte das Washington nicht daran, mexikanische Fuhrunternehmen weiterhin mit Auflagen fernzuhalten, wie sie weder für US-amerikanische noch für kanadische Lastwagen in dieser Form galten.

Zwölf Jahre lang scheiterte die mexikanische Regierung mit ihrem Bestreben, Washington zur Einhaltung des NAFTA-Abkommens zu bewegen. Erst 2007 kam es zu einer Lockerung, als die beiden Länder eine Vereinbarung unterzeichneten, die je 100 Fahrzeuge aus Mexiko und den USA an einem Pilotprojekt teilnehmen ließ, das die heftig umstrittene Sicherheitsfrage klären sollte. Seither wurden rund 45.000 Grenzüberquerungen registriert, ohne daß die mexikanischen Lastwagen hinsichtlich ihrer Verkehrssicherheit signifikant schlechter abgeschnitten hätten.

Dieses positiven Ergebnisses ungeachtet, strich der US-Kongreß jedoch im Rahmen eines jüngst verabschiedeten Haushaltspakets von 410 Milliarden Dollar die Mittel zur Fortsetzung des Projekts, wodurch selbst dieser äußerst begrenzte Zugang für mexikanische Fuhrunternehmen wieder abgeschafft wurde.

Mexiko verurteilte die Entscheidung in scharfen Worten als klaren Verstoß gegen den NAFTA-Vertrag und protektionistische Maßnahme, die im Angesicht der Wirtschaftskrise nicht nur Mexiko, sondern aller Welt ein falsches Signal sende. Mit diesem Schutz des eigenen Transportsektors schadeten die USA dem freien Wettbewerb beider Länder und schädigten zahlreiche weitere produktive Sektoren der Region. Um ihrer Ablehnung Nachdruck zu verleihen, hob die mexikanische Regierung die Einfuhrzölle für 90 Produkte an, die allerdings nur 2,4 Milliarden Dollar des gesamten jährlichen Handelsvolumens von 367 Milliarden Dollar ausmachen. Wie es von mexikanischer Seite dazu hieß, habe man eine Auswahl mit größtmöglicher Wirkung getroffen und sich auf eine Reihe von Industriezweigen beschränkt, die in vielen US-Bundesstaaten vertreten sind.

Auf diese Ankündigung reagierte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, bei einer Pressekonferenz mit den Worten, die Regierung erkenne die legitimen Bedenken des Kongresses hinsichtlich der mexikanischen Lastwagen an, doch wolle sie versuchen, in Verhandlungen mit dem Kongreß wie auch der Regierung Mexikos ein neues Projekt auf den Weg zu bringen. (World Socialist Web Site vom 19.03.09).

Selbst wenn das mehr als eines jener Lippenbekenntnisse gewesen sein sollte, an denen es der Obama-Administration bekanntlich am allerwenigsten mangelt, und darüber hinaus sogar ein zweites Pilotprojekt vereinbart wird, wäre dies nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein unerfüllter mexikanischer Forderungen.

19. März 2009