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LATEINAMERIKA/2192: Peru von sozialen Verwerfungen erschüttert (SB)


Präsident Alan García hofiert das internationale Kapital


Als Mitte des Monats die aufsehenerregende Nachricht publik wurde, daß im entlegenen Südosten Perus mehr als ein Dutzend Soldaten von Kämpfern der Guerillaorganisation "Leuchtender Pfad" getötet worden waren, bestritt die Regierung in Lima jeden Zusammenhang mit der Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche im Land. Die Rebellen, so hieß es, hätten den Kampf aus ideologischen Gründen vollständig aufgegeben und interessierten sich nur noch für das Drogengeschäft, in dem sie gewaltsam Einfluß zu gewinnen suchten. Hintergrund der erhöhten Gefahrenlage in dieser Region seien der wachsenden Einfluß mexikanischer Kartelle, die Kokain aus peruanischer Produktion bezögen, aber auch die staatlichen Maßnahmen zur Vernichtung der Kokasträucher.

Wie die kolumbianische Regierung unter Präsident Alvaro Uribe erhält auch die Administration Alan Garcías in Peru Hilfszahlungen Washingtons in Millionenhöhe, die offiziell dem "Antidrogenkampf" gewidmet sind, jedoch de facto ein Programm zur Aufstandsbekämpfung darstellen. Nachdem der "Leuchtende Pfad" 1979 einen Volkskrieg zum Umsturz der herrschenden Klasse ausgerufen hatte, stieg er binnen weniger Jahre zu einer der einflußreichsten Guerillabewegungen Lateinamerikas auf. Im Bürgerkrieg, der insbesondere von Massakern der Sicherheitskräfte unter der indígenen Landbevölkerung gekennzeichnet war, starben Schätzungen zufolge rund 70.000 Menschen. Die Festnahme und Verurteilung zahlreicher Rebellenführer Anfang der 1990er Jahre brachte die Aktivität der Guerilla nahezu zum Erliegen.

Inzwischen mehren sich jedoch die Hinweise, daß der "Leuchtende Pfad" den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat und dabei mit beträchtlicher militärischer Effizienz Erfolge erzielt, die Regierung und Streitkräften schwer zu schaffen machen. Davon zeugt auch der jüngste Überfall, bei dem nach Angaben von Verteidigungsminister Antero Flores Aráoz ein Patrouille der Armee in einem Hinterhalt mit Granaten und Sprengstoff angegriffen wurde. Dieser Zwischenfall war bereits der elfte Angriff von Rebellen auf Sicherheitskräfte seit Jahresbeginn. Waren im vergangenen Jahr 26 Soldaten und Polizisten von den Rebellen getötet worden, so wächst nun in Regierungskreisen die Furcht vor jenen rund 350 bewaffneten Kämpfern, auf die man die aktuelle Stärke der Guerilla beziffert. Dabei erinnert man sich an die eklatante Fehleinschätzung in den 1980er Jahren, als man die wenigen hundert Rebellen im Hinterland für bedeutungslos hielt.

Sorgen macht der Armee insbesondere die disziplinierte Vorgehensweise der Rebellen, die ohne Vorwarnung auftauchen, vorgelagerte Stützpunkte oder Patrouillen unter Beschuß nehmen und dann wieder im Dschungel untertauchen. Abgesehen von der Mutmaßung, daß die Guerillagruppe von den Brüdern Victor (José) und Jorge (Raúl) Quispe Palomino angeführt wird, ist so gut wie nichts über die Struktur der Rebellen bekannt. Offenbar hat der "Leuchtende Pfad" seinen Umgang mit der Zivilbevölkerung gegenüber früheren Jahren erheblich geändert und enthält sich aller Anschläge auf zivile Ziele und Repräsentanten der örtlichen Administration. Dorfbewohner berichten von einem paternalistischen Verhältnis, unter dem man in Frieden lebe, sofern man sich an das halte, was "die Onkel" sagen.

Gefahr droht der Zivilbevölkerung jedoch von den Sicherheitskräften, die seit August 2008 ihren Kampf gegen die Guerilla verschärft haben und repressiv gegen die Dorfbewohner vorgehen. In der Ortschaft Río Seco wurden fünf Menschen von Soldaten aus nächster Nähe erschossen, unter ihnen auch eine schwangere Frau. Zwei kleine Kinder sind seither verschwunden und offenbar ebenfalls gestorben. Nach der Doktrin der peruanischen Armee ist jeder getötete Dorfbewohner entweder ein Zuträger des Drogenhandels oder der Rebellen, wobei man diese beiden Gruppierungen kurzerhand gleichsetzt. Verteidigungsminister Antero Flores Aráoz erklärte in einem Interview, die getötete Frau habe nur bekommen, was sie verdiene.

Mehr noch als die wiedererstarkte Guerilla fürchtet die Regierung die Minenarbeiter, seit am 30. Juni 2008 rund 28.000 Bergleute in den Streik traten, um bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne, Beteiligung an den Profiten der Unternehmen und eine angemessene Altersversorgung zu fordern. Die Arbeit unter Tage und das Leben im von Giftstoffen verseuchten Umfeld peruanischer Bergwerke erinnert an die mörderischen Verhältnisse frühkapitalistischer Ausbeutung. Es war bereits der dritte Streik der Minenarbeiter binnen vierzehn Monaten und legte diesmal die Produktion sechs ausländischer Bergbaukonzerne lahm. Die Regierung erklärte den Ausstand für illegal, worauf ihn die Gewerkschaftsführung nach fünf Tagen abbrach. Unterdessen waren jedoch Delegationen aller größeren Bergbauregionen des Landes in die Hauptstadt gezogen, wo man sich an den großen Bergarbeiterstreik des Jahres 2004 erinnerte, bei dem die Minenarbeiter die wichtigsten Zufahrtstraßen nach Lima abgeriegelt und damit die Versorgung erheblich beeinträchtigt hatten.

Inzwischen haben der Sturz der Weltmarktpreise für Rohstoffe und die globale Krise auch den Bergbau in Peru schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die ausländischen Konzerne reduzieren ihre Produktion und drohen mit der Schließung zahlreicher Minen, die Zehntausende Arbeiter auf die Straße setzen würde. Mit der Bereitstellung von Krediten in Millionenhöhe versucht die Regierung, das Schlimmste zu verhindern und ein Szenario hungernder Bergarbeiter abzuwenden, die erneut auf die Hauptstadt marschieren. Unter den Krisenfolgen leiden zahlreiche weitere Sektoren der peruanischen Gesellschaft, und so gingen in diesem Jahr unter anderem Bauarbeiter, Ärzte und Lehrer auf die Straße, um gegen die steigenden Lebenshaltungskosten zu protestieren und höhere Einkünfte zu fordern. (World Socialist Web Site 09.04.09)

In den zurückliegenden vier Jahren verzeichnete Peru ein ansehnliches Wirtschaftswachstum, das ausländisches Kapital anzog, den Reichtum der Eliten mehrte und den Lebensstandard von Teilen der Mittelschicht hob, jedoch die Mehrheit der Bevölkerung in ihrer Armut beließ. Präsident Alan García setzte die neoliberale Politik seiner Vorgänger Alberto Fujimori (1990-2000) und Alejandro Toledo (2001-2006) kontinuierlich fort, was ihm ein kürzlich unterzeichnetes Freihandelsabkommen mit den USA eintrug, wo ihn die Bush-Regierung zu ihren wenigen verbliebenen Verbündeten im abspenstigen Lateinamerika zählen konnte.

Seinen eigenen Landsleuten ist García hingegen zunehmend verhaßt, wie sein Absturz in Umfragewerten dokumentiert. Er war mit über 60 Prozent Zustimmung in seine Amtszeit gestartet und rangiert inzwischen bei 20 bis 30 Prozent. Das ist zwar besser als Toledo, der am Ende nur noch im einstelligen Bereich lag, und Fujimori, der damals nach Japan floh und vor kurzem in Peru zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Allerdings hat der amtierende Staatschef ja noch eine Wegstrecke vor sich und dabei geringe Aussichten, in der Gunst der Bevölkerung zu steigen, die selbst in Zeiten boomender Exporte von Kupfer, Zinn, Zink, Gold und Silber immer weniger von ihm wissen wollte, da sie mehrheitlich von dem Zugewinn ausgeschlossen war.

Die Regierung hofierte ausländische Investoren, garantierte den Schuldendienst, setzte die Sparauflagen der internationalen Finanzadministration um und füllte die Taschen einer Minderheit. Das weithin gelobte Wirtschaftswachstum Perus erwies sich als eine Rechengröße zugunsten der Kapitalinteressen und eines beschränkten Kreises von Profiteuren zu Lasten der Mehrheit, deren Unmut spürbar wächst. Da Alan García inzwischen fürchtet, soziale Unruhen könnten ausländische Investoren abschrecken, sagte er diesen ein weiteres Jahrzehnt politischer Stabilität in Peru zu. Am 25. März legte er in einer Rede vor lateinamerikanischen Unternehmern dar, wie er dieses ambitionierte Ziel erreichen will: Wenngleich der Präsident seinen Nachfolger nicht bestimme, könne er doch dafür sorgen, daß ihm niemand im Amt nachfolgt, den er dort nicht haben möchte. Zu diesem Zeitpunkt wußte García noch nicht, daß seine Worte aufgezeichnet wurden. Andernfalls hätte er vermutlich damit hinter dem Berg gehalten, daß man der Demokratie im Zweifelsfall kräftig nachhelfen muß, wenn Habenichtse sie zu ihren Gunsten wenden wollen.

23. April 2009