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LATEINAMERIKA/2195: Mexiko bleibt ein Hort der Hiobsbotschaften (SB)


Schweinegrippe überschattet selbst den Krieg der Kartelle


Bis vor wenigen Tagen wurde Mexiko vor allem mit dem Krieg der Kartelle assoziiert, dem seit Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón im September 2006, der mit seiner Politik der harten Hand und Militarisierung des Konflikts maßgeblich zu dieser Eskalation beigetragen hat, schätzungsweise 12.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Wie zu befürchten war, konnte dieses Bild nur von einem Phänomen in den Hintergrund gedrängt werden, das von ähnlich bedrohlichem Charakter wie das eskalierende Abschlachten unter reger Beteiligung staatlicher Sicherheitskräfte ist. Ein bislang unbekannter Krankheitserreger, der angeblich Verwandtschaft mit der Vogel- und Schweinegrippe haben soll und von Mensch zu Mensch überspringt, läßt die Warnung vor einer Pandemie mit zahllosen Opfern nicht übertrieben erscheinen.

Furchterregend ist an dieser Gefahr vor allem die weitgehende Unkenntnis über ihre genaue Herkunft, Wirkungsweise und Folgekonsequenz, wie auch das vorläufige Fehlen eines wirksamen Gegenmittels. Diese Ungewißheit läßt ahnen, wie enge Grenzen der vielgerühmten ärztlichen Kunst gesetzt und wie naheliegend Strategien sind, auf das unbewältigte Problem mit Bezichtigung und Repression zu reagieren, da der Kampf mit seinesgleichen sehr viel greifbarer und erfolgversprechender als die hoffnungslos anmutende Auseinandersetzung mit dem so gut wie unsichtbaren und potentiell allgegenwärtigen Feind ist.

Nicht ohne Grund schleichen sich in diese Debatte Begriffe aus dem militärischen Sprachgebrauch ein, was um so mehr gilt, als die staatliche Reaktion in erster Linie auf die Verhängung des Kriegsrechts oder mindestens einer unwesentlich niedriger angesiedelten Einschränkung der bürgerlichen Rechte hinausläuft. Dagegen ist insofern nichts einzuwenden, als es um die Eindämmung einer Krankheit geht, die nach bisherigem Kenntnisstand genau wie andere Formen der Grippe übertragen wird und leicht mit diesen zu verwechseln ist. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, daß Katastrophenmedizin in diesem Szenario die weitaus höchstentwickelte Sparte medizinischer Möglichkeiten und repressive Einschränkungen der Bürger eine erschreckend gängige und weithin akzeptierte Form administrativen Handelns ist.

Offiziellen Angaben zufolge sind in Mexiko bislang mehr als 150 Menschen an der Krankheit gestorben, was nicht ausschließt, daß noch wesentlich mehr nachweislich Infizierte der Seuche zum Opfer fallen könnten oder die Zahl bereits angesteckter Personen wesentlich größer als bekannt ist. Unterdessen wächst die Furcht vor einer weltweiten Ausbreitung, da neben Mexiko und den USA inzwischen auch Europa, der Nahe Osten und der asiatisch-pazifischen Raum betroffen ist. Ob es sich dabei um Einzelfälle handelt oder die Krankheit auf größere Teile der Bevölkerung überspringt, wird man erst hinterher wissen. Sollte die Pandemie auch diesmal ausbleiben, läge die Interpretation nahe, man habe glücklicherweise alles richtig gemacht. Ob die ergriffenen Maßnahmen jedoch überhaupt in einem Zusammenhang mit dem vorläufigen Verschwinden des Erregers stehen und wie diese Verbindung gegebenenfalls aussieht, läßt sich unmöglich mit Gewißheit sagen.

Sicher ist hingegen, daß Staat und Regierung Mexikos das Arsenal ihrer Zugriffsmöglichkeiten auf die Bevölkerung unter Verweis auf die bislang als Schweinegrippe bezeichnete Krankheit erweitern und qualifizieren werden. Dafür sorgt schon der internationale Druck in Gestalt drastisch eingeschränkter Reisetätigkeit, verhängter Einfuhrsperren für Schweinefleisch und natürlich der Bezichtigung, die mexikanische Administration habe zu spät und nicht angemessen auf den Ausbruch reagiert. Dies korrespondiert mit der Angst zahlloser Mexikaner, die Regierung kümmere sich nicht angemessen um sie und enthalte ihnen lebenswichtige Informationen vor.

Verhängnisvoll ist im Zusammenhang dieser und ähnlicher Ängste, Spekulationen und Bezichtigungen, daß sich angemessene und handhabbare Erkenntnisse und Vorgehensweisen fast untrennbar mit überzogenen oder völlig unzutreffenden Auffassungen vermischen. Beispielsweise haben inzwischen zahlreiche Länder ein komplettes Einfuhrverbot für Schweinefleisch aus Mexiko und den USA verhängt, das schwerwiegende Folgen für die Produzenten hat. Während aber die Reisewarnung für Mexiko noch Sinn zu machen scheint, weisen Experten auf den Unfug des Importverbots hin, da Schweinefleisch nach angemessener Erhitzung problemlos verzehrt werden könne und die aktuelle Übertragung ohnehin nicht vom Schwein zum Menschen, sondern von einem Menschen zum andern vonstatten gehe. Das mutet auf den ersten Blick logisch an, doch stellt sich natürlich sofort die Anschlußfrage, ob die zitierten Fachleute überhaupt wissen, wovon sie reden, und falls das tatsächlich der Fall sein sollte, ob sie wirklich sagen, was sie wissen.

Wer daraus schließt, daß das Verhältnis zwischen Staat und Bürger im Angesicht einer drohenden Katastrophe besonders gestört sei, unterliegt einem Irrtum - es tritt nur deutlicher zutage. Wenn viele Mexikaner den Politikern und Behörden ihres Landes nicht über den Weg trauen, beruht das einerseits auf Erfahrungswerten, wie sie drastischer kaum sein könnten. Vielleicht schwingt dabei aber auch so etwas wie ein verbliebener Instinkt mit, vor wem man sich grundsätzlich hüten sollte.

29. April 2009