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LATEINAMERIKA/2300: Washington will die Hände in Unschuld waschen (SB)


Delegation des US-Außenministeriums simuliert Vermittlung in Honduras


Nach vier Monaten taktischen Zögerns, in denen die US-Regierung darauf gesetzt hatte, daß die Putschisten das leidige Problem Zelaya aus der Welt schaffen und Honduras zur Normalität angestammter Ausbeutungs- und Verfügungsverhältnisse zurückkehren lassen würden, sehen sie sich nun zu einem halben Schritt vorwärts genötigt. Natürlich greift die Obama-Administration noch immer nicht zu verschärften Sanktionen, da sie sich des Regimes in Tegucigalpa bedient, um den Einfluß Zelayas zu schwächen und die von ihm angestoßene Reformbewegung zu neutralisieren. Immerhin hat man erstmals eine hochrangige Delegation in die honduranische Hauptstadt entsandt, die beiden Konfliktparteien ins Gewissen reden soll. [1]

Sowohl der gestürzte Präsident als auch Micheletti sollten mehr Flexibilität zeigen und sich verstärkt um eine Ende der Krise bemühen, verlangte ein Sprecher des Außenministeriums in Washington. Diese Forderung zeigt unmißverständlich, daß die US-Regierung ungeachtet ihres Lippenbekenntnisses, Manuel Zelaya sei der rechtmäßige Präsident des mittelamerikanischen Landes, seine Rückkehr ins Amt keineswegs uneingeschränkt unterstützt. Wäre das der Fall, gäbe es keinen Kompromiß, den man ihm zur Beilegung der Krise abverlangen würde, da der Gewaltakt und Rechtsbruch einzig auf seiten der Putschisten anzusiedeln ist.

Dabei hatte Präsident Zelaya bereits mit seiner Zustimmung zum Abkommen von San José, das der schlitzohrige costaricanische Staatschef Oscar Arias als Vermittler vorlegte, in einen weitreichenden Verzicht eingewilligt. Die Putschregierung wies diesen Kompromißvorschlag jedoch ebenso zurück wie die jüngste Initiative, obgleich diese auf Grundlage des ursprünglichen Entwurfs ihre Position noch verbessert hätte. Zelaya abzuverlangen, er solle flexibler sein und weitere Konzessionen machen, ist nahezu identisch mit der Vorgehensweise der Putschisten, die wechselweise Verhandlungsbereitschaft vortäuschen und den greifbar nahen Kompromiß dann wieder vom Tisch wischen.

Was die US-Regierung aus ihrer Lauerposition gelockt hat, ist der näherrückende Wahltermin in Honduras. Zahlreiche Länder und überstaatliche Gremien haben bereits gedroht, sie würden das Ergebnis des Urnengangs und damit den neuen Präsidenten nicht anerkennen, sollte Zelaya nicht zuvor ins Amt zurückgekehrt sein. Selbst in Washington hatte man diese Reaktion nicht ausgeschlossen und sich damit selbst in Zugzwang gebracht.

Die drei US-Diplomaten, darunter der Lateinamerika-Beauftragte des Außenministeriums, Thomas Shannon, trafen in der US-Botschaft von Tegucigalpa zunächst mit Delegationen Michelettis und Zelayas zusammen. Anschließend suchten sie den gestürzten Präsidenten persönlich in der brasilianischen Botschaft auf. Wie Zelaya nach diesem Treffen der Nachrichtenagentur AFP sagte, betrachteten ihn die USA nach wie vor als Staatschef von Honduras. Washington werde die am 29. November geplanten Präsidentschaftswahlen nicht anerkennen, sofern er nicht vorher wieder ins Amt zurückgekehrt sei. [2] Zudem kam die Delegation mit dem sogenannten Interimsstaatschef Roberto Micheletti zusammen und forderte auch diesen zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf.

Unterdessen hat sich die Interimsregierung an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gewandt, um die Eröffnung eines Verfahrens gegen Brasilien zu beantragen, das Zelaya in seiner Botschaft in Honduras aufgenommen hat. Damit verletze das Land seinen diplomatischen Status, erklärte Außenminister Carlos Lopez in Tegucigalpa. In dem Verfahren sollten juristische Fragen im Zusammenhang mit dem "Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" erörtert werden. [3]

Wie das Sicherheitsministerium in der honduranischen Hauptstadt mitgeteilt hat, ist erneut ein Gewaltakt gegen einen Angehörigen eines Mitglieds der Putschregierung verübt worden. Demnach wurde der Vater des stellvertretenden Verteidigungsministers am Dienstag entführt. Am Montag war der Neffe des Putschistenführers Roberto Micheletti tot aufgefunden worden. Man hatte die Leichen des 25jährigen Enzo Micheletti und eines weiteren jungen Mannes am Sonntag in der Nähe von Choloma, rund 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa, gefunden. Der Sohn von Michelettis Bruder war offenbar bereits seit Freitag vermißt worden. Ein Vertreter der örtlichen Justizbehörden wollte ein politisches Motiv für den Mord nicht ausschließen. Zudem wurde nach Angaben des Sicherheitsministeriums ein Oberst der honduranischen Armee vor seinem Haus in Tegucigalpa erschossen. [4]

Rückendeckung erhalten die Putschisten insbesondere von einer Gruppe republikanischer Kongreßmitglieder um Senator Jim DeMint aus South Carolina, die schon vor geraumer Zeit nach Honduras gereist war, um die sogenannte Übergangsregierung ihrer Unterstützung zu versichern. Sie macht offen Front gegen Präsident Zelaya, den sie als Speerspitze des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez in Mittelamerika bezeichnet, die man brechen müsse. Diese Clique übt Druck auf die Obama-Administration aus, indem sie zugunsten des Regimes in Tegucigalpa Stellung nimmt und die Arbeit des Außenministeriums damit fortgesetzt beeinträchtigt. Im Grunde ist hier die alte Fraktion brachialer Lateinamerikapolitiker aus der Reagan-Ära am Werk, die auch unter George W. Bush großen Einfluß hatte. [5]

Hingegen hat der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Senator John Kerry, die Regierung aufgefordert, den Staatsstreich in Honduras weiterhin scharf zu verurteilen. Nach den Worten seines Sprechers Frederick Jones müsse man Micheletti unmißverständlich klarmachen, daß die Verhängung des Ausnahmezustands, die Schließung von Medien, die Drangsalierung und Verhaftung von Politikern und die Beeinflussung der Wahlen absolut inakzeptabel seien und nicht zum Erfolg führen würden.

Außenministerin Hillary Rodham Clinton hatte bereits vor dem letzten Wochenende mit Zelaya und Micheletti telefoniert, um ihnen ihren Standpunkt klarzumachen und sie zu einer Verhandlungslösung zu drängen. Dabei scheint sich insbesondere Roberto Micheletti als störrischer Gesprächspartner erwiesen zu haben, der sich mit Händen und Füßen gegen jedes Abkommen sträubt, das seinem Gegenspieler die Rückkehr ins Amt möglich machen würde. Er verlangt stur von der sogenannten Staatengemeinschaft, die Entfernung Zelayas als legalen Machtwechsel zu akzeptieren und das Ergebnis der bevorstehenden Präsidentschaftswahl anzuerkennen.

Wie aus dem Außenministerium verlautete, habe Clinton den Kontrahenten vor Augen geführt, wie frustriert man in den Vereinigten Staaten wie auch in Lateinamerika über die Verschlechterung der Situation in Honduras sei. Ihre schärfsten Argumente hätten Micheletti gegolten, mit dem sie mehr als eine halbe Stunde gesprochen habe, da dieser in Washington als der schwierigere von beiden angesehen werde. In der Tat habe er immer wieder versucht, über die Vergangenheit zu reden, während die Außenministerin mit ihm über die Zukunft sprechen wollte. Zweck des Gespräches sei es gewesen, Micheletti daran zu erinnern, daß es zwei Wege zu den Wahlen gebe: Auf dem einen gehe Honduras ganz allein, auf dem anderen habe es die breite Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

Der Putsch in Tegucigalpa droht einen neuen Keil zwischen die Vereinigten Staaten und die lateinamerikanischen Länder zu treiben, da man Washington zu Recht vorwirft, von seinem enormen Einfluß auf Honduras, das in militärischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht de facto ein Vasallenstaat der USA ist, ungenügenden Gebrauch zu machen. Wenn jemand die Putschisten in die Knie zwingen kann, dann zuallererst die US-Regierung, deren Zurückhaltung umgekehrt die Sanktionen anderer Länder erheblich abschwächt und dem Regime Hoffnung macht, den Sturm mit heimlicher Unterstützung Washingtons aussitzen zu können.

Barack Obama hält eine modifizierte Doktrin vor, die nach den Zerwürfnissen mit den Ländern des Südens unter seinem Vorgänger die Herde zurück in den Pferch holen soll, aus dem sie halbwegs ausgebrochen ist. Chávez und dessen Verbündete werden zu falschen Propheten erklärt und ausgegrenzt, während Washington zugleich bemüht ist, dabei nicht weiteres Porzellan zu zerschlagen. Daraus erklärt sich, warum die US-Regierung den Staatsstreich in Honduras einerseits verurteilt, doch andererseits wenig unternommen hat, um die Putschisten zur Räson zu bringen. Auch die Obama-Administration will Zelaya loswerden, doch sich die Hände dabei in Unschuld waschen.

Anmerkungen:

[1] Honduras. USA bemühen sich um Lösung (29.10.09)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/honduras-usa-bemuehen- sich-um-loesung_aid_449098.html

[2] USA vermitteln in Honduras (29.10.09)
http://www.sueddeutsche.de/s5438D/3120601/USA-vermitteln-in- Honduras.html

[3] Honduras bringt Brasilien wegen Hilfe für Zelaya vor Gericht (29.10.09)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jGKbSzvfKRWl-L- uE2IFdtK3Cehw

[4] Neffe von Übergangspräsident Micheletti in Honduras getötet (27.10.09)
NZZ Online

[5] U.S. Sending Envoys to Try to End Crisis in Honduras (27.10.09)
New York Times

29. Oktober 2009