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LATEINAMERIKA/2382: Mexiko verurteilt Migrantenhatz in Arizona (SB)


Zerrissen von Gier nach billiger Arbeitskraft und nagendem Futterneid


Zerrissen von der Gier nach ausbeutbarer billiger Arbeitskraft auf der einen und nagendem Futterneid angesichts eines rapide sinkenden Lebensstandards für immer breitere Kreise auf der anderen Seite ringt die US-amerikanische Gesellschaft heftiger denn je um eine Reform der Einwanderungspolitik. In der Bevölkerung greift Fremdenfeindlichkeit um sich, denn wie Meinungsumfragen zeigen, will eine Mehrheit illegale Einwanderer am liebsten loswerden, auf keinen Fall aber zu Staatsbürgern mit Aufenthaltsrecht machen. Die Wirtschaft hingegen setzt in vielen Branchen auf das gefügige Niedriglohnreservoir der weitgehend rechtlosen Immigranten und fordert Arrangements, um den Bedarf zu decken und Druck auf die einheimische Arbeiterschaft auszuüben.

Wenngleich die Migration zu den meistdiskutierten und kontroversesten Themen in den Beziehungen der Nachbarländer Mexiko und USA zählt, verhüllt ein Schleier tatsächlicher Unkenntnis oder gezielt eingesetzter Vernebelung wesentliche Funktionen, Verlaufsformen und Aspekte der Verfügbarmachung billiger und williger Arbeitskraft für die nordamerikanische Ökonomie. Während dieser Zustrom gemeinhin als Ausdruck eines wertschöpfenden Prozesses aufgefaßt wird und man sich allenfalls darüber streiten mag, wie dessen Ertrag angemessen zu verteilen sei, legt die Analyse nahe, daß es sich im Gegenteil um einen Entwertungs- und Zersetzungsvorgang handelt, der verbliebene Sourcen menschlicher Arbeitskraft und Überlebensmöglichkeiten wie in einem Strohfeuer immer kurzfristiger auflodern und unumkehrbar veraschen läßt.

Die stereotype Annahme, arbeitslose Mexikaner machten sich auf den Weg nach Norden, trifft heute weniger denn je zu. Die meisten Migranten geben einen Job in der Heimat auf, um am Ziel ihrer beschwerlichen Reise trotz eines ungewissen Arbeitsplatzes und geringen Lohns womöglich höhere Einkünfte zu erzielen als zu Hause. Im Gegensatz zur klassischen Arbeitsmigration handelt es sich immer weniger um Menschen, die zuvor in der Landwirtschaft tätig waren, sondern häufig um Beschäftigte der Baubranche und des Handels. Die breite Mehrheit wird heute nicht vom Rand, sondern aus dem Herzen der mexikanischen Arbeitskraft abgezogen.

Bei den neuen Jobs in den USA zeichnet sich eine gewisse regionale Differenzierung ab. Während mancherorts Tätigkeiten in der Landwirtschaft und Manufaktur vorherrschen, sind es anderswo eher Arbeitsplätze auf dem Bau, in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe. Gemeinsam ist allen Regionen, daß der illegale Aufenthalt kein grundsätzliches Hindernis bei der Erlangung eines Jobs darstellt, wobei dies in den meisten Fällen durch Vermittlung von Verwandten gelingt. Allerdings sind diese Arbeitsplätze unsicher und bringen im Verhältnis zu durchschnittlichen US-amerikanischen Einkünften wenig, jedoch immer noch deutlich mehr als in Mexiko ein. Die niedrigsten Löhne unter den Migranten erhalten Frauen, Einwanderer mit mangelhaften oder fehlenden englischen Sprachkenntnissen und Illegale. Zudem liegt das Entgelt in der Landwirtschaft deutlich unter dem anderer Sparten wie etwa der Baubranche.

Zweifellos führt die Beschäftigung zumeist illegaler Migranten in spezifischen Branchen der US-amerikanischen Wirtschaft zu den bekannten Umwälzungen auf dem dortigen Arbeitsmarkt. Das vielzitierte Argument, es handle sich dabei in der Regel um Arbeitsplätze, die nicht mit einheimischen Bewerbern besetzt werden könnten, verschleiert natürlich den Umstand, daß das Lohnniveau gerade mit Hilfe extrem ausbeutbarer Migranten auf niedrigstes Niveau gedrückt wird. Während sich das Wachstum bestimmter Zweige der US-amerikanischen Wirtschaft nicht zuletzt aus der Ausbeutbarkeit und Flexibilität von Migranten speist, bringt dies eine Generation ohne Krankenversicherung, Rentenansprüche und nennenswerte Rücklagen hervor.

Verschärfte Konkurrenz und sinkende Löhne mexikanischer Migranten lassen darauf schließen, daß in Sparten, die bevorzugt Einwanderer beschäftigen, von einem Mangel an Arbeitskräften keine Rede mehr sein kann. Der Bedarf an Arbeitsmigranten scheint rückläufig zu sein, so daß die schärfere Verfolgung Illegaler durchaus nicht in Widerspruch zum langfristigen Bedarf der US-Wirtschaft steht, wie dies eine allzu seichte Kritik geltend macht, die sich damit selbst das Wasser abgräbt. Den zeitweiligen und partiellen Unstimmigkeiten zwischen Administration und bestimmten Wirtschaftskreisen, die zwangsläufig aus den nicht vollständig zur Deckung zu bringenden jeweiligen Interessenlagen resultieren, lassen sich keine substantiellen Argumente zur Einwanderungspolitik abgewinnen.

In diesem Zusammenhang sei an den früheren mexikanischen Präsidenten Vicente Fox erinnert, der mit dem zentralen Anliegen seiner Amtszeit grandios gescheitert ist. Er entwarf das Luftschloß einer für beide Seiten fruchtbaren Zusammenarbeit von Kapital und Technologie der USA auf der einen und wohlfeiler mexikanischer Arbeitskraft auf der anderen Seite. Solche fiktiven Entwürfe einer Akkumulation ohne Schaffung von Unwert stellen die Verhältnisse auf den Kopf. Festzuhalten bleibt hingegen, daß die aus der Not geborene Migration die Arbeitsbedingungen und Löhne in den USA drückt, die Wirtschaft Mexikos ausbluten läßt und zahllose Menschen ohne soziale Sicherung hervorbringt, also in einem Prozeß forcierten Stoffwechsels Strukturen zerschlägt, Optionen limitiert und unter dem Strich nicht Wohlstand schafft, sondern das Elend vertieft.

Daß sich der Bundesstaat Arizona mit seiner Initiative zur verschärften Verfolgung illegaler Einwanderer erneut an die Spitze der repressiven Kampagne gesetzt hat, verwundert nicht. Schon vor fünf Jahren zog eine Delegation mexikanischer Senatoren, die Arizona bereist hatte, um sich dort ein Bild von den Auswirkungen erlassener Gesetze auf zugewanderte Mexikaner zu machen, ein verheerendes Fazit. In ihrem offiziellen Bericht beschrieben sie ein desolates Panorama wachsender ausländerfeindlicher Stimmung. Traditionelle Vorbehalte gegen Bürger des Nachbarlands befänden sich unübersehbar auf dem Vormarsch.

Am 2. November 2004 war in einem Referendum ein Gesetzentwurf angenommen worden, der allen Einwohnern des Bundesstaats zur Auflage macht, sich mit Paß oder Geburtsurkunde als US-Bürger auszuweisen, wenn sie öffentliche Dienste in Anspruch nehmen oder sich als Wähler registrieren lassen wollen. Damit wurden illegale Einwanderer, aber auch arme Bevölkerungsschichten als solche weiter marginalisiert, da sich unter ihnen zahlreiche Menschen befinden, die aus rechtlichen oder finanziellen Gründen die geforderten Dokumente nicht besitzen. Zudem legten die Parteigänger einer verschärften Einwanderungspolitik diverse Gesetzentwürfe vor, die in dieselbe Kerbe schlagen. Viel Beifall fand auch das sogenannte Minuteman Project, bei dem sich Zivilisten an der Grenze zur Jagd auf illegale Einwanderer versammelten.

Arizona verlangte als erster Bundesstaat bei der Eintragung ins Wählerverzeichnis einen Identitätsnachweis, den entgegen offiziellen Behauptungen bei weitem nicht alle US-Bürger problemlos beschaffen können. In diesem Bundesstaat lebt ein geschätztes Drittel aller Schwarzen und Latinos in Armut, so daß schon die Kosten von 15 Dollar für eine Geburtsurkunde oder gar 85 Dollar für einen Paß viele potentielle Wähler abschrecken. Hinzu kommen weitere gesetzliche Einschränkungen der Tätigkeit von Bürgerrechtsgruppen, die bislang die Registrierung von Wählern aktiv unterstützt haben. Arizona wurde wegen der dort herrschenden Einschüchterung farbiger Wähler vom US-Justizministerium abgemahnt und mußte sämtliche Änderungen seines Wahlrechts von Bundesbehörden absegnen lassen. Allerdings schlossen sich auch diese im Januar 2005 der Auffassung an, daß der geforderte Nachweis der Staatsbürgerschaft bei der Registrierung als Wähler keine Diskriminierung darstelle.

Seinerzeit wurden in Arizona zahlreiche repressive Gesetzentwürfe debattiert und von den Abgeordneten mehrheitlich gebilligt, so daß sie nur durch das Veto der damaligen Gouverneurin Janet Napolitano gestoppt werden konnten. So sollte die Inanspruchnahme diverser sozialer Dienste wie auch der Besuch von öffentlichen Universitäten, Colleges, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und Maßnahmen zur Alphabetisierung für Familien nur noch mit einem Nachweis der Staatsbürgerschaft möglich sein. Im letzten Moment gebremst wurde ein Entwurf, der es der Polizei erlauben sollte, auf bloßen Verdacht hin Einwanderer festnehmen und dem Grenzschutz zu übergeben. Ebenfalls verhindert wurde damals das Vorhaben, in Mexiko eine private Haftanstalt für illegale Einwanderer zu errichten, die in Arizona aufgegriffen werden. In den USA profitieren Privatgefängnisse längst von der verstärkten Festnahme von Arbeitsmigranten ohne gültige Papiere, doch wäre für eine Auslagerung ins Nachbarland ein Abkommen auf Bundesebene mit Mexiko erforderlich gewesen. Und schließlich erteilte die Gouverneurin auch dem Vorhaben eine Absage, die von den mexikanischen Konsulaten ausgestellten Ausweise in öffentlichen Einrichtungen Arizonas nicht mehr als Identitätsnachweise anzuerkennen. Alle Entwürfe, die von ihrem Veto blockiert wurden, waren zuvor von einer Mehrheit gebilligt worden, woran man ablesen kann, wie weit die Kampagne gegen Einwanderer in Arizona schon damals fortgeschritten war.

Die vor wenigen Tagen in diesem Bundesstaat beschlossene Verschärfung des Einwanderungsgesetzes wurde von der Regierung Mexikos in drastischen Worten verurteilt. Die Neuregelung, die frühestens in 90 Tagen in Kraft tritt, sieht vor, daß die Polizei Menschen auf bloßen Verdacht hin festnehmen und ihre Papiere überprüfen darf. Präsident Felipe Calderón sprach von "Rassendiskriminierung" und warnte davor, daß das Gesetz die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Mexiko und Arizona bedrohe. Das mexikanische Außenministerium kritisierte die "feindselige politische Atmosphäre" gegenüber Migranten und Besuchern aus Mexiko. Das Gesetz werde "ohne Zweifel" den Reiseverkehr beeinträchtigen, sagte der Chef der mexikanischen Fluggesellschaft Aeromexico, Andres Conesa, in Acapulco. "Wegen der Art und Weise, wie unsere Landsleute behandelt werden, haben wir die Zahl der Flüge dorthin deutlich reduziert." Aus Protest gegen die Neuregelung sagte die Regierung des mexikanischen Bundesstaats Sonora ein jährliches Treffen mit Vertretern des angrenzenden Arizona ab und die Opposition forderte sogar einen Handelsboykott.

Auch in den USA ist die Neuregelung insbesondere unter Menschen hispanischer Herkunft umstritten. Präsident Barack Obama kritisierte das Gesetzesvorhaben als "fehlgeleitet", Justizminister Eric Holder und Heimatschutzministerin Janet Napolitano kündigten eine Überprüfung an, ob das Gesetz mit der Verfassung vereinbar sei. In Kalifornien machen sich Kommunalpolitiker aus Los Angeles und San Francisco für einen Wirtschaftsboykott gegen Arizona stark. Der Widerstand gegen den reaktionären Vorstoß speist sich freilich aus unterschiedlichen Quellen, wie auch seine Stoßrichtung keineswegs homogen ist. Ein Boykott Arizonas könnte durchaus ein wirksames Instrument zur Einflußnahme auf die dortige Entwicklung sein. Die in diesem Bundesstaat lebenden mexikanischen Einwanderer verfügen über eine Kaufkraft von mehreren Milliarden Dollar und Touristen aus Mexiko geben dort erhebliche Summen aus. Hinzu kommen diverse Einkäufe, Geschäftsbeziehungen und Kooperationen, deren Stornierung zumindest bestimmte Branchen und Unternehmen empfindlich treffen könnte.

Anfang der 1990er Jahre war ein von Bürgerrechtsgruppen initiierter Boykott in Arizona von Erfolg gekrönt. Nachdem der Vorschlag, wie in den meisten anderen Bundesstaaten einen Martin-Luther-King-Gedenktag einzuführen, abgelehnt worden war, kostete der ein Jahr durchgetragene Boykott Arizona etwa 200 Millionen Dollar und ruinierte dessen Ruf, da es fortan in den USA und darüber hinaus als Brutstätte reaktionärer Gesinnung galt. Als dann noch einmal über den Entwurf abgestimmt wurde, fand sich eine Mehrheit von Befürwortern.

Will man die Diskussion um Einwanderungsgesetze und Fremdenfeindlichkeit ernsthaft führen, muß man allerdings tiefer als bis zu weißen Rassisten und allgemeinen Befindlichkeiten der Bürger greifen. Arbeitslosigkeit, gering bezahlte Tätigkeiten, gestrichene Sozialleistungen und eine schlechte Gesundheitsversorgung schufen ein Klima, in dem Ausländerhetze wächst und gedeiht. Vor allem aber hat die Dauerkampagne gegen eine angeblich drohende "Terrorgefahr" Ressentiments und Denunziantentum massiv gefördert. Und da Arizona als letztes großes Einfallstor für Arbeitsmigranten gilt, spitzt sich gerade hier der Konflikt dramatisch zu. Ausländer für die dramatische Verschlechterung der Lebensverhältnisse verantwortlich zu machen, ist eine Zauberformel, die sich längst von dumpfen Stammtischparolen emanzipiert hat. Schließlich rechtfertigt die angeblich weltweit bedrohte Sicherheit der Metropolen unter der Maßgabe der Herrschaftssicherung jeden Eingriff wie auch jedes Opfer.

Die Frage, welchen Ursprungs im politischen und ökonomischen Sinn der Strom von Arbeitsmigranten ist, bleibt in der Debatte häufig auf der Strecke. Armut als Problem der Herkunftsländer zu definieren, dem man mit wie auch immer gearteten Almosen zu begegnen meint, unterschlägt die fundamentale Tatsache, daß Reichtum nur auf der Grundlage von Armut und unter forcierter Produktion derselben möglich ist. In diesem Sinne schwenkt selbst die Debatte um den positiven Beitrag der Arbeitsmigranten zur US-amerikanischen Gesellschaft auf die Spur der allgegenwärtigen Vorteilserwägung ein, die im anderen Menschen nur eine Quelle eigenen Wohlergehens erkennen kann, die es zu verbrauchen gilt.

30. April 2010