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LATEINAMERIKA/2421: Putsch in Honduras im Kontext der Hegemonialordnung (SB)


Widerstand gegen den Konter in Lateinamerika


Im Gefolge des von den westlichen Mächten proklamierten Sieges im Kampf der Systeme brach sich eine innovative Form der Intervention Bahn, die in Lateinamerika die Gestalt des verdeckten Putsches annahm. Allen voran die Vereinigten Staaten kaschieren ihre Einflußnahme zum Sturz unerwünschter Regierungen und als feindlich eingestufter Ansätze gesellschaftlicher Veränderung seither als Unterstützung angeblicher Demokratiebewegungen, die sich gegen eine als despotisch diskreditierte politische Führung erheben. Wenngleich Washington und seine Verbündeten nach wie vor das gesamte Arsenal militärischer, geheimdienstlicher, ökonomischer und ideologischer Aggression in Stellung bringen, kommt auch in dieser Weltregion eine Strategie höherwertig verschleierter und propagandistisch eingebetteter Zugriffsentwicklung hinzu, die sich populärer Konzepte wie Demokratisierung, Schutz der Menschenrechte oder humanitärer Hilfe bedient. Um breite Zustimmung zu generieren und den räuberischen Charakter der Intervention zu negieren, okkupiert die weltweit vorgetragene Herrschaftssicherung all jene Ansätze, die unter Absehung vom Grundwiderspruch kapitalistischer Verwertung Nebenschauplätze in den Rang alles entscheidender Auseinandersetzungen erheben und sich mithin auf Grundlage ihrer Beteiligung am Raubsystem einbinden lassen.

Der Putsch in Honduras, den man in eine Reihe mit dem gescheiterten Umsturz in Venezuela und der gelungenen Vertreibung Aristides aus Haiti stellen kann, repräsentiert dieses Muster einer vorrangig von den USA gesteuerten Aushebelung einer demokratisch gewählten Regierung mit dem Ziel einer grundsätzlichen Kurskorrektur. Präsident Manuel Zelaya drohte aus Sicht der US-Regierung auf Grund der von ihm eingeleiteten Reformen und insbesondere seiner Annäherung an die ALBA den Vormarsch feindlicher Kräfte und Bestrebungen in Mittelamerika zu befördern. Ihn zu entmachten, diente sowohl dem Zweck, Honduras in den alten Zustand des Vasallenstaats zurückzuversetzen, als auch dem Bestreben, die Ausbreitung einer Bewegung nachhaltig zu bremsen, die sich tiefgreifende soziale Reformen, den Bruch mit der Dominanz der Hegemonialmacht und eine eigenständige Entwicklung auf Grundlage regionaler Bündnisse auf die Fahnen geschrieben hat.

Honduras ist wirtschaftlich in hohem Maße abhängig von den USA, die dort den großen Militärstützpunkt Palmerola unterhalten und die Offizierskaste der einheimischen Streitkräfte ausbilden. Unter diesen Voraussetzungen ist es schlechterdings unmöglich, daß Washington an Planung, Ausführung und Konsolidierung des Putsches nicht beteiligt war. Roland Valenzuela, der als Kabinettsminister Zelayas für landwirtschaftliche Programme zuständig gewesen war, enthüllte am 30. April in einem Radiointerview brisante Details, von denen er Kenntnis erlangt hatte. Demnach schickte der damalige Kongreßpräsident und spätere Putschführer Roberto Micheletti am 10. Juni 2009 dem US-Botschafter Hugo Llorens den Entwurf eines Dekrets "zur Korrektur" zu, auf dessen Grundlage Präsident Zelaya achtzehn Tage später gewaltsam abgesetzt wurde. Dieser Entwurf war bereits auf den 28. Juni datiert, und Llorens notierte darauf, daß der Vorwurf, Zelaya habe sich sein Amt widerrechtlich angeeignet, besser ausformuliert werden müsse. Auch gab der Botschafter weitere schriftliche Anweisungen, wie die für den 28. Juni 2009 vorgesehene Volksbefragung diskreditiert werden sollte. Valenzuela bezahlte diese Enthüllung mit seinem Leben, da er am 15. Juni in seiner Heimatstadt San Pedro Sula hinterrücks erschossen wurde. [1]

Da Honduras in vielerlei Hinsicht von den Vereinigten Staaten abhängig ist, wäre es der US-Regierung ein leichtes gewesen, die Putschisten zum Einlenken zu zwingen. Statt dessen stimmte die Administration Obamas lediglich in die allgemeine Verurteilung des Umsturzes ein, enthielt sich in der Folge aber aller einschneidenden Sanktionen und mahnte eine Verhandlungslösung an. Diese Vorgehensweise erlaubte es Micheletti, alle Kompromißangebote Zelayas auszuschlagen und immer weitergehendere Forderungen zu erheben. Die Strategie lag auf der Hand: Mit Unterstützung Washingtons wollte das Putschregime ausharren, bis mit der Wahl eines neuen Präsidenten vollendete Tatsachen geschaffen und die Bestrebungen Zelayas zu Grabe getragen waren. Seither plädiert die US-Regierung für die Rückkehr zur Normalität und volle Anerkennung der aktuellen Präsidentschaft in Honduras, womit der Umsturz endgültig besiegelt und seine Zielsetzung erreicht wäre.

Die US-Administration strebt derzeit eine bedingungslose Aufhebung der Strafmaßnahmen an und entsandte mit Staatssekretärin María Otero die höchstrangige Beamtin des Außenministeriums seit der Amtsübernahme Porfirio Lobos nach Honduras. Wie es dazu in der offiziellen Presseerklärung ihres Ministeriums hieß, solle der Besuch "die engen bilateralen Beziehungen der Vereinigten Staaten mit Honduras bekräftigen". [2] Zudem setzte Außenministerin Hillary Clinton das Thema Honduras auf die Tagesordnung, als sie kürzlich mit ihrem argentinischen Amtskollegen Héctor Timerman zusammenkam.

Lobo hat beim Versuch, die Isolation zu durchbrechen, mit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Mexiko und Chile sowie dem Wiedereintritt in den mittelamerikanischen Staatenbund SICA Teilerfolge erzielt. Indessen lehnen vor allem die südamerikanischen Staaten Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Paraguay, Uruguay und Venezuela sowie Nicaragua eine Rückkehr der Lobo-Führung in die Organisation Amerikanischer Staaten weiterhin ab. Sie erkennen die Wahl Lobos nicht an und fordern die Rückkehr Manuel Zelayas aus dem Exil. Man dürfe nicht erlauben, daß der Putsch in Honduras zu weiteren antidemokratischen Abenteuern einlädt, erklärte Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva vor wenigen Tagen am Rande eines Treffens mit seinem nicaraguanischen Amtskollegen Daniel Ortega. [3]

Die Organisation Amerikanischer Staaten hatte Anfang Juni eine Untersuchungskommission eingesetzt, deren Aufgabe es war, einen Bericht über die Lage der Demokratie in Honduras zu erarbeiten. Die OAS werde erst auf Grundlage dieses Berichts entscheiden, ob die nach dem Putsch verhängten Sanktionen aufgehoben werden können. In dem unterdessen veröffentlichten Bericht fordert die Kommission einen umfassenden politischen Dialog, um die "Krise der Demokratie in Honduras" zu überwinden, und verurteilt die straflosen Menschenrechtsverletzungen vor und nach der Amtsübernahme Lobos. Verlangt wird zudem die gefahrlose Rückkehr Zelayas in sein Heimatland und dessen Aufnahme in das Zentralamerikanische Parlament, wie es ihm als ehemaligem Präsidenten seines Landes zusteht.

Neben der noch längst nicht auf breiter Front durchbrochenen außenpolitischen Isolation sieht sich die Führung in Tegucigalpa auch im eigenen Land mit einer Protestbewegung konfrontiert. Die Nationale Front des Volkswiderstandes (FNRP) strebt nach wie vor die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung an, um die noch aus den Zeiten der Diktatur in den 1980er Jahren stammende Verfassung zu verändern. Auch weist die Bewegung darauf hin, daß die Menschenrechtsverletzungen in den letzten sechs Monaten im Vergleich zur siebenmonatigen Militärdiktatur unter Roberto Micheletti deutlich zugenommen haben. Staatliche Institutionen vertuschen demnach Anzeigen und manipulieren Ermittlungen. [4]

Das zentrale Bündnis der Demokratiebewegung greift zudem die soziale Frage auf und fordert eine Anhebung des Mindestlohns, wie es auch gegen Pläne der Regierung zu Felde zieht, Kurzarbeit einzuführen und die Währung zu entwerten. Die oppositionellen Kräfte, denen auch Gewerkschaften angehören, unterstützen den Streik der Lehrer und lehnen die geplante Privatisierung der Bildung ab. Sie solidarisieren sich mit den Universitätsdozenten, die sich seit über hundert Tagen im Hungerstreik befinden. Überdies halten die Aktivisten der Demokratiebewegung Kontakt zu anderen sozialen Bewegungen der Region und erklären sich solidarisch mit den Gewerkschaften in Panama, wo vor einem Monat ein Generalstreik gegen die Regierung des Unternehmers Ricardo Martinelli ausgerufen worden war, der zu den Verbündeten der illegitimen Führung in Honduras gehört. [5]

Wenngleich sich die Protestbewegung massiver Repression ausgesetzt sieht, die zunehmend von gedungenen Tätern ausgeübt wird, und mit einem weithin verweigerten Zugang zu den Medien mundtot gemacht werden soll, sind die in ihr in Stellung gebrachten Ansätze doch ermutigend. Ist die Opposition gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlicher Natur, so gilt das auch für einen Internationalismus, der das Bündnis mit den Opfern ein- und derselben überstaatlichen Machtkomplexe schließt. Würde der Putsch in eine Normalisierung überführt, wäre das fatal für die soziale Lage in Honduras, doch nicht minder verhängnisvoll für all jene Kräfte in dieser Weltregion, die gegen die Hegemonialordnung aufbegehren.

Anmerkungen:

[1] Im Auftrag der CIA. Washington setzt Einmischung in Lateinamerika fort. Neue Erkenntnisse über Putsch in Honduras (16.08.10)
junge Welt

[2] Regime unter Druck. Organisation Amerikanischer Staaten fordert Demokratie für Honduras (10.08.10)
junge Welt

[3] "Präsident" Lobo in der Isolation. Honduras: Staatsführung sieht sich innen- und außenpolitisch mit Widerstand konfrontiert (10.08.10)
Neues Deutschland

[4] Kritik an Zunahme von Gewalt in Honduras. Menschenrechtsorganisationen: Amtierende De-facto-Regierung nicht unterschätzen. Justiz wird manipuliert. Andauernde Konflikte an Universität (17.08.10)
amerika21.de

[5] Erneute Proteste gegen Lobo-Führung. Widerstandsfront mobilisiert gegen neoliberale Maßnahmen. FNRP-Sprecher: Informationsblockade eines der größten Probleme (18.08.10)
amerika21.de

18. August 2010