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LATEINAMERIKA/2446: Ex-Diktator Videla zu lebenslanger Haft verurteilt (SB)


Früherer Juntachef Argentiniens und weitere Täter hinter Gittern


Die argentinische Militärdiktatur gilt als eine der blutigsten in Lateinamerika. "Es müssen so viele Menschen wie nötig in Argentinien sterben, damit das Land wieder sicher wird", hatte General Jorge Rafael Videla vor seinem Putsch gegen die demokratische Regierung von María Estela Martínez de Peron im Jahr 1976 erklärt. Videla übernahm als Chef einer Junta das Amt des Staatspräsidenten und errichtete ein diktatorisches Regime, dem er sieben Jahre vorstand. Er inspirierte den sogenannten Prozeß der Nationalen Reorganisation, der sich ideologisch auf die "Doktrin der nationalen Sicherheit" stützte, die ein radikales Vorgehen gegen linke Oppositionelle bis hin zu ihrer Vernichtung vorsah. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, daß in den Jahren der Militärjunta rund 30.000 Menschen entführt, gefoltert und ermordet worden sind. Im März 1981 wurde Videla von Roberto Eduardo Viola an der Spitze der Militärjunta abgelöst, die unter seinem Nachfolger noch bis 1983 in Argentinien herrschte.

Schon 1985 wurde Videla wegen Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Folter und Entführung zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch fünf Jahre später durch ein Amnestiegesetz (Dekret Nr. 2741/90) des damaligen Präsidenten Carlos Menem begnadigt. Wegen seiner Verantwortung für Kindesraub wurde Videla 1998 unter Hausarrest gestellt. Er hatte die Zwangsadoption von Kleinkindern inhaftierter Oppositioneller angeordnet. Insgesamt 500 Kinder sollen in Folterzentren wie dem "Campo de Mayo" nahe Buenos Aires zur Welt gekommen sein, während ihre Mütter dort gefangengehalten wurden. Ausgestattet mit neuen Papieren wurden diese Säuglinge kinderlosen Militärs oder anderen Sympathisanten der Diktatur übergeben. Die Mütter wurden ermordet. [1]

Im Jahr 2001 wurde Videla abermals verhaftet, diesmal unter dem Vorwurf, während seiner Amtszeit der Kopf einer Verschwörung gegen Oppositionelle gewesen zu sein. Zwischenzeitlich konnte er jedoch wieder in seine Wohnung im Stadtteil Belgrano zurückkehren. Nach dem Amtsantritt von Präsident Néstor Kirchner 2003 wurden die Amnestiegesetze annulliert. Nachdem das Verfassungsgericht die Amnestie 2007 als verfassungswidrig eingestuft hatte, konnten die Prozesse gegen führende Vertreter der Junta neu aufgerollt werden. Am 10. Oktober 2008 wurde der Hausarrest gegen Videla aufgehoben, den man umgehend in die Unidad Penitenciaria 34, ein Militärgefängnis auf dem Campo de Mayo, verlegte.

Im Juni 2010 begann ein weiterer Prozeß gegen die Verantwortlichen der Militärdiktatur, darunter auch Videla und der ehemalige General Luciano Benjamín Menéndez. Am 22. Dezember 2010 wurde Videla nun gemeinsam mit Menéndez und vierzehn weiteren Tätern von einem Bundesgericht in der Stadt Cordoba erneut zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sieben weitere müssen zwischen sechs und vierzehn Jahre hinter Gitter, sieben Angeklagte wurden freigesprochen. Der 85jährige frühere Juntachef wurde für schuldig befunden, während der von ihm geführten Diktatur Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Richterin María Elba Martínez sprach bei der Urteilsverkündung von "Staatsterrorismus" während seiner Herrschaft. In dem aktuellen Prozeß hatte sich Videla für die Hinrichtung von 31 politischen Gefangenen verantworten müssen, die zwischen April und Oktober 1976 in Córdoba festgenommen und ohne Verfahren erschossen worden waren. [2]

In seinem Schlußplädoyer hatte Videla keine Reue erkennen lassen. Er übernahm "voll und ganz die Verantwortung" für die Ereignisse während der Diktatur. Seine Untergebenen hätten seinen Anweisungen Folge leisten müssen. Er und seine Regierung hätten jedoch keine Menschenrechtsverletzungen begangen, sondern einen "Krieg gegen die marxistische Subversion" geführt, wobei er sich selbst als politischen Gefangenen bezeichnete. "Es war ein interner Krieg von terroristischen Organisationen gegen die Institutionen der Republik."

"Wir haben einen gerechten und keinen schmutzigen Krieg geführt, der noch heute andauert", erklärte der frühere Diktator. "Die Feinde von gestern regieren heute das Land", fügte er hinzu und bezog sich damit vor allem auf Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihren verstorbenen Mann und Vorgänger Néstor Kirchner. Beide haben sich für die Aufarbeitung der Diktatur und die Verurteilung der Verantwortlichen starkgemacht. So hing bis zum 24. März 2004 ein Bild Videlas offiziell unter den Porträts in einer Galerie der nationalen Offiziershochschule Argentiniens, dem Colegio Militar de la Nación, bevor es dort im Beisein des amtierenden Staatspräsidenten Néstor Kirchner abgenommen wurde. [3]

Als Richter Jaime Díaz Gavier das Urteil verkündete, gingen seine letzten Worte bereits im Jubel, in Tränen und "Mörder"-Rufen unter. Drinnen im Saal und draußen vor dem Gerichtsgebäude feierten Opfer, Angehörige und Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen die Entscheidung. Die Urteile von Córdoba waren die letzten in insgesamt 15 Verfahren gegen Schergen der Diktatur in diesem Jahr. Rund 100 Verantwortliche wurden wegen Menschenrechtsverbrechen verurteilt.

Unter den Opfern der Diktatur befanden sich auch etwa 100 Deutsche, weshalb Staatsanwälte aus Nürnberg gegen Videla und andere Militärs ermittelt hatten und die Bundesregierung am 4. März 2004 offiziell seine Auslieferung sowie die zweier weiterer früherer Militärs beantragte. Eine Auslieferung nach Deutschland, wo ihn die Behörden unter anderem wegen des Todes der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann 1977 vor Gericht stellen wollten, lehnte der Oberste Gerichtshof Argentiniens jedoch am 17. April 2007 ab.

Daß die Diktatur in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen, aber ignoriert wurde, zeigte unter anderem die Fußballweltmeisterschaft 1978. Das Regime Videlas gab sich in diesen Wochen betont offenherzig, freundlich und demokratisch, was den anderen teilnehmenden Fußballnationen den Weg ebnete, Sport und Politik sauber zu trennen und dem Repressionsregime entgegenkommend die Hand zu schütteln.

Wenngleich die Militärjunta ihre Gefangenen versteckt hielt und die Mordopfer verschwinden ließ, mußte den Repräsentanten europäischer und US-amerikanischer Unternehmen, die damals in Argentinien tätig waren, klar sein, daß sie es mit einer Diktatur zu tun hatten. Zahlreiche Hinweise überlebender Opfer und anderer Zeugen geben allen Grund zur Annahme, daß ausländische Firmenvertreter die Unterdrückung von Linken und Gewerkschaftern ausdrücklich begrüßten und mit den Schergen der Junta zusammenarbeiteten.

Den Geheimdiensten und Regierungen anderer Länder war selbstverständlich klar, daß in Argentinien eine äußerst repressiv vorgehende Militärjunta an der Macht war, schließlich billigte und protegierte man sie zu eben diesem Zweck. Die an den Tag gelegte Bußfertigkeit späterer US-Regierungen, man habe sich damals nicht entschieden genug über die Vorgänge in Argentinien ins Bild gesetzt, kann nur als blanker Hohn aufgefaßt werden.

Anmerkungen:

[1] Babyräuber. Deutsche Unternehmen wie Bayer und Mercedes Benz waren in die Zwangsadoptionen während der argentinischen Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 verwickelt (23.12.10)
junge Welt

[2] Urteil in Argentinien. Lebenslang für Ex-Diktator Videla (23.12.10)
http://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-in-argentinien-lebenslang-fuer-ex-diktator-videla-1.1039650

[3] Argentinien: Aufarbeitung der Militärdiktatur. Ex-Diktator entgeht Strafe nicht (24.12.10)
http://www.fr-online.de/politik/ex-diktator-entgeht-strafe-nicht/-/1472596/5040584/-/index.html

24. Dezember 2010