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LATEINAMERIKA/2471: Bomben statt Frieden - Führer der FARC getötet (SB)


Kolumbianische Regierung setzt auf militärische Lösung


Der Führer der linksgerichteten Guerilla "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC), Alfonso Cano, ist bei einem Angriff regulärer Truppen in der südwestlichen Provinz Cauca getötet worden. Wie ein ranghoher kolumbianischer Sicherheitsvertreter mitteilte, habe man eine Standardoperation durchgeführt - zunächst einen Bombenangriff, dann hätten Bodentruppen übernommen. Der Gouverneur von Cauca, Alberto Gonzalez, bestätigte Canos Tod. Auf diesen war ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Seit der Militärchef der Rebellen, Mono Jojoy, im September 2010 bei einem Bombenangriff getötet wurde, hatten sich die Streitkräfte auf die Jagd nach dem 63 Jahre alten Cano konzentriert. Dieser hatte die Führung der letzten bedeutenden Rebellenbewegung Lateinamerikas nach dem Tod des FARC-Mitbegründers Manuel Marulanda übernommen, der 2008 im Alter von schätzungsweise 78 Jahren einem Herzinfarkt erlegen war. [1]

Alfonso Cano, der mit bürgerlichem Namen Guillermo León Sáenz hieß, wuchs in der Mittelschicht der Hauptstadt Bogotá auf. Er studierte Anthropologie und war in der Hochschulpolitik aktiv, bis er sich der Guerilla anschloß, mit der er 33 Jahre lang kämpfte. Der überzeugte Marxist glaubte offenbar nicht an den Erfolg der letztendlich auch gescheiterten Friedensgespräche, die die FARC zwischen 1999 und 2002 mit der Regierung des damaligen Präsidenten Andrés Pastrana führte. Statt dessen setzte er sich für den Aufbau und die Unterstützung politischer Bewegungen ein, die den Rebellen nahestanden. Als Nachfolger Manuel Marulandas rief er den "Plan Wiedergeburt" aus, der die Rebellen zu den taktischen Wurzeln des Guerillakriegs zurückführen und mit städtischen Milizen verbünden sollte. Parallel zu dieser militärischen Offensive bot er der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos Verhandlungen an, die er zweifellos aus einer Position relativer Stärke zu führen gedachte. Offenbar war das gesamte Sekretariat der FARC bereit, ihm auf diesem Weg zu folgen.

Die genauen Umstände seines Todes sind bislang ungeklärt. Während die Regierung in Bogotá erklärte, er sei "im Kampf gefallen", gibt es offenbar Zeugenaussagen, wonach Cano bereits entwaffnet gewesen sei, als er von drei tödlichen Schüssen getroffen wurde. Wie es in einem Kommuniqué der FARC heißt, das der aus dem schwedischen Exil arbeitenden alternativen Nachrichtenagentur Neues Kolumbien (ANNCOL) übermittelt wurde, sei dies nicht das erste Mal, daß die Unterdrückten und Ausgebeuteten Kolumbiens um einen ihrer großen Anführer weinten. Der Frieden in Kolumbien werde nicht aus einer Demobilisierung der Guerilla geboren, sondern aus der endgültigen Beseitigung der Ursachen, die zur Entstehung des Aufstands geführt haben. [2]

Präsident Juan Manuel Santos, der bei seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr eine harte Linie gegen die Rebellen angekündigt hatte, feierte die Tötung Canos in einer Fernsehansprache als den bislang schwersten Schlag gegen die FARC in der Geschichte des Landes: "Ich möchte eine klare Botschaft zu jedem einzelnen Mitglied dieser Organisation senden: Legt die Waffen nieder oder ihr endet im Gefängnis oder im Grab." Es sei nur eine Frage der Zeit, bis endlich Frieden herrsche. [3]

Canos Tod ist nach übereinstimmender Einschätzung keineswegs gleichbedeutend mit einem nahen Ende des seit fast 50 Jahren währenden Guerillakriegs der FARC gegen die kolumbianische Regierung. Wenngleich dieser Verlust zweifellos einen weiteren militärischen Rückschlag für die Rebellen darstellt, verfügt die Organisation über eine disziplinierte Hierarchie und dürfte in Kürze einen Nachfolger bestimmen. Neuer Anführer der Rebellen könnte Iván Márquez werden, der sowohl über politische Erfahrung als früherer Abgeordneter der Patriotischen Union als auch militärische Glaubwürdigkeit verfügt. Ihm traut man am ehesten zu, die Reihen der Guerilla geschlossen zu halten und mögliche Friedensgespräche für die gesamte Organisation zu führen. Als Alternative zu Márquez gilt Timochenko (José Benito Cabrera), der sich ebenfalls im Grenzgebiet zu Venezuela aufhalten soll. Eine dritte, weniger ideologische als vor allem militärische Option wäre Joaquin Gomez, der den starken und finanzkräftigen Südlichen Block anführt. Da die FARC wesentliche Entscheidungen im Kollektiv trifft, dürfte der Nachfolger den eingeschlagenen Kurs im Prinzip weiterführen.

Während Regierung und rechtsgerichtete Kreise triumphieren, spricht die kolumbianische Linke von einem schweren Schlag gegen den Friedensprozeß, für den sich Cano zuletzt in mehreren Erklärungen ausgesprochen hatte. Die frühere Senatorin Piedad Córdoba wies darauf hin, daß nun eine weitere Freilassung von Gefangenen der Guerilla bis auf weiteres unmöglich gemacht worden sei. Präsident Santos räume der militärischen Konfrontation offensichtlich Vorrang gegenüber Dialog und Verhandlungen ein. Die Regierung wolle durch den Krieg ihre Privilegien und Gewinne bewahren, während sie keine glaubwürdige Friedenspolitik erkennen lasse.

Bezeichnenderweise sind seit Beginn der Militäroffensive der von den USA ausgebildeten und ausgerüsteten Regierungstruppen im Jahr 2002 die Auslandsinvestitionen in dem Andenstaat deutlich gestiegen. Da die Streitkräfte nun in der Lage sind, Operationen tief im kolumbianischen Hinterland durchzuführen, verdrängen sie die Rebellen, die in der Vergangenheit weite Teile des Landes kontrolliert hatten, zunehmend aus den an Öl und anderen Bodenschätzen reichen Regionen.

Die Strategie der Regierung, die Guerilla zu "enthaupten", indem sie deren Führer gezielt tötet, führt zwangsläufig dazu, gerade jene Kommandanten zu liquidieren, die am ehesten in der Lage wären, Verhandlungen im Namen der gesamten Organisation zu führen. Auch dies läßt darauf schließen, daß die kolumbianische Regierung zwar Friedensgespräche im Munde führt, aber nicht die Absicht hat, sie tatsächlich einzuleiten. Präsident Santos hat noch einmal bekräftigt, daß seine Gesprächsbereitschaft davon abhänge, ob sich die Rebellen kompromißbereit zeigten. Darunter versteht er insbesondere, den bewaffneten Kampf sofort einzustellen, was für die Guerilla natürlich unannehmbar ist, da es einem strategischen Verlust, wenn nicht gar einer Kapitulation gleichkäme.

Unterdessen setzt Santos auf die militärische Option und drängt die Guerillakämpfer der FARC und ELN in die Grenzregionen zu Venezuela und Ecuador zurück, wobei er zugleich die Beziehungen zu den Regierungen in Caracas und Quito zu verbessern sucht. Solange die Rebellen Rückzugsräume in den Nachbarländern aufsuchen können, manövrieren sie die Übermacht der hochgerüsteten kolumbianischen Streitkräfte aus. Zwar kann die Führung in Bogotá nicht erwarten, aktive Unterstützung bei ihrer Kriegsführung aus dem benachbarten Ausland zu erhalten, doch hofft sie auf flankierende Hilfe durch Festnahmen oder Kontrollen im Grenzgebiet, die den Bewegungsraum der Guerilla einschränken. Diese hat erst im Oktober mit zwei Angriffen binnen weniger Tage, bei denen jeweils zehn Soldaten getötet wurden, ihre Schlagkraft unter Beweis gestellt.

Grundsätzlich muß man davon ausgehen, daß die kolumbianische Führung ihre Erfolge im Kampf gegen die Rebellen propagandistisch überhöht. So mußte Präsident Manuel Santos am 24. Dezember 2010 in seiner Grußbotschaft an die Streitkräfte einräumen, daß im Laufe von zehn Monaten insgesamt über 2.500 Soldaten oder Polizisten verwundet oder getötet worden seien. Diese Zahl, die deutlich über jener liegt, die beispielsweise die westlichen Besatzungsmächte in Afghanistan auf der Verlustseite verbuchten, löste offenbar in den Reihen der Armee ein solches Unbehagen aus, daß sie auf den Internetseiten des Militärs und der Präsidentschaft entfernt wurden. Allerdings waren sie zuvor im Fernsehen ausgestrahlt worden und ließen sich daher nicht mehr verheimlichen. Daß es der Guerilla gelungen ist, nach acht Jahren fortgesetzter Armeeoffensive den Streitkräften derartige Verluste zuzufügen, läßt nicht darauf schließen, daß die Rebellen wie von der Regierung ein ums andere Mal behauptet kurz vor dem Zusammenbruch stünden. Dennoch verkündete Santos in seiner letzten Weihnachtsbotschaft: "Die Schlange sitzt in der Falle, 2011 werden wir sie besiegen." [4]

Anfang Juni hatte die FARC aus Anlaß des 47. Jahrestags ihrer Gründung ein Dialogangebot unterbreitet, in dem sie ihre Bereitschaft zu einer politischen Lösung des sozialen und bewaffneten Konflikts durch einen "zivilisierten Ausweg, der zu Frieden für das Land führt" erklärte. Während die kolumbianische Oligarchie den Konflikt seit Jahrzehnten immer weiter vertiefe, strebe die Guerilla einen Frieden mit sozialer Gerechtigkeit an. In diesem Zusammenhang nannte die FARC unter anderem würdigen Wohnraum, kostenlose Bildung auf allen Ebenen sowie ein vorsorgendes Gesundheitssystem für die gesamte Bevölkerung. Diesen Vorschlag wies die Regierung umgehend mit der Begründung zurück, man werde den Rebellen keine nutzlose Bühne errichten. Im August bekräftigte der Zentralstab der FARC noch einmal seine Bereitschaft, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für einen Dialog zu schaffen. Ein Friedensprozeß müsse jedoch mit konkreten sozialpolitischen Reformen einhergehen. Schließlich habe sich an den Problemen, die Mitte der 1960er Jahre zur Gründung der FARC geführt hatten, nichts geändert.

Friedensverhandlungen fanden schon unter der Regierung des Konservativen Belisario Betancur (1982-1986) wie auch der folgenden Präsidenten César Gaviria (1990-1994) und Andrés Pastrana (1998-2002) statt. In keinem Fall war die politische Führung des Landes bereit, auf die sozialen Forderungen der Rebellen einzugehen. In einem Konflikt, der tiefgreifende historische und gesellschaftpolitische Ursachen hat, ausschließlich über dessen Demilitarisierung zu verhandeln, ohne im mindesten an den Herrschaftsstrukturen zu rühren, käme für die Guerilla einer Preisgabe all dessen gleich, wofür zu kämpfen sie einst angetreten ist.

Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kolumbien-farc-rebellenchef-cano-bei-militaerangriff-getoetet-11518523.html

[2] http://www.jungewelt.de/2011/11-07/002.php

[3] http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE7A507X20111106

[4] http://amerika21.de/nachrichten/2011/01/19438/tote-kolumbien-afghanistan

8. November 2011