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LATEINAMERIKA/2478: Soll Mexikos Opfergabe Trump gnädig stimmen? (SB)



Auslieferung - "El Chapo" auf dem Silbertablett serviert

Ein Geschenk und Zeichen des guten Willens an die Adresse des neuen US-Präsidenten Donald Trump oder im Gegenteil ein allerletztes Präsent für den scheidenden Amtsvorgänger Barack Obama? Ein Symbol der Unterwerfung, wie andere meinen, oder lediglich das Ergebnis eines normalen juristischen Verfahrens? Auch in Mexiko schießen dieser Tage die Spekulationen wild ins Kraut, wie die erratischen Signale des Alleinunterhalters in Sachen imperialer Übermacht im Weißen Haus und die hektischen Reaktionen in der eigenen Hauptstadt zu deuten seien.

Trump hat die Mexikaner als Drogenhändler beschimpft und ihnen Strafzölle wie auch eine Grenzmauer angedroht, jetzt serviert ihm das geschmähte Nachbarland zum Amtsantritt den größten Kartellboß auf dem Silbertablett. Als Joaquín Guzmán Loera - genannt "El Chapo" (der Kurze) - in Handschellen in ein Flugzeug der mexikanischen Luftwaffe verfrachtet wurde, um von Ciudad Juárez nach New York überstellt zu werden, waren es noch genau zwölf Stunden bis zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten. Dem einstmals mächtigsten Drogenboß der Welt soll in den USA wegen Mordes, Drogenhandel, organisierter Kriminalität und Geldwäsche der Prozeß gemacht werden. Wer wollte angesichts dieses überraschenden Zeitpunkts an einen Zufall glauben?

Der Vorsitzende der mexikanischen Regierungspartei PRI, Enrique Ochoa Reza, jedenfalls nicht, spricht er doch mit Blick auf die Auslieferung Guzmáns an die USA von einem "Beweis für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen beiden Nationen". Ähnlich argumentiert der Analyst Leo Zuckermann in einem Interview des Fernsehsenders Foro TV, der darin ein Zeichen des guten Willens sieht, dessen Botschaft laute: "Mit Kooperation zwischen euch und uns können wir gute Resultate erzielen." [1] Jorge Chabat, Politologe am Forschungsinstitut CIDE in Mexiko-Stadt führt das etwas näher aus: "Die Regierung will an die neuen Machthaber in Washington das Signal senden, dass man mit Mexiko verhandeln, dass es zumindest beim Thema Sicherheit eine fruchtbare Zusammenarbeit geben kann." Der südliche Nachbar könne ein guter Verbündeter sein. [2]

Dem widerspricht der Sicherheitsexperte Alejandro Hope mit der Auffassung, Präsident Enrique Peña Nieto gönne Trump nicht den Triumph der Auslieferung Guzmáns. Der Drogenboß habe sich mit allen legalen Mitteln gegen die Überstellung an die USA gewehrt, doch wäre der Rechtsweg ohnehin in kurzer Zeit ausgeschöpft und die Auslieferung unvermeidlich gewesen. "Da wollte man Guzmán doch lieber noch zu Obama schicken", so Hope. Ganz anders schätzt der Kolumnist Salvador García in der Zeitung El Universal das seltsame Manöver ein. Die Überstellung "El Chapos" sei ein Zeichen der Unterwerfung und eine Opfergabe, mit der Mexikos Präsident versuche, Trump gnädig zu stimmen. Das habe aber schon damals bei Montezuma und den Spaniern nicht funktioniert.

Unterdessen weisen die mexikanischen Behörden solche Interpretationen als haltlose Mutmaßungen zurück: Es gebe keine besondere Motivation für die Entscheidung zu einer Auslieferung "El Chapos", behauptet Alberto Elías Beltrán von der Generalstaatsanwaltschaft. Die Auslieferung sei das Ergebnis eines normalen juristischen Verfahrens. Am Donnerstag sei das letzte Rechtsmittel Guzmáns abgewiesen worden und laut den internationalen Verträgen habe er unverzüglich überstellt werden müssen. Zur Klärung der Frage, ob die plötzliche Auslieferung Guzmáns just an diesem Tag mehr als ein Jahr nach seiner jüngsten Festnahme im Januar 2016 ein Einstandsgeschenk für Trump sei, trugen weder ein Justizsprecher, noch der mexikanische Präsident etwas bei.

Der am 4. April 1957 im Bundesstaat Sinaloa im Nordwesten Mexikos geborene Joaquín Guzmán Loera wurde 1980 Mitglied des Guadalajara-Kartells von Miguel Angel Félix Gallardo. Nachdem dieser im April 1989 festgenommen worden war und seine Organisation zerfiel, gründete Guzmán das Sinaloa-Kartell. Am 24. Mai 1993 kamen bei einer Schießerei zwischen Mitgliedern des Tijuana-Kartells und des Sinaloa-Kartells auf dem Flughafen von Guadalajara sieben Menschen ums Leben, darunter der Kardinal Juan Jesús Posadas Ocampo. Den Ermittlern zufolge wurde er mit "El Chapo" verwechselt.

Im Juni 1993 wurde Guzmán in Guatemala festgenommen und an Mexiko ausgeliefert, worauf man ihn im November 1995 zu 20 Jahren Haft verurteilte und in das Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande im Bundesstaat Jalisco brachte. Versteckt in einem Wäschewagen und mit Hilfe des Wachpersonals floh der Drogenboß am 19. Januar 2001 aus dem Gefängnis. Im Jahr 2009 nahm ihn die Zeitschrift Forbes mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde US-Dollar in die Liste der reichsten Menschen der Welt auf. Als im Februar 2012 zahlreiche Außenminister im Badeort Los Cabos zusammenkamen, um den G20-Gipfel vorzubereiten, entging "El Chapo" am selben Ort nur knapp einer erneuten Verhaftung. Sein internationaler Bekanntheitsgrad war längst derart angewachsen, daß ihn die Organisation Chicago Crime Commission im Februar 2013 zum Staatsfeind Nummer 1 erklärte - ein Titel, der zuvor nur an den US-Gangster Al Capone vergeben worden war.

Am 22. Februar 2014 nahmen Marineinfanteristen "El Chapo" in der Küstenstadt Mazatlán im Bundesstaat Sinaloa fest, doch auch diesmal konnte ihn selbst ein Hochsicherheitsgefängnis nicht dauerhaft festhalten. Guzmán floh am 11. Juli 2015 durch einen 1,5 Kilometer langen Tunnel aus El Altiplano. Immer enger eingekreist, faßten ihn wiederum Marineinfanteristen am 8. Januar 2016 nach einer Schießerei mit seinen Leibwächtern in der Stadt Los Mochis im Bundesstaat Sinaloa.

Nachdem Gerichte in den US-Bundesstaaten Texas und Kalifornien eine Auslieferung Guzmáns beantragt hatten, stimmte das mexikanische Außenministerium im Mai 2016 einer Überstellung in die USA zu. Ein Gericht in Mexiko-Stadt lehnte am 19. Januar 2017 einen Antrag auf Schutz vor der Abschiebung ab, womit alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren und "El Chapo" ausgeliefert werden konnte. Ob das wirklich zwingend notwendig war, steht auf einem anderen Blatt. Ursprünglich wollte man dem berüchtigten Drogenboß, der auch in Mexiko so etwas wie ein prominenter Staatsfeind war, selbst den Prozeß machen. Er hatte die Behörden immer wieder genarrt und mit seinem zweiten Ausbruch die Regierung Peña Nietos gedemütigt. Nach seiner erneuten Verhaftung änderte die Regierung ihre Haltung und stimmte einer Auslieferung nicht zuletzt deshalb zu, weil sie sich dem Risiko einer erneuten Flucht nicht aussetzen wollte. [3]

Als mächtigster Drogenboß seit dem Kolumbianer Pablo Escobar hatte Joaquín Guzmán das Sinaloa-Kartell zu einem der größten Syndikate weltweit aufgebaut, das in Dutzenden Staaten auf allen Kontinenten aktiv ist. Er ließ tonnenweise Kokain und Heroin in die USA schmuggeln, verdiente Millionen daran und soll persönlich für bis zu 3.000 Morde verantwortlich sein. Auch aus den mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen kontrollierte er seine Organisation. Ob ihm das in US-amerikanischer Haft verwehrt ist und er dort nur noch "ein alter, trauriger Häftling" sein wird, dessen kriminelle Karriere beendet sei, wie der Sicherheitsexperte Alejandro Hope höhnt, muß sich erst noch erweisen.

Zweifellos wird "El Chapo" mit den US-Behörden im Gegenzug für Informationen über Strafnachlaß und Schutz für seine Familie verhandeln. Willfährige Politiker und korrupte Beamte waren ihm in Mexiko lange Zeit zu Diensten, wobei man wohl davon ausgehen kann, daß die Regierung dem Sinaloa-Kartell bei seinen Geschäften weitgehend freie Hand ließ, damit es als dominante Kraft für Ruhe im Drogengeschäft sorgte. Packt Guzmán portionsweise aus, könnten in Kreisen mexikanischer Eliten etliche Köpfe rollen, zumal die US-Administration großes Interesse an diesbezüglichen Informationen haben dürfte.

Wenngleich mit der Auslieferung "El Chapos" eine Ära zu Ende geht, dürften die Folgen erfahrungsgemäß verheerend sein. Wann immer die mächtigsten Kartelle geschwächt wurden oder zerbrachen, setzten die Verteilungskämpfe eine Eskalation blutiger Auseinandersetzungen in Gang. Das galt in Kolumbien für die Zeit nach dem Medellín-Kartell Pablo Escobars und es gilt um so mehr für Mexiko, dessen Drogenkartelle das Land seit Jahren mit einem blutigen Krieg überziehen. Zuletzt hatten spektakuläre Festnahmen mächtiger Kartellbosse eine Welle der Gewalt nach sich gezogen.

Seit Guzmáns letzter Festnahme hat das Sinaloa-Kartell an Einfluß verloren, weil seine Nachfolger innerhalb der Organisation um das Erbe kämpfen. Zugleich wollen konkurrierende Organisationen dem Sinaloa-Syndikat Routen und Reviere entreißen. So wurden Guzmáns Söhne kurzfristig entführt, das Haus seiner Mutter überfallen, und selbst in den Hochburgen wird das Kartell von den Konkurrenten angegriffen. Um die Nachfolge "El Chapos" dürften seine Söhne Alfredo und Iván Archivaldo sowie sein Bruder Aureliano wie auch Ismael Zambada García alias "El Mayo", Guzmáns langjähriger Kompagnon, streiten. Nach Einschätzung der Journalistin und Sicherheitsexpertin Anabel Hernández steht das Sinaloa-Kartell dennoch nicht vor dem Untergang, es gehe nur von einer Hand in die andere über. Ohnehin finde gerade ein Generationswechsel statt, da längst Akademiker für die Kartelle arbeiteten, die unauffällig seien und ihre Dienste im Schatten leisteten.


Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/mexiko-liefert-el-chapo-aus-geschenk-fuer-trump-oder-symbol-der-unterwerfung_id_6523379.html

[2] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/el-chapo-warum-mexiko-joaquin-guzman-an-die-usa-ausliefert-a-1130840.html

[3] http://www.zeit.de/news/2017-01/20/kriminalitaet-das-leben-des-maechtigsten-drogenhaendlers-der-welt-20102203

20. Januar 2017


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