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LATEINAMERIKA/2483: Brasilien - Kessel der Weißen unter Dampf ... (SB)



In den Favelas von brasilianischen Metropolen wie Sao Paulo und Rio de Janeiro herrscht Bürgerkrieg. Hin und wieder führen schwer bewaffnete staatliche Sicherheitskräfte mit großer Härte Razzien durch, in der übrigen Zeit bestimmen nicht minder schwer bewaffnete Banden die Lage. Wenn nun am 1. Januar 2019 Jair Bolsonaro als Präsident Brasiliens vereidigt wird, könnten sich bürgerkriegsähnlichen Zustände aufs ganze Land ausdehnen. Denn Bolsonaro polarisiert, und zwar extrem.

Regelmäßig legt er sich wahlweise mit den Linken, der Arbeiterpartei PL, den Indigenen, den landlosen Kleinbauern, Homosexuellen und anderen Minderheiten an, spielt deren Interessen gegeneinander aus und wird unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Gesundung Brasiliens genau jenen Menschen den letzten Centavo aus der Tasche ziehen, die ihn als ihren Messias gewählt haben. Selbst wenn er in Wirklichkeit nicht der harte Typ wäre, als den er sich ausgibt, wenn er beispielsweise die Militärdiktatur (1964 bis 1985) verherrlicht und Sprüche abläßt wie, daß der einzige Fehler der damals herrschenden Generäle war, ihre Gegner nur gefoltert und nicht auch noch getötet zu haben, so würde allein schon durch den geschauspielerten "harten Typ" und die Erfüllung dessen, was er glaubt, was andere von ihm erwarten, genügend Schaden für die brasilianische Gesellschaft angerichtet.

Zu den ersten, die von der bolsonaroschen Spaltung des Landes getroffen werden, gehören die Indigenen. Im Jahr 2008 hatte das Oberste Gericht Brasiliens ihnen das über 1,7 Millionen Hektar große Reservat Raposa Serra do Sol im Bundesstaat Roraima im nördlichen Amazonas-Regenwald zugesprochen. Weiße Siedler, die dort unter anderem Reis angebaut hatten, mußten das Gebiet verlassen. Heute leben in dem Schutzgebiet rund 17.000 Menschen unterschiedlicher indigener Herkunft. Nun hat der designierte Präsident gefordert, daß das Reservat welches "das reichste Gebiet der Welt" sei, "ausgebeutet" werden solle. Damit kommt er einer langjährigen Forderung der weißen Siedler entgegen. In dem Schutzgebiet werden Lagerstätten an Gold, Diamanten, Niob und vielen weiteren wertvollen Rohstoffen vermutet.

Die Indigenen sollten an den Erlösen aus deren Verkauf beteiligt werden, aber in welcher Höhe, ist unklar. Auch will sie Bolsonaro in die Gesellschaft integrieren - eine zynische Forderung, denn sie sind bereits integriert. Die Indigenen sind zweifellos fester Bestandteil der brasilianischen Gesellschaft. Bolsonaro meint offenbar etwas anderes, beispielsweise daß sie assimiliert werden, ihre Sprache und Gebräuche aufgeben oder gar, daß sie von Evangelikalen - seinen alles entscheidenden Wahlkampfhelfern - missioniert werden sollen.

Einer neuen Untersuchung zufolge sind bereits heute fast zwei Drittel aller Schutzgebiete und 40 Prozent der Indigenen Territorien dem Risiko sozialer Konflikte und ökologischer Schockschläge ausgesetzt, hauptsächlich weil in der Nachbarschaft Bergbauaktivitäten stattfinden [1]. Bolsonaro jedoch will Schutzgebiete dem Bergbau gänzlich öffnen. Die Gefahr aufgrund einer zu engen Nachbarschaft wird zu einer konkreten existentiellen Bedrohung aufgrund der bevorstehenden Invasion durch weiße Siedler und Aberkennung des Schutzstatus.

Ursprünglich wollte Brasilien den nächsten UN-Klimagipfel (COP25) austragen, doch daraus wird nichts. Dem hat der zukünftige Präsident bereits eine Absage erteilt. Möglicherweise steigt Brasilien sogar aus dem Klimaübereinkommen von Paris aus, dazu hat sich Bolsonaro ambivalent geäußert. Der größte Flächenstaat Südamerikas und das wirtschaftliche Schwergewicht des Kontinents hatte als Klimaschutzmaßnahme (NDC - National Determined Contributions) zugesagt, die illegale Entwaldung bis zum Jahr 2030 zu stoppen. Perfiderweise könnte Brasilien diese Zusage dadurch einhalten, daß Bolsonaro die Illegalität der Rodungen aufhebt.

Das wäre ihm und dem Kabinett, das er um sich geschart hat, zuzutrauen. Gegen seinen designierten Umweltminister Ricardo Salles wird von der Justiz ermittelt, weil er mutmaßlich Karten so manipuliert hat, daß in Schutzgebieten Bergbau betrieben und Fabriken gebaut werden durften. Mit der Agrarlobbyistin Tereza Cristina wurde eine Landwirtschaftsministerin nominiert, die sich für eine rasche Zulassung von giftigen Pestiziden starkgemacht hat, und der kommende Außenminister, Ernesto Araújo, bezeichnet den Klimawandel als "kulturmarxistische" Verschwörung, um die westliche Ökonomie zu schwächen und China zu stärken. Zudem hat der ehemalige Fallschirmjäger-Hauptmann Bolsonaro sechs Generälen im Ruhestand zu Ministerposten verholfen, darüber hinaus stammen sowohl sein Stellvertreter (General Hamilton Mourão) als auch sein Stabschef (General Carlos Alberto dos Santos Cruz) aus dem Militär.

Unter der früheren Militärdiktatur hatten fast alle Brasilianerinnen und Brasilianer gelitten. Nicht zuletzt die Indigenen. An diese düstere Zeit will Bolsonaro anscheinend anknüpfen. FUNAI, die Behörde für Angelegenheiten der Indigenen, wird in Zukunft nicht mehr dem einflußreichen Justizministerium zugeordnet, sondern einem neu geschaffenen Ministerium für Frauen, Menschenrechte und Indigene. Als Tribut an seine evangelikale Wählerschaft wird das neue Ministerium von Damares Alves geleitet. Die Anwältin ist evangelikale Predigerin und spricht sich gegen Abtreibung aus.

Das kommt einer Entmachtung der FUNAI gleich. Die blieb zwar in der Vergangenheit nie ohne Kritik, beispielsweise weil sie zwischen indigenen Rechten auf der einen Seite und höhergeordneten gesellschaftlichen Interessen auf der anderen abgewogen und nicht selten letzteren den Zuschlag gegeben hat. FUNAI war aber für weiße Suprematisten wie Bolsonaro allein deshalb zu unbequem, weil sie hin und wieder das Selbstbestimmungsrecht der Indigenen betonte und sich für die unkontaktierten Völker einsetzte.

Nun hat Bolsonaro angekündigt, den Indigenen "jeden Zentimeter" Land wieder abzunehmen und Menschenrechtsaktivisten als "Terroristen" zu verfolgen. Längst ist die ursprüngliche Bevölkerung Brasiliens aufgeschreckt. Man rechnet mit dem Schlimmsten. Sônia Guajajara, Vorsitzende des Dachverbands APIB (Articulação dos Povos Indígenas do Brasil), der über 300 indigene brasilianische Gruppen vertritt, befürchtet einen erneuten Genozid an den indigenen Völkern. Man werde nicht darauf warten, bis es passiert, erklärte sie kämpferisch. "Wir werden unsere Gebiete verteidigen. Und unser Leben." [2]

Ob sich Bolsonaro davon beeindrucken läßt? Wahrscheinlich nicht, denn er verfügt über eine militärische Überlegenheit und spricht sich für den Einsatz von Gewalt und letztlich sogar Genozid aus, wenn er sagt: "Es ist eine Schande, daß die brasilianische Kavallerie nicht so effizient war wie die amerikanische, die ihre Indianer ausgelöscht hat."


Fußnoten:

[1] https://medium.com/global-canopy/can-brazil-maintain-progress-on-addressing-deforestation-1d3c53470b63

[2] https://www.theguardian.com/world/2018/dec/18/indigenous-leader-urges-eu-to-impose-sanctions-on-brazil

21. Dezember 2018


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