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MEDIEN/444: Zensur - US-Luftwaffe sperrt Zugriff auf WikiLeaks-Zeitungsseiten (SB)


Stoßrichtung weist weit über den vorgehaltenen Zweck hinaus


Die erbitterte Kontroverse um die Internetplattform WikiLeaks hat einen Prozeß in Gang gesetzt, der den offenbar überschätzten Zugewinn an bislang unzugänglichen Informationen nicht nur abzuwürgen versucht, sondern zugleich einen beispiellosen Schub innovativer Zensur auf den Weg zu bringen droht. Längst wird die Debatte um die veröffentlichten Inhalte und deren kritische Bewertung von staatlichen Initiativen in den Schatten gestellt, den Zugang der Bürger zu Informationen nach den Maßgaben einer sicherheitspolitischen Doktrin massiv zu beschneiden. Die Bezichtigung des Geheimnisverrats hat Einzug in die Massenmedien und damit die Speerspitze meinungsbildender Instrumente gehalten, um restriktiv zu definieren, welche ausgeweiteten Komplexe gesellschaftlichen Handelns künftig einer breiten Mehrheit der Bevölkerung inhaltlich unzugänglich gemacht werden sollen.

Was das Personal der US-Luftwaffe fortan nicht mehr wissen darf, hat die Air Force mit einem Keulenschlag der Zensur in einem Willkürakt festgelegt. Wie eine Sprecherin dem "Wall Street Journal" bestätigt hat, wurden im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Wikileaks-Dokumenten insgesamt 25 Websites blockiert, darunter jene der "New York Times", des britischen "Guardian", des deutschen "Spiegels", der französischen Tageszeitung "Le Monde" und der spanischen "El Pais". Steuert man von Computern der Air Force diese Websites an, taucht die Nachricht auf: "Zugang verweigert. Der Internet-Gebrauch wird aufgezeichnet und überwacht." Die zensierten Medien hatten entweder Dokumente aus dem Wikileaks-Fundus veröffentlicht oder ausführlich darüber berichtet. [1]

Die Zensurmaßnahmen wurden demnach von Generalmajor Richard Webber angeordnet. Webber, der für die Computersicherheit und die Cyber-Kriegsführung zuständig ist, berief sich auf Anwälte der Luftwaffe, die grünes Licht gegeben hätten. Nach den Worten der Air-Force-Sprecherin Major Toni Tones blockiert die US-Luftwaffe regelmäßig Websites, deren Inhalte als unangemessen betrachtet würden. [2]

Auf den ersten Blick mutet der Vorgang absurd an, da Informationen, die aller Welt und natürlich auch den Angehörigen der US-Luftwaffe auf privaten Computern zugänglich sind, blockiert werden. Vor dem Hintergrund der von der US-Regierung proklamierten Auffassung, daß geheime Dokumente auch dann nur von Berechtigten eingesehen werden dürfen, wenn sie durch WikiLeaks einer breiten Öffentlichkeit bekanntgemacht wurden, zeichnet sich jedoch die weitreichende Stoßrichtung dieses Vorgangs ab. Am 3. Dezember hatte das Weiße Haus noch einmal formal darauf hingewiesen, daß alle Bundesbeschäftigten ohne entsprechende Sicherheitseinstufung Dokumente, die als geheim eingestuft seien, nicht lesen dürften, was auch für zuhause auf privaten Computern gelte.

Das US-Verteidigungsministerium hat den Angehörigen der Streitkräfte den Besuch von WikiLeaks-Seiten bislang nicht verboten, aber grundsätzlich davor gewarnt. So kann das Personal der Bodentruppen und der Marine die genannten Medien-Websites weiterhin einsehen oder herunterladen.

In den USA wird natürlich insbesondere über die Rolle der "New York Times" diskutiert, der Gegner der Veröffentlichung von WikiLeaks-Dokumenten vorwerfen, mindestens ein medialer Nestbeschmutzer zu sein, wenn nicht gar Menschenleben oder gleich die nationale Sicherheit zu gefährden, da sie geheime US-Dokumente frei zugänglich macht. Zur Verteidigung des Leitmediums wird angeführt, daß es vor der Veröffentlichung von Diplomaten-Depeschen Kontakt zu den Behörden gesucht hat, um die genannten Risiken auszuschließen. In der nun verfügten Sperrung von Websites auf Computern der Air Force sehen Kritiker einen Verstoß gegen den ersten Verfassungszusatz der USA, der die Meinungsfreiheit garantiert.

"Es ist bedauerlich, daß die Air Force sich nicht dazu entschlossen hat, ihrem Personal den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, die praktisch alle anderen Menschen in der Welt lesen können", hieß es in einer Stellungnahme der "New York Times". [3] Der Sicherheitsexperte Steven Aftergood von der Federation of American Scientists wies darauf hin, daß inzwischen Dutzende von Behörden wie auch die Teilstreitkräfte und private Dienstleister im Regierungsauftrag ihre jeweils eigenen Instruktionen an ihr Personal herausgegeben haben, wie die allgemeinen Vorgaben zum Umgang mit WikiLeaks-Material umzusetzen seien. Er halte das für eine Politik der Selbstbeschränkung zu eigenen Lasten, die nur dazu führen könne, daß Staatsbedienstete schlechter informiert seien, als es für sie erforderlich wäre. [4]

Über die Wirksamkeit der aktuellen Zensur bei der US-Luftwaffe zu streiten oder sie kurzerhand für lächerlich zu erklären, wäre jedoch Wasser auf die Mühlen einer Diskussion um effektivere Maßnahmen der Zensur und damit deren Wegbereiter. Erst im Kontext der an verschiedenen Fronten geführten Kontroverse und der Zwangsmaßnahmen gegen WikiLeaks zeichnet sich ein klareres Bild ab, welch verhängnisvoller Vorgang damit ausgelöst wurde.

Anmerkungen:

[1] US-Luftwaffe sperrt Zugang zur New York Times (15.12.10)
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1083581

[2] US-Luftwaffe blockiert Zugang zu Zeitungsseiten wegen Wikileaks (15.12.10)
http://www.welt.de/aktuell/article11644086/US-Luftwaffe-blockiert-Zugang-zu-Zeitungsseiten-wegen-Wikileaks.html

[3] Mediensperre im Web. U.S. Air Force zensiert WikiLeaks-Inhalte (15.12.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,734716,00.html

[4] Air Force Blocks Sites That Posted Secret Cables (14.12.10)
New York Times

15. Dezember 2010