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MEDIEN/474: Hysterie um "Fake News" kündigt Internet-Zensur an (SB)


Hysterie um "Fake News" kündigt Internet-Zensur an

Bekommen Kritiker der US-Außenpolitik demnächst Besuch vom FBI?


Die unerwartete, in ihrer Eindeutigkeit auch überraschende Niederlage Hillary Clintons, der Favoritin der großen Medien, bei der US-Präsidentenwahl am 8. November hat eine hysterische Suche nach den Verantwortlichen für die sensationelle Blamage seitens Amerikas wichtigster Meinungsmacher ausgelöst. Clintons republikanischer Widersacher Donald Trump fällt einem natürlich als erster ein, ist aber nicht so einfach anzugreifen. Erstens kann man dem New Yorker Baumagnaten und Großmaul schwer zum Vorwurf machen, im Wahlkampf eine Lüge nach der anderen von sich gegeben und seine Anhänger mit uneinlösbaren Versprechen hereingelegt zu haben, schließlich machen das in der parlamentarischen Demokratie sowieso alle, die einen eben erfolgreicher als die anderen. Zweitens sind die amerikanischen Medien eilends dabei, sich mit dem neuen Staatsoberhaupt der USA in spe zu arrangieren, wie Mittagessen, Gesprächsrunde und Interview in einem, das der New-York-Times-Eigentümer Arthur Sulzberger jun. samt seiner wichtigsten Redakteure letzte Woche am Times Square mit dem Immobilienbetreiber und Reality-Fernsehstar aus Queens demonstrativ veranstaltet hat, zeigt.

Vor diesem Hintergrund sind diejenigen, die auf einen Sieg Clintons gesetzt und ihn nach besten Kräften, wenn auch vergeblich, herbeizuführen versucht haben, auf die Idee gekommen, den Verbreitern von "fake news" im Internet die Schuld an der peinlichen Niederlage der ehemaligen First Lady und damit am Platzen des Traums von der ersten Präsidentin im Weißen Haus zuzuschieben. Als Noch-Präsident Barack Obama nach der Wahl Trumps nach Europa reiste, um den Verbündeten dort die Kontinuität der amerikanischen Außenpolitik unter seinem republikanischen Nachfolger zuzusichern, lamentierte sowohl er als auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am 17. November in Berlin über "aktive Desinformation" im Internet, speziell in den sozialen Medien, und bauschten diese zur Bedrohung der transatlantischen Wertegemeinschaft NATO auf.

Die These von den "fake news" ist schlicht die Fortsetzung der unsinnigen Behauptung, hinter den Enthüllungen von Wikileaks während des Wahlkampfs über korrupte Praktiken bei der Clinton Stiftung, über Mauscheleien bei den demokratischen Vorwahlen zuungunsten des linken Senators Bernie Sanders sowie über die Ermittlungen gegen Obamas frühere Außenministerin wegen der Nutzung eines privaten und vollkommen ungenügend abgesicherten Servers zur Abwicklung ihres kompletten privaten und beruflichen Emailverkehrs während ihrer Zeit als US-Chefdiplomatin steckten die russischen Geheimdienste im Auftrag Wladimir Putins. Ungeachtet der ständigen Wiederholung dieser These hat bis heute niemand auch nur einen einzigen stichhaltigen Beweis dafür präsentiert, daß der Kreml die Hackerangriffe - wenn es überhaupt welche waren - auf das Democratic National Committee (DNC) und die Veröffentlichung der vielen belastenden Emails zwischen Clinton, John Podesta, Sidney Blumenthal, Huma Abedin et al durchgeführt oder initiiert hat. Moskau bestreitet den Vorwurf vehement; der seit vier Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London aus Angst vor der Auslieferung in die USA wegen Spionage sitzende Wikileaks-Chef Julian Assange ebenso.

Es steht außer Zweifel, daß die negative Berichterstattung über dubiose Praktiken bei der Clinton Foundation und die Email-Affäre Hillary Clinton die Präsidentenwahl gekostet hat. Bezeichnend ist jedoch, daß ein Gutteil, wenn nicht sogar der größte Teil jener negativen Berichterstattung bei den vielen alternativen Medien am rechten und am linken Rand stattfand und ihre Verbreitung hauptsächlich über Facebook, Twitter et cetera lief. Zu dieser Entwicklung haben die großen Medien, die in den letzten Jahren immer mehr zu reinen Sprachrohren des westlichen Imperialismus und der neoliberalen Wirtschaftspolitik mutiert sind, selbst beigetragen. Beispielsweise hat sich die Glaubwürdigkeit der New York Times, Amerikas "Paper of Record", seit ihrer bereitwilligen Teilnahme an der Konstruktion des Propagandavorwands "Massenvernichtungswaffen" zum illegalen Einmarsch in den Irak 2003 nicht mehr erholt. Die erkennbar tendenziöse Berichterstattung führender westlicher Nachrichtensender wie BBC, ZDF und CNN über die Vorgänge der letzten Jahre in den Krisenländern Ukraine und Syrien hat Millionen politikinteressierter Bürger in Europa und Nordamerika dazu bewogen, ihre Information auch aus anderen Quellen zu holen, über deren Verläßlichkeit man selbstverständlich streiten kann.

Für die Informationskrieger im Pentagon sowie in der NATO-Zentrale in Brüssel ist das ein großes Problem, wie die Weigerung der Niederländer, dem Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine zuzustimmen, und die Entscheidung der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union zeigen. Deshalb hat letzte Woche das EU-Parlament in Strasbourg den russischen Nachrichtensender Russia Today (RT) und die englisch-sprachige russische Onlinezeitung Sputnik quasi zu feindlichen Propagandaorganen vergleichbar der Internetpräsenz der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) mit ihren Enthauptungsvideos erklärt. Inzwischen weigern sich sowohl John Kirby, Sprecher des US-Außenministeriums, als auch die Organisation Reporter ohne Grenzen, auf Fragen von RT-Vertretern zu antworten, weil deren Arbeitgeber staatlich sei. Mit einem ähnlichen Bannspruch gegenüber Journalisten von der BBC, Agence France Presse oder dem Deutschlandfunk ist nicht zu rechnen.

Mitte November hat Melissa Zimdars, eine liberale Professorin für Kommunikation am Merrimack College in Massachusetts, eine Liste von rund 200 alternativen Websiten, die angeblich "fake news" gezielt verbreiten, im Internet veröffentlicht. Auf der Liste, über die die großen Medien breit diskutierten, fanden sich neben zahlreichen wenig bekannten Blogs wie HangTheBankers.com und Portalen für Verschwörungstheoretiker wie Infowars auch namhafte konservative Onlinemedien wie Drudge Report und Breitbart News. Am 24. November legte die Washington Post mit einem spektakulären Bericht nach, in dem Redakteur Craig Timberg quasi die gesamte linksradikale und rechtslibertäre Alternativpresse der USA - von Antiwar.com über Black Agenda Report, Consortiumnews.com, Counterpunch, David Stockman's Contra Corner, LewRockwell.com, das Ron Paul Institute, Naked Capitalism, Truthdig, Truth-out bis hin zu Zero Hedge - bezichtigte, die "nützlichen Idioten" Putins zu sein und gewollt oder ungewollt im angloamerikanischen Sprachraum die gesellschaftliche Zersetzungsarbeit des Kremls zu verrichten. Timberg bezog seine "Erkenntnisse" aus der Arbeit einer bis dato völlig unbekannten "Expertengruppe" namens PropOrNot, deren Mitglieder dem neokonservativen Kriegstreiberflügel in Washington anzugehören scheinen und deren Identität nicht preisgegeben werden durfte - aus Angst vor russischen Hackerangriffen, versteht sich.

Das Gefährliche an dem Washington-Post-Artikel, der ungeachtet seiner Lächerlichkeit rasche Verbreitung in journalistischen Kreisen fand, ist die Tatsache, daß Timberg darin "formale Ermittlungen" seitens des US-Inlandsgeheimdienstes FBI gegen die von ihm aufgelisteten Websites wegen Spionage und Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne einer feindlichen ausländischen Macht einforderte. Dabei haben die Beschuldigten nichts anderes gemacht, als die Innen- und vor allem Außenpolitik Washingtons kritisch zu hinterfragen. Bereits am 20. November hatte die New York Times in einem Leitartikel von Facebook und Google Zensurmaßnahmen verlangt, um "The Digital Virus Called Fake News" aus dem Internet zu beseitigen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der ursprünglich die Idee, "fake news" hätten den Ausgang der Präsidentenwahl maßgeblich beeinflußt, als "verrückt" abgetan hatte, scheint dabei der Forderung nach Zensur nachzukommen. Software, die Facebook extra dafür entwickelt hat, damit die kommunistische Regierung in Peking den Nachrichtenaustausch der chinesischen Bürger überwachen und mißliebige Botschaften entfernen kann, dürfte auch demnächst im Westen zum Einsatz kommen. Auch von Google, dessen Chef Eric Schmidt bekanntlich mit Hillary Clinton befreundet ist, kann man eine weitere Optimierung der Suchmaschinenalgorithmen in Richtung eingeschränkter Meinungsvielfalt erwarten.

29. Oktober 2016


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