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MEDIEN/485: Australien - leichtfüßige Verschärfung ... (SB)


Australien - leichtfüßige Verschärfung ...


In Australien bläst der Sicherheitsapparat zum Sturm auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Am 4. Juni hat die Australian Federal Police (AFP) in Canberra die Wohnung von Annika Smethurst, Chefin der politischen Redaktion der Zeitung Sunday Telegraph durchsucht und alles an Recherchematerial, was sie auf Mobiltelefone, Computer, Festplatten und USB-Sticks ausfindig machen könnten, mitgenommen. Die unangekündigte Razzia am frühen Morgen fand laut Durchsuchungsbefehl in Zusammenhang mit einem Bericht Smethursts im vergangenen Jahr, wonach die National-Liberale Koalitionsregierung von Premierminister Scott Morrison, die bei Parlamentswahlen am 18. Mai wiedergewählt worden war, ein Gesetz vorbereitete, der dem Australian Signals Directorate (ASD), vergleichbar dem amerikanischen National Security Agency, weitreichende Kontrollbefugnissse über den Telefonverkehr und Computerdaten aller australischen Bürger aufgetragen hätte. Nach dem öffentlichen Aufschrei infolge des entsprechenden Smethurst-Artikels war der Gesetzentwurf in der Schublade des Innenministeriums geblieben.

Keine 24 Stunden später, nämlich am 5. Juni, hat die australische Bundespolizei eine großangelegte Razzia beim Hauptquartier des staatlichen Fernsehsenders ABC in Sydney durchgeführt. Im Visier der Fahnder standen die Arbeitsplätze der Investigativjournalisten Dan Oakes und Sam Clark sowie des Büros des Leiters der Politikredaktion Gaven Morris. Laut Durchsuchungsbefehl stand die Razzia in Verbindung mit dem aufsehenerregenden Bericht "The Afghan Files" von Juli 2017. Damals legten die Reporter der Australian Broadcasting Corporation einer shockierten Öffentlichkeit Belege für schwere Kriegsverbrechen der australischen Spezialstreitkräfte in Afghanistan vor. Demnach haben einige von Australiens Elitesoldaten beim Einsatz am Hindukusch wahllos Zivilisten ermordet, deren Leichen anschließend geschändet und die Getöteten später schlicht zu "Terroristen" erklärt. Angeblich führten die Täter in Uniform extra Gewehren bei sich, extra damit sie sie nach der Mordtat der Leiche zur Seite legen konnten als angeblichen Beweis, daß es sich bei den Opfern um "feindlichen Kombattanten" gehandelt habe.

Am 13. Juni muß sich der frühere Militäranwalt David McBride, der als ABC-Hauptquelle der ABC der Erstellung der "Afghan Files" gilt, vor dem Obersten Gerichtshof in Canberra. Viele Einzelheiten des Prozesses sind bekannt, weil sie dem militärischen Zensor unterliegen. Laut seinem Anwalt will McBride auf nicht-schuldig plädieren und seine Rolle bei der Aufdeckung schwerster Menschenrechtsverbrechen unter Verweis auf geltende internationales Kriegsgesetze rechtfertigen. Sollte McBrides Berufung auf das eigene Gewissen und ethische Prinzipien von den Richtern nicht überzeugen und sich das Primat der Geheimhaltung sicherheitspolitischer Belange durchsetzen, droht dem ABC-Informant eine langjährige Haftstrafe. Was die Enthüllungen Smethursts in Bezug auf die damals und möglicherweise immer noch geplante Richtlinie im Bereich der elektronischen Überwachung betrifft, so versucht die Polizei immer noch die Identität des Whistleblowers bzw. der Whistleblowerin zu ermitteln.

In beiden Fällen hat die in den Durchsuchungsbefehlen festgehaltenen Ermächtigungen der AFP die Presse und Bürgerrechtsverbände in Alarm versetzt. Noch während der Razzia beim ABC beklagte deren Chefredakteur John Lyons per Tweet das Vorgehen der Polizei: "Ich bin erschüttert über das Ausmaß des Durchsuchungsbefehls. Es erlaubt der AFP Material auf den Rechnern der ABC "zu ergänzen, kopieren, löschen oder verändern". Ich bitte alle Australiern darüber nachzudenken: ab diesem Moment hat die AFP die Macht, Material auf den Computern der ABC zu löschen". Auf beiden Durchsuchungsbefehlen wird zur Begründung der drakonischen Polizeimaßnahme die Notwendigkeit des Schutzes der "nationalen Sicherheit" Australiens angeführt.

Die staatliche Einschüchterung- und Repressionskampagne gegenüber Smethurst und die ABC-Journalisten erinnert fatal an die Verfolgung von Zeuge K und dessen Anwalt Bernard Colleary. Bei Witness K, der öffentlich nicht anders bezeichnet werden darf, handelt es um den ehemaligen Leiter der technischen Abteilung beim Australian Secret Intelligence Service (ASIS), vergleichbar dem deutschen Bundesnachrichtendiensts. Witness K hat 2004 davon mitbekommen bzw. war persönlich darin beteiligt, als der ASIS im offiziellen Auftrag Canberras die Regierung des erst 2002 von Indonesien in die Unabhängigkeit entlassenen Osttimors mit elektronischen Wanzen ausspähte. Das Motiv für die zwielichtige Operation war die Durchsetzung eines Knebelvertrags, mittels dessen Australian zuungunsten von Osttimor den größeren Anteil aus der Erschließung und Ausbeutung der Öl- und Gasreserven im Meeresgraben zwischen beiden Ländern erhalten sollte.

Kurz bevor Witness K im Dezember 2013 in Den Haag reisen konnte, um zugunsten Osttimors bei deren Klage gegen das bilaterale Energieabkommen aus dem Jahr 2006 auszusagen, erstürmtem Beamten der Bundespolizei sowie der Australian Security Intelligence Organisation (ASIO) seine Wohnung, beschlagnahmten zahlreiche Dokumenten und zogen den Reisepaß des Manns ein. Auch die Anwaltspraxis von Colleary, einst Staatsanwalt der Bundeshauptstadt Canberra, wurde von der AFP und dem australischen Inlandsgeheimdienst durchsucht. Der Prozeß gegen beide Männer läuft noch - ähnlich dem gegen McBride wegen der "Afghan Files" - weitgehend hinter verschlossenen Türen. 2018 hat der parteiunabhängige Abgeordnete Andrew Wilkie unter Berufung seines parlamentarischen Privilegs im australischen Unterhaus bekanntgemacht, daß Witness K und Colleary mit "Veschwörung zur Weitergabe von ASIS Informationen" angeklagt worden war und daß beiden Männern zwei Jahre Freiheitsstrafe drohte (2014 hat die australische Regierung die Strafe für besagtes Vergehen auf zehn Jahre erhöht).

Als in Canberra und Sydney die Razzien gegen Smethurst und ABC stattfanden war Premierminister Morrison auf den Solomon Inseln. Der Besuch dort fand vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen den USA und China im pazifischen Raum statt. 2018 haben Canberra und Washington bei der Regierung der Solomon Inseln die Erlaubnis zur militärischen Nutzung des Hafens von Manus Island erwirkt. Die Anlage dort diente den Allierten im Zweiten Weltkrieg gegen Japan als wichtigster Marine- und Luftwaffenstützpunkt im Westpazifik und soll bei der zunehmenden Konfrontation mit der Volksrepublik China eventuell eine ähnliche Funktion erfüllen. Angesprochen auf das vielkritisierte Vorgehen der AFP gegen die Presse daheim in Australien meinte der bibelfeste Konservativer Morrison lapidar: "Mich beunruhigt es niemals, wenn unsere Gesetze durchgesetzt werden."

11. Juni 2019


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