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MILITÄR/788: Streit bei der IAEA über Atomwaffen im Nahen Osten (SB)


Streit bei der IAEA über Atomwaffen im Nahen Osten

ElBaradei und Israels Vertreter Michaeli kriegen sich in die Haare


Bei der Sitzung des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), die am 15. Juni in Wien begann, standen die jüngsten Berichte zum Iran und Syrien an oberster Stelle der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang kam es am 18. Juni, dem vierten Tag der Beratungen, zu einem in seiner Heftigkeit bemerkenswerten Streit zwischen dem Generaldirektor der IAEA, dem Ägypter Mohammed ElBaradei, der im November aus dem Amt scheidet, und dem israelischen Gesandten Yisrael Michaeli. Bekanntlich verdächtigen die Israelis, die als einzige im Nahen Osten über ein Atomwaffenarsenal verfügen, den Iran und Syrien der heimlichen Entwicklung von Nuklearwaffen. Unverhohlen droht Tel Aviv seit einigen Jahren, die Kernenergieanlagen und sonstigen Areale im Iran, wo angeblich illegal an der militärischen Nutzung von Spaltmaterial geforscht wird, anzugreifen und zu vernichten, weil eine Atombombe in den Händen Teherans eine "existentielle" und damit für Israel inakzeptable Bedrohung wäre.

In ihrem jüngsten Bericht zum Thema Iran stellt die IAEA fest, daß Teheran die Kontrolle der Atomanlagen der Islamischen Republik nach dem Safeguards Agreement gewährleistet, und kritisiert lediglich, daß die Iraner die Forderung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach Einstellung der Urananreicherung ignorieren. Die Iraner, die stets beteuern, daß ihr Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient - wobei das Gegenteil bis heute trotz aller gegenteiliger Behauptungen nicht belegt werden konnte -, weigern sich, der Forderung des UN-Sicherheitsrats nachzukommen, weil sie sie als unzulässigen Versuch der Beschneidung ihrer "unveräußerlichen Rechte" nach dem Atomwaffensperrvertrag betrachten.

Im Mittelpunkt des jüngsten Syrien-Berichts der IAEA steht der umstrittene Überraschungsangriff der israelischen Luftwaffe im September 2007 auf ein Objekt in der syrischen Wüste, das unterschiedlich als Dair Alzour oder Al-Kibar bezeichnet wird. Die Israelis, von den Amerikanern unterstützt, behaupten, daß es sich beim fraglichen Objekt um einen geheimen, mit nordkoreanischer Hilfe im Bau befindlichen Atomreaktor handelte. Die Syrer bestreiten dies und behaupten ihrerseits, daß dort eine herkömmliche militärische Einrichtung zerstört wurde. Nichtsdestotrotz haben letztes Jahr die Experten der IAEA nach einem Besuch des betreffenden Areals in Bodenproben von dort mikroskopisch kleine Spuren von radioaktiven Elementen nachgewiesen, die in der Natur nicht vorkommen und folglich von menschlicher Hand sein mußten. Die Israelis haben diesen Fund als Beweis ihrer Behauptungen gedeutet. Die Regierung in Damaskus dagegen bestreitet jeden Verstoß gegen die Regeln des Nicht-Verbreitungsvertrages und führen das spektakuläre Ergebnis der IAEA-Untersuchung auf den Einsatz von Uranmunition beim israelischen Angriff zurück.

Vor diesem Hintergrund lieferten sich nach Informationen der Nachrichtenagenturen Agence France Presse und Deutsche Presseagentur ElBaradei und Michaeli vor zwei Tagen einen aufsehenerregenden Schlagabtausch. Der israelische Vertreter bei der IAEA forderte ElBaradei auf, "politische Einseitigkeit bei der Behandlung der Akte Syrien zu vermeiden". Er behauptete, Israel habe "rechtzeitig und in gutem Glauben die an es gerichtete Frage nach dem möglichen Ursprung der Uranpartikel, die auf den Atomreaktor in Dair Alzour zurückgeführt worden" seien, "geantwortet". Michaeli erklärte deshalb "die wiederholte Aufforderung des Generaldirektors an die Adresse Israels nach Zusammenarbeit in Verbindung mit diesen Ermittlungen" für "überflüssig" und warf ElBaradei vor, "öffentlich auf Israel herumzuhacken".

Den Vorwurf der Parteilichkeit wollte der scheidende IAEA-Chef nicht auf sich sitzen lassen und bezichtige Michaeli, die Tatsachen "völlig verzerrt" zu haben. ElBaradei erhob seinerseits schwere Vorwürfe, welche den Israelis nahelegen sollten, den Balken aus dem eigenen Auge zu entfernen, bevor sie das Staubkorn im Auge des anderen zum Thema machten. An die Adresse Michaelis erklärte er: "Wir arbeiten hier in einer Organisation, die nach dem internationalen Gesetz konstituiert ist. Wir legen internationales Gesetz nicht selektiv aus, sondern gleichmäßig. Als Israel völlig ungebeten ein Objekt zerstört hat, das eine Atomanlage gewesen sein sollte, ohne der Agentur die Möglichkeit zur Verizifierung dieser Behauptung einzuräumen, hat es uns nicht nur fast unmöglich gemacht, die Tatsachen festzustellen, sondern auch einen klaren Verstoß gegen internationales Gesetz begangen."

Michaeli hatte verlangt, daß die IAEA die Haltung Syriens "mißbilligt und verurteilt". Statt dessen erklärte ElBaradei seine Mißbilligung, daß Israel, statt die syrische Anlage zu melden, diese zerstört und damit die IAEA in der Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion behindert habe. Er kritisierte in scharfer Form, daß es sich Israel anmaße, der IAEA zu sagen, was es machen solle, obwohl es sich gleichzeitig weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. "Wir würden es begrüßen, wenn Sie uns keine Vorschriften machen würden, wie wir unsere Arbeit machen sollten. Sie können nicht an der Seitenlinie stehen und sich das System zunutze machen, ohne selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden." Eine Sache, die möglicherweise beim wenig diplomatischen Wortwechsel zwischen ElBaradei und Michaeli eine Rolle gespielt hat, ist die Haltung der neuen US-Regierung von Präsident Barack Obama. In den letzten Wochen hat Washington mehrere eindeutige Signale ausgesandt, daß es einen Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag begrüßen würde, um den Atomstreit mit dem Iran lösen und die Gefahr der Proliferation im Nahen Osten minimieren zu können. Gegen diese Initiative dürften sich die Hardliner in Israel energisch zur Wehr setzen.

20. Juni 2009