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MILITÄR/794: Nukleare Abrüstungsverhandlungen im Verzug (SB)


Nukleare Abrüstungsverhandlungen im Verzug

Geplanter Sondergipfel zwischen Obama und Medwedew verschoben worden


An diesem fünften Dezember 2009 ist eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen überhaupt, das von den Regierungen Ronald Reagans und Michail Gorbatschows ausgehandelte Strategic Arms Reduction Treaty (START I), das 1991 unterzeichnet wurde, jedoch erst 1994 in Kraft trat, ausgelaufen. Das Bemerkenswerte an diesem Vorgang ist die Tatsache, daß es vorerst keinen Nachfolgevertrag gibt. Ungeachtet aller Bemühungen war es den amerikanischen und russischen Unterhändlern offenbar nicht gelungen, rechtzeitig die hochkomplizierten Sachfragen zu lösen. Der Ablauf von START I, ohne daß dieser ersetzt wird, bringt einen gefährlichen Verlust an Kontrollmöglichkeiten mit sich. US-Rüstungsexperten, die seit Jahren an der Votkinsk Maschinenbaufabrik in der gleichnamigen, 1000 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Stadt den Bau russischer Interkontinentalraketen kontrollierten, mußten bis heute ihre Arbeit beenden und die Heimreise in die USA antreten.

Acht Jahre lang hatte sich die Regierung des Republikaners George W. Bush dagegen gesträubt, die von ihr angestrebte Suprematie durch irgendwelche Vereinbarungen mit Moskau einschränken zu lassen. Sie hat deshalb zum Beispiel 2002 den ABM-Vertrag aufgekündigt, um ungehindert ihrem Traum des Aufbaus eines Raketenabwehrsystems nachzugehen, das im Ernstfall die USA in den Stand versetzen sollte, einen atomaren Erstschlag durchführen zu können, ohne die Gefahr eines verheerenden russischen Zweitschlags befürchten zu müssen. Womöglich deshalb, weil sich trotz Milliardeninvestionen Donald Rumsfelds Raketenschild nicht verwirklichen ließ, hat der Demokrat Obama nach dem Einzug ins Weiße Haus im vergangenen Januar die Pläne Bushs zur Stationierung von Abfangraketen in Polen und Errichtung einer entsprechenden X-Band-Radarstation in Tschechien gestrichen, sich zur Welt ohne Atomwaffen bekannt und sich um ernsthafte Abrüstungsverhandlungen mit Rußland bemüht. Ein erstes Ergebnis des neuen Ansatzes war die Absichtserklärung von Obama und seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew im Juli, so rasch wie möglich eine Reduzierung der Zahl der unmittelbar einsatzfähigen Atomsprengköpfe ihrer Länder einzuleiten.

Derzeit befinden sich in den Arsenalen Rußlands und der USA um die 2200 Atomsprengköpfe. Bei ihrem Treffen im Juli einigten sich der amerikanische und der russische Präsident auf eine neue Obergrenze, die sich irgendwo zwischen 1500 und 1675 einpendeln soll. Seitdem sind die Abrüstungexperten beider Seiten am Verhandeln. Was die Gespräche kompliziert macht, ist die Berücksichtigung der verschiedenen Trägersysteme, deren Obergrenze künftig bei 800 statt bisher bei 1600 liegen soll. Da nun die Stärken der nuklearen Streitkräfte Rußlands und der USA, was strategische Bombenflugzeuge, u-bootgestützte ballistische Raketen und landgestützte Interkontinentalraketen betrifft, unterschiedlich gelagert sind, ist es nicht so einfach neue Konstellationen zu finden, welche die Sicherheitsbedürfnisse beider Seiten gleichermaßen befriedigen.

Eigentlich hatte man gehofft, die Verhandlungen bis Mitte Dezember abgeschlossen zu haben. Wäre dies gelungen, hätte sich die Gelegenheit zur Unterzeichnungszeremonie irgendwo in Europa parallel zur Reise Obamas in die schwedische Hauptstadt Stockholm zwecks Annahme des Friedensnobelpreises ergeben. Über ein entsprechendes Sondergipfeltreffen Obamas und Medwedews in Genf, Helsinki oder Reykjavik - in letzterem hatten Reagan und Gorbatschow 1986 mehr oder weniger das Ende des Kalten Krieges eingeleitet - wurde sogar nachgedacht. Doch obwohl die amerikanischen und russischen Fachleute nach Angaben der New York Times vom 3. Dezember "rund um die Uhr" arbeiten, wird es in den nächsten Tagen hierzu nicht kommen. Man kann nur hoffen, daß es nicht allzu lange dauert, bis der Kreml und das Weiße Haus die Unterzeichnung des neuen Abrüstungsvertrages über die Bühne bringen können (von der Ratizifierung durch die Duma in Moskau und den Senat in Washington ganz zu schweigen).

5. Dezember 2009