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MILITÄR/845: Lobbyistenskandal erschüttert britische Regierung (SB)


Lobbyistenskandal erschüttert britische Regierung

"Atlantiker" Liam Fox als Verteidigungsminister zurückgetreten


17 Monate nach der Machtübernahme in Großbritannien verzeichnete die konservativ-liberale Koalitionsregierung um Premierminister David Cameron am 14. Oktober ihren ersten unfreiwilligen Rücktritt. Liam Fox hat den Regierungschef schriftlich um die Annahme seines Gesuchs um Entlassung aus der Verantwortung als Verteidigungsminister des Vereinigten Königreiches gebeten. Cameron hat dem Wunsch seines konservativen Parteikollegen "mit Bedauern" entsprochen. Wegen eines seit Wochen anhaltenden Skandals um undurchsichtige Kontakte zu pro-amerikanischen und pro-israelischen Lobbygruppen war Fox politisch untragbar geworden. Bis auf weiteres wird die Gallionsfigur der Euroskeptiker und führender "Atlantiker" unter den britischen Tories seine politische Karriere von der Hinterbank im Londoner Unterhaus aus führen müssen.

Im Mittelpunkt der Fox-Affäre steht dessen 16 Jahre jüngerer Freund Adam Werritty. Beide Männer stammen aus Schottland und sollen sich um die Jahrtausendwende bei einem Vortrag Fox' an der Universität Edinburgh kennengelernt haben. Nach dem Abschluß seines Studiums zog Werritty 2002 nach London, wo er zunächst umsonst in einem Zimmer in Fox' Apartment wohnen durfte. 2004 heuerte er als Mitarbeiter im Fox' Stab, der damals gesundheitspolitischer Sprecher der oppositionellen Konservativen war, an. In dieser Zeit wurden er und Fox Anteilseigner einer privaten Dienstleistungfirma im Gesundheitssektor. 2005 unterlag Fox einer Kampfabstimmung um den Vorsitz der konservativen Unterhausfraktion, wurde dafür jedoch vom siegreichen Rivalen Cameron als verteidigungspolitischer Sprecher ins Schattenkabinett geholt. Etwa zur gleichen Zeit wurde Werritty Geschäftsführer einer Lobbyorganisation mit Namen Atlantic Bridge, die Fox wenige Jahre zuvor zwecks Pflege der amerikanisch-britischen Beziehungen - speziell derjenigen zwischen den EU-Gegnern innerhalb der konservativen Partei und dem neokonservativen Flügel bei den US-Republikanern - gegründet hatte.

Aus bisher unerklärlichen Gründen hat Fox nach dem Sieg der Konservativen bei der britischen Unterhauswahl und dem eigenen Aufstieg zum Verteidigungsminister im Mai 2010 seinen jungen Protegé nicht zu einem seiner offiziellen Berater ernannt. Das war ein großer Fehler, denn die umfassende Lobbytätigkeit, die Werritty in Fox' Namen seitdem betrieb, hat letzterem seine Position als Dienstherr im Londoner Ministry of Defence (MoD) gekostet. Ohne eine formelle Sicherheitsüberprüfung durchlaufen zu haben, ging Werritty im Büro des Verteidigungsministers ein und aus, präsentierte sich auf Geschäftskarten mit dem Symbol des Fallgitters des Unterhauses als "Berater des Herrn Abgeordneten Dr. Fox" und nahm an zahlreichen Treffen des Verteidigungsministers mit ranghohen Politikern und Militärs im Ausland - darunter in Bahrain, Australien, Singapur, Hongkong, Abu Dhabi, Florida und Washington - teil.

Zu einem Medienthema wurde die politisch-geschäftliche Männerfreundschaft zwischen Fox und Werritty Ende Juni nach Bekanntwerden eines Treffens der beiden mit dem privaten Investor Harvey Boulter, Gründer und Hauptanteilseigner der Investionsfirma Porton Capital, am Freitag, dem 17. Juni, in Dubai. Bei dem Treffen im Fünf-Sterne-Hotel Shangri-La ging es um einen Rechtsstreit für ein Medikament, das Boulters Firma in Zusammenarbeit mit dem staatlichen britischen Biowaffenlabor Porton Down gegen den MRSA-Superkeim entwickelt und anschließend an das US-Technologiunternehmen 3M für 41 Millionen Pfund verkauft hatte. Nach Tests in den USA hatte die 3M-Leitung behauptet, das Medikament funktioniere nicht, und verweigerte die Zahlung. Boulter scheute sich nicht vor einer juristischen Auseinandersetzung, war jedoch auf die Unterstützung seiner Geschäftspartner bei Porton Down und deren Vorgesetzten im Verteidigungsministerium angewiesen. Deshalb hatte er über Werritty das Treffen in Dubai mit Fox, der sich auf dem Heimweg von einem Truppenbesuch in Afghanistan befand, arrangieren lassen.

Nach dem anscheinend positiv verlaufenen Gespräch mit dem Verteidigungsminister, bei dem Anlaß schnitt Boulter auch das Thema einer von ihm und Porton Down entwickelten App zur Verschlüsselung von Mobiltelefongesprächen zwischen Mitgliedern der britischen Streitkräfte an, schickte noch am selben Abend der gutgelaunte Geschäftsmann eine E-Mail an die Anwälte von 3M. In dem elektronischen Schreiben verwies er auf das Gespräch mit dem britischen Verteidigungsminister, deutete an, daß ein offener Rechtsstreit zwischen beiden Parteien eventuell die bevorstehende Erhebung des 3M-Vorstandsvorsitzenden George Buckley in den Ritterstand gefährden könnte und schlug einen Vergleich - 30 Millionen Dollar - vor. Bei den 3M-Verantwortlichen kam die Botschaft ganz schlecht an. Vier Tage später, am Montag, dem 20. Juni, zeigten sie Boulter wegen Erpressung an, setzten die Tageszeitung Guardian über den Schritt in Kenntnis und brachten damit Fox und Werritty in akute Erklärungsnot, aus der beide bis zum heutigen Tag keinen Weg herausgefunden haben.

Inzwischen hat sich herausgestellt, daß Werrittys Lobbytätigkeit der letzten 16 Monaten von einer Beraterfirma namens Pargav bezahlt wurde, die am 25. Juni 2011 gegründet worden war, nachdem Atlantic Bridge wegen des drohenden Verlustes ihres Status als karitative Einrichtung den Betrieb einstellen mußte. Wie Atlantic Bridge wurde Pargav durch Spenden schwerreicher Männer mit geschäftlichen Verbindungen zum militärisch-industriellen Komplex in Großbritannien, Israel und den USA finanziert. Zu den Hauptunterstützer von Pargav wird zum Beispiel Michael Lewis, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender vom British Israel Communications and Research Centre, gezählt. Im vergangenen Februar hat BICOM die Teilnahme Werrittys an der großen alljährlichen Sicherheitskonferenz im israelischen Herzliya bezahlt. Dort trat Werritty als Experte in Sachen iranischer Opposition auf und spendierte in einem Luxusrestaurant ein Essen zu Ehren von Fox und Matthew Gold, dem britischen Botschafter in Israel.

Während die Stahlhelmfraktion bei den Tories im britischen Unterhaus den Machtverlust des überzeugten "Antiterrorkriegers" Fox, dessen Feier zum fünfzigsten Geburtstag im September sich selbst die erkrankte Eiserne Lady Margaret Thatcher nicht entgehen ließ, zutiefst beklagen, werfen Kriegsgegner in den Medien auf der Insel wie der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, die Frage auf, ob Werritty vielleicht sogar ohne sein Wissen als Maulwurf des Mossads im MoD unterwegs gewesen ist. Da die Abteilung Wirtschaftskriminalität bei der Londoner Polizei strafrechtliche Ermittlungen gegen Werritty, der Fox' Trauzeugen bei seiner Hochzeit 2005 mit der Ärztin Jesme Baird war, erwägt, könnte die Aufarbeitung der Affäre noch einige pikante Einzelheiten zutage fördern.

17. Oktober 2011