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MILITÄR/850: In Zeiten der Krise und Kriegsgefahr boomt der deutsche Waffenexport (SB)


Rüstungsexportkontrolle findet de facto nicht statt


In Zeiten der Krise und Kriegsgefahr boomt der deutsche Export von Waffen und Rüstungsgütern. Wie aus dem Rüstungsexportbericht hervorgeht, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschieden will, betrug der Wert der im Jahr 2010 tatsächlich ausgeführten Kriegsgüter rund zwei Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um knapp 50 Prozent gegenüber den 1,34 Milliarden Euro des Vorjahres. Exportiert wurden vor allem hochwertige Rüstungsgüter wie U-Boote, Kriegsschiffe und Panzer. Darüber hinaus haben deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Verträge in Höhe von etwa fünf Milliarden Euro abgeschlossen. Rund zwei Drittel der getätigten Waffenlieferungen gingen an EU-Staaten oder NATO-Mitgliedsländer. Es wurden jedoch auch Exporte beispielsweise nach Afrika und in die Golfstaaten genehmigt. [1]

Es gibt viele Gründe, gegen diesen Export von Tod, Zerstörung und Repression zu Felde zu ziehen. Dessen eingedenk überläßt es die Staatsräson weder den Bürgern noch dem Parlament, in diese Prozesse einzugreifen und sie womöglich gar zu stören. Demokratische Kontrolle bleibt insbesondere in diesem Sektor politischer und ökonomischer Weichenstellung weitgehend fiktiv: Genehmigt werden die Rüstungsexporte vom Bundessicherheitsrat, einem Ausschuß des Kabinetts. Dieser hält seine Beschlüsse geheim und legt nur einmal im Jahr seine Entscheidungen offen. Wie spät das geschieht dokumentiert der Umstand, daß erst diese Woche der Rüstungsexportbericht 2010 vorgelegt und gebilligt werden soll. Darin enthalten sind mithin Vorgänge, die längst über die Bühne gegangen sind, so daß von einer zeitnahen Information und Einflußnahme nicht die Rede sein kann. Die Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen und bei informellen Kontakten, während die Öffentlichkeit erst Monate oder Jahre später davon erfährt. Rüstungsexportkontrolle findet de facto nicht statt.

Die Grünen haben seinerzeit im Kielwasser Außenminister Fischers als Kriegspartei ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Solchermaßen etabliert, leisten sie sich heute in der Opposition gewisse Einwände gegen den unkontrollierten Rüstungsexport. So billigten sie auf ihrem Kieler Parteitag einen Antrag, der Bundessicherheitsrat möge die Geheimhaltung seiner Beschlüsse aufheben und den Bundestag vierteljährlich über diese informieren. Zudem soll ein parlamentarisches Gremium den Bundessicherheitsrat kontrollieren und auch vor dessen Entscheidungen informiert werden. Bei besonders sensiblen Exporten müsse dieses Parlamentsgremium die Möglichkeit bekommen, ein aufschiebendes Veto einzulegen.

Diese Initiative zielt also darauf ab, dem Parlament Kontrolle und Einflußnahme bei Entscheidungen des Bundessicherheitsrats über Rüstungsexporte zu verschaffen. Das wäre zweifellos ein Fortschritt gegenüber dem bislang praktizierten weitgehenden Ausschluß der Volksvertreter, vom angeblich durch diese vertretenen Volk ganz zu schweigen. Dessen ungeachtet gilt es in diesem Zusammenhang jedoch darüber hinausführende Fragen mittelbarer und unmittelbarer deutscher Beteiligung an Kriegen, Bürgerkriegen und Unterdrückung der Bevölkerung zu stellen und zuzuspitzen.

Moniert man wie im Falle Libyens, dort seien G36-Sturmgewehre der Firma Heckler & Koch aufgetaucht, die offiziell nach Ägypten geliefert worden waren, betrifft das nicht nur den offenkundigen Umstand, daß Deutschland den tatsächlichen Verbleib der Waffen nicht lückenlos kontrollieren kann. Dies ist nur ein Aspekt der Proliferation von Kriegswaffen, bei dem man zwar ansetzen, es jedoch keinesfalls bewenden lassen kann. Der Angriffskrieg der NATO gegen Libyen wurde hierzulande bekanntlich nicht nur weithin gebilligt, sondern geradezu euphorisch bejubelt, als seien endlich alle Dämme pazifistischer Kinderkrankheiten auf dem Weg zur Front gebrochen. Die deutschen Sturmgewehre in dem nordafrikanischen Land zu rügen und zugleich den Bombenkrieg gutzuheißen, drückt den Menschenrechtskriegen das Gütesiegel garantierter Unbedenklichkeit auf.

Die Bundesrepublik ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Militärgütern und liefert in rund 140 Staaten. In den vergangenen zehn Jahren haben Rot-Grün, Rot-Schwarz und Schwarz-Gelb als jeweils regierende Koalition Waffenlieferungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro in Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas bewilligt. Die Ausfuhr in Krisengebiete und Staaten mit offenkundigen Menschenrechtsverletzungen war dabei kein Hindernis. Die Linke tritt als einzige im Bundestag vertretene Antikriegspartei auch gegen den Waffenexport als solchen ein. Sie hat vor kurzem 16 Anträge zur Abstimmung gestellt, die für die Länder Ägypten, Libyen, Syrien, Tunesien, Oman, Jemen, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Israel, Marokko, Libanon, Kuweit, Jordanien, Bahrain, Katar und Algerien jeweils den endgültigen Stopp deutscher Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern forderten. [2]

Die Zusammenarbeit mit den Repressionsorganen Saudi-Arabiens wird seit Jahren gepflegt und ausgebaut. Das Land ist ein wichtiger Importeur deutscher Rüstungsgüter, wobei der Wert der Güter, für die eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde, zuletzt deutlich zugenommen hat. Exportiert wurde neben Kleinwaffen vor allem auch Kommunikations- und Überwachungstechnologie. Zudem wurde dem saudischen Regime die Genehmigung für die Lizenzproduktion des Sturmgewehrs G36 von Heckler & Koch erteilt, die Produktionsanlage ist derzeit im Bau. Viele dieser Rüstungsexporte und auch die Vergabe der Lizenz fallen in die Zeit der rot-grünen Regierung, weswegen die Aufregung beider Parteien im Bundestag etwa bei Bekanntwerden der geplanten Lieferung von 200 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an das Scheichtum nicht mit einer konsequenten Opposition gegen Rüstungsexporte zu verwechseln ist.

In einer aktuellen Stunde des Bundestags zum Panzergeschäft mit den Saudis im August nahmen Vertreter der Regierungsparteien kein Blatt vor den Mund, um Saudi-Arabien als stabiles Regime in der Region hervorzuheben, auf das sich Deutschland angesichts der drohenden Veränderungen im Nahen Osten stützen könnte. So erklärte Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion: "Das heißt, in der jetzigen Situation [Umbrüche in Nordafrika und im Nahen Osten] müssen wir uns überlegen, wer ein potenzieller starker Verbündeter ist, ein Stabilitätsfaktor, der helfen kann, diese Region einigermaßen im Lot zu halten." Die bestellten Leopard-Panzer hätten die Saudis bereits bei der Niederschlagung des Protests in Bahrain im Februar gut gebrauchen können. Wie es auf der Homepage des Herstellers Krauss-Maffai Wegmann heißt, sei der Leopard 2 die richtige Antwort auf asymmetrische Bedrohungen. Aufgrund des "Upgrade-Kit", zu dem auch ein Räumschild oder die "nicht-letale" Bewaffnung gehören, ist der Panzer auch gut zum Wegräumen von Demonstranten geeignet. Wird er damit bestückt, heißt er "Leopard 2 PSO" - also ein Panzer für Friedenseinsätze (Peace Support Operation). [3]

Im Jahr 2009 erhielt der europäische Rüstungskonzern EADS den Auftrag, eine Grenzsicherungsanlage rund um das Königreich aufzubauen. Das Geschäft kam zustande, weil die Bundesregierung gleichzeitig die Entsendung von Bundespolizisten zur Ausbildung der saudi-arabischen Grenzpolizei anbot. Seither sind gleichzeitig bis zu 44 Bundespolizisten vor Ort, die offenbar insbesondere im Umgang mit Demonstrationen und Aufständen ausbilden sowie das Durchsuchen und Besetzen von Häusern beibringen. Da EADS die Bundespolizei nicht direkt bezahlen darf, wurde ein formales Dreiecksgeschäft über die Entwicklungshilfe (GIZ) eingefädelt.

Abgesehen von der Aufstandsbekämpfung und damit der von den westlichen Mächten angestrebten Neuordnung der gesamten Region sind es natürlich auch wirtschaftliche Interessen wie insbesondere die Versorgung mit Öl aus Saudi-Arabien und anderen Förderländern, die den Ausschlag für eine Zusammenarbeit mit den Regimes geben. Politik und Bundeswehr treten heute offen dafür ein, das "Spannungsverhältnis zwischen Interessen- und Wertepolitik" zugunsten der "kurzfristig notwendigen Kooperation mit autoritären Regimen im Energie- und Sicherheitssektor" aufzulösen, auch wenn dabei der angeblich angestrebte langfristige Wandel auf der Strecke bleibt.

Hinzu kommen die Interessen der hiesigen Rüstungsindustrie, die inmitten der furchterregenden Krise um so größeres Gewicht vorhalten, signalisieren sie doch einen verbliebenen Restbestand funktionstüchtiger deutscher Exportmeisterschaft. Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall verbinden mit dem Panzergeschäft einen Durchbruch, zumal sich auch Nachbarländer wie Oman oder die Vereinigten Arabischen Emirate für deutsche Panzerfahrzeuge interessieren. Damit kommen erstmals nicht französische, britische oder amerikanische Konzerne zum Zuge, sondern deutsche Unternehmen, die ihre Arbeitsplätze in den kommenden Jahren erhalten können, um Wehrtechnik zu fertigen. Dies wiederum ist essentiell für die deutschen sicherheits- und außenpolitischen Strategieentwürfe, für die eine Führerschaft in Kriegstechnologie samt der politischen Entschlossenheit, sie als Fundament eigener Partizipation am weltweiten Raubzug in Stellung zu bringen, unverzichtbar ist.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,800139,00.html

[2] http://www.dielinke-brandenburg.de/parlamente/im_bundestag/bundestagsreport_172011/deutsche_waffenexporte_stehen_weit_ueber_menschenrechten/

[3] http://www.imi-online.de/2011.php?id=2323

28. November 2011