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MILITÄR/908: Drohnentechnologie treibt den Luftkrieg voran (SB)


Drohnentechnologie treibt den Luftkrieg voran

Qualitätssprung von Bush zu Obama - und bei Clinton auch?


Kurz vor dem Ende seiner zweiten und letzten vierjährigen Amtszeit als US-Präsident macht sich Barack Obama nach eigenen Angaben Sorgen, daß die Drohnentechnologie die Kriegsführung zu leicht bzw. zur Routinesache macht. In einem am 2. Oktober in der Zeitschrift New Yorker erschienenen Interview mit dem Journalisten Jonathan Chait erklärte Obama, bewaffnete Drohnen erzeugten "institutionelle Gemütlichkeit und Trägheit angesichts einer recht antiseptischen Art und Weise, Feinde zu beseitigen". Um eine Situation zu vermeiden, in der das Weiße Haus "endlose Kriege überall auf der Welt, viele davon verdeckt, ohne Rechenschaft oder demokratische Debatte", führen könne, habe er im vergangenen Juli einen Präsidialerlaß unterzeichnet, demzufolge die US-Behörden Fälle, wo Zivilisten bei Drohnenangriffen zu Schaden gekommen sein sollen, untersuchen, das Ergebnis der Untersuchungen publik machen und die Opfer bzw. Hinterbliebenen finanziell entschädigen müssen, so der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009. Leider handelt es sich bei dieser Maßnahme um reine Augenwischerei, mit der Obama vielleicht sein Gewissen zu beruhigen vermag. Sie wird jedoch kaum bis gar nicht den Vormarsch der Drohnen als bevorzugtes Mittel des Luftkrieges aufhalten.

Seit Obama George W. Bush als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber abgelöst hat, ist die Zahl der tödlichen US-Drohnenangriffe auf mutmaßliche "islamistische Terroristen" in Afghanistan, dem Irak, dem Jemen, Libyen, Pakistan, Somalia und Syrien drastisch angestiegen. Statt "Terrorverdächtige" als "feindliche Kombattanten" nach Guantánamo Bay auf Kuba zu verschleppen und sich damit eine ganze Reihe finanzieller, logistischer, PR-technischer und rechtlicher Probleme aufzuhalsen, ist Washington dazu übergegangen, ausgesuchte Führungspersönlichkeiten von Al Kaida, Taliban, Al Nusra, dem "Islamischen Staat" (IS) und Al Shabaab per Hellfire-Raketen einfach ins Jenseits zu befördern. In der Regel werden Drohnenangriffe der CIA zugeschrieben, doch wegen der ganzen Geheimniskrämerei in diesem Bereich können eigentlich nur die Verantwortlichen in Langley bzw. im Pentagon sagen, ob die jeweilige Operation tatsächlich vom Auslandsgeheimdienst oder vielleicht doch von den Streitkräften der USA durchgeführt wurde.

Mit Obamas Transparenzinitiative in Sachen Drohnenkrieg sind jedenfalls Bürgerrechtsorganisationen und Opfergruppen höchst unzufrieden. Am 6. Oktober haben mehrere von ihnen, darunter die American Civil Liberties Union, Human Rights Watch, Amnesty International und das Center for Civilians in Conflict, in einem Brief an das Weiße Haus eine ganze Reihe von Drohnenangriffen aufgelistet, deren Hintergründe der Aufklärung nach wie vor harren. Die Unterzeichner der offenen Botschaft haben die schleppende Ermittlungsarbeit der zuständigen Stellen kritisiert und eine umfassende Offenlegung aller Einzelheiten - unter Berücksichtung der Notwendigkeit der Wahrung militärischer Geheimnisse natürlich - gefordert. Besagte Gruppen bemängeln auch die bisherigen Ergebnisse der amtlichen Studien. Während die Obama-Regierung behauptet, in den letzten fast acht Jahren seien lediglich zwischen 64 und 116 Zivilisten bei US-Drohnenangriffen ums Leben gekommen, legte vor kurzem das in London ansässige Bureau of Investigative Journalism in einer eigenen Studie eine Schätzung zwischen 492 und 1.077 vor.

Eine Besserung dieser Zustände ist unter Hillary Clinton, der voraussichtlichen Siegerin der US-Präsidentenwahl am 8. November, nicht zu erwarten. Eher ist das Gegenteil zu befürchten. Ende September wurde im Zusammenhang mit der Email-Affäre aus Clintons Zeit als Außenministerin bekannt, daß die ehemalige First Lady 2010 aus Verärgerung über die Veröffentlichung belastender diplomatischer Depeschen der USA durch Wikileaks vor Mitarbeitern im State Department die Frage aufgeworfen hatte, ob man sich des Problems Julian Assange nicht einfach per Drohne entledigen könnte. So äußerte sich am 23. November 2010 Clinton in Anwesenheit ihrer engsten Vertrauten Huma Abedin, Cheryl Mills und Jacob Sullivan. Am selben Tag erhielt sie von Anne Marie Slaughter, damals Leiterin der Abteilung für politische Planung im US-Außenministerium, eine E-Mail zum Thema "nicht-legale Strategien" im Umgang mit Wikileaks. Der Inhalt dieser elektronischen Kommunikation ist bisher nicht bekannt geworden. Fakt ist, daß Clinton wegen der Gefahr zwischenstaatlicher Auswirkungen von Weißem Haus, Pentagon und CIA regelmäßig in die Entscheidungsfindung über die Durchführung von Drohnenangriffen einbezogen wurde. Dies geht aus den Dokumenten hervor, die das FBI im Juli im Zuge seiner Ermittlungen zur E-Mail-Affäre veröffentlicht hat.

Am 10. Oktober berichtete die in Paris erscheinende Zeitung Le Monde vom erstmaligen Einsatz von Killer-Drohnen durch "Terroristen". Demnach haben IS-Dschihadisten Anfang des Monats in der Nähe von Erbil, der Hauptstadt der Kurdischen Autonomieregion im Norden Iraks, eine Gruppe Peschmerga und französische Militärberater per Drohne angegriffen. Bei dem Anschlag aus der Luft kamen zwei kurdische Kämpfer ums Leben, während zwei französische Soldaten schwer verletzt wurden. Ob der Sprengsatz per Fernzündung, Zeitzünder oder durch den Aufschlag explodierte, ist bislang nicht geklärt. Jedenfalls wurde die Bombe mittels einer Mini-Drohne, die inzwischen immer billiger werden und leicht zu erwerben sind, ans Ziel befördert.

Noch beängstigender als diese Entwicklung sind die Ausführungen Richard Bitzingers, die am 9. Oktober unter der Überschrift "Nuclear-armed drones? They may be closer than you think" bei Asia Times Online erschienen sind. Unter Verweis auf entsprechende Überlegungen und Forschungsvorhaben des amerikanischen und russischen Militärs schreibt Bitzinger: "Das nuklear-bewaffnete, unbemannte Flugzeug mag noch nicht am Horizont sein, aber mit Sicherheit sind Langstreckendrohnen auf dem Weg und dürften früher hier sein, als wir glauben. Das mit einem solchen System verbundene Versprechen und die Angriffsoptionen, die es bietet, werden zu attraktiv sein, um darauf verzichten zu können." James Camerons Skynet läßt grüßen.

12. Oktober 2016


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