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NAHOST/943: USA und Israel simulieren Verhandlungen um Siedlungsstopp (SB)


US-Sondergesandter Mitchell zündet diplomatische Nebelkerzen


Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zeichnen sich seit jeher durch palästinensische Zugeständnisse und von israelischer Seite gebrochene Versprechen und nicht eingehaltene Abkommen aus. Auf zwischenzeitliche Phasen verschärfter Repression bis hin zu Massakern der Streitkräfte wie dem im Gazastreifen folgen Zeiten kompletter Stagnation, bis schließlich ein neuer Impuls Verhandlungen auslöst, die vom Status quo ausgehen, also das Niveau für die weitaus schwächere Seite in diesem Konflikt immer niedriger schrauben. Die Frage, was den Palästinensern in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten genommen wurde und folglich wiedergegeben werden müßte, wollte man von ernsthaften Verhandlungen sprechen, wird von israelischer Seite bei derartigen Gesprächen für irrelevant erklärt oder komplett ausgeblendet.

Als der US-Sondergesandte George Mitchell und Israels Verteidigungsminister Ehud Barak Anfang des Monats in New York zusammentrafen, um in einem gut vierstündigen Gespräch die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines Friedensprozesses im Nahostkonflikt zu erörtern, bezeichneten beide die Bilanz ihrer Zusammenkunft als positiv. Fortschritte, die man als solche bezeichnen könnte, hatten sie freilich nicht vorzuweisen, da sich die Gesprächspartner zunächst nur darauf einigen konnten, daß Israel in der Frage des umstrittenen Siedlungsbaus "Schritte ergreifen" müsse. Welcher Art diese sein sollen, wurde jedoch nicht näher bestimmt. Barak erklärte zudem, es sei noch zu früh, um zu sagen, ob die israelische Regierung der Forderung nachgebe. (Süddeutsche 01.07.09)

Bekanntlich hatte US-Präsident Barack Obama Anfang Juni bei seiner Ansprache in Kairo einen vollständigen Stopp aller israelischen Siedlungsaktivitäten gefordert. Darauf erwiderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er wolle keine neuen Siedlungen bauen, doch bestehe er auf einem natürlichen Wachstum der bestehenden. Nach seinem Treffen mit Mitchell warnte Barak davor, die Differenzen zwischen den USA und Israel im Hinblick auf den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland überzubewerten. Wenngleich hinsichtlich der israelischen Siedlungspolitik noch Uneinigkeit herrsche, glaube er nicht an eine diesbezügliche Sackgasse. Schließlich sei die Siedlungspolitik nur ein Element unter mehreren bei den Gesprächen über einen umfassenden Nahost-Friedensvertrag.

Nun sind George Mitchell und Ehud Barak - diesmal in London - erneut zusammengetroffen, und wieder hieß es hinterher wohlgemut, man habe Fortschritte gemacht, aber auch noch eine Strecke Weges vor sich. Einig geworden ist man sich hinsichtlich des Siedlungsbaus genau besehen überhaupt nicht, doch rang man dem Vernehmen nach um einen Kompromiß, der es Premierminister Benjamin Netanyahu erlauben würde, sein Gesicht zu wahren. Israel sei zwar offen dafür, den Siedlungsbau befristet einzufrieren, doch verlange man im Gegenzug eine bedeutsame Friedensgeste der Palästinenser oder der arabischen Staaten, mit denen der Regierungschef Kritiker im eigenen Lager und rechts von diesem beschwichtigen könnte. Die Siedlungsfrage sei ohnehin sekundär und müsse möglichst rasch aus dem Weg geräumt werden, ließ Netanjahus außenpolitischer Berater Zalman Shoval wissen. Außerdem könne sie nicht einseitig gelöst werden, weshalb man natürlich hören wolle, was man im Gegenzug von der anderen Seite zu erwarten habe. (The Christian Science Monitor 08.07.09)

Wie man unschwer erkennen kann, tauchen die Palästinenser in diesem Gezerre um den Bewegungsspielraum der rechtsgerichteten israelischen Regierung nur noch insofern auf, als man von ihnen selbstverständlich Vorleistungen erwartet, obwohl sie noch gar nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Als sei der Siedlungsbau nicht ein unablässiger Landraub zu ihren Lasten wie auch ein Verstoß gegen internationales Recht und Beschlüsse der Vereinten Nationen, definiert man ihn auf israelischer Seite als Status quo, der solange fortgesetzt wird, bis die drangsalierten Palästinenser in ihrer Verzweiflung weitere Opfer in der vergeblichen Hoffnung bringen, auf diese Weise die unablässig vorangetriebene Unterwerfung und insbesondere die Verhinderung einer Zweistaatenlösung bremsen zu können.

Während Mitchell und Barak so um die politischen Befindlichkeiten Benjamin Netanjahus kreisen und damit zunächst nichts weiter tun, als die technischen Voraussetzungen eines Treffens des Sondergesandten mit dem israelischen Premier auszuloten, scheint selbst ein Ende des weiteren Siedlungsausbaus derzeit in weiter Ferne zu liegen. Hört man überdies, daß die Siedlungsfrage im Kontext des Friedensprozesses nur von zweitrangiger Bedeutung sein soll, ist nicht abzusehen, wie es in den angeblich oder tatsächlich noch zentraleren Streitpunkten jemals zu einer Annäherung, geschweige denn Einigung kommen soll.

Erinnern wir uns: Anfang des Jahres verfolgte die Weltöffentlichkeit entsetzt, doch ohne einzugreifen, das Massaker der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen, dessen weiterhin aufrechterhaltene Blockade auch in den folgenden Monaten keine internationalen Sanktionen nach sich zog. Nun inszenieren die Regierungen der USA und Israels eine Kontroverse um den Siedlungsbau, die es ihnen erlaubt, intensive Verhandlungen zu führen und plötzlich wieder den Friedensprozeß und einen Palästinenserstaat im Munde zu führen, als sei es ihnen ernst damit, den Boden dafür zu bereiten, obwohl doch Netanjahu in seiner Grundsatzrede längst dargelegt hat, mit welchen für die Palästinenser inakzeptablen Vorbedingungen er ihn zu verhindern gedenkt. Während man dem Sondergesandten des Nahost-Quartetts, Tony Blair, wenigstens noch zugute halten kann, daß er auf ganzer Linie versagt hat, muß man befürchten, daß der US-Sondergesandte George Mitchell sein Geschäft wesentlich besser versteht, die Menschen im Namen seines Präsidenten und des Verbündeten Israel hinters Licht zu führen.

8. Juli 2009