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NAHOST/954: Gezielte Hysterie um "geheime" iranische Atomanlage (SB)


Gezielte Hysterie um "geheime" iranische Atomanlage

Obama, Sarkozy und Brown verhalten sich arrogant gegenüber dem Iran


PR-Höhepunkt des jüngsten G20-Gipfels in Pittsburgh war zweifelsohne jene provisorisch einberufene Pressekonferenz am 25. September, auf der der Gastgeber, US-Präsident Barack Obama, und seine beiden NATO-Verbündeten, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Großbritanniens Premierminister Gordon Brown, im Scheinwerferlicht der gesammelten Weltpresse die Existenz einer zweiten, bisher geheim gebliebenen Urananreicherungsanlage des Irans in der Nähe der Stadt Ghom bekanntgaben und ihre Empörung über die vermeintlich unheilvolle Entwicklung zur Schau stellten. Betrachtet man die Fotos oder Fernsehbilder des gemeinsamen Auftritts der drei westlichen Regierungschefs, könnte man auf die Idee kommen, Obama, Sarkozy und Brown hätten sich einen Wettstreit darüber geliefert, wer am grimmigsten in die Kameras gucken könne. Anlaß für Sorge gab es, denn setzen die NATO-Partner - von der Führung des angeblich in seiner Existenz bedrohten Israels permanent angestachelt - ihren bisherigen Konfrontationskurs gegenüber der Islamischen Republik unvermindert fort, dann wird es zum Krieg am Persischen Golf kommen. Folglich wollten Obama, Sarkozy und Brown mit ihren verfinsterten Mienen offenbar die eigenen Landsleute darauf vorbereiten, daß sich der "Atomstreit" mit den Iran demnächst erheblich verschärfen könnte.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Amerikaner, der Franzose und der Brite herausnahmen, schwerste Betrugsvorwürfe an die Adresse Teherans zu erheben und die Iraner zu bezichtigen, gegen den Atomwaffensperrvertrag zu verstoßen, heimlich Atombomben zu bauen und die Weltöffentlichkeit an der Nase herumzuführen, zeugt von bodenloser Heuchelei und einer auf nichts als Eigendündel und Verblendung gestützten Selbstgerechtigkeit. Tatsache ist, daß der Iran nach Angaben der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) alle seine Verpflichtungen nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag erfüllt. Trotz zahlreicher Inspektionen haben die zuständigen IAEO-Kontrolleure noch niemals die Abzweigung von spaltbarem Material zu militärischen Zwecken, festgestellt. Dagegen sind es die offiziellen Atommächte - die USA, Frankreich, Großbritannien, China und Rußland -, die eigentlich auf die Anklagebank gehören, weil sie seit Jahrzehnten ihrer Verpflichtung nach dem Atomwaffensperrvertrag, nämlich sich von ihren Kernwaffenarsenalen zu trennen, nicht nachkommen.

Die schwersten Vorwürfe erhob der gebeutelte britische Premierminister, von dem alle politischen Beobachter auf der Insel ausgehen, daß er und seine Labour-Partei bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr von den Konservativen unter der Führung von David Cameron vernichtend geschlagen werden. Brown entwarf das abstruse Bild der Iraner als Serientäter in Sachen Atomtäuschung und meinte in Anlehnung an das berüchtigte "Three Strikes Law" der USA, Teheran sei jetzt zum drittenmal dabei erwischt worden, wie es versuche, die IAEO in die Irre zu führen; die Zeit für Konsequenzen sei gekommen. Die Behauptungen Browns sind absoluter Humbug, denn die beiden ersten Fälle, auf die er sich hier bezieht, taugen als Beweise für gar nichts.

In der Vergangenheit ist der Iran ertappt worden, wie er heimlich Anlagen für sein Kernenergieprogramm baute. Doch der Bau einer solchen Anlage darf geheimgehalten werden. Ihre Existenz muß lediglich spätestens sechs Monate vor der Einführung von spaltbarem Material bei der IAEO in Wien gemeldet werden. Weder in der Vergangenheit noch in Bezug auf die neue unterirdische Anlage in Ghom haben die Iraner gegen diese Regel verstoßen. Tatsächlich haben sie bereits am 21. September die IAEO über die Existenz der im Bau befindlichen Anlage bei Ghom informiert.

Was den anderen Vorwurf Browns betrifft, so bezieht er sich auf jene geheimnisvollen Unterlagen, die sich auf einem Laptop befinden sollen und bei denen es um den Bau von Atomsprengköpfen gehen soll. Die USA, die sich im Besitz besagten Laptops befinden, behaupten, die Unterlagen kämen aus dem Iran. Die Iraner bestreiten dies und weigern sich aus nachvollziehbaren Gründen, sich zu den Unterlagen zu äußern, zu denen man ihnen keinen Zugang gewährt. Nicht wenige unabhängige Experten vermuten, daß der sagenumwobene Laptop das Produkt irgendwelcher schlauen Köpfe entweder bei der CIA oder dem Mossad oder von beiden ist.

Um den Betrugsvorwurf zu untermauern, haben "nicht genannte" Vertreter der Obama-Regierung über die New York Times - "U.S. and Allies Warn Iran Over Nuclear 'Deception'", Ausgabe vom 25. September - die Legende in die Welt gesetzt, die Iraner hätten die heimlichen Aktivitäten bei Ghom der IAEO gemeldet, weil sie gewußt hätten, daß die CIA, der MI6 und die DGSE hinter der Existenz der Urananreicherunganlage in spe gekommen wären. Diese Behauptung ist für Außenstehende völlig unüberprüfbar und sollte deshalb genauso wie die Erklärung Obamas, im Westen wisse man "seit Jahren" von den Umtrieben bei Ghom, mit Skepsis behandelt werden.

Eines steht jedenfalls fest. Die von den Iraner als völlig überzogene Reaktion der Regierungen Obamas, Sarkozys und Browns auf Teherans formell korrekte und rechtzeitige Anmeldung der Urananreicherungsanlage von Ghom hat die Aussicht auf eine gütliche Einigung bei den Gesprächen zwischen den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland (5+1) und dem Iran zur Lösung des Atomstreits, die am 1. Oktober in Genf beginnen sollen, erheblich getrübt. Während die Iraner Verhandlungen auf Augenhöhe fordern, jedoch gleichzeitig ihre Bereitschaft, spaltbares Material für ihre Atomkraftwerke aus dem Ausland zu beziehen, als Bestandteil einer Kompromißlösung, signalisieren, verlangen die amerikanische, britische und französische Regierungen bereits jetzt Zugeständnisse, wenn nicht sogar völlig Kapitulation und drohen offen mit "verschärften Sanktionen" und indirekt mit militärischer Gewalt. Man könnte den Eindruck bekommen, Obama, Sarkozy und Brown hätten es mit ihrem dramatischen gemeinsamen G20-Auftritt in Pittsburgh darauf anlegt, die Verhandlungen in Genf zu torpedieren. Legen ihre Unterhändler bei den kommenden Gesprächen die gleiche Haltung an den Tag, so sind diese von vornherein zum Scheitern verurteilt.

28. September 2009