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NAHOST/959: Verheerender Anschlag auf Irans Revolutionsgarden (SB)


Verheerender Anschlag auf Irans Revolutionsgarden

War Angriff in Belutschistan gegen Atom-Gespräche in Genf gerichtet?


Seit Wochen laufen die Neokonservativen in den USA gegen die Verhandlungen zur Lösung des "Atomstreits" mit dem Iran Sturm. Sie werfen Präsident Barack Obama vor, durch seine Einwilligung in die ersten offiziellen bilateralen Gespräche seit dem Sturz des Schahs 1979 mit Vertretern der Islamischen Republik am 1. Oktober in Genf auf unerträgliche Weise den "Schurkenstaat" aufgewertet zu haben. Um die Kriegsfalken in den eigenen Reihen zu besänftigen und die Obama-Regierung vor dem Vorwurf eines zu entgegenkommenden Umgangs mit den Iranern in Schutz zu nehmen, wird US-Außenministerin Hillary Clinton nicht müde, mit schweren Sanktionen für den Fall zu drohen, daß die Verhandlungen in der Schweiz, die am 25. Oktober in die nächste Runde gehen sollen, nicht bald handfeste Ergebnisse zeitigen.

Dies reicht den Iranophoben nicht, wie der Auftritt John Boltons am 13. Oktober an der Universität von Chicago zeigt. Bei seiner Rede, die den Titel "Frieden garantieren" trug und die von der Ortsgruppe der Jungrepublikaner an der Universität und der Interessensvereinigung Chicago Friends of Israel veranstaltet wurde, hat sich George W. Bushs ehemaliger UN-Botschafter für einen Überraschungsangriff der israelischen Luftwaffe auf die Nuklearanlagen im Iran als einzigen, verläßlichen Weg, um das Problem der iranischen "Atombombe" aus der Welt zu schaffen, ausgesprochen. Am 23. Oktober nimmt Bolton neben seinen ideologischen Streitgefährten John Yoo, Michael Rubin und Danielle Pletka an einer Konferenz im Washingtoner American Enterprise Institute, das Spötter "Neocon Central" nennen, teil, die den Titel "Should Israel Attack Iran?" trägt. Man kann davon ausgehen, daß die Frage rhetorisch gemeint ist. Man kann weiter davon ausgehen, daß die Neokonservativen die Nachricht von dem verheerenden Anschlag auf eine Delegation der iranischen Revolutionsgarden, der sich am 18. Oktober nahe der Grenze zu Pakistan ereignete, mit angenehmer Überraschung zur Kenntnis genommen haben, eignet sich doch dieser Vorfall bestens dazu, das ohnehin zwischen Washington und Teheran herrschende Mißtrauen zu verschärfen und eventuell die Verhandlungen zur Lösung des "Atomstreits" zu torpedieren.

Nach Angaben der pakistanischen Tageszeitung The News International wurden 49 Menschen entweder sofort getötet oder tödlich verletzt, als sich ein Selbstmordattentäter unter die Teilnehmer eines Treffens zwischen Mitgliedern der Revolutionsgarden und Vertretern der schiitischen und sunnitischen Gemeinde in Pishin in der südöstlichsten iranischen Provinz Sistan-Belutschistan begab und seinen Sprengstoffgürtel zündete. Bei dem Treffen wollten die Revolutionsgarden, die im April die Verantwortung für die Sicherheit in Sistan-Belutschistan übernommen haben, mit örtlichen Würdenträgern Wege zum Abbau von ethnischen und religiösen Spannungen erörtern. Bei dem Anschlag starben neben dem Täter, einfachen Zivilisten und einigen Geistlichen und Stammesführern auch sechs ranghohe Mitglieder der Revolutionsgarden, darunter der Stellvertretende Kommandeur der Bodenstreitkräfte, General Nur Ali Shoushtari, der zugleich Leiter der Eliteeinheit Quds war, sowie der für Sistan-Belutschistan zuständige Oberkommandeur General Rajab Ali Mohammadzadeh. Das sind die höchsten Verluste, welche die iranischen Revolutionsgarden seit dem Ende des Iran-Irak-Krieges 1988 zu verkraften hatten.

Seit einigen Jahren kämpft die Gruppe Jundullah (Soldaten Gottes), die vom pakistanischen Belutschistan aus operiert und sich unter anderem über den illegalen Transport von Heroin und Opium aus Afghanistan finanziert, im Namen der Sunniten von Sistan-Belutschistan gegen deren angebliche Diskriminierung und Benachteiligung im schiitisch-dominierten Iran. 2007 fuhr ein Selbstmordattentäter der Gruppe ein mit Sprengstoff präpariertes Auto in einen Bus und tötete elf Soldaten der Revolutionsgarden. Im Mai bekannte sich Jundullah zu einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in der belutschistanischen Provinzhauptstadt Zahedan, der 25 Menschen das Leben kostete. Seit Ende Mai haben die iranischen Behörden deshalb 18 mutmaßliche Jundullah-Mitglieder wegen Verwicklung in diesen und andere Anschläge hingerichtet.

Die Reaktion in Teheran auf die Nachricht von dem verheerenden Anschlag in Sistan-Belutschistan fiel, wie zu erwarten war, heftig aus. Im Majlis, dem iranischen Parlament, gingen die Volksvertreter automatisch von einer Verwicklung der Geheimdienste Großbritanniens und der USA in die Bluttat aus und riefen lautstark nach Rache an dem "großen Satan" und seinem engsten Verbündeten. Den gleichen Vorwurf erhoben der Parlamentsprecher Ali Laridschani und die Verfasser der amtlichen Stellungnahme des Hauptquartiers der Revolutionsgarden. In jener Verlautbarung kündete General Mohammad Pakpour "Vergeltung" gegen die Verantwortlichen für den Anschlag "in naher Zukunft" an und versprach gleichzeitig, Sistan-Belutschistan von "Terroristen und Kriminellen zu säubern". Das iranische Außenministerium bestellte den pakistanischen Botschafter ein, um von Islamabad energischere Maßnahmen gegen Jundullah zu fordern. Dieselbe Forderung richtete Irans Innenminister Mustafa Muhammed Najjar in einem Telefongespräch an seinen pakistanischen Amtskollegen Rehman Malik.

Nach Erkenntnissen der Iraner halten sich der Führer der Jundullah, Abdolmalik Rigi, und seine engsten Vertrauten im pakistanischen Belutschistan auf, wo sie Hilfe sowohl von Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" als auch von den USA und Großbritannien erhalten. Zwar bestreiten London und Washington dies und haben auch jede Verantwortung für den Anschlag von Pishin weit von sich gewiesen, doch in den letzten Jahren hat es gut dokumentierte Berichte zum Beispiel von Seymour Hersh bei der Zeitschrift New Yorker und von der Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC gegeben, denenzufolge die Bush-Regierung die Jundullah wie auch die PEJAK in Kurdistan mit Waffen und Geld ausstattete, um sie als "fünfte Kolonne" zur Destabilisierung der Islamischen Republik zu instrumentalisieren. Im August hat Abdulhamed Rigi, Bruder des Jundullah-Anführers, der sich seit dem Moschee-Anschlag in Zahedan im iranischen Gewahrsam befindet, auf einer Pressekonferenz erklärt, die sunnitische Widerstandsgruppe arbeite seit 2003 mit den Amerikanern zusammen und habe von diesen nicht nur Geld und Waffen, sondern auch Instruktionen bezüglich Anschlagszielen erhalten.

Trotz des Machtwechsels in Washington sind offenbar bestimmte Kräfte im Geheimdienst- und Militärapparat bestrebt, die Zusammenarbeit mit denjenigen, die für Teheran nichts als "Terroristen" sind, fortzusetzen. Die hohe Effektivität des jüngsten Anschlages läßt erkennen, daß hinter dieser Operation weitaus mehr als nur eine paar hundert Mann starke Schmugglertruppe, welche die Jundullah eigentlich ist, steht. Tatsächlich sind auch derzeit nicht wenige amerikanische und britische Militärs im pakistanischen Belutschistan unterwegs. Von einem geheimen Stützpunkt namens Shamsi aus werden CIA-Drohnen für Angriffe auf Taliban- und Al-Kaida-Ziele im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet geflogen - und sogar von Söldern des privaten "Sicherheitsunternehmens" Xe Services, einst Blackwater genannt, mit Hellfire-Raketen bestückt. Am 10. Oktober meldete die Times of London, die britischen Streitkräfte bauten einen Stützpunkt in Belutschistan auf, um dort künftig mit den Amerikanern zusammen Soldaten und Offiziere des pakistanischen Frontier Corps auszubilden.

Es mutet jedenfalls verdächtig an, daß sich der Anschlag von Pishin ausgerechnet an dem Wochenende ereignete, an dem der iranische Fernsehnachrichtensender Press TV unter Verweis auf diplomatische Kreise bei der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien berichtete, die Obama-Regierung erwäge, das Recht des Irans auf Urananreicherung im eigenen Land anzuerkennen, um die Verhandlungen im Atomstreit in Richtung einer friedlichen Lösung voranzutreiben. Bei der Frage, wer Interesse daran hätte, die Diskussionen zwischen Washington und Teheran zu torpedieren, muß man nicht lange überlegen. Ebenfalls am selben Wochenende fand in einem Hotel in Lansdowne, Virginia, 50 Kilometer nördlich der US-Hauptstadt, das Jahrestreffen des der israelischen Likud von Premierminister Benjamin Netanjahu nahestehenden Washington Institute for Near East Policy (WINEP) statt. Wie Dan Raviv am 18. Oktober bei CBSNews.com berichtete, stieß bei den Teilnehmern des Treffens General a. D. Charles Wald, einst Chef der strategischen Planung bei der US-Luftwaffe, mit seinem Vorschlag, die USA sollten einen israelischen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen nicht einfach zulassen, sondern selbst daran teilnehmen und dafür sorgen, daß die Operation ein militärischer Erfolg werde, auf großen Beifall.

19. Oktober 2009