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NAHOST/975: 1.400 tote Palästinenser - Rügen für zwei israelische Offiziere (SB)


Ermittlungen der Armee im Dienst der Verschleierung


Die israelische Armee hat bei ihrem Massaker im Gazastreifen, dem rund 1.400 Palästinenser zum Opfer fielen, keine Zivilisten vorsätzlich getötet. Das ist zumindest das Fazit der Stellungnahme zum Untersuchungsbericht der sogenannten Goldstone-Kommission, welches die israelische Regierung in ihrem aktuellen Schreiben an die UNO gezogen hat. Zugleich lehnt Israel eine unabhängige Untersuchung der Offensive "Gegossenes Blei" im eigenen Land de facto ab. Damit hat die Regierung Netanjahu deutlich gemacht, daß sie im Machtkampf um die Folgen des Goldstone-Berichts und damit die Deutungshoheit im Nahostkonflikt keinen Schritt zurückweicht.

Unter diesen Voraussetzungen kann es sich bei den Disziplinarmaßnahmen, die nun gegen zwei ranghohe Offiziere verhängt wurden, nur um ein Täuschungsmanöver handeln, das substantielle Ermittlungen simulieren soll, während es doch nur der Verschleierung eine weitere Lage hinzufügt. Wie die Zeitung Haaretz am Montag berichtet hat, haben die israelischen Streitkräfte in einer internen Untersuchung die beiden Offiziere wegen des Artilleriebeschusses der Einrichtung einer UNO-Hilfsorganisation und damit der Gefährdung von Menschenleben in einem bewohnten Gebiet zur Rechenschaft gezogen. [1]

Auf den ersten Blick mutet das Eingeständnis eines Fehlverhaltens auf hoher Ebene - es handelt sich nach Erkenntnissen örtlicher Medien um den Brigadegeneral Eyal Eisenberg und den Oberst Ilan Malka - für israelische Verhältnisse so ungewöhnlich an, daß man auf eine gewisse Kompromißbereitschaft schließen könnte. Das ist jedoch keineswegs der Fall, wie ein Blick auf die Argumentation zeigt, die voll und ganz darauf abzielt, den Vorwurf begangener Kriegsverbrechen vom Tisch zu wischen. In diesem Zusammenhang zählt der Beschuß der UNO-Einrichtung in mehrfacher Hinsicht zu den schwersten Brocken, die im Zuge der Rechtfertigung des mörderischen Vorgehens im Gazastreifen aus dem Weg geräumt werden sollen.

Bei der unter Artilleriefeuer genommenen Einrichtung der UNO handelte es sich um das Hauptquartier der United Nations Relief and Works Agency, die palästinensische Flüchtlinge unterstützt. Der Gebäudekomplex mußte also den israelischen Streitkräften wohlbekannt sein, weshalb ein irrtümlicher Beschuß sehr unwahrscheinlich ist. In der Einrichtung hatten bis zu 700 Menschen Schutz gesucht, was der angreifenden Armee ebenfalls nicht entgangen sein dürfte. Hinzu kam ein Treibstoffdepot auf dem Gelände, das im Falle einer Explosion verheerende Auswirkungen gehabt hätte. Am schlimmsten wog jedoch, daß der Komplex nicht nur mit hochexplosiven Granaten, sondern auch mit weißem Phosphor beschossen wurde, der bei getroffenen Menschen schwerste Verbrennungen hervorruft.

Wie es im Goldstone-Bericht heißt, sei die UNO-Einrichtung von mindestens sieben Granaten mit weißem Phosphor getroffen worden, die ein Lagerhaus auf dem Gelände in Brand setzten. Schon der Beschuß durch Artillerie in einem dicht bewohnten Gebiet verstößt gegen das Kriegsrecht. Hinzu kommt die extreme Gefährdung Hunderter Zivilisten durch den weißen Phosphor, der zwar international noch nicht geächtet ist, aber gemeinhin zu den schrecklichsten Kampfstoffen zählt, die gegenwärtig zum Einsatz kommen.

Um dennoch die Argumentation durchzutragen, es habe sich keineswegs um ein Kriegsverbrechen gehandelt, mußten die Streitkräfte in ihrer internen Untersuchung die Behauptung untermauern, man habe keinesfalls auf Zivilisten geschossen. Da der Artilleriebeschuß auf bewohntes Gebiet schlechterdings nicht zu leugnen war, maßregelte man die beiden hochrangigen Offiziere, wobei der gegen sie erhobene Vorwurf aufschlußreich ist: Sie hätten "ihre Befugnisse auf eine Weise überschritten, die das Leben anderer gefährdete". Zu welchem anderen Zweck als der Gefährdung palästinensischen Lebens war die israelische Armee in den Gazastreifen eingefallen? Indem die Gefährdung von Zivilisten bei der Operation zu einem Ausnahmefall erklärt wird, der in der Tat disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen müsse, verschleiert man den grundsätzlichen Charakter des Angriffs. [2]

Da der Einsatz von weißem Phosphor in zahllosen Fernsehbildern zweifelsfrei zu erkennen war, konnten die israelischen Streitkräfte ihn nicht dementieren. Sie behaupteten jedoch, er sei in Übereinstimmung mit internationalem Recht ausschließlich dazu verwendet worden, das Kampfgebiet zu beleuchten oder künstlichen Nebel zu erzeugen. Im Falle der UNO-Einrichtung hätten sich Panzerabwehrtrupps der Hamas direkt daneben verschanzt, weshalb zum Schutz einer israelischen Panzereinheit die Sicht vernebelt worden sei. Man habe die Granaten mit weißem Phosphor nicht auf das Gelände der UNO abgefeuert, sondern "auf militärische Ziele in einem Kampfgebiet" geschossen, daß sich in einiger Entfernung davon befand.

Der Sprecher der Streitkräfte, Hauptmann Barak Raz, wollte nicht ausschließen, daß die Granaten, die den Komplex der UNO getroffen hatten, weißen Phosphor enthielten, doch betonte er zugleich, daß dies bei der Maßregelung der beiden Offiziere nicht zur Debatte gestanden habe. Vielmehr sei es um den Artilleriebeschuß in einem bebauten Gebiet gegangen. Diese Stellungnahme zeigt, daß wesentliche Teile der erhobenen Vorwürfe bei dieser Untersuchung ausgeblendet wurden, die damit in das Gegenteil einer rückhaltlosen Aufklärung verkehrt wird. Bezeichnenderweise sind die gegen die beiden Offiziere verhängten Sanktionen außerordentlich milde, da sie weder degradiert, noch ihrer Funktionen enthoben wurden. Der Armeesprecher merkte diesbezüglich lediglich an, daß die Rüge in die Personalakte aufgenommen würde und die Chancen künftiger Beförderungen beeinträchtigen könne.

Welche Strafe angesichts so vieler toter und verletzter Palästinenser! Da die Erklärung der Streitkräfte angesichts der Faktenlage höchst widersprüchlich und unglaubwürdig ist, hat die israelische Menschenrechtsgruppe Btselem der Regierung in einer aktuellen Stellungnahme vorgeworfen, sie vertusche die Einzelheiten des Beschusses der UNO-Einrichtung, und zugleich die Einleitung von Strafverfahren gegen die beiden Offiziere gefordert.

Die Maßregelung der beiden hochrangigen Offiziere wurde erstmals in dem 46 Seiten umfassenden Dokument erwähnt, das die israelische Regierung vor wenigen Tagen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zukommen ließ. Bei diesem Dokument handelt es sich ausdrücklich um keine umfassende Stellungnahme zum Goldstone-Bericht, der in dieser Woche in der UNO-Vollversammlung beraten werden soll. Es ist jedoch die erste offizielle Antwort Israels auf den Report der Untersuchungskommission, die sich im Auftrag der UNO mit der Operation "Gegossenes Blei" im Gazastreifen befaßt hat. Das aktuell vorgelegte Dokument erklärt im wesentlichen das israelische Rechtssystem und verteidigt die Glaubwürdigkeit interner Untersuchungen der Streitkräfte. Legt man dafür die Ermittlungen der Armee zum Beschuß der UNO-Einrichtung zugrunde, hat sich Israel hinsichtlich seiner Bereitschaft, eine angemessene Untersuchung durchzuführen, selbst diskreditiert.

Anmerkungen:

[1] Israel: Offiziere gemaßregelt (02.02.10)

junge Welt

[2] Israel Rebukes 2 for U.N. Gaza Compound Shelling (02.02.10)
New York Times

2. Februar 2010