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NAHOST/996: USA setzen auf Konfrontation im Atomstreit mit Iran (SB)


USA setzen auf Konfrontation im Atomstreit mit Iran

Hillary Clinton kündigt vierte Sanktionsrunde gegen Teheran an


Wie befürchtet, jedoch gleichzeitig erwartet, ist die Reaktion der USA auf die am 17. Mai in Teheran zwischen dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dessen brasilianischen und türkischen Amtskollegen Luiz Inacio Lula da Silva und Recip Tayyip Erdogan getroffene Vereinbarung, 1200 Kilogramm schwach angereichertes Uran aus dem Iran bis Ende des Monats in die Türkei auszulagern, auf daß im Gegenzug innerhalb eines Jahres die Iraner 120 Kilogramm mittelangereichertes Uran zwecks Herstellung von Isotopen zur Behandlung von Krebspatienten in der Islamischen Republik erhalten sollten, negativ ausgefallen. Zwar hatte am selben Tag in einer ersten offiziellen Reaktion P. J. Crowley, Sprecher des US-Außenministeriums, das Ergebnis des Dreiergipfels von Teheran als Hinhaltetaktik der Mullahs abgetan, doch blieb es Amtschefin Hillary Clinton, die innerhalb der Administration von Präsident Barack Obama als israelfreundliche Hardlinerin gilt, persönlich überlassen, am 18. Mai Washingtons endgültige Zurückweisung der gerade erzielten Kompromißlösung im sogenannten Atomstreit zu verkünden.

Dies tat die ehemalige Senatorin aus New York anläßlich eines Auftritts vor dem außenpolitischen Ausschuß des Senats, wo sie zusammen mit Verteidigungsminister Robert Gates und dem US- Generalstabschef Admiral Michael Mullen erschienen war, um für die Annahme des neuen strategischen Abrüstungsvertrages mit Rußland zu werben. Triumphierend überraschte Clinton die Senatoren, die Weltöffentlichkeit und nicht zuletzt die düpierten Staatsführungen in Ankara und Brasilia mit der Nachricht, nach monatelangen diplomatischen Verhandlungen sei es dem ihr unterstehenden State Department in der vorangegangenen Nacht gelungen, die anderen vier Vetomächte des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, also nicht nur Frankreich und Großbritannien, sondern auch Rußland und China, auf den Entwurf einer Resolution zur Verhängung einer vierten Runde von Sanktionen gegen den Iran einzuschwören. Der zehnseitige Entwurf sollte am selben Abend den Delegationen der anderen neun nichtständigen Mitgliedsländer des UN-Sicherheitsrats unterbreitet werden.

Gegenüber den ehemaligen Senatskollegen stellte auch Clinton unverhohlen die Vereinbarung von Teheran als durchsichtigen Versuch der Iraner dar, auf Zeit zu spielen. Sie erklärte, daß es "bei allem Respekt" für die "türkischen und brasilianischen Freunde" "kein Zufall" sein dürfte, daß Teheran in dem Moment Kompromißbereitschaft gezeigt habe, als die USA bei ihren Bemühungen um die Verhängung einer vierten Runde von UN-Sanktionen kurz vor dem Durchbruch gestanden hätten. Die Bekanntgabe der Einigung über den Resolutionsentwurf sei laut Clinton die "überzeugendste Antwort" auf die Verzögerungsbemühungen des Irans. Der Versuch Teherans, "dem Druck" der "internationalen Gemeinschaft" zu entkommen, werde nicht gelingen; China und Rußland seien "an Bord"; die "starke Sanktionsresolution" werde eine "unverkennbare Botschaft" hinsichtlich dessen, "was vom Iran erwartet" werde, "aussenden", so die ehemalige First Lady.

Es scheint mehrere Gründe zu geben, warum die Regierung Obama nichts mehr von der Kompromißlösung, die sie selbst mit Frankreich, Rußland und der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) im letzten Oktober ins Spiel brachte und der die Iraner nach Verhandlungen mit den Brasilianern und Türken doch noch zugestimmt haben, wissen will. Vor einem halben Jahr stellten 1200 Kilogramm rund 70 Prozent des iranischen Bestands an schwach angereichertem Uran dar. Weil in der Zwischenzeit die Iraner ihre Zentrifugen haben weiterlaufen lassen, macht diese Mengen nur noch rund die Hälfte ihres Bestands aus. Theoretisch - aber unter erheblichen technischen Schwierigkeiten, eines Zeitaufwands von vermutlich mehreren Jahren sowie erst nach Austritt aus dem Nicht-Verbreitungsvertrag und der Ausweisung der IAEA-Inspekteure - könnten die Iraner aus der anderen Hälfte einen primitiven Atomsprengkopf bauen. Diese Möglichkeit wollen die USA ihnen nehmen.

Deshalb verlangt Washington, daß der Iran die Urananreicherung einstellt, und hat dafür gesorgt, daß die Forderung Eingang in die früheren UN-Resolutionen gefunden hat. Ihrerseits lehnen die Iraner genau die Forderung als einen unzulässigen Versuch ab, das Recht ihres Landes als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags auf alle Aspekte der zivilen Kernenergie zu beschneiden. Sie verweisen darauf, daß sie zwecks Beilegung des Atomstreits schon einmal, Ende 2003, die Urananreicherung ausgesetzt, jedoch diese freiwillige Maßnahme Anfang 2006 beendet haben, als sie merkten, die damalige Regierung George W. Bushs ließe die im Gegenzug in Aussicht gestellte Zusammenarbeit der Islamischen Republik mit den EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - im zivil-nuklearen Bereich nicht zu.

Dessen ungeachtet befindet sich der Iran derzeit in der nicht gerade günstigen Position, mehrere an seine Adresse gerichtete UN-Resolutionen zu mißachten. Die harte Haltung Teherans in der Frage der Urananreicherung und seine Weigerung, Fragen bezüglich einer Sammlung verdächtiger Dokumente, die angeblich aus der Islamischen Republik heraus in den Besitz der CIA gelangten und auf denen sich irgendwelche Sprengkopf-Blaupausen befinden sollen, zu beantworten, legen die Amerikaner als Beleg für die These aus, daß die Iraner heimlich an der Atombombe arbeiten. Wie inhaltsleer die Bezichtigungen Washingtons eigentlich sind, kann man dem Sprachgebrauch der US-Regierungsvertreter anmerken. Dauernd reden sie von Irans nuklearen "Ambitionen", wohlwissend, daß bis heute die IAEA keinen Beweis für die illegale Nutzung von Spaltmaterial zu militärischen Zwecken in der Islamischen Republik gefunden hat.

Die Sanktionen, die Hillary Clinton demnächst vom UN-Sicherheitsrat verhängt bekommen will, sind im wirtschaftlichen Bereich noch lange nicht so "lähmend", wie es diejenigen in Washington möchten, die sich nach einem "Regimewechsel" in Teheran sehnen. Ein Aspekt des Entwurfs birgt jedoch ein großes Gefahrenrisiko. Demnach soll der Handel mit dem Iran bezüglich Raketentechnologie und nuklearem Material verboten werden. Zur Durchsetzung des Verbots sollen Inspektionen von verdächtigen Schiffen erlaubt werden. Mit einer solchen Maßnahme wäre ein Vorfall, bei dem im Persischen Golf die iranischen und amerikanischen Marinestreitkräften aneinandergerieten, geradezu vorprogrammiert.

Kein Wunder, daß sich deshalb Brasilien und die Türkei, die derzeit im Sicherheitsrat als nicht-ständige Mitglieder vertreten sind, trotz der Absage von Clinton für eine Umsetzung des in Teheran beschlossenen Urantauschabkommens stark machen. Zusammen mit dem Libanon, der derzeit im Sicherheitsrat den Vorsitz hat, könnten sie versuchen, den Resolutionsentwurf Clintons zu kippen. Schließlich muß eine Resolution von mindestens neun Mitgliedern beschlossen werden. Die fünf Vetomächte können alleine nichts beschließen.

Die Entscheidung, wie es im Atomstreit weitergeht, liegt nun bei der sogenannten Vienna Group - Frankreich, Rußland, die USA und die IAEA - die im letzten Oktober den Uranaustausch ursprünglich angeregt hatte und deren Mitglieder bis zum 23. Mai von den Iranern über die Einzelheiten des von Lula und Erdogan abgesegneten Plans zur Umsetzung des Deals informiert werden sollen. Besonders in der US-Regierung dürfte es zwischen den gemäßigten Kräften um Obama und der Stahlhelm-Fraktion um Clinton in den nächsten Stunden und Tagen zu einem harten Ringen in der Frage der Akzeptanz oder Ablehnung des Teheraner Plans kommen.

20. Mai 2010