Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1008: US-Streitkräfte ziehen nicht aus dem Irak ab (SB)


Dauerpräsenz von 50.000 Soldaten und 65.000 Söldnern geplant


Stand schon der Auftakt zum Angriff der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten auf den Irak und die anschließende Okkupation im Zeichen eines Umgangs mit der Wahrheit, wie ihn selbst Orwell in seinen düstersten Visionen kaum grotesker entworfen hat, so gilt das nicht minder für den Abzug der US-Streitkräfte aus dem Zweistromland, der entgegen unablässigen Behauptungen überhaupt nicht vorgesehen ist. Zwar werden beträchtliche Teile des Kontingents von Kampftruppen für Afghanistan und andere Kriegsschauplätze freigesetzt, doch bleibt ein gewaltiger ziviler und militärischer Apparat dauerhaft im Land, der auch in Zukunft an entscheidender Stelle Einfluß nehmen soll.

Weder hält man in Washington die gezielt herbeigeführten Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden gesellschaftlichen Fraktionen für beendet, noch traut man der wie auch immer zusammengesetzten Regierung in Bagdad über den Weg. Der Zugriff auf die gewaltigen Ölvorkommen des Landes ist kein Selbstgänger, wie das Vordringen diverser ausländischer Unternehmen bei der Vergabe der Lizenzen gezeigt hat. Und nicht zuletzt fürchtet man den wachsenden Einfluß des benachbarten Irans, der mit dem schiitischen Bevölkerungsteil und dessen Organisationen einen starken Verbündeten im Irak besitzt.

Da die Intervention im Irak ebenso wie die Besetzung Afghanistans eine Zwischenstation auf dem Weg zur angestrebten Kontrolle dieser Weltregion zwischen den eigentlichen Gegnern Rußland und China ist, welche die USA einzukreisen und in ihrem Einfluß zu beschneiden versuchen, würde ein vollständiger Abzug keinen Sinn machen. Er käme als Gegenteil der beabsichtigten Dauerpräsenz einer Niederlage gleich, die den ungeheuren Aufwand dieses Feldzugs zunichte machen würde. Die Invasion des Iraks zielte zu keinem Zeitpunkt auf das stets vorgehaltene Ziel ab, die Bevölkerung zu befreien und ihr zu einem besseren Leben zu verhelfen. Unterwerfung und Kontrolle blieb durchweg der Zweck dieses Kriegszugs, dessen Preis die Iraker mit unermeßlichen Opfern bezahlen müssen.

Wenn die Intervention im Irak nun von der Obama-Administration als Erfolgsgeschichte deklariert wird, so ist dies nur unter vollständiger Ausblendung der tatsächlichen Kriegsziele und haarsträubender Leugnung der verheerenden Situation möglich. Wie der US-Oberbefehlshaber im Irak, General Raymond Odierno, vor wenigen Tagen behauptete, seien "legitime und glaubwürdige Wahlen" abgehalten, die einheimischen Sicherheitskräfte qualitativ verbessert und der Rückzug aller US-Kampftruppen bis zum 1. September auf den Weg gebracht worden. [1]

Präsident Barack Obama hatte Ende Mai in einer Rede vor Angehörigen der Militärakademie West Point verkündet, nach Abzug der US-Truppen werde "eine starke zivile amerikanische Präsenz den Irakern helfen, den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt" zu befördern, um "einen demokratischen Irak, der souverän, stabil und autonom ist", zu errichten.

Die bittere Realität im Zweistromland spricht jedoch eine völlig andere Sprache. Sieben Jahre Krieg haben verheerenden Folgen für die Bevölkerung gezeitigt: Ein Studie im Auftrag der Weltbank kam 2007 zu dem Schluß, daß 23 Prozent der Iraker mit weniger als 2,20 US-Dollar am Tag auskommen müssen und mithin in bitterer Armut leben. Arbeitslosigkeit und unzureichende Erwerbsmöglichkeiten weisen nach wie vor einen hohen Stand auf, und laut dem im letzten Monat veröffentlichten Brookings Iraq Index hatten im vergangenen Jahr nur 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Abwassersystem, 45 Prozent zu sauberem Wasser, 50 Prozent zu mehr als zwölf Stunden Strom pro Tag sowie 50 Prozent zu angemessenem Wohnraum und 30 Prozent Zugang zum Gesundheitswesen.

Im Verlauf des Kriegszugs wurden mehr als eine Million Iraker getötet und weitere zwei Millionen ins Exil getrieben, während man Zehntausende der Gefangenschaft und Folter unterwarf. Das von Weißem Haus und Pentagon großspurig verkündete Ende des Aufstands beruhte auf massivster Repression gegen die Opposition und dem Ausbau eines Polizeistaats, der fortgesetzte Anschläge mit hohen Opferzahlen und eine prekäre Sicherheitslage nicht verhindern kann. An den von den Besatzern hochgelobten Wahlen im März durften nur Politiker und Parteien teilnehmen, die sich mit der Okkupation einverstanden erklärten, wobei die daraus resultierende Marionettenregierung noch immer nicht funktionsfähig ist.

Wie im Abkommen von 2008 vereinbart, haben die US-Militärs im vergangenen Jahr die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit an einheimische Kräfte übergeben. De facto üben die Besatzer jedoch unter dem Deckmantel angeblicher Unterstützung und Ausbildung weiterhin eine engmaschige Kontrolle der irakischen Armee und Polizei aus. Auch General Odierno erweckte den Eindruck, man liege voll und ganz im Zeitplan, als er bekanntgab, die Streitkräfte hätten bereits 18.000 Fahrzeuge und 600.000 Container Ausrüstung abtransportiert. Auch sei die Zahl von 500 Stützpunkten im letzten Jahr bereits auf 126 reduziert worden und werde bis Anfang September auf 94 sinken.

Was nach außen hin einen zügigen Abbau simuliert, der in einen vollständigen Abzug bis zum 31. Dezember 2011 zu münden scheint, ist indessen eine Auslagerung von Kampftruppen nach Afghanistan, die von der Konsolidierung einer langfristigen Okkupation des Iraks flankiert wird. Wie seit langem bekannt, werden die US-Streitkräfte über den 1. September hinaus 50.000 Soldaten im Land lassen, bei denen es sich angeblich nur um Berater und Ausbilder, nicht jedoch um kämpfende Einheiten handeln soll. Von diesem durchsichtigen Etikettenschwindel abgesehen, sollen neben dem regulären Kontingent bis zu 65.000 Söldner im Irak bleiben, womit weiterhin eine gewaltige US-Streitmacht in Stellung gebracht wird.

Von den langfristigen Plänen der Besatzer zeugt auch eine massive Zunahme der Bauarbeiten an US-Stützpunkten, die einem Artikel der Zeitschrift "Stars and Stripes" vom 1. Juni zufolge nach Ratifizierung des Sicherheitsabkommens im November 2008 eingesetzt hat. Demnach wurden seit 2004 insgesamt 2,1 Milliarden Dollar in derartige Projekte investiert, wovon mit 496 Millionen fast ein Viertel auf das Jahr 2009 entfiel, in dem mehr als je zuvor an Militärstützpunkten gebaut wurde. Hinzu kommen Vorhaben im Wert von 323 Millionen Dollar, die 2010 realisiert werden sollen. Während nämlich die absolute Zahl US-amerikanischer Stützpunkte im Irak deutlich gesunken ist, baut das Pentagon im Gegenzug die sogenannten "enduring presence posts" aus. Darunter fallen insbesondere die vier großen Militärbasen "Joint Base Balad" im Norden, "Camp Adder" im Süden, "Al-Asad Air Base" im Westen und "Victory Base Complex" unter Einschluß des internationalen Flughafens von Bagdad. In allen vier Fällen handelt es sich um riesige Festungen, wobei derzeit allein in Balad mehr als 20.000 Soldaten stationiert sind.

Der forcierte Ausbau gewaltiger Stützpunkte kann als sicheres Indiz dafür gelten, daß die USA ihr Besatzungsregime im Irak Ende nächsten Jahres keineswegs beenden wollen. Das Abkommen von 2008, in dem die Abzugsdaten genannt werden, hat nur vorläufigen Charakter und wird von dem Strategischen Rahmenvertrag, der noch ausgehandelt werden muß, außer Kraft gesetzt. Ohnehin steht es der irakischen Regierung frei, jederzeit US-amerikanische Truppen zur Unterstützung geplanter oder laufender Operationen gegen "extremistische Netzwerke" anzufordern. Auch könnte die Führung in Bagdad beispielsweise den desolaten Zustand der irakischen Luftwaffe zum Anlaß nehmen, US-Militärausbilder im weitesten Sinn auch über 2011 hinaus in Anspruch zu nehmen.

Parallel zu dieser militärischen Schiene dauerhafter Präsenz werden zivile Komponenten langfristiger Kontrolle ausgebaut, in deren Zentrum die US-Botschaft in Bagdad steht. Bei der im Januar 2009 eröffneten neuen Botschaft in der massiv befestigten und scharf bewachten Grünen Zone handelt es sich um den größten und teuersten derartigen Komplex weltweit, in dem 1.000 reguläre Mitarbeiter und bis zu 3.000 zusätzliche Personen beschäftigt sind.

Seit ihrer Invasion im Jahr 2003 haben die USA und ihre Verbündeten den zuvor mit Sanktionen drangsalierten Irak als funktionsfähigen Staat zerschlagen und mit dem Ziel gespalten, die dadurch ausgelösten erbitterten Konkurrenzkämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen zur Niederschlagung des Widerstands gegen das Besatzungsregime zu nutzen. Als dennoch eine militärische Niederlage der Besatzer nicht mehr auszuschließen war, gelang es unter enormem finanziellen Aufwand, Zehntausende gegnerische Kämpfer zu bestechen und in paramilitärischen Verbänden einzubinden. Weit davon entfernt, das Land wie behauptet zu befrieden, haben die Okkupationsmächte einen Hexenkessel angeheizt, den auch nur notdürftig einzudämmen es noch jahrelanger Anstrengungen bedarf.

Auf diese Weise haben die Besatzungsmächte eine Situation geschaffen, mit der sich ihre militärische, geheimdienstliche und administrative Präsenz auf lange Sicht begründen läßt. Daß es sich dabei um eine Feuersbrunst handelt, bei der sich die Brandstifter als Feuerwehr in Szene setzen, liegt auf der Hand. Da dieses Feuer grausamster Verteilungskämpfe jedoch als Inbegriff nicht vorhandener Kontrolle charakterisiert werden kann, ist nicht nur ungewiß, wie viele Iraker es noch verschlingen wird. Sollte es den westlichen Mächten insbesondere mißlingen, als nächstes Opfer den Iran in die Enge zu treiben, zu schwächen und zu fraktionieren, könnte sich die Strategie des fortgesetzten Teilens und Herrschens unter der Doktrin des sogenannten Antiterrorkriegs auch im Irak unversehens gegen sie wenden.

Anmerkungen:

[1] US consolidates occupation of Iraq (09.06.10)

World Socialist Web Site

10. Juni 2010