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NAHOST/1020: Die USA erklären Operation Iraqi Freedom für beendet (SB)


Die USA erklären Operation Iraqi Freedom für beendet

Obama veranstaltet seinen eigenen "Mission Accomplished"-Moment


Der Kampfeinsatz der US-Streitkräfte im Irak, der am 19. März 2003 als Operation Iraqi Liberation (Operation irakische Befreiung) begann und wenige Tage nach dem Invasionsauftakt wegen der möglichen Assoziationen des Akronyms OIL mit den von der Friedensbewegung der amerikanischen Energieindustrie unterstellten Begehrlichkeiten bezüglich des Ölreichtums des Zweistromlands in Operation Iraqi Freedom (Operation irakische Freiheit) umbenannt werden mußte, ist in der Nacht vom 18. auf den 19. August 2010 mit dem Abzug der 4. Stryker Brigade der 2. Infanteriedivision offiziell zu Ende gegangen. Zu jenen nächtlichen Stunden hat diese letzte noch im Irak befindliche Kampfeinheit der US-Armee im Scheinwerferlicht der großen US-Fernsehanstalten die Grenze nach Kuwait überquert, von wo aus sie entweder in die Heimat und nach Afghanistan verlegt werden soll.

Für Barack Obama stellt das "Ende des Irakkrieges" einen Achtungserfolg dar. Die Präsidentenwahl 2008 hatte der damalige Senator aus Illinois nicht zuletzt mit dem Versprechen, die US-Kampftruppen so rasch wie möglich aus dem Irak abzuziehen, gewonnen und es nun, zwei Wochen vor Ablauf des von ihm vorgegebenen Termins 1. September scheinbar eingelöst. Doch auch nach diesem Datum werden rund 50.000 US-Soldaten im Irak stationiert sein, nur daß ihr Auftrag formell nicht mehr im Kämpfen, sondern in der Ausbildung und Unterstützung der neuen irakischen Streitkräfte besteht. Konkret heißt das, daß die Amerikaner künftig nicht mehr allein auf Patrouille gehen, sondern die irakischen Kameraden begleiten werden. Kommt es dabei zu Auseinandersetzungen mit Aufständischen, so dürfen sich die GIs selbstverständlich verteidigen. Und da die irakischen Streitkräfte derzeit über keine nennenswerte Luftwaffe verfügen, werden ihnen auf absehbare Zeit US-Kampfjets Luftunterstützung gewähren.

Laut dem State of Forces Agreement (SOFA), das Washington und Bagdad 2008 beschlossen, sollen bis Ende 2011 alle amerikanischen Militärangehörigen den Irak verlassen haben. Die meisten Beobachter gehen jedoch davon aus, daß es vor Ende des kommenden Jahres zu einer Revidierung des SOFA kommen wird, damit das Pentagon seine wichtigsten Stützpunkte im Irak weiter betreiben kann. Als Begründung dürfte die Notwendigkeit der Anwesehenheit von mehreren zehntausend amerikanischen Militärausbildern und Wartungsspezialisten herhalten, die den Irakern den Umgang mit ihren neuen Waffensystemen wie Panzer vom Typ M-1 Abrams und F-16-Kampjets aus den USA beibringen. Vor wenigen Tagen hat Generalleutnant Babaker Zerbari, der ranghöchste irakische Militär, angeregt, daß die US-Streitkräfte bis 2020 im Irak bleiben, um das Land vor äußeren Feinden zu schützen. Solange wären die neuen irakischen Streitkräfte der Aufgabe nicht gewachsen, so Zerbari.

Wie es im "Nachkriegsirak" weitergeht, weiß derzeit niemand so richtig. Das unter Saddam Hussein infrastrukturell und bildungstechnisch entwickelteste Land der arabischen Welt liegt immer noch am Boden. Strom und Trinkwasser sind weiterhin Mangelware. Die Parlamentswahlen liegen inzwischen mehr als fünf Monate zurück, und trotzdem haben sich die zerstrittenen Parteien nicht auf die Bildung einer neuen Regierung einigen können. Die politische Krise trägt zur erneuten Destabilisierung des Landes bei, wie der verheerende Selbstmordanschlag, der sich am Vormittag des 17. August vor einem Rekrutierungsbüro der irakischen Armee ereignete und 61 jungen Männern das Leben kostete, demonstriert. Setzt sich die Gewaltspirale fort, könnte der August den Monat Juli, in dem laut Angaben der irakischen Polizei mehr als 500 Menschen bei Anschlägen, Attentaten oder Überfällen ums Leben kamen, als blutigsten Monat seit Mai 2008 überholen.

Aus den Parlamentswahlen am 7. März ging das säkular-sunnitische Iraqiya-Parteienbündnis als stärkste Fraktion hervor und erhebt deshalb den Anspruch, daß sein Anführer, der Ex-Premierminister Ijad Allawi, der unter Saddam Hussein zunächst Mitglied der Baath-Partei war, bevor er zum oppositionellen Exilanten mit Verbindungen zu den amerikanischen und britischen Auslandsgeheimdiensten CIA und MI6 wurde, das Amt des Premierministers übernimmt. Doch der bisherige Regierungschef Nuri Al Maliki, dessen schiitische Gruppierung State of Law die zweitgrößte Fraktion im Parlament bildet, weigert sich bisher beharrlich, seinen Stuhl zu räumen. Allawi und Maliki buhlen um die Unterstützung der drittplazierten Irakischen Nationalallianz (INA) des schiitischen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr. Bisher haben sich die Sadristen weder für die eine noch die andere Seite entschieden.

Die Regierungsbildung in Bagdad gestaltet sich nicht zuletzt deshalb als schwierig, weil sich die USA und der Iran einmischen. Washington sähe am liebsten eine große Koalition aus Iraqiya und State of Law unter Ausschluß der INA in Bagdad. Die Amerikaner haben in der Vergangenheit gut mit Allawi und Maliki zusammen arbeiten können. Eine solche Koalition trüge zur Versöhnung zwischen Schiiten und Sunniten bei, während eine Regierung ohne Beteiligung der Wahlsieger von Iraqiya dazu führen könnte, daß sich die sunnitischen Milizionäre, deren 2007/2008 vom damaligen US-Oberbefehlshaber General David Petraeus in Aussicht gestellte Aufnahme in den Staatsdienst als Soldaten oder Polizisten nur schleppend läuft, gegen die Zentralregierung in Bagdad wieder erheben.

Die USA stehen einer Regierungsbeteiligung der INA skeptisch bis ablehnend gegenüber, weil Al Sadr, der sich derzeit in der heiligen iranischen Stadt Qom zum Großajatollah ausbilden läßt, unter den Schiiten der wichtigste Verfechter eines vollständigen Abzugs aller ausländischen Streitkräfte ist. Mit seinen Getreuen wären neue Verhandlung über das SOFA gar nicht möglich. Wie ernst es die Sadristen mit ihrer Forderung nach einem Irak ohne jegliche US-Truppenpräsenz meinen, ging aus dem Artikel "In Iraq, cemetery is symbol of militia's vow to fight if U.S. forces" von Leila Fadel hervor, der am 18. August in der Washington Post erschienen ist. Laut Fadel haben die Mitglieder von Sadrs mächtiger Mahdi-Armee, die sich derzeit im Waffenstillstand befindet, bereits ein Areal auf dem Hauptfriedhof der heiligen irakischen Stadt Nadschaf gekauft, wo die "Märtyrer" später ruhen sollen, die bei dem Massenaufstand ums Leben kommen werden, den es geben wird, sollten die Amerikaner die Bedingung des SOFA nicht erfüllen.

Die Sadr-Leute wollen mit Maliki nichts zu tun haben, weil er 2008 in Nadschaf, in der südlichen Hafenstadt Basra und im Bagdader Armenviertel Sadr-Stadt die amerikanischen und irakischen Streitkräfte auf die Mahdi-Armee losließ und ihr eine schwere Niederlage beibrachte. Sie könnten sich eventuell mit dem Iraqiya-Bündnis einigen - doch scheint Teheran alle Bemühungen um diese Konstellation aus Angst vor Allawi als neuem starken Mann in Bagdad zu torpedieren.

Vor wenigen Tagen schien der scheidende US-Botschafter in Bagdad, Christopher Hill, die Lösung gefunden zu haben. Im Gespräch war eine Regierung, in der Maliki den Posten des Premierministers behielte, während Allawi der mächtige Leiter eines neuen "nationalen Sicherheitsrats" mit weitreichender Verantwortung für die Streitkräfte werden sollte. Einem Bericht der Zeitschrift Foreign Policy vom 13. August zufolge hatte Obama sogar einen Brief an Großajatollah Ali Al Sistani, den angesehensten Geistlichen des Iraks, geschrieben und diesen darum gebeten, Maliki und Allawi, der auch Schiite ist, zu einer Beendigung ihres Zanks zu bewegen. Der Vorstoß hat jedoch nichts genutzt. Allawi hat alle Gespräche mit State of Law abgebrochen, nachdem Maliki die Gruppierung öffentlich als "sunnitisch" bezeichnet hatte. Dabei versteht sich Iraqiya als konfessionell ungebunden und nationalistisch. Solange sich die Spannungen zwischen den USA und dem Iran fortsetzen und eine Lösung ihres sogenannten "Atomstreits" nicht gefunden worden ist, wird es vermutlich keine dauerhafte Lösung der politischen Krise im Irak geben.

19. August 2010