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NAHOST/1029: Tony Blair macht Stimmung für Krieg gegen den Iran (SB)


Tony Blair macht Stimmung für Krieg gegen den Iran

PR-Kampagne für Blairs Memoiren mutiert zur Anti-Iran-Offensive


Tony Blair hat mit der Veröffentlichung seiner Memoiren, die am 1. September ihren Platz in den Bücherregalen beiderseits des Atlantiks fanden, einen sensationellen publizistischen Erfolg erzielt. Nach Angaben von Waterstones, der größten Buchhandlungskette Großbritanniens, ist die Nachfrage nach dem Buch Blairs "beispiellos". Auf der Insel geht man davon aus, daß die Memoiren mit dem Titel "A Journey" ("Eine Reise") die meistverkaufte politische Biographie aller Zeiten werden. In den USA steht das Werk auf der Beststellerliste der New York Times für Sachbücher bereits unter den ersten zehn. Zur Nachfrage trägt das gigantische Presseecho bei, da offenbar fast alle politischen Korrespondenten und die meisten von Blairs ehemaligen Kabinettskollegen mit Ausnahme seines Dauerrivalen und Ex-Finanzministers Gordon Brown den Inhalt kommentieren wollen. Blair selbst überläßt die Aufarbeitung der dreizehnjährigen Ära von "New" Labour in Großbritannien weitestgehend seinen zahlreichen politischen Bewunderern und Gegnern und nutzt die PR-Auftritte zur Verkaufsförderung der Memoiren für ein höheres Ziel, nämlich um für einen Krieg gegen den Iran Stimmung zu machen.

Gleich am Abend des ersten Verkaufstags strahlte der staatliche Fernsehsender BBC 2 das erste richtige Interview, das Blair seit dem Rücktritt als Premierminister im Sommer 2007 gegeben hat, aus. Im Gespräch mit Andrew Marr verteidigte der frühere Vorsitzende der britischen Labour-Partei die mit Abstand umstrittenste Entscheidung seiner zehnjährigen Amtszeit als Regierungschef, den Einmarsch britischer Truppen in den Irak im März 2003 an der Seite der USA, vehement. Zwar habe Saddam Hussein entgegen den damaligen Behauptungen Londons und Washingtons doch keine Massenvernichtungswaffen besessen, doch solange er in Bagdad an der Macht geblieben wäre, hätte die Gefahr bestanden, daß er welche entwickelte; deshalb hätte der gewaltsame Sturz des irakischen Präsidenten die Welt "sicherer" gemacht, so Blair. Da dürften Millionen von Irakern, die in den letzten siebeneinhalb Jahren durch Schüsse oder Bomben ein Familienmitglied verloren haben oder wegen der Gewalt ins Ausland oder in einen anderen Landesteil haben fliehen müssen, andere Meinung sein.

Blair, der für sich reklamiert, stets gemäß moralischer Prinzipien zu handeln, genügte es nicht, die Entscheidung zum Überfall auf den Irak zu verteidigen. Er zog eine direkte Parallele zur heutigen Konfrontation zwischen dem Westen und dem Iran im sogenannten "Atomstreit". Der katholische Konvertit rief die Kritiker des Irakkrieges dazu auf, darüber kein endgültiges Urteil zu fällen, denn "wir" - gemeint war vermutlich die "internationale Gemeinschaft" - stünden "demnächst in Bezug auf den Iran vor einer sehr ähnlichen Entscheidung":

Eine Atomwaffenfähigkeit seitens der Iraner ist völlig inakzeptabel, und wir müssen bereit sein, ihnen gegenüberzutreten, militärisch falls notwendig. ... Ich würde auf meiner Wache niemals, wenn ich damit etwas zu tun hätte, dem Iran gestatten, sich eine Atomwaffenfähigkeit zu beschaffen.

Auf die Frage Marrs, ob der Westen und die islamische Welt seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in den USA sich miteinander im Krieg befänden, antwortete Blair, "Nun, mit dieser extremistischen Art, ja" und führte fort:

Es gibt nicht einen einzigen Teil des Nahen Ostens, der nicht von demselben Problem betroffen ist, das wir im Irak und in Afghanistan haben, und aus meiner Sicht müssen wir im Westen begreifen, daß es sich hier um einen generationenlangen Konflikt handelt und daß wir uns daran beteiligen müssen.

Am 3. September stand Blair dem weltweit anerkannten und deshalb einflußreichen, staatlichen britischen Radiodienst BBC World Service Rede und Antwort. Im Gespräch mit dem Moderator Owen Bennett Jones tat er das Argument, daß sich sogenannte "Terroristen" in Afghanistan, Kaschmir, im Irak und in Palästina lediglich gegen ausländische Herrschaft und Militärbesatzung verteidigten, kurzerhand ab und bezeichnete unter Verweis auf die 9/11-Anschläge den "bösen und rückwärtsgewandten" Radikalislamismus als größte derzeitige Bedrohung der Menscheit. Er bestritt, daß seine eigene Politik Muslime in Großbritannien oder anderswo radikalisiert hätte und machte statt dessen das Mullah-Regime in Teheran dafür veranwortlich. Ungeachtet der großen theologischen Kluft zwischen Teheran und Osama Bin Laden behauptete Blair, daß der Iran "ein staatlicher Sponsor" jener "globalen ideologischen Bewegung" um Al Kaida sei. Man dürfe diese unheilvolle Verbindung - Terroristen und Schurkenstaat - nicht unterschätzen. Man dürfe nicht erlauben, daß die Iraner die Atombombe bekämen, sondern müsse eine solche Entwicklung mit allen Mitteln verhindern. Ganz der westliche Kreuzritter des 21. Jahrhunderts, erklärte Blair, man müsse den Radikalislamisten klarmachen, "daß sie es mit einem stärkeren Willen als dem ihrigen zu tun haben".

Am Abend des 3. September hatte Blair seinen ersten Auftritt im Live-Fernsehen seit Jahren, und zwar in der populären Diskussionssendung The Late, Late Show des staatlichen irischen Rundfunks RTÉ. Wegen seiner Verdienste um den Friedensprozeß in Nordirland wurde Blair von dem Moderator Ryan Tubridy und dem Studiopublikum respektvoll und freundlich behandelt. Vor dem Studio hatten sich mehrere Dutzend Demonstranten postiert, die Blair beim Reingehen als "Kriegsverbrecher" beschimpft hatten. Auf die Frage Tubridys, wie die Demonstranten zu einer solchen Bewertung seiner Person kommen könnten, gab sich Blair ratlos und verbreitete statt dessen seine anti-islamischen Verschwörungtheorien. Am nächsten Tag stand in der Hauptfiliale der irischen Buchhandlungskette Eason's an der Dubliner Prachtstraße O'Connell Street die erste Signierstunde Blairs für seine Memoiren an. Der Besuch des Ex-Premierministers löste ein Verkehrschaos im Zentrum der irischen Hauptstadt aus, denn die für Busse, Autos und Straßenbahn wichtige Achse O'Connell Street / Abbey Street war mehrere Stunden lang lahmgelegt. Die Polizei zeigte mit einem Großaufgebot Präsenz. Mehrere hundert Demonstranten buhten und warfen mit Schuhen und Eiern, als Blairs Limousinenkonvoi vor dem Eingang von Eason's hielt.

Kate O'Sullivan, ein 24jähriges Mitglied des Ireland Palestinian Solidarity Committee (ISPC), die sich bei den mehrere hundert Käufern des Buchs eingereiht und dafür alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen über sich hatte ergehen lassen, versuchte Blair, als sie endlich an der Reihe war, daß er ihre Kopie der Memoiren signierte, als Kriegsverbrecher festzunehmen. Schließlich steht jedem Bürger nach irischem Gesetz das Recht zu, einen Straftäter festzunehmen, um ihn unverzüglich der Polizei zu übergeben. O'Sullivan gelang es immerhin, dem ehemaligen britischen Premierminister ins Gesicht zu sagen: "Herr Blair, ich bin hier, um eine Bürgerverhaftung vorzunehmen wegen der Verbrechen, die sie begangen haben." Während Blair einfach zu Boden schaute, wurde O'Sullivan von fünf Leibwächtern abgeführt und in einem Treppenhaus bis zum Ende der Veranstaltung festgehalten, bevor man sie wieder freiließ. Bei einer Rangelei mit der Polizei, als Blair nach zweieinhalb Stunden das Gebäude verließ, wurden vier Personen festgenommen und wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt.

Mit ihren Protesten gegen den Besuch Blairs in Dublin hat die irische Friedensbewegung nicht nur für Schlagzeilen gesorgt. Inzwischen überlegt der Ex-Labour-Chef, seine einzige für Großbritannien geplante Signierstunde, die am 8. September in der Waterstones-Filiale am Londoner Picadilly stattfinden soll, abzublasen. Bei den Briten hat sich bis heute die Kontroverse über die umstrittene Teilnahme am Irakkrieg nicht gelegt. Die Demonstrationen von Dublin werden die britischen Kriegsgegner mit Sicherheit übertreffen wollen. Deswegen hat Blair am 6. September in einem Interview im Frühstücksfernsehen von ITV laut darüber nachgedacht, aus Rücksicht auf die Polizei auf die Signierstunde zu verzichten. "Der Verkauf laufe ohnehin bestens", so Blair. Rechtzeitig zum Jahrestag der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington will Blair in den USA sein, um dort Werbung für seine Memoiren zu machen. Angesichts der dort seit dem Aufkommen des Streits um den Bau eines muslimischen Kulturzentrums in der Nähe von Ground Zero tobenden Islamophobie dürften seine hysterischen, sachlich unbegründeten Warnungen vor der iranischen "Atombombe" auf fruchtbaren Boden fallen.

6. September 2010