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NAHOST/1031: IAEA greift in Atomstreit zuungunsten des Irans ein (SB)


IAEA greift in Atomstreit zuungunsten des Irans ein

Yukiya Amano läßt die Unparteilichkeit Mohammed ElBaradeis vermissen


Ungeachtet der überraschenden Freilassung Sarah Shourds auf Kaution am 14. September durch die iranischen Behörden - die Bergwanderin steht seit dem letzten Sommer zusammen mit ihren beiden noch im Iran inhaftierten Freunden Shane Bauer und Josh Fattal wegen des unerlaubten Grenzübertritts und des Verdachts der Spionage unter Anklage - zeichnet sich keine nennenswerte Entspannung zwischen Washington und Teheran ab. Im Gegenteil werfen die Vertreter der Regierung Barack Obamas, allen voran Hillary Clinton und die Mitarbeiter des US-Außenministeriums, dieser Tage den Iranern verstärkt vor, ihren Verpflichtungen nach dem Nichtverbreitungsvertrag nicht nachzukommen, und bauschen den Vorwurf zum angeblichen Beleg der Richtigkeit des Verdachts hinsichtlich der Existenz eines geheimen iranischen Atomwaffenprogramms auf. Die Munition für die aktuelle Bezichtigungskanonade Washingtons hatte Yukiya Amano, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Form des jüngsten Berichts seiner Behörde zum zivilen Kernenergieprogramm des Irans höchstpersönlich geliefert. Damit bewahrheiten sich die Befürchtungen, daß nach dem Ausscheiden des Ägypters Mohammed ElBaradei, der sich während seiner zwölf Jahre als IAEA-Chef den Ruf der Unparteilichkeit erworben hatte und deshalb 2005 den Friedensnobelpreis erhielt, Ende letzten Jahres die Amerikaner in dem japanischen Diplomaten Amano jemanden gefunden hatten, der sich ihnen nicht widersetzen, sondern statt dessen zuarbeiten würde.

Seit der Eröffnung der jüngsten Sitzung des mit Vertretern von 35 Ländern besetzten Gouverneursrats der IAEA am 13. September tobt sich in Wien der sogenannte Atomstreit richtig aus. In seinem Bericht hatte Amano erklärt, die Weigerung des Irans, seit Juni zwei Atominspekteure ins Land zu lassen, würde die IAEA in der Erfüllung ihrer Kontrollfunktion "behindern". Unter Verweis auf diese Beschwerde erklärte am 15. September der US-Gesandte bei der IAEA, Glyn Davies, die Entscheidung des Irans, zwei Inspektoren der Behörde den Zutritt zur Islamischen Republik zu verweigern, sei "beispiellos" und erfülle den Tatbestand der "versuchten Einschüchterung". Davies drohte mit nicht näher spezifizierten, "entsprechenden Gegenmaßnahmen". Teherans Vertreter bei der IAEA, Ali Asghar Soltanieh, wies seinerseits auf das Recht seines Landes hin, Einspruch gegen bestimmte Inspekteure einzulegen, und äußerte Unverständnis für den Disput, da sich der Iran und die IAEA bereits auf zwei andere Kontrolleure geeinigt hätten. Insgesamt kann die IAEA auf rund 150 Nuklearexperten zurückgreifen. Rund zehn sind dauerhaft mit der Kontrolle der iranischen Atomanlagen beschäftigt.

Teheran lehnt seit Juni die beiden nicht näher identifizierten Inspekteure ab, weil es in ihnen die Personen sieht, die nach einem Kontrollbesuch im Iran falsche Behauptungen bezüglich angeblich nicht deklarierter Atomexperimente nicht nur in ihrem vertraulichen Bericht für die IAEA hineinschrieben, sondern auch noch über die US-Nachrichtenagentur Associated Press öffentlich lancierten. Sehr zur Verärgerung der Iraner hat Amano bis heute die undichte Stelle bei seiner Behörde nicht ermittelt, sondern in seinem Bericht windige Argumente aufgegriffen, um die Zusammenarbeit Teherans mit der IAEA als mangelhaft erscheinen zu lassen. Zu diesen Argumenten gehört neben dem Einreiseverbot für die beiden Inspekteure die Weigerung der Iraner, noch verschärfterer Kontrollen zuzulassen und Fragen bezüglich bestimmter Hinweise, die angeblich auf die Existenz eines geheimen iranischen Atomprogramms hindeuten, zu beantworten.

Den zusätzlichen Kontrollen hatte sich Teheran von 2004 bis 2006 freiwillig unterworfen, um guten Willen bei Verhandlungen mit den EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - zu signalisieren. Als jedoch die Verhandlungen scheiterten, weil die Regierung George W. Bush zu keinem ernsthaften Entgegenkommen bereit war und von den Iranern die vollständige Aufgabe ihres Rechts auf Urananreicherung verlangte, hat Teheran die erweiterten Kontrollen für beendet erklärt. Die Forderung nach ihrer Reaktivierung halten die Iraner für nicht legitim. Was die geheimdienstlichen Informationen bezüglich eines iranischen Atomwaffenprogramms betrifft, so sollen sich diese auf einem Laptop befinden, der vor Jahren aus der Islamischen Republik hinausgeschmuggelt worden sein soll. Ob dies stimmt, weiß man nicht. Es gibt Vermutungen, wonach die ganze Sache mit dem sagenumwobenen Laptop eine Finte der CIA und des Mossads ist. Schließlich weigern sich die US-Behörden - aus Gründen der "nationalen Sicherheit" -, den Iranern jeden Zugang zu dem dokumentarischen Material, das sich angeblich auf dem Laptop befindet und nicht einmal auf Farsi, sondern auf Englisch verfaßt sein soll, zu gewähren. Dafür lehnen die Iraner ihrerseits ab, sich auf eine Diskussion über das Material einzulassen.

Allen Rumgetöse der USA, der EU-Großmächte und Israels bei der laufenden IAEA-Gouverneursratssitzung zum Trotz sieht es nicht aus, als würde die selbsternannte "internationale Gemeinschaft" mit ihrer angestrebten Verurteilung des Irans bei der nächste Woche stattfindenden 54. Jahreskonferenz aller 151 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrages durchkommen. In einer eigenen, 22seitigen Stellungnahme im Vorfeld der Konferenz hat die 118 Staaten zählende Bewegung der Blockfreien Staaten ihre "Sorge" über die "ungewöhnliche" Einseitigkeit des jüngsten Iran-Berichts der IAEA zum Ausdruck gebracht. Man gab sich konsterniert darüber, daß Amano einerseits dem Iran bescheinigte, kein spaltbares Material zu militärischen Zwecken abgezweigt zu haben, um gleichzeitig aufgrund irgendwelcher abstruser Verschwörungstheorien westlicher Geheimdienste der Regierung in Teheran zu unterstellen, sie käme ihren "internationalen Verpflichtungen" nicht nach.

Darüber hinaus halten die arabischen Unterzeichnerstaaten des Nicht-Verbreitungsvertrages trotz massiven Drängens seitens der Regierung Obama bislang an ihrem Vorhaben, bei der diesjährigen Jahreskonferenz Israel wegen dessen Nukleararsenal zu kritisieren und es offen zum Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag aufzufordern, fest. Im Namen Washingtons versucht Obamas Chefberater in Nuklearfragen, Gary Samore, die Araber hiervon abzubringen, und zwar mit dem etwas dürftigen Argument, eine solche Resolution würde die laufenden Nahost-Friedensverhandlungen gefährden und die Bemühungen um eine atomwaffenfreie Zone in der Region um Jahre zurückwerfen. Es steht zu bezweifeln, daß sich die arabischen Staaten auf dieses Argument einlassen werden. Syrien zum Beispiel ist seit Jahren zu ernsthaften Friedensverhandlungen mit Israel bereit. 2007 zerstörten israelische Kampfjets eine syrische Anlage, von der später die CIA und der Mossad behaupteten, es habe sich um einen im Bau befindlichen, geheimen Atomreaktor gehandelt. Wegen dieses Vorfalls sehen sich die Syrer bis heute dem Vorwurf des Verstoßes gegen den Nichtverbreitungsvertrag ausgesetzt. Damaskus, das diesen Vorwurf als haltlos zurückweist, dürfte sich vehement für eine entsprechende Resolution, in der die De-Facto-Nuklearmacht Israel zum erstenmal auf der Jahreskonferenz der NPT-Unterzeichnerstaaten kritisiert wird, einsetzen.

17. September 2010