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NAHOST/1099: Israel und Libanon streiten um Mittelmeergasreserven (SB)


Israel und Libanon streiten um Mittelmeergasreserven

Beirut und Tel Aviv über Ressourcenaufteilung uneinig


In Israel sieht sich die konservative Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu mit einer massiven Protestbewegung konfrontiert, welche die unerträglich gewordene soziale Ungleichheit im Lande anprangert. Die Chancen jedoch, daß die Proteste in Israel zu einer Umkehrung der dort seit mehr als 20 Jahren verfolgten neoliberalen Wirtschaftspolitik führen werden, sind null. Der Libanon befindet sich ebenfalls in einer schweren Krise. Die Opposition um Ex-Premierminister Saad Hariri erkennt die Legitimität der Nachfolgeregierung von Ministerpräsident Najib Mikati nicht an und bezichtigt diesen, eine Marionette der Hisb Allah zu sein. Angesichts der angespannten innenpolitischen Verhältnisse in den beiden Nachbarländern verwundert es nicht, daß sich zwischen ihnen der Streit um den Zugang zu den Gasreserven im östlichen Mittelmeer gefährlich hochschaukelt.

2009 hatte ein amerikanisch-israelisches Konsortium rund 90 Kilometer westlich der nordisraelischen Hafenstadt Haifa ein Gasfeld mit einem geschätzten Volumen von 2,3 Billionen Kubikmeter Erdgas entdeckt und ihm den Namen Tamar gegeben. Anfang 2010 stieß dasselbe Konsortium auf ein noch größeres Gasfeld mit geschätzten Reserven von 4,5 Billionen Kubikmeter und taufte es Leviathan. Im März 2010 wurden in einer Studie der U. S. Geological Survey (USGS), des kartographischen Institutes des US-Innenministeriums, die in dem von Zypern, dem Libanon und Israel umgebenden Levantinischen Becken im östlichen Mittelmeer lagernden Energiereserven auf 34,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Rohöl geschätzt. Solche gigantische Reichtümer wecken natürlich Begehrlichkeiten.

Als die Regierung in Tel Aviv bereits 2009 die ersten Lizenzen zur Erkundung und Förderung von Erdgas in sechs Blöcken über ein Gebiet von 9600 Quadratkilometer westlich der israelischen Nordküste vergab, erhob Beirut Einspruch. Die Libanesen beanspruchen die Ausbeutung der Erdgasreserven für sich mit der Behauptung, die Felder befänden sich zum Teil oder ganz auf ihrem Staatsterritorium, genauer gesagt in ihrer maritimen Eklusiven Wirtschaftszone. Die Tatsache, daß Israel und der Libanon sich völkerrechtlich niemals anders als im gegenseitigen Krieg befunden haben und sie an Land nur eine De-Facto-Grenze trennt, macht eine rasche Einigung über den Zugang zu den Energiereserven im östlichen Mittelmeer wenn nicht unmöglich, so doch sehr schwierig.

Im Oktober 2010 hat Beirut bei der Schiedsstelle der Vereinten Nationen eine Karte eingereicht, auf der die Seegrenze zu Israel und die maritime Wirtschaftszone des Libanons eingezeichnet waren. Die libanesischen Angaben basierten zum Teil auf den Eckdaten jenes Abkommens, in dem man sich 2007 mit Zypern über das Ausmaß des jeweiligen Staatsgebietes verständigt hatte. Im vergangenen Monat hat sich die Netanjahu-Regierung auf eine Karte der israelischen Meeresgrenzen geeinigt und sie bei den Vereinten Nationen eingereicht. Zwischen den israelischen und libanesischen Entwürfen gibt es leichte Differenzen. Nach Ansicht der Israelis sollte ihre Seegrenze etwas nördlicher als die von den Libanesen gezeichnete Linie verlaufen. Auch wenn Staatsrechtler beide Entwürfe aus der Perspektive ihrer jeweiligen Urheber für begründet und nicht überzogen halten, so erheben Beirut und Tel Aviv gleichzeitig Anspruch auf ein Gebiet von 854 Quadratkilometern. Nach Berechnung der in Beirut erscheinenden Daily Star durchschneidet die von den Libanesen gezeichnete Seegrenze zwei der sechs von Israel für die Erkundung freigegebenen Blöcke und beläßt 16,5 Quadratkilometer davon auf libanesischer Seite.

Folglich hat die Hisb Allah mit Raketenangriffen auf Raffinerien im Norden Israels gedroht, sollten die Israelis mit der Förderung von Erdgas aus den Blöcken fortfahren, die in der unmittelbaren Nähe zur umstrittenen Seegrenze liegen bzw. von ihr durchtrennt werden - je nachdem, ob man dem israelischen oder libanesischen Grenzverlauf den Zuschlag gibt. Wie die Jerusalem Post am 9. August berichtete, hat das israelische Verteidigungsministerium vor wenigen Tagen in Reaktion auf die Drohgebärden der Hisb Allah eine unbemannte Drohne über besagter Meeresregion stationiert. Die von den Israelis gebaute Heron-Drohne soll eine Rund-um-die-Uhr-Observation gewährleisten und gleichzeitig dem Vorrecht Tel Avivs auf die Förderung der unter der Wasseroberfläche liegenden Bodenschätze konkrete Form verleihen.

In einem Artikel, der am 10. August bei der Daily Star erschienen ist, hat sich der UN-Sonderkoordinator für den Libanon Michael Williams zuversichtlich gegeben, daß der Gasstreit zwischen Beirut und Tel Aviv nicht in einen bewaffneten Konflikt ausarten wird. Er habe Signale "aus dem Premierministeramt beider Staaten" erhalten, daß man sich keine Konfrontation wünsche, so Williams. Doch die blutigen Unruhen in Syrien, die im Libanon für erheblichen Aufruhr sorgen zwischen dem Saudi-Arabien ergebenen Hariri-Block und den Damaskus nahen Kräften um die Hisb Allah, sowie die schwierige Lage für die Netanjahu-Regierung angesichts der bereits erwähnten Sozialproteste in Israel und der drohenden Ausrufung eines palästinensischen Staats anläßlich der UN-Generalversammlung im September in New York könnten die Dinge aus dem Ruder laufen.

11. August 2011