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NAHOST/1136: Trotz UN-Friedensplans kommt Syrien nicht zur Ruhe (SB)


Trotz UN-Friedensplans kommt Syrien nicht zur Ruhe

Die Gegner Bashar Al Assads halten den Konflikt am Leben



In Syrien hat die Regierung am 27. März dem Sechs-Punkte-Plan des UN-Sondervermittlers Kofi Annan zur Beilegung der seit einem Jahr anhaltenden Krise zugestimmt. Durch seine Umsetzung soll der Plan ein Ende des bewaffneten Konfliktes, der inzwischen rund 9000 Menschen das Leben gekostet hat, herbeiführen. So sollen die syrischen Streitkräfte zunächst keine schweren Waffen mehr in den Städten einsetzen. Journalisten sollen in das Land einreisen und von überall dort frei berichten dürfen. Politische Gefangenen sollen freigelassen werden. Friedliche Demonstrationen sollen stattfinden können. Über den Weg eines Dialogs aller gesellschaftlichen Kräfte soll der Übergang von der bisherigen Alleinherrschaft der Baath-Partei hin zu einem Mehrparteiensystem geschaffen werden. Bis zur Durchführung von Wahlen und Bildung einer neuen demokratisch-legitimierten Regierung soll Präsident Bashar Al Assad im Amt bleiben. Um dies alles zu ermöglichen, hat Ex-UN-Generalsekretär Annan der Regierung in Damaskus versprochen, die oppositionelle Freie Syrische Armee (FSA) zu einer Feuerpause zu bewegen.

Allgemein herrscht großer Zweifel ob der Erfolgsaussichten des Annan-Plans, denn ungeachtet seiner Annahme durch die Regierung in Damaskus gingen am 27. und 28. März die Kämpfe um die Rebellenhochburg Homs und in anderen Landesteilen mit unverminderter Härte weiter. Die Ankündigung von Präsident Barack Obama und Premierminister Recep Tayyip Erdogan vom 25. März am Vorabend des Gipfels für Nuklearsicherheit in Seoul, die USA und die Türkei würden die syrischen Rebellen künftig mit "nicht-tödlichen" Hilfsmitteln wie moderne Kommunikationsgeräte und Medikamente beliefern, dürfte von diesen als Aufforderung zum Weiterkämpfen aufgefaßt worden sein. Gerade Kommunikationsgeräte sind ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Kriegführung - sei es zum Zwecke der Truppenkoordinierung, der Feindaufklärung oder der Herstellung von Propagandamateriel, um die Moral der eigenen Anhänger zu heben oder die Sympathie ausländischer Fernseh- oder Youtube-Konsumenten zu gewinnen.

Schon seit Monaten erhalten die syrischen Rebellen Waffen und Munition aus Katar und Saudi-Arabien - beides enge Verbündete der USA. Die Rüstungsgüter, darunter auch panzerbrechende Raketen vom Typ Milan, gelangen von der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien. In den vergangenen Monaten hat es in der Presse auch glaubhafte Berichte gegeben, wonach auf Seiten der FSA nicht nur übergelaufene Ex-Angehörige der regulären syrischen Streitkräfte, sondern auch sunnitische Salafisten aus dem Ausland - darunter ehemalige Gaddhafi-Gegner aus Libyen - kämpfen und dabei Rat von Offizieren der Spezialstreitkräfte der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Jordaniens, Katars und Saudi-Arabiens erhalten.

Auf dem Gipfel der Arabischen Liga, der am 29. März in Bagdad stattfand, war die Syrien-Krise das Hauptthema. Im Vergleich zu den anderen AL-Mitgliedsländern, die Staats- und Regierungschefs entsandten, waren Katar und Saudi-Arabien am ersten Gipfel der Regionalorganisation in der irakischen Hauptstadt seit 1990 nur durch Botschafter vertreten. In Doha und Riad ist man offenbar verstimmt darüber, daß die Aufforderung, die syrischen Rebellen offen mit Waffen zu unterstützen, international auf wenig Begeisterung gestoßen war. Auf dem Gipfel haben die Vertreter Algeriens und des Gastgeberlands, Präsident Abdelaziz Bouteflika und Premierminister Nuri Al Maliki, eindringlich vor einer ausländischer Einmischung in syrische Angelegenheiten gewarnt. Die Ermahnungen Bouteflikas und Al Malikis werden vermutlich zwar auf taube Ohren stoßen, sind dennoch ernstzunehmen.

In Algerien sind in den neunziger Jahren infolge des Bürgerkrieges zwischen islamistischen Kämpfern und den Truppen der Zentralregierung rund 200.000 Menschen ums Leben gekommen - viele von ihnen im Verlauf grausamer Massaker. Im Irak haben sich die politischen Verhältnisse seit dem gegenseitigen Gemetzel der Sunniten und Schiiten in den Jahren 2005 und 2006 immer noch nicht normalisiert. Eigentlich sollte das 23. AL-Gipfeltreffen in Bagdad im April 2011 stattfinden, mußte jedoch aus Sicherheitsgründen verschoben werden. Seit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte Ende letzten Jahres kommt es immer wieder zur sektiererischer Gewalt in Form von Überfällen und schweren Autobombenanschlägen, weshalb vermutlich alle ausländischen Delegationen trotz eines gigantischen Sicherheitsaufwands unter Beteiligung von mehr als 100.000 Polizisten und Soldaten in Bagdad nicht übernachten, sondern am Abend per Flugzeug wieder abreisen.

Es ist nicht zu erwarten, daß sich die Kräfte, die den seit längerem schwelenden Streit zwischen Regierung und Opposition in Syrien zu einem Bürgerkrieg haben auswachsen lassen, mit etwas anderem als einem "Regimewechsel" in Damaskus zufrieden geben werden. Gleichzeitig scheinen die ethnischen Vertreibungen und Ermordungen von Christen in Homs durch Moslem-Extremisten der FSA-nahestehenden Al-Faruk-Brigade, wogegen der Vatikan und Vertreter der anderen Konfessionen im Nahen Osten protestiert haben, denjenigen Recht zu geben, die in Syrien ein zweites Libyen befürchten. In nämlichen Land kehrt ein halbes Jahr nach dem Sturz und der Ermordung von Muammar Gaddhafi immer noch keine Ruhe ein. Bewaffnete Banden treiben ihr Unwesen und liefern sich mit den neuen staatlichen Streitkräften immer wieder blutige Kämpfe.

Eine Woche vor dem nächsten Treffen der Gruppe der sogenannten "Freunde Syriens" in der türkischen Metropole Istanbul am 1. April hat Syriens Moslembruderschaft ihre Vorstellung einer Nach-Assad-Ära der Öffentlichkeit präsentiert. Sie sieht ein parlamentarisches Mehrparteiensystem mit Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit sowie Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz vor. Doch ob sich die Gemäßigten unter Syriens Moslembrüdern nach dem angestrebten Machtwechsel in Damaskus behaupten und ihre fundamentalistischeren Gesinnungsgenossen unter Kontrolle halten werden, ist zu bezweifeln. In Tunesien drängen die Salafisten immer mehr auf eine strenge Auslegung des islamischen Rechts in allen Lebenslagen, während vor zwei Tagen in Ägypten die linken und liberalen Säkularisten im Parlament ihre Mitwirkung an der neuen Verfassung aufgekündigt haben - und zwar aus Protest gegen den Vorrang, den die Moslembrüder darin dem Islam einzuräumen beabsichtigen.

29. März 2012