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NAHOST/1144: Begraben Iran und USA in Bagdad den Kriegsbeil? (SB)


Begraben Iran und USA in Bagdad den Kriegsbeil?

In Iraks Hauptstadt wird die Zukunft des Nahen Ostens entschieden



Insgesamt positiv und konstruktiv sind die Gespräche verlaufen, die am 14.‍ ‍April in Istanbul Vertreter des Irans mit denjenigen der P5+1-Gruppe, bestehend aus den fünf UN-Vetomächten China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA plus Deutschland, geführt haben. Dies gaben auf der offiziellen Pressekonferenz im Anschluß an das Treffen Lady Catherine Ashton, die aus England stammende außenpolitische Vertreterin der Europäischen Union (EU), im Namen der P5+1 (P steht für Permanent, heißt ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats) und Saeed Jalili, der Leiter der iranischen Delegation, bekannt. Wie bereits von Ashton und Jalili vor der Konferenz vereinbart, soll eine zweite Runde der Gespräche in Bagdad folgen. In Istanbul haben sich alle Beteiligten auf den 23. Mai als Termin hierfür geeinigt. Von diesem Treffen wird nun erwartet, daß entweder der Durchbruch im sogenannten "Atomstreit" gelingt oder die Weichen für eine militärische Auseinandersetzung am Persischen Golf gestellt werden.

Vor den Gesprächen am Bosporus hatte Washington seine Bedingungen für eine Lösung des "Atomstreits" klar festgelegt. Demnach müssen die Iraner die unterirdische und damit für amerikanische und israelische Bomben und Raketen schwer zu vernichtende Urananreicherungsanlage Fordo nahe der schiitischen Pilgerstadt Qom komplett räumen und deren Betrieb einstellen. Darüber hinaus müssen die Iraner mit der Anreicherung von Uran auf einen 20prozentigen Anteil an U235 Schluß machen und ihre Bestände an diesem Material an das Ausland übergeben. Erst dann wären die USA eventuell bereit, eine Anreicherung von Uran auf 3,5 Prozent U235 im Iran - natürlich unter der Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) - zu akzeptieren. Die anderen Mitgliedsländer der P5+1-Gruppe, das heißt auch Rußland, dessen Ingenieure den iranischen Atomreaktor Buschehr fertiggestellt haben, und die Volksrepublik China als größter Abnehmer iranischen Öls, schlossen sich dieser Position an.

Die Forderungen der Regierung von US-Präsident Barack Obama leiten sich aus der Unterstellung her, der Iran sei nicht ausschließlich an der Gewinnung von Strom aus der Kernkraft interessiert, sondern strebe im Rahmen seines Atomprogramms heimlich auch die Entwicklung und den Bau von Nuklearwaffen an (Deswegen droht Israel in den letzten Wochen und Monaten immer dringender mit einem Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlangen). Zum Bau von Atomsprengköpfen ist Uran mit einem Anreicherungsgrad an U235 von mehr als 90 Prozent erforderlich. Zur Herstellung ziviler Brennstäbe reichen 3,5 Prozent aus. Derzeit reichern die Iraner Uran auf 20 Prozent an, um Material zu gewinnen, mit dem sich in einem Testreaktor in Teheran aus der Zeit des Schahs Isotope zur Behandlung von Krebspatienten erzeugen lassen.

Am 22. Februar hatte der Oberste Geistliche des Irans, Ajatollah Ali Khamenei, nicht nur erneut behauptet, daß die Islamische Republik nicht nach Atomwaffen strebe, sondern ihren Besitz "aus logischen, religiösen und theoretischen Gründen" zur "schweren Sünde" und ihre Verbreitung für "sinnlos, destruktiv und gefährlich" erklärt. (Die Regierung in Teheran vertritt den Standpunkt, daß der Iran die einzige Partei im "Atomstreit" sei, die den Nicht-Verbreitungsvertrag einhält, und wirft den offiziellen Nuklearmächten vor, ihrer Verpflichtung zur Verschrottung der eigenen Kernwaffenarsenale nicht nachzukommen). Im Vorfeld des Treffens in Istanbul soll Obama über den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan an Khamenei die Botschaft übermittelt haben, daß eine Kompromißlösung im "Atomstreit" möglich sei, sollten die politischen Vertreter Teherans der kategorischen Stellungnahme des schiitischen Großajatollahs konkrete Form verleihen.

Vor diesem Hintergrund deuteten es Beobachter als wichtiges und hoffnungsvolles Signal, daß Jalili nach Istanbul nicht nur als Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrat des Irans, sondern hochoffiziell als "persönlicher Vertreter des Obersten Führers" Khamenei reiste. Diese Aufwertung läßt darauf schließen, daß der 46jährige Diplomingenieur im Namen Khameneis einen Deal mit den Vertretern der P5+1-Gruppe abschließen soll, sofern sich eine Einigung erzielen läßt, welche die souveränen Rechte des Irans als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags nicht verletzt und seinen Zugang zu allen technologischen Aspekten des nuklearen Kreislaufes gewährt. Wie die israelische Tageszeitung Ha'aretz am 15. April unter Verweis auf Mitglieder der iranischen Delegation, die sich anonym gegenüber der Deutschen Presseagentur geäußert hatten, berichtete, soll Jalili gegenüber den Vertretern der P5+1-Gruppe die Bereitschaft des Irans verkündet haben, seine Bestände an auf 3,5 Prozent angereichertem Uran aus der Hand zu geben, wenn das Ausland im Gegenzug eine ständige Lieferung an Brennstäben für das Kernkraftwerk Buschehr garantiert. Darüber hinaus soll Jalili vorgeschlagen haben, die Nutzung des auf 20 Prozent angereicherten Urans, sprich die Gewinnung von Isotopen für medizinische Zwecke, unter die Aufsicht der IAEA zu stellen.

Bis zur nächsten Verhandlungsrunde in sechs Wochen sollen Unterhändler Möglichkeiten einer Einigung ausloten, die dann in Bagdad diskutiert werden sollen. In einer ersten Reaktion hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am 15. April den Ausgang der Gespräche in Istanbul heftig kritisiert. Mit der Vertagung bis Ende Mai hätten die P5+1-Nationen dem Iran lediglich noch mehr Zeit für sein Atomprogramm - will heißen zum Bau einer Atombombe - gegeben. Obama, vermutlich, um sich vor Vorwürfen der mächtigen pro-israelischen Lobby in den USA und des republikanischen Kandidaten Mitt Romney zu schützen, Washington lasse sich von Teheran an der Nase herumführen, hat am 15. April am Rande des Gipfeltreffens der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im kolumbianischen Cartagena dem Iran erneut indirekt mit dem Hinweis, das Zeitfenster für eine friedliche Lösung des "Atomstreits" werde sich bald schließen, die Anwendung militärischer Gewalt angedroht.

Es ist keine Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet in Bagdad, von wo aus mit Rückendeckung der USA und des sunnitischen Saudi-Arabiens Saddam Hussein 1980 den Iran-Irak-Krieg vom Zaun brach, die Vertreter Washingtons und Teherans über die Zukunft des Nahen Osten entscheiden sollen. Damals ging es Bagdad, Washington und Riad darum, das Post-Schah-Regime in Teheran zu stürzen, was jedoch an der Hartnäckigkeit der islamischen Revolutionäre um Ajatollah Ruhollah Musavi Khomeini scheiterte. Bis heute hält Washington am Ziel des "Regimewechsels" in Teheran fest. Sollte Obama wirklich an einer Kompromißlösung im Atomstreit interessiert sein, kommt er um eine offizielle Anerkennung der Islamischen Republik, was Washington seit mehr als 30 Jahren verweigert, nicht herum. Derzeit tobt in Syrien und im Irak der sunnitisch-schiitischer Konflikt. Ein Begraben des Kriegsbeils und ein Ende der Konfrontation zwischen den USA und dem Iran würde sehr zur Beruhigung der Lage im Nahen Osten beitragen. Es stellt sich lediglich die Frage, ob die Militaristen in Israel um Premierminister Netanjahu und deren Unterstützer in den USA mit einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Teheran und Washington leben können. Die Meldung, wonach Israel eventuell an der für Ende 2012 geplanten Konferenz im finnischen Helsinki über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten teilnehmen wolle, läßt Hoffnung aufkommen.

16.‍ ‍April 2012