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NAHOST/1162: Die Straße von Hormus wird zusehends zum Pulverfaß (SB)


Die Straße von Hormus wird zusehends zum Pulverfaß

Verhandlungsstillstand im "Atomstreit" erhöht die Kriegsgefahr



Die Beschießung eines zehn Meter langen indischen Fischerboots durch das US-Kriegsschiff Rappahannock am 16. Juli im Persischen Golf deutet auf die zunehmende Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen der USA und dem Iran hin. Wie es zu dem Vorfall kommen konnte, der einem indischen Fischer das Leben kostete und drei seiner Kollegen schwerverletzt zurückließ, ist unklar. Nach Angaben der US-Marine soll sich das Fischerboot trotz Warnsignalen der Rappahannock mit hoher Geschwindigkeit genähert haben, weshalb die Besatzung des US-Auftankschiffs entsprechend der bestehenden Sicherheitsrichtlinien das Feuer eröffnete. Ihrerseits wollen die Inder keine Vorwarnung erhalten haben, sondern vollkommen überrascht gewesen sein, als sie unter Beschuß gerieten. Zum Zeitpunkt des Zwischenfalls befanden sich beide Schiffe in den Territorialgewässern der Vereinigten Arabischen Emirate, nahe dem Hafen Jebel Ali, der gleichermaßen von der 5. US-Flotte und ausländischen Fischern benutzt wird.

An ihrer engsten Stelle ist die Straße von Hormus, die den Persischen Golf mit dem Arabischen Meer bzw. Indischen Ozean verbindet, nur 21 Seemeilen, 39 Kilometer, breit (Die nördliche der beiden Fahrrinnen verläuft sogar durch iranisches Hoheitsgebiet). Durch das Nadelöhr wird bis zu vierzig Prozent des für die Weltwirtschaft nötigen Öls transportiert. Das heißt, jeden Tag passieren mehrere Supertanker diese für sie wegen ihrer Größe äußerst schwierig zu navigierende Meerenge. Verkehrstechnisch kommen zahlreiche Handelsschiffe anderer Typen hinzu. Wegen des am 1. Juli in Kraft getretenen Boykotts der Europäischen Union für iranisches Öl und der diversen Handels- und Finanzsanktionen der USA gegen die Islamische Republik droht Teheran seinerseits damit, die Straße von Hormus zu blockieren. Deshalb haben in den letzten Wochen die Amerikaner und die Iraner die Zahl ihrer Kriegsschiffe rund um die strategisch wichtige Wasserstraße deutlich erhöht. Selbst wenn niemand in Teheran oder Washington einen heißen Krieg will, kann sich allein wegen der derzeit in diesem engen Seeraum vorhandenen Anzahl von Schiffen jederzeit leicht ein Vorfall ereignen, der eine schreckliche Eskalationslogik in Gang setzt - wie das aktuelle Unglück mit dem indischen Fischerboot zeigt.

Die Gefahr eines versehentlichen Ausbruchs von Feindseligkeiten in der Straße von Hormus ist auch deshalb ungewöhnlich hoch, weil es zwischen den Marinestreitkräften der USA und des Iran das international häufig angewandte Protokoll zur Ausräumung von Mißverständnissen im militärischen Schiffsverkehr nicht gibt. Die Iraner halten den Hegemonieanspruch der USA am Persischen Golf für anmaßend und illegitim und haben in der Vergangenheit das Angebot des Pentagons, eine entsprechende Vorsichtsregelung zu treffen, zurückgewiesen. Das bedeutet, daß die Marinekommandeure vor Ort, sollte zwischen ihren Einheiten plötzlich ein Mißverständnis entstehen, keine Möglichkeit haben, sich gegenseitig anzurufen und die Sache unbürokratisch und schnell aus der Welt zu schaffen.

Während auf der diplomatischen Ebene die Verhandlungen zur Lösung des "Atomstreits" auf der Stelle treten, lassen die amerikanischen und iranischen Streitkräfte ihre Muskeln spielen. Nach einem mehrtägigen Manöver letzte Woche in der zentraliranischen Wüste meldete das Oberkommando der Revolutionsgarden, die getesteten Raketen, darunter die 2000 Kilometer weit fliegende Schahab-3, hätten eine Erfolgsquote von rund 90 Prozent erzielt. Darüber hinaus wollen die Revolutionsgarden bei dem Manöver die Fähigkeit demonstriert haben, viele Raketen innerhalb kürzester Zeit abzufeuern. In einer Meldung vom 13. Juli zitierte die Nachrichtenagentur Associated Press aus einem auf der Website irannuc.ir erschienen Bericht wie folgt: "Innerhalb von zehn Minuten wurde eine größere Anzahl von Raketen auf ein einziges Ziel gefeuert. Diese Leistung, die im Fachjargon hohe Feuerdichte genannt wird, macht es den Raketenabwehrsystemen unmöglich, sie [die heranfliegenden Geschossen - Anm. d. SB-Red.] abzufangen und zu zerstören. Am Ende ist das Ziel definitiv getroffen." Auch wenn die iranischen Angaben Anlaß zur Skepsis bieten, verleihen sie dennoch der vor kurzem geäußerten Drohung von General Amir Ali Hajizadeh, dem Oberbefehlshaber der Luftfahrtdivision bei den Revolutionsgarden, innerhalb von Sekunden nach Beginn eines etwaigen Angriffs der US-Streitkräfte auf den Iran alle 35 amerikanischen Militärstützpunkte in der Region zu vernichten, einen gewissen Nachdruck.

Die Vorbereitungen der US-Streitkräfte auf ein mögliches Showdown mit dem Iran fallen ihrerseits ebenfalls umfangreich aus. Nachdem in den letzten Wochen das Pentagon zahlreiche Kampfjets in den Nahen Osten verlegte, die Zahl der Minensuchboote der 5. Flotte verdoppelte und die schwimmende Kommandozentrale USS Ponce am Persischen Golf auffahren ließ, machte am 11. Juli die Los Angeles Times unter Verweis auf Quellen im amerikanischen Militärapparat die bereits vor Wochen begonnene Entsendung "Dutzender unbemannter U-Boote" von Typ SeaFox in die Spannungsregion bekannt. Anlaß hierzu soll eine "dringende Anfrage" von Admiral James Mattis, der nach dem Aufstieg von General David Petraeus zum CIA-Direktor im Jahr 2010 neuer CENTCOM-Oberbefehlshaber wurde, gewesen sein. Das eineinhalb Meter lange und fünfzig Kilogramm schwere Unterwasserfahrzeug SeaFox, das sowohl von einem Schiff als auch von einem Hubschrauber im Wasser abgesetzt werden kann, ist mit Sonar und Videokamera ausgerüstet, um feindliche Minen aufzuspüren. Der Selbstmordattentäter unter den Mini- U-Booten macht sie unschädlich, indem er in ihrer unmittelbarer Nähe einen eigenen, eingebauten Sprengsatz zur Explosion bringt.

Derzeit patrouillieren drei US-Flugzeugträger - die Enterprise, die Dwight D. Eisenhower und die Abraham Lincoln - beiderseits der Straße von Hormus. Jeder dieser schwimmenden Kolosse wird von einer eigenen Flotte an Fregatten, Versorgungsschiffen und U-Booten begleitet. Noch im August wird die Ankunft einer vierten Flugzeugträger-Kampfgruppe, nämlich die um die USS John C. Stennis, in der Region erwartet. Die in ihrem Ausmaß außergewöhnliche Aufstockung der amerikanischen und iranischen Streitkräfte am Persischen Golf erinnert fatal an das Zitat, mit dem der berühmte britische Historiker A. J. P. Taylor einst die tragische Entwicklung, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte, so treffend beschrieb: "Die großen Armeen, angelegt um die Sicherheit zu gewährleisten und den Frieden aufrechtzuerhalten, trieben allein durch ihr Gewicht die Nationen in den Krieg." Man kann nur hoffen, daß es diesmal anders kommt.

18. Juli 2012